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Erscheinung:28.07.2016 | Geschäftszeichen VBS 7-Wp 5427-2016/0019, 2016/1332459 | Thema Verbraucherschutz Anhörung zur Allgemeinverfügung bezüglich sog. „Bonitätsanleihen“

Anhörung zur Allgemeinverfügung gemäß § 4b Abs. 1 WpHG bezüglich sog. „Bonitätsanleihen“

Frist: 2. September 2016

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich beabsichtige, nachfolgend im Entwurf dargestellte Maßnahme nach § 4b Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) anzuordnen. Gemäß § 28 des Ver-waltungsverfahrensgesetzes des Bundes (VwVfG) gebe ich hiermit vorab Gelegenheit, sich dazu bis zum

2. September 2016 (Eingang bei der BaFin)

schriftlich zu äußern. Nach Ablauf der Frist werde ich über den Erlass der Maßnahme entscheiden.

Entwurf:

"Hiermit ergeht folgende

Allgemeinverfügung:

1. Ich ordne das Verbot der Vermarktung, des Vertriebs und des Verkaufs von Zertifikaten bezogen auf Bonitätsrisiken („Bonitätsanleihen“ oder „credit linked notes“) an Privatkunden i. S. d. § 31a Abs. 3 WpHG an.

2. Die Allgemeinverfügung gilt an dem auf die öffentliche Bekanntmachung folgenden Tag als bekanntgegeben.

Begründung:

1. Hintergrund:

Gegenstand der Verfügung sind Zertifikate bezogen auf Bonitätsrisiken (im Folgenden: „Bonitätsanleihen“). Bei Zertifikaten handelt es sich zivilrechtlich um Inhaberschuldverschreibungen. Bonitätsanleihen stellen eine Untergruppe von Zertifikaten dar. Kennzeichnend für Bonitätsanleihen ist die Bezugnahme auf Bonitäts- oder Kreditrisiken. Der Interessenverband der Emittenten derivativer Wertpapiere, der Deutsche Derivateverband e. V., beschreibt die Bonitätsanleihen mit folgenden Anmerkungen:

„(…) Mit Bonitätsanleihen haben Anleger die Möglichkeit, in die Kreditwürdigkeit (Bonität) eines Schuldners zu investieren. Zins- und Rückzahlung erfolgen in Abhängigkeit der Kreditwürdigkeit des Schuldners. Sofern bei dem Schuldner kein Kreditereignis eintritt, erhält der Anleger die Zinszahlungen und bei Fälligkeit den Nennwert ausgezahlt. Tritt hingegen ein Kreditereignis ein, kommt es zu einer vorzeitigen Rückzahlung. In diesem Fall entfällt die laufende Zinszahlung und die Rückzahlung erfolgt zu einem Betrag, der deutlich unter dem Nennwert liegen kann. (…)“

Diese Definition lege ich meiner Anordnung zugrunde.

Bei einer Bonitätsanleihe erwirbt der Kunde die vom Emittenten ausgegebene Schuldverschreibung gegen Zahlung des Anlagebetrages. Technisch bildet der Emittent diese Vereinbarung in der Regel durch die Einbettung eines Kreditderivates, eines sog. „credit default swap“ („CDS“), in eine Anleihekomponente ab1. Diese zusammengesetzte Konstruktion wird im Mantel einer Inhaberschuldverschreibung an Kunden vertrieben. Die Rückzahlung des Anlagebetrages und die Leistung von fortwährenden Zahlungen hängt vom (Nicht-) Eintritt eines sog. „Kreditereignisses“ ab. Als Kreditereignis sind üblicherweise Leistungsstörungen in Kreditbeziehungen von sog. „Referenzschuldnern“ definiert. Nach Erwerb der Bonitätsanleihe nimmt der Kunde daher die Rolle eines Sicherungsgebers ein, da er das Risiko einer Leistungsstörung in einer zugrundeliegenden Kreditverbindlichkeit übernimmt. Im Gegenzug erhält der Kunde Zahlungen für die Übernahme des Risikos eines Kreditereignisses.

