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Standpunkt des Präsidenten

Beitrag aus dem Jahresbericht 2016 der BaFin

BaFin-Präsident Felix Hufeld zu Niedrigzins, Digitalisierung und Regulierung

Das Jahr 2016 war für die BaFin geprägt durch drei Themen, die ihr auch 2017 die Treue halten werden: die fortschreitende Digitalisierung, die De-facto-Abwesenheit von Zinsen und die Frage, wie viel Regulierung angemessen ist. Diese Themen haben schon so manchen Jahreswechsel überlebt. Für die beaufsichtigten Unternehmen kumulieren sie zu einer Dreifachherausforderung – vor allem für die Banken.

Digitalisierung und Big Data als Chance

Ob man in der fortschreitenden Digitalisierung des Finanzsektors eher Zerstörung oder Chance sieht, ist eine Frage des Blickwinkels. Denn Digitalisierung hat beides: Sie hat etwas Zerstörerisches, aber es handelt sich – frei nach Schumpeter – um eine schöpferische Zerstörung, also eine, die auch Chancen bergen und Neues hervorbringen kann. Was ausdrücklich nicht heißt, dass das Alte, die etablierte Finanzwelt, zwangsläufig dem Untergang geweiht wäre.

Doch Digitalisierung und Big Data sind dabei, die gesamte Wertschöpfungskette der Finanzdienstleistung zu beeinflussen. Möglicherweise zerschlagen sie diese Kette sogar und fügen sie neu zusammen. Es mag auch sein, dass manche Kettenglieder in einigen Jahren nicht mehr gebraucht werden. Die Frage ist, was diese schöpferische Zerstörung mit den Geschäftsmodellen der Banken und Versicherer anrichtet. Man denke an die Versicherer: Dank der Menge, Bandbreite und Qualität der Daten, die sich dank moderner Technik gewinnen und auswerten lassen, können sie künftig ihren Kunden die Tarife immer genauer auf den Leib schneidern. Das ist regulatorisch sinnvoll und gewünscht. In letzter Konsequenz könnte Big Data allerdings den Kollektivgedanken auf die Probe stellen.

Alt vs. Neu?

Katalysatoren der Digitalisierung sind innovative Fintechs, die in den Wettbewerb mit den etablierten Unternehmen des Finanzsektors treten. Sie nutzen hochmoderne und flexible IT-Technologien und setzen etablierte Anbieter mit ihren Angeboten und Preisen unter Druck. Bestehende Geschäftsmodelle werden dadurch zumindest in Frage gestellt. Doch das Geschäft von Banken und Versicherern basiert auch im Zeitalter der Digitalisierung auf Vertrauen, und das müssen sich Fintechs erst einmal erarbeiten. Allerdings sind auf Seiten der Etablierten eine gewisse Wendigkeit und kluge unternehmerische Entscheidungen gefordert. Von Ludwig Börne wissen wir, dass in einem wankenden Schiff umfällt, wer stillsteht, nicht wer sich bewegt.

Datenriesen

Dies gilt umso mehr, als sich weitere Konkurrenz abzeichnet: Es gibt außerhalb der Finanzbranche große Unternehmen, die über riesige Mengen an Kundendaten verfügen. Diese Datenriesen könnten sich entschließen, künftig – gewissermaßen als Nebenerwerb – auch Finanzdienstleistungen zu erbringen. Wer sich mit welchem Angebot in den kommenden Jahrzehnten am Markt behauptet, entscheidet eben dieser Markt, sprich: der Kunde.

Aufsicht ist neutral

Die Aufsicht verhält sich neutral. Sie bevorzugt nicht, sie benachteiligt nicht. Sie wendet ihre Regeln und Prinzipien angemessen auch auf Fintechs an. Es gilt der alte Grundsatz „Gleiches Geschäft, gleiches Risiko, gleiche Regel“. Was die BaFin von Beginn an klar gemacht hat, hat also weiter Geltung: Sie betreibt Aufsicht, keine Wirtschaftsförderung. Beides ist wichtig und sinnvoll, aber man sollte es nicht vermischen. Fintechs und überhaupt das Thema Digitalisierung fordern aber auch die Aufsicht heraus. Sie muss diese Themen durchdringen und darf nicht zulassen, dass ihr Wissen veraltet, denn zu Recht wird von ihr erwartet, dass sie die regulatorischen und aufsichtlichen Fragen der Digitalisierung adäquat beantwortet. Das entscheidende Stichwort hierzu lautet „adressatengerechtes Verwaltungshandeln.“

