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Erscheinung:16.11.2015 Kapitalmarktunion: Aktionsplan der Kommission - Prioritäre Maßnahmen und Zeitplan bis 2019

Die Kapitalmarktunion, ein zentraler Baustein der europäischen Finanzintegration, ist derzeit eines der bedeutensten Projekte der Europäischen Kommission.

Am 30. September veröffentlichte sie einen Aktionsplan, in dem sie insgesamt 33 konkrete Maßnahmen vorschlägt, die aus ihrer Sicht notwendig sind, um die Ziele des Aktionsplans zu erreichen: die Schaffung von mehr Anlagemöglichkeiten, eine bessere Finanzierung der Realwirtschaft, ein stärkeres und krisenfesteres Finanzsystem, eine vertiefte Finanzintegration sowie ein stärkerer Wettbewerb.

Die Maßnahmen sollen nach dem Willen der Kommission schrittweise bis 2019 angegangen werden. Zum Teil handelt es sich bereits um konkrete Gesetzesvorschläge, aber auch Sondierungsmaßnahmen und Konsultationen zählen zu den Vorhaben.

Kapitalmarktunion
Die Kapitalmarktunion zählt derzeit zu den wichtigsten Projekten der Europäischen Kommission im Bereich der Finanzmarktregulierung. Ziel ist ein Binnenmarkt für Kapital, der zu mehr grenzüberschreitender Risikoteilung, tieferen und liquideren Märkten und einer größeren Vielfalt an Finanzierungsquellen für die Realwirtschaft beiträgt. Die Hauptmaßnahmen im Rahmen der Kapitalmarktunion sollen bis 2019 angegangen werden.

Prioritäre Maßnahmen

Die Kommission identifiziert in ihrem Aktionsplan mehrere prioritäre Maßnahmen, zu denen sie zeitgleich mit dem Aktionsplan bereits Dokumente veröffentlicht hat: ein Rahmenwerk für Verbriefungen, Änderungen für Versicherer in Bezug auf die Risikokalibrierung für Anlagen in Infrastruktur und europäische langfristige Investmentfonds, Änderungen der Verordnungen über europäische Fonds für soziales Unternehmertum (Regulation on European Social Entrepreneurship FundsEuSEF) und über europäische Risikokapitalfonds (Regulation on European Venture Capital FundsEuVECA), ein europäisches Rahmenwerk für gedeckte Schuldverschreibungen und eine Analyse der Auswirkungen der Finanzmarktregulierung auf Investitionen.

Rahmenwerk für Verbriefungen

Um die Finanzierung kleiner und mittlerer Unternehmen sowie von Infrastrukturprojekten zu verbessern und die Investorenbasis zu verbreitern, will die Kommission den Verbriefungsmarkt wieder beleben. Dazu hat sie ein Paket mit zwei Legislativvorschlägen veröffentlicht. Dieses umfasst zum einen eine bereichsübergreifende Verbriefungsverordnung, die auf alle Verbriefungen Anwendung findet. Sie enthält Sorgfaltspflichten (Due Diligence) für Investoren, Selbstbehaltsanforderungen für Originatoren, Sponsoren oder ursprüngliche Darlehensgeber (Original Lender) und Transparenzpflichten. Zudem definiert sie Kriterien für einfache, transparente und standardisierte Verbriefungen (Simple, Transparent and Standardised Securitisations – STS) und skizziert eine spezifische Aufsichtsarchitektur für Verbriefungen. Nach dem Kommissionsvorschlag soll die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA eine öffentlich zugängliche Liste unterhalten, aus der hervorgeht, welche Verbriefungen STS sind. Die Liste soll auf einer Selbsteinschätzung der Parteien beruhen, die an einer Verbriefung beteiligt sind, aber durch die zuständigen Aufsichtsbehörden angepasst werden können.

Der zweite Vorschlag betrifft die Eigenmittelverordnung (Capital Requirements RegulationCRR). Die Kommission will sie ändern, um die Kapitalanforderungen der Banken für Verbriefungspositionen risikosensitiver zu machen. Da die aufsichtsrechtliche Behandlung von Verbriefungen für Versicherer in einem Delegierten Rechtsakt zu Solvency II festgelegt ist, sollen die diesbezüglichen Änderungen erst später erfolgen.