Bonitätsanleihen werden typischerweise als sog. „Anlageprodukte“ oder „Zinsprodukte“ vermarktet. Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise tritt der Kunde jedoch nicht in die Rolle eines Darlehensgebers: Der Kunde übernimmt vielmehr eine ähnliche Rolle wie ein Versicherungsgeber, der das Risiko eines Kreditereignisses absichert. Es handelt sich damit um Derivate, denen das Risiko einer oder mehrerer Forderungen zugrunde liegt; sie werden wegen der Ableitung aus dem Kreditrisiko auch als Kreditderivat bezeichnet2. Es ist anerkannt, dass die Produktstruktur daher der Übertragung von Kreditrisiken auf andere Marktteilnehmer dient und die Auslagerung von Ausfallrisiken ermöglicht3. Das Vertragsverhältnis ähnelt letztlich eher einem Versicherungsverhältnis statt einem Anlagesachverhalt. Die Zahlung für die Risikoübernahme wird dennoch regelmäßig als „Zins“ beworben.

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) führte in der ersten Jahreshälfte 2016 eine Untersuchung zur Emission und zum Vertrieb von Bonitätsanleihen durch. Im Rahmen der Untersuchung wurden sowohl Emittenten als auch Wertpapierdienstleistungsunternehmen als Vertriebsunternehmen zu Bonitätsanleihen befragt. Dabei ergab sich, dass die Emittenten die Bonitätsanleihen gezielt für den Absatz an Privatkunden produzieren. Dies räumten die befragten Emittenten ein; auch war dieser Umstand an den Eigenschaften der emittierten Bonitätsanleihen erkennbar (z. B. Stückelung, Begleitinformationen). Während ein Teil der befragten Vertriebsunternehmen den Vertrieb von Bonitätsanleihen an Privatkunden verneinte oder sogar aufgrund einer mangelnden Eignung ablehnte, teilte eine nennenswerte Anzahl von Vertriebsunternehmen mit, dass ein Vertrieb von Bonitätsanleihen an Privatkunden erfolgte. Auf der Produktseite ergab sich darüber hinaus, dass sich die Gruppe der bonitätsabhängigen Anleihen auf weitere Produktuntergruppen verteilt. So werden z. B. Bonitätsanleihen emittiert und vertrieben, deren Zins- und Rückzahlung sich auf die Bonität eines einzelnen Referenzschuldners bezieht. Es werden allerdings auch Bonitätsanleihen angeboten, die sich auf einen Korb von mehreren Referenzschuldnern beziehen („basket“-Struktur). Die Angebotsbedingungen variieren stark. So können Zins- und Rückzahlung im Falle eines Kreditereignisses anteilig oder sogar vollständig ausfallen, wenn bei einem Referenzschuldner im Korb ein Kreditereignis festgestellt wird („worst-of“- bzw. „first-to-default“-Struktur). Auch werden Bonitätsanleihen angeboten, deren „Zinszahlung“ variabel in Abhängigkeit eines Referenzsatzes erfolgt („flex“-Struktur). Dabei ist das (Nicht-) Eintreten des Kreditereignisses nur dafür entscheidend, ob Zins- und Rückzahlung erfolgen. Die Höhe der Zinszahlung hingegen richtet sich nach einem Referenzsatz, z. B. dem 3-Monats-Euribor, wobei eine Mindest- und Maximalverzinsung vereinbart sein kann (z. B. Zinszahlung in Höhe des 3-Monats-Euribor, mindestens aber 1%, höchstens 4%). Auf der Vertriebsseite zeigte sich, dass der Vertrieb der Bonitätsanleihen regelmäßig im Wege von provisionsbasierten Anlageberatungen, d. h. im Zusammenhang mit der Abgabe von persönlichen Empfehlungen an Kunden, erfolgt. Die Anlageberatungen werden in der Regel gegenüber Privatkunden i. S. d. § 31a Abs. 3 WpHG erbracht. Insbesondere sind Personen betroffen, die anhand von Kenntnissen, Erfahrungen und Transaktionsvolumina als Privatkunden im standardisierten Massengeschäft zu beschreiben sind. Eine vorgenommene Stichprobe der Beratungsdokumentation weist darauf hin, dass die Funktionsweise der Bonitätsanleihe in der Regel nicht erörtert wird. Zwar finden Schlüsselbegriffe wie etwa „Kreditereignis“ bisweilen Erwähnung. Die Erläuterungen begnügen sich jedoch in der Regel mit floskelartigen Ausführungen. Die Beratungsprotokolle vermitteln den Eindruck, dass sie mit vorformulierten Textvorlagen befüllt werden.