Cyberrisk

Das gilt auch und gerade für das Cyberrisiko, die dunkle Seite der Digitalisierung, bei der sich das Zerstörerische nicht mit dem Schöpferischen paart – abgesehen von den illegalen Vorteilen, nach denen Cyberangreifer trachten. Digitalisierung schafft eine riesige Angriffsfläche. Die Geschäfts- und Wertschöpfungsprozesse im Finanzsektor sind stark IT-abhängig. Vertrauen in Finanzdienstleister bedeutet heute daher vor allem auch Vertrauen in die Sicherheit der IT und den Schutz persönlicher Daten. IT-Sicherheit nur unter dem Kostenaspekt zu betrachten, ist also nicht nur operativ gefährlich, sondern auch strategisch kurzsichtig. Gewiss, nachhaltige IT-Sicherheit zu gewährleisten, ist kein Kinderspiel – übrigens weder für etablierte Anbieter noch für Fintechs. Und: IT-Sicherheit ist von Natur aus kurzlebig. Was heute als sicher gilt, kann schon morgen Einfallstor für Cyberangriffe sein. Doch die Aufsicht fordert nachhaltige IT-Sicherheit ein und verlangt von den Unternehmen, diese Sicherheit auch von ihren IT-Dienstleistern und -Zulieferern einzufordern. Aufsehern und Beaufsichtigten muss klar sein: Es ist des Lernens kein Ende.

Niedrigzinsniveau als weitere Herausforderung

Zu den diversen Herausforderungen durch die Digitalisierung gesellt sich eine weitere: Das Dauerzinstief. Es macht sich immer stärker bemerkbar – zumal bei den klassischen Betroffenen, etwa den deutschen Lebensversicherern. Das Gros der Unternehmen hat sich für eine fortdauernde Zinsdurststrecke gerüstet: etwa durch Stärkung der Eigenkapitalbasis, Senkung der Überschussbeteiligung und durch das Angebot neuer Produkte mit neuen Garantieformen. Doch der Druck vor allem auf die schwächeren Lebensversicherer steigt zusehends. Sie werden sich sehr anstrengen müssen, um die Leistungen, die sie in besseren Zeiten einmal garantiert haben, weiterhin verlässlich bringen zu können. Mancher Eigentümer muss sich wohl auch mit der Tatsache vertraut machen, das Eigenkapital seines Unternehmens stärken zu müssen. Für die BaFin heißt das: Sie befindet sich weiterhin und in zunehmendem Maße im Modus der intensivierten Aufsicht.

Pensionskassen und Bausparkassen im Zinstief

Das gilt erst recht für die Pensionskassen, die das niedrige Zinsniveau ebenfalls erheblich belastet. Auch sie haben schon frühzeitig begonnen gegenzusteuern, um ihre Risikotragfähigkeit zu stärken. Beinahe alle Pensionskassen haben zusätzliche Rückstellungen gebildet. Wenn die Niedrigzinsphase weiter andauert, werden aber einige von ihnen möglicherweise die versprochenen Leistungen nicht mehr voll erbringen können.1

Wenig überraschend lastet das Niedrigzinsniveau auch auf den Erträgen der Bausparkassen, was unter anderem daran liegt, dass den Zinsaufwendungen für Bauspareinlagen aus Zeiten höherer Zinsen keine entsprechenden Zinserträge aus Bauspardarlehen gegenüberstehen. Die Bausparkassen bemühen sich, die Folgen dieser Diskrepanz zu bewältigen. Sie führen niedriger verzinste Neutarife ein, sie verschlanken Abläufe, senken ihre Kosten. Dass sie darüber hinaus erkennbar daran arbeiten, den Anteil hochverzinster Bausparverträge im Bestand zu reduzieren, hat in den Medien immer wieder für Wirbel gesorgt. Erst kürzlich hat die Rechtsprechung hier für mehr Klarheit gesorgt.2

Mehr und mehr sind auch Banken betroffen

Mit fortschreitender Dauer hinterlässt das historische Zinstief auch immer deutlichere Spuren in den Büchern der Banken. Noch stehen die deutschen Institute relativ gut da, was ihre Kapitalausstattung angeht. Aber wie lange noch? In Zeiten wie diesen wird profitables Wirtschaften immer schwerer – vor allem für die Häuser, die in erster Linie das Einlagen- und Kreditgeschäft betreiben. Die Institute drehen an den üblichen Stellschrauben: Sie senken Kosten, sie führen angemessene Preise ein, sie machen sich auf die Suche nach neuen Ertragsquellen, sie überdenken ihr Geschäftsmodell. Eine Tour de Force –zumal in einem so wettbewerbsintensiven Bankensektor wie dem deutschen. Aber wie gesagt: Wer sich nicht bewegt, fällt. Die Kunst besteht natürlich darin, die richtigen Bewegungen zu vollziehen.