Infrastrukturprojekte unter Solvency II

Allerdings schlägt die Kommission schon jetzt eine Novelle des Delegierten Rechtsakts zu Solvency II in Bezug auf Infrastrukturinvestitionen und Investitionen in europäische langfristige Investmentfonds (Long-Term Investment Funds – ELTIFs) vor. Im Mittelpunkt ihres Vorschlags steht die Einführung einer neuen Anlageklasse für Investitionen in Infrastruktur, bei der weniger Risikokapital zu unterlegen ist als nach der bisherigen Kalibrierung. Die Kommission schlägt dafür vor, den Stressfaktor auf nicht-börsengehandelte Eigenkapitalinvestitionen in Infrastruktur von 49 auf 30 Prozent zu senken.

Zudem sollen ELTIFs nun den gleichen Kapitalregeln unterliegen wie Aktien, die an regulierten Börsen gehandelt werden. Dies stellt die ELTIFs europäischen Risikokapitalfonds (EuVeCas) und europäischen Fonds für soziales Unternehmertum (EuSEF) gleich. Aktien, die in multilateralen Handelssystemen gehandelt werden, werden den an regulierten Börsen gehandelten Aktien gleichgestellt.

Konsultation zu EuVeCa- und EuSEF-Verordnung

Die Kommission führt aktuell zudem eine Konsultation zur Änderung der EuVeCa- und der EuSEF-Verordnung durch. Gegenwärtig sind der EuVeCa- und der EuSEF-Pass nur für Betreiber kleinerer Fonds erhältlich, die Portfolios von weniger als 500 Millionen Euro verwalten. Die Kommission will die Reichweite der Pässe erhöhen und beispielsweise auch größeren Fondsverwaltern die Möglichkeit geben, EuVeCa- und EuSEF-Fonds aufzulegen und zu vermarkten. Zugleich könne möglicherweise die Anlageschwelle gesenkt und so mehr Investoren Zugang zu EuVeCas und EuSEFs gewährt werden, um europaweit mehr Anlagegelder gewinnen und der Realwirtschaft effizienter zur Verfügung stellen zu können.

Weitere Überlegungen betreffen die Senkung der Registrierungskosten und eine Ausweitung der Vermögensgegenstände, die EuVeCas und EuSEFs erwerben dürfen. Die Kommission hat angekündigt, dazu im dritten Quartal 2016 einen Legislativvorschlag zu machen.

Konsultation über gedeckte Schuldverschreibungen

Auch zum Thema gedeckte Schuldverschreibungen hat die Kommission bereits eine Konsultation gestartet. Der Markt ist gegenwärtig laut Kommission infolge nationaler Vorschriften fragmentiert. Die großen Unterschiede zwischen den Rechtsrahmen und Aufsichtspraktiken der Mitgliedstaaten, die eigene Rechtsvorschriften für gedeckte Schuldverschreibungen erlassen haben, schränken die Möglichkeiten für eine Standardisierung der Kreditvergabe- und Offenlegungspraxis nach Ansicht der Kommission ein. Dies könne Hemmnisse für die Markttiefe und -liquidität und den Zugang der Anleger zu anderen europäischen Märkten verursachen.

Im Konsultationspapier zeigt sie mögliche Schwachstellen und Sicherheitslücken in nationalen Pfandbriefmärkten auf, die in Folge der Krise entstanden sind. Die Kommission hält es für zweckmäßig, einen integrierten europäischen Gesetzesrahmen für Pfandbriefe zu schaffen. Ein solches Rahmenwerk könnte ihrer Ansicht nach helfen, die Finanzierungsbedingungen in der gesamten Europäischen Union zu verbessern und grenzüberschreitende Investitionen und Emissionen in jenen Mitgliedstaaten zu erleichtern, deren Pfandbriefmärkte derzeit mit praktischen oder rechtlichen Herausforderungen konfrontiert sind.

Demnach könne der europäische Rechtsrahmen auf gut funktionierenden nationalen Regelungen aufbauen, ohne diese zu beeinträchtigen. Hochwertige Standards und bewährte Verfahren sollen als Grundlage dienen. Darüber hinaus will die Kommission bei der Konsultation Standpunkte einholen, inwiefern ähnliche Strukturen sinnvoll wären, um Darlehen an kleine und mittlere Unternehmen zu unterstützen.

Sondierung zu Rechtsrahmen für Finanzdienstleistungen

Schließlich sucht die Europäische Kommission derzeit in Form einer Sondierung empirische Befunde und Rückmeldungen, anhand derer sie die Wechselwirkungen zwischen den neuen Vorschriften der Finanzmarktregulierung und deren kumulative Auswirkungen auf das Investitionsumfeld bewerten kann.