2. Rechtliche Erwägungen:

Die Verfügung findet ihre rechtliche Grundlage in § 4b Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 a 1. Alt. WpHG. Danach ist die Bundesanstalt dazu ermächtigt, Maßnahmen zu treffen, die das Verbot oder die Beschränkung der Vermarktung, des Vertriebs oder des Verkaufs von bestimmten Finanzinstrumenten oder Finanzinstrumenten mit bestimmten Merkmalen beinhalten.

Unter Vermarktung, Vertrieb und Verkauf ist jegliche Tätigkeit mit absatzförderndem Charakter – darunter insbesondere die Empfehlung derartiger Zertifikate im Wege der Anlageberatung – bis hin zum bloßen Absatz dieser Finanzinstrumente im beratungsfreien Bereich zu verstehen. Die Anordnung richtet sich sowohl an Emittenten von Bonitätsanleihen sowie auch an Unternehmen und Personen, die Bonitätsanleihen an Privatkunden vermarkten, vertreiben oder verkaufen. Die Anordnung bezieht sich auf künftige Tätigkeiten. Abgeschlossene Tätigkeiten bleiben davon unberührt. Entsprechende Tätigkeiten der Vermarktung, des Vertriebs und des Verkaufs, die noch andauern, sind mit Eintritt der Geltung unverzüglich einzustellen.

a) Finanzinstrumente i. S. d. § 4b Abs. 1 WpHG:

Die Maßnahme richtet sich gegen die Vermarktung, den Vertrieb und den Verkauf von Bonitätsanleihen. Als Untergruppe der Zertifikate handelt es sich bei Bonitätsanleihen um Finanzinstrumente mit bestimmten Merkmalen i. S. d. § 4b Abs. 1 Nr. 1b WpHG i. V. m. § 2 Abs. 2b WpHG.

b) Erhebliche Bedenken für den Anlegerschutz:

Die Vermarktung, der Vertrieb und der Verkauf von Bonitätsanleihen an Privatkunden werfen erhebliche Bedenken für den Anlegerschutz i. S. d. § 4b Abs. 2 Nr. 1a WpHG auf. Für die Annahme dieser Bedenken ziehe ich folgende Umstände heran:

Durch die Verordnung (EU) Nr. 600/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.05.2014 über Markte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 („MiFIR“)4 wird ein in den Mitgliedstaaten direkt anwendbares Produktinterventionsrecht eingeführt. Die Verordnung ist noch nicht in Kraft getreten. Die Ermächtigung zur Produktintervention wurde durch das Kleinanlegerschutzgesetz auf nationaler Ebene vorgezogen5. Die Ermächtigungsgrundlage des § 4b WpHG orientiert sich deshalb am Wortlaut der europäischen Vorschrift. Die nationale Vorschrift des § 4b WpHG ist daher im Lichte der europäischen Vorgabe auszulegen. Zu den Voraussetzungen für eine Produktinterventionsmaßnahme hat die europäische Wertpapieraufsichtsbehörde European Securities and Markets Authority (ESMA) am 19.12.2014 einen sog. Technischen Hinweis („technical advice“)6 veröffentlicht. Diese Kriterien haben zwischenzeitlich in einen Entwurf der Europäischen Kommission für eine Delegierte Verordnung Eingang gefunden7. Danach ist das Vorliegen von erheblichen Bedenken für den Anlegerschutz u. a. anhand folgender Kriterien zu beurteilen:

  • Komplexitätsgrad des Finanzinstruments in Bezug auf die angesprochene Kundengruppe;
  • die typisch angesprochene Kundengruppe (z. B. Privatkunden);
  • der Transparenzgrad des Finanzinstruments (z. B. die Erkennbarkeit von Risiken oder die Verwendung von Produktbezeichnungen, die besondere Sicherheit vermitteln);
  • die mit dem Finanzinstrument verbundene Vertriebspraxis;
  • der ausreichende Zugang zu relevanten Informationen über das Finanzinstrument.