Zinsänderungsrisiko

Je länger die Zinsen niedrig bleiben, desto größer wird für Banken und Versicherer auch das Zinsänderungsrisiko. Das umso mehr, als in Zeiten niedriger Zinsen Banken dazu neigen, langfristige Darlehen zu akzeptieren, und Versicherer zu extrem langfristigen Anlagen tendieren. Zugleich fordert die Aufsicht, Passiva und Aktiva angemessen auszugleichen. Die BaFin hat diese Risiken im Blick und greift, wenn erforderlich, auch ein.3 Grundsätzlich stellt sich für die regulatorische Gemeinschaft die Frage ungewollter prozyklischer Wirkung von Finanzregulierung – auch im Zusammenspiel mit internationalen Rechnungslegungsstandards.

Regulierung als Last?

Konkurrenz durch Fintechs und Ertragsflaute im Niedrigzinsniveau – vor allem die Banken klagen seit einiger Zeit über eine weitere Last, die sie am liebsten abschütteln würden: die der Regulierung. An dieser Stelle eine kurze Rückblende: In der Tat ist die Regulierung seit Ausbruch der Finanzkrise 2007/2008 verschärft worden – sogar deutlich. Aber das musste sie auch, denn in den Jahren vor der Krise hatte eine weitreichende Deregulierung stattgefunden, und die musste korrigiert werden.

Dass Regulierung den Regulierten Spaß machen soll, steht nirgendwo geschrieben. Dass sie angemessen sein muss und sie nicht über Gebühr belasten darf, steht sehr wohl geschrieben: im deutschen wie im europäischen Recht. Die europäische Bankenregulierung ist in puncto Verhältnismäßigkeit oder, wie man es in Brüssel nennt, Proportionalität noch nicht da, wo sie sein sollte. Im Rahmen der Reform von CRD IV und CRR lotet die BaFin daher aus, auf welche Weise man kleinere Institute entlasten kann. Denn dass sie entlastet werden müssen, steht für die deutsche Aufsicht außer Zweifel. Wie weit sie sich im europäischen Gesetzgebungsprozess durchsetzen wird, ist noch nicht absehbar.

Gefährliche Klippen umschiffen

Bei der Entlastung kleinerer Institute müssen einige gefährliche Klippen weiträumig umschifft werden, etwa die folgenden: Banken können ihrer wichtigen volkswirtschaftlichen Rolle nur dann gerecht werden, wenn sie hinreichend solvent und liquide sind, und das Bankensystem als Ganzes stabil und widerstandsfähig ist. Die nach der Krise verschärften Anforderungen an Eigenkapital und Liquidität dürfen daher nicht wieder aufgeweicht werden – auch nicht für kleinere Banken. Die Gleichung „klein gleich risikoarm“ geht längst nicht immer auf, und es muss solide Mindeststandards für alle Banken geben. Daraus folgt, dass Erleichterungen für kleinere Institute vor allem dort ansetzen sollten, wo administrativer Aufwand ohne Schaden für die Risikotragfähigkeit minimiert werden kann.

Regulatorische Erleichterungen, die die Finanzstabilität gefährden, müssen tabu sein. Das heißt auch und vor allem, dass die besonders strengen Anforderungen an große und systemrelevante Banken nicht gelockert werden dürfen. Verhältnismäßigkeit wirkt in beide Richtungen und darf nicht mit Laxheit verwechselt werden. Überhaupt darf das berechtigte und wichtige Ansinnen, dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit mehr Geltung zu verschaffen, nicht mit allgemeiner Deregulierung verwechselt werden. Wenn eines nicht passieren darf, dann ist es der Rückfall in den zerstörerischen Schweinezyklus aus Deregulierung-Krise-Regulierung-Deregulierung-erneuter Krise. Dieser Rückfall kann – global betrachtet – im Moment nicht ausgeschlossen werden. Umso wichtiger ist es, immer wieder auf die Lehren aus der Finanzkrise hinzuweisen.

Fußnoten:

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