Die Kommission selbst hat beispielsweise bereits im Juli 2015 eine Konsultation darüber abgehalten, wie sich einige der neuen Eigenkapitalanforderungen für Kreditinstitute, die in der europäischen Eigenmittelrichtlinie CRD IV (Capital Requirements Directive IV) und in der CRR festgelegt sind, auf die Kreditvergabe in der Praxis ausgewirkt haben. Ziel war es unter anderem herauszufinden, ob die Kreditvergabe an kleine und mittlere Unternehmen und die Finanzierung von Infrastrukturprojekten betroffen waren. Die Analyse der Kommission könnte zu weiteren spezifischen Maßnahmen hinsichtlich der Widerstandsfähigkeit des Bankensystems führen.

Weitere für 2015 geplante Maßnahmen

Noch vor Ende des Jahres möchte die Kommission darüber hinaus einen Vorschlag zur Modernisierung der Prospektrichtlinie vorlegen, damit die öffentliche Kapitalbeschaffung für Unternehmen billiger wird, und zwar in Form einer Verordnung. Prospekte seien aufwändig und teuer, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen, und umfassten in der Regel mehrere hundert Seiten, so die Kommission. Gleichzeitig seien sie für Investoren unter Umständen zu komplex und ausführlich, da die Informationen, die für eine Anlageentscheidung relevant seien, schwer herauszufiltern seien.

Die Kommission möchte daher die Vorschriften überarbeiten, wann ein Prospekt erforderlich ist, die Angabepflichten und das Genehmigungsverfahren straffen und eine verhältnismäßige Regelung schaffen, nach der kleine und mittlere Unternehmen einen Prospekt erstellen und an die Kapitalmärkte gehen können. Punktuelle Vorentwürfe, die die Kommission vorgelegt hat, werden derzeit bereits in einem beratenden Ausschuss des Rates diskutiert.

Bis Ende 2015 will die Kommission außerdem ein Grünbuch über Retail-Finanzdienstleistungen und Versicherungen veröffentlichen, um Auffassungen darüber einzuholen, wie die Auswahlmöglichkeiten, der Wettbewerb und das grenzüberschreitende Angebot an Retail-Finanzprodukten erhöht werden können und wie sich die Digitalisierung auf Retail-Finanzdienstleistungen auswirkt.

Schließlich plant sie, noch in diesem Jahr regulatorische Hindernisse für die Notierung kleiner Unternehmen an den Aktien- und Anleihemärkten unter die Lupe zu nehmen und europäische Beratungsstrukturen zu schaffen, um Börsengänge dieser Unternehmen zu unterstützen.

Welche Maßnahmen die Kommission für die kommenden Jahre plant, ist der folgenden Tabelle zu entnehmen:

Weitere geplante Maßnahmen ab 2016
ZeitraumMaßnahme
Q1/2016

  • Bericht zu Crowdfunding
Q2/2016

  • Vorschlag für europaweite Risikokapital-Dachfonds und länderübergreifende Fonds
  • Erarbeitung einer Strukturvorgabe für die Begründung der Ablehnung von Kreditanträgen kleiner und mittlerer Unternehmen durch Banken
  • Konsultation zu den wichtigsten Hindernissen für den grenzüberschreitenden Vertrieb von Investmentfonds
  • Weißbuch über die Steuerung und Finanzierung der europäischen Aufsichtsbehörden
Q3/2016

  • Überarbeitung der Gesetzgebung zu EuVECAs und EuSEFs
  • Entwicklung einer Strategie für die technische Unterstützung von Mitgliedstaaten bei der Stärkung der Kapazität der Kapitalmärkte
Q4/2016

  • Entwicklung eines koordinierten Ansatzes für die Kreditvergabe durch Fonds und Bewertung der Zweckmäßigkeit eines europäischen Rahmenwerks
  • Auseinandersetzung mit dem steuerlichen Unterschied zwischen Fremd- und Eigenkapitalfinanzierung im Rahmen des Legislativvorschlags für eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage
  • Bewertung der Zweckmäßigkeit eines Rechtsrahmens zur Schaffung eines europäischen Markts für Altersvorsorgeprodukte
  • Bericht über nationale Hindernisse für den freien Kapitalverkehr
  • Legislativentwurf zum Umgang mit Unternehmensinsolvenzen zur Beseitigung der wichtigsten Hindernisse für den freien Kapitalverkehr
2017