Im Fall der Bonitätsanleihen ist nicht nur ein einzelnes Kriterium einschlägig; die Produktstruktur und ihr Absatz stoßen auf eine Reihe von Kriterien, die erhebliche Anlegerschutzbedenken begründen.

aa) Hohe Produktkomplexität:

Bedenken für den Anlegerschutz werden vor allem durch die hohe Produktkomplexität aufgeworfen, die durchschnittliche Privatkunden – bei typisierender Betrachtung – nicht bewältigen können. Typischerweise beziehen sich Zertifikate grundsätzlich nämlich auf Basiswerte, mit denen auch Privatkunden üblicherweise vertraut sind oder bei denen sie Zugang zu entsprechenden Informationsmedien haben, z. B. Aktien oder Indizes. Anders verhält es sich allerdings bei Bonitätsanleihen: Als Basiswerte werden hier Bonitäts- bzw. Kreditrisiken herangezogen. Privatkunden sind damit üblicherweise nicht vertraut. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Beurteilung der Frage, ob ein Kreditereignis in Bezug auf die zugrundeliegende Referenzverbindlichkeit eintreten wird. Bezüglich möglicher Kreditereignisse werden in der Praxis in der Regel die vom Branchenverband „International Swaps and Derivatives Association“ („ISDA“) veröffentlichte „ISDA Credit Derivatives Definitions“ herangezogen. Danach gelten u. a. als Kreditereignis8:

  • Insolvenz des Referenzschuldners,
  • vorzeitige Fälligstellung einer Verbindlichkeit aufgrund einer Vertragsverletzung des Referenzschuldners,
  • Möglichkeit der vorzeitigen Fälligstellung einer Verbindlichkeit aufgrund einer Vertragsverletzung des Referenzschuldners mit Ausnahme des Zahlungsverzugs,
  • Zahlungsverzug des Referenzschuldners, Nichtanerkennung/Moratorium (d. h. Nichtanerkennung einer Verbindlichkeit oder Verhängung eines Moratoriums durch den Referenzschuldner oder eine staatliche Stelle mit anschließendem Zahlungsausfall) und
  • Restrukturierung der Verbindlichkeiten.

Um festzustellen, ob die Rückzahlung des Anlagebetrages wahrscheinlich ist und ob die Übernahme des Kreditrisikos durch die Höhe des Zinsversprechens adäquat vergütet wird, muss der verständige Kunde eine Bewertung der zu übernehmenden Risiken vornehmen und diese während der Laufzeit überwachen. Eine solche Beurteilung ist allenfalls durch die Analyse der Preise der eingebetteten CDS möglich. Bei CDS handelt es sich um Vertragsbeziehungen, durch die Ausfallrisiken gegen Zahlung von Risikoprämien abgesichert werden. Tagesaktuelle Informationen zum Markt für CDS werden jedoch typischerweise nur im Rahmen von kostenpflichtigen Abonnements von professionellen Fachinformationsanbietern zur Verfügung gestellt, die deshalb üblicherweise von Privatkunden nicht genutzt werden. Es ist damit ausgeschlossen, dass die weit überwiegende Mehrheit der Privatkunden in der Lage ist, die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines der o. g. Szenarien und damit die Entwicklung der entsprechenden Bonitätsanleihe auch nur annähernd präzise einzuschätzen. Im Übrigen trägt der Kunde nicht nur das Risiko eines Kreditereignisses auf Ebene eines Referenzschuldners, sondern auch das Ausfallrisiko des Emittenten, mit dem der Kunde die Vertragsbeziehung eingeht. Mit anderen Worten: Neben dem Risiko des Eintritts einer Störung in der zugrundeliegenden Forderung besteht zusätzlich das Totalverlustrisiko, wenn der Emittent der Bonitätsanleihe nicht in der Lage ist, diese zurückzuzahlen. Auch dieses Risiko muss der Privatkunde im Blick behalten.

Neben der Frage nach Wahrscheinlichkeit eines Kreditereignisses bleibt auch das Schicksal der Rückzahlung nach Eintreten eines Kreditereignisses aus Sicht des Privatkunden ungewiss. So sehen Angebotsbedingungen die Festlegung eines Rückzahlungsbetrags durch Dritte vor, z. B. ein Gremium bei ISDA. Für die Festlegung der Höhe des Rückzahlungsbetrages kann z. B. ein Auktionsverfahren oder eine Durchschnittsberechnung durchgeführt werden. Anders als bei der Rückzahlung von Zertifikaten, die auf bekannte Basiswerte Bezug nehmen (z. B. Rückzahlung nach aktuellem Börsenkurs), macht es die komplexe Bewertung nach Eintritt des Kreditereignisses Privatkunden unmöglich, eine hinreichende Vorstellung von der Wertentwicklung der Bonitätsanleihe im Fall eines Kreditereignisses zu entwickeln. Auch dieser Umstand unterstreicht die spezifische Komplexität der Produktstruktur.

Besonders im Fall der Bonitätsanleihen, deren Wertentwicklung sich auf einen Korb von mehreren Referenzschuldnern beziehen, tritt die spezifische Komplexität prominent hervor. Bei diesen Produkten ist der Kunde gehalten, gleich eine Vielzahl von Bonitäten von Referenzschuldnern zu bewerten. Tritt in dieser Produktstruktur ein Rückzahlungsprofil hinzu, das auf einem „worst-of“-Mechanismus beruht (d. h. bereits das Eintreten eines Kreditereignisses bei einem einzigen Referenzschuldner im Basiswertkorb führt zur Rückzahlung bzw. Beendigung der Anlage), ist es für den Privatkunden nicht möglich, eine kumulierte Bewertung des Gesamtrisikos vorzunehmen. Damit können Privatkunden auch nicht einschätzen, ob die versprochene Zinszahlung das übernommene Gesamtrisiko adäquat vergütet. Auch die Bonitätsanleihen mit „Flex“-Struktur verdeutlichen die besondere Komplexität der Produktstruktur. In deren Fall ist der Zusammenhang zwischen Risiko und Rendite scheinbar aufgehoben: Während die Kreditrisikokomponente des Produkts über das „Ob“ der Zinszahlung entscheidet, richtet sich die Höhe der Zinszahlung nach einem Referenzsatz. Eine etwaige Subventionierung des Zinsversprechens, z. B. durch die Einräumung einer Mindestverzinsung, ist durch die Komplexität des Produktes und die Kumulation seiner Einzelbestandteile nicht nachvollziehbar. Auch hier ist dem Privatkunden unmöglich, zu ermitteln, ob das Renditeversprechen das übernommene Risiko adäquat vergütet.

Auch in der zivilrechtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass festverzinsliche Anleihen, die mit einem Kreditderivat verknüpft sind, aufgrund ihrer Struktur als komplex gelten: So seien vor allem die Risiken einer festverzinslichen Anleihe mit integriertem Kreditderivat nicht mit den Risiken einer „normalen“ festverzinslichen Anleihe vergleichbar9. So ist die besondere Funktionsweise vor allem von den vielfältigen Möglichkeiten der Zahlungsstörungen eines Referenzunternehmens geprägt, die den Begriff des Kreditereignisses erfüllen können. Privatkunden haben in der Regel keine Vorstellung von den Bedingungen, die für ein adäquates Verständnis des Rechtsbegriffs „Kreditereignis“ erforderlich wäre.

Im Übrigen entspricht die Einordnung von Bonitätsanleihen als komplexe Produkte auch der Beurteilung anderer europäischer Aufsichtsbehörden. Beispielsweise führt die europäische Aufsichtsbehörde European Markets and Securities Authority (ESMA) u. a. Bonitätsanleihen (credit-linked notes) als Beispiel für Schuldinstrumente mit eingebettetem Derivat auf, die eine komplexe Produktstruktur aufweisen, die das Verständnis aus Kundensicht erschwert10. Auch wertet die italienische Wertpapieraufsichtsbehörde Commissione Nazionale per le Società e la Borsa (CONSOB) kreditbasierte Finanzprodukte als hochkomplex und als typischerweise für den Privatkunden ungeeignet11.

bb) Beteiligung von Privatkunden an professionell geprägten Märkten bzw. Zugang zu relevanten Informationen:

Erhebliche Anlegerschutzbedenken liegen aber auch deshalb vor, weil Privatkunden eine langfristig renditeorientierte Kapitalanlage suggeriert wird, die Privatkunden jedoch tatsächlich den komplexen Besonderheiten eines hochprofessionellen Marktsegments ausgesetzt werden. Bei Bonitätsanleihen handelt es sich um Finanzinstrumente, die auf Kreditrisiken beruhen, die wiederum durch den Handel mit CDS erzeugt werden. Der Handel mit CDS ist ausschließlich durch die Betätigung von professionellen Marktteilnehmern mit entsprechender Expertise geprägt. Die Vertragsbedingungen für CDS sind in Rahmenverträgen geregelt, die von der internationalen Handelsorganisation ISDA entwickelt werden und sich üblicherweise an institutionelle Marktteilnehmer richten. Da der Handel mit CDS außerbörslich stattfindet, ergibt sich keine Preisfindung an einem zentralen Handelsplatz. Die Bewertung des Marktwertes eines CDS erfordert fortgeschrittene Sachkenntnis. Privatkunden ist der Markt des Handels mit CDS aus diesen Gründen in aller Regel nicht zugänglich. Alleine die Komplexität und der Ressourcenbedarf, die mit der Teilnahme am CDS-Handel einhergehen, würden Privatkunden überfordern. Es ist vor diesem Hintergrund nicht einzusehen, weshalb Emittenten und Vertriebsunternehmen im Wege von Bonitätsanleihen Privatkunden an diesem Marktsegment beteiligen. Privatkunden sind in diesem Markt gegenüber allen anderen Marktteilnehmern in jeder Hinsicht unterlegen.

cc) Irreführende Produktbezeichnung/-beschreibung:

Auch werden Anlegerschutzbedenken durch die Produktbezeichnung/-beschreibung aufgeworfen. Die Bezeichnung des Produkts als „Bonitätsanleihe“ und die bei Vermarktung, Vertrieb und Verkauf verwendeten Produktbeschreibungen sind irreführend. Insbesondere führt die Bezeichnung als „Anleihe“ dabei in die Irre: Anders als die Produktbezeichnung nahelegt, handelt es sich bei dem Produkt nicht um eine „Anleihe im klassischen Sinne“ (z. B. eine Unternehmensanleihe, die zur Aufnahme von Fremdkapital ausgegeben wird und im Gegenzug eine Zinszahlung für die Kapitalbereitstellung verspricht). Bei einer Bonitätsanleihe erwirbt der Kunde dagegen die vom Emittenten ausgegebene Schuldverschreibung gegen Zahlung des Anlagebetrages. Die Rückzahlung des Anlagebetrages und die Zahlung einer etwaigen Verzinsung hängt vom (Nicht-) Eintritt eines Kreditereignisses ab. Als Kreditereignis sind üblicherweise Leistungsstörungen in Kreditbeziehungen des bestimmten Referenzschuldners definiert. Nach Erwerb der Bonitätsanleihe nimmt der Kunde daher die Rolle eines Sicherungsgebers ein, da er das Risiko einer Leistungsstörung in einer zugrundeliegenden Kreditverbindlichkeit übernimmt. Im Gegenzug erhält der Kunde als Prämie Zahlungen für die Übernahme des Risikos eines Kreditereignisses.

Bei realitätsnaher Betrachtung entspricht die Vertragsbeziehung damit nicht dem in Vermarktung, Vertrieb und Verkauf vermittelten Rollenverhältnis: Bonitätsanleihen werden typischerweise als sog. „Anlageprodukte“ oder „Zinsprodukte“ vermarktet. Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise tritt der Kunde jedoch nicht in die Rolle eines (Anleihe-) Darlehensgebers: Der Kunde übernimmt vielmehr eine ähnliche Rolle wie ein Versicherungsgeber, der das Risiko eines Kreditereignisses übernimmt und dieses damit absichert12. Das Vertragsverhältnis wirkt daher wie eine Versicherung gegen den Kreditausfall und gerade nicht wie eine Bereitstellung von Anleihekapital. Diese in der Produktstruktur angelegte und im Vertrieb nicht aufgeklärte Rollenverwirrung führt bei Privatkunden zu Missverständnissen, bei denen die Vorstellung eines Zinspapiers entsteht.

So enthalten beispielsweise Aufzeichnungen über abgeschlossen Anlageberatungen häufig die Anmerkung, dass die empfohlene Bonitätsanleihe eine bessere Rendite als eine Bundesanleihe oder ein Sparkassenbrief aufweise. Bisweilen finden sich ausdrücklich vergleichende Anmerkungen zu Festgeld- oder anderen Spareinlagen. Dies weist darauf hin, dass Bonitätsanleihen im direkten Vergleich bzw. als renditestärkere Alternative zu klassischen Sparprodukten beworben werden. Dies gilt umso mehr, da auch die Zahlung für die Risikoübernahme regelmäßig als „Zins“ beworben wird. So enthalten einschlägige Beratungsprotokolle z. B. die Anmerkung, dass die Kunden „Anlagen zur Erzielung von Zinseinnahmen“ wünschten. Auch diese Bezeichnung ist irreführend, da es sich bei der Zahlung vielmehr um eine „Prämie“ für die Risikoübernahme bezogen auf den Referenzschuldner und nicht um eine „Zinszahlung“ handelt13. Ferner ist zu bemerken, dass Schulungsunterlagen von Produktproduzenten für Vertriebsunternehmen durchaus Anmerkungen zur Funktionsweise von Bonitätsanleihen enthalten (z. B. Einbettung von CDS in eine Anleihe, Vereinnahmung einer CDS-Prämie); diese Hinweise finden sich dagegen in den Aufzeichnungen über die Anlageberatungen in der Regel nicht. Diese Praxis wirft erhebliche Anlegerschutzbedenken auf, weil sich Privatkunden bei typisierender Betrachtung gerade nicht für die Anlage in Bonitätsanleihen entscheiden würden, wenn ihnen entsprechende Kenntnis über die Produktspezifika und die Vermarktungspraxis zur Verfügung stünden.

dd) In der Produktstruktur angelegtes Interessenkonfliktrisiko:

Bedenken für den Anlegerschutz i. S. d. § 4b Abs. 2 Nr. 1a WpHG werden darüber hinaus auch durch das in der Produktstruktur anlegte Interessenkonfliktrisiko aufgeworfen. Emittenten bzw. konzernangehörige Unternehmen der Emittenten können neben der Rolle als Produktproduzenten auch in weiteren Eigenschaften beteiligt sein. So ist nicht ausgeschlossen, dass die bei der Strukturierung von Bonitätsanleihen verwendeten Kreditrisiken aus dem (konzern-) eigenen Bestand herangezogen werden können. Auch ist nicht ausgeschlossen, dass Emittenten bzw. konzernangehörige Unternehmen Geschäftsbeziehungen zu den für die Wertentwicklung der Bonitätsanleihe maßgeblichen Referenzschuldnern unterhalten. Diese potentiellen Interessenkonflikte sind dazu geeignet, auf die Interessenlage der Bonitätsanleihekunden einzuwirken, da die Geschäftsbeziehungen u. a. auch die Beziehungen im Rahmen der Kreditvergabe oder des Handels mit Referenzverbindlichkeiten umfasst. Selbst die Emittenten sehen darin ein reales Risiko für den Anleger, da sie in ihren Angebotsbedingungen darauf hinweisen und die Interessenlage als potentiell problematisch bewerten. So enthalten Angebotsbedingungen von Bonitätsanleihen beispielsweise folgende Anmerkungen:

„(…) Die Emittentin kann bereits bestehende oder zukünftige Geschäftsbeziehungen (einschließlich Beziehungen im Rahmen der Kreditvergabe, von Einlagengeschäften, des Risikomanagements, der Beratung und im Hinblick auf Bankgeschäfte) zu dem jeweiligen Referenzschuldner unterhalten und Maßnahmen ergreifen, die sie zum Schutz ihrer daraus entstehenden