  • Studie zu nationalen Steueranreizen für Risikokapitalgeber und Business Angels
  • Abschaffung von Informationsbarrieren für Investitionen in kleine und mittlere Unternehmen
  • Prüfung der regulatorischen Hemmnisse für die Zulassung kleiner und mittlerer Unternehmen zum Handel an regulierten Märkten und an Wachstumsmärkten
  • Überprüfung der europäischen Märkte für Unternehmensanleihen im Hinblick auf die Marktliquidität
  • Gezielte Maßnahmen in Bezug auf die Eigentumsrechte an Wertpapieren und die Auswirkungen von Forderungsübertragungen auf Dritte
  • Überprüfung der Fortschritte bei der Beseitigung von Hemmnissen für grenzüberschreitendes Clearing und Settlement
  • Förderung bewährter Verfahren und Erarbeitung eines Verhaltenskodex zu Systemen der Quellensteuerbefreiung
  • Studie über diskriminierende steuerliche Hindernisse für grenzüberschreitende Investitionen von Pensionsfonds und Lebensversicherern
  • Überprüfung des makroprudenziellen Rahmens in der EU
2018

  • Bewertung der europäischen Märkte für Kleinanlegerprodukte
  • Bewertung der aufsichtlichen Behandlung von privatem Beteiligungskapital und privat platzierten Schuldverschreibungen im Rahmen von Solvency II

Bewertung: Chancen und Risiken

Die Kapitalmarktunion als umfassendes Maßnahmenpaket zur Kapitalmarktentwicklung mit Fokus auf der Langfristfinanzierung kleiner und mittlerer Unternehmen scheint durchaus das Potenzial zu haben, Finanzierungsalternativen zu fördern und die Bankenfinanzierung, die in Europa sehr ausgeprägt ist, zu ergänzen. Der Aktionsplan stellt dabei die historisch bedeutende Rolle der Banken bei der Kreditfinanzierung der Wirtschaft nicht in Frage, was die BaFin begrüßt.

Darüber hinaus ist positiv zu bewerten, dass die Kommission klargestellt hat, dass die Beteiligung von kleinen und mittleren Unternehmen am geplanten zentralen System für Finanz- und Kreditdaten freiwillig ist. Auch die Absicht, einen harmonisierten Rechtsrahmen für die Kreditvergabe durch Kreditfonds und deren grenzüberschreitende Tätigkeit zu schaffen, befürwortet die BaFin sehr.

Eine Kapitalmarktunion mit Einheitslösungen für alle Marktteilnehmer in der EU sollte aufgrund der Heterogenität der Märkte jedoch nicht erwartet werden. Auf längere Sicht kann eine Kapitalmarktunion nur erfolgreich sein, wenn die Besonderheiten Europas und die Traditionen der Mitgliedstaaten Berücksichtigung finden. Das Bundesfinanzministerium hat daher einen Fragenkatalog erarbeitet, der bei der Umsetzung jeder Maßnahme des Aktionsplans beachtet werden sollte:

  • Ist der Nutzen der Maßnahme größer als die Belastungen beziehungsweise Risiken, die mit ihr einhergehen (Verhältnismäßigkeit)?
  • Unterstützt sie die Finanzstabilität?
  • Achtet sie den Subsidiaritätsgedanken im Zusammenwirken zwischen Union und Mitgliedstaaten?
  • Achtet sie bestehende „Best Practices“ und bewährte Strukturen der Mitgliedstaaten und nutzt sie das Vorhaben als Orientierung für einen europäischen Rahmen?
  • Wahrt sie fairen Wettbewerb zwischen unterschiedlichen Finanzierungsarten und -quellen?

Im Zuge der Weiterentwicklung der Märkte ist außerdem dafür Sorge zu tragen, dass Risiken überwacht werden und keine neuen Risiken für die Finanzstabilität Europas entstehen. Zudem muss der Anlegerschutz gewahrt bleiben. Werden auf diese Fragen und Herausforderungen befriedigende Antworten gefunden, kann das große Projekt Kapitalmarktunion echte Gewinne für Realwirtschaft, Marktteilnehmer und Anleger bringen.

Hinweis

Der Beitrag gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im BaFinJournal wieder und wird nicht nachträglich aktualisiert. Bitte beachten Sie die Allgemeinen Nutzungsbedingungen.

Autor: Miriam Geßler, Eva-Christina Smeets, BaFin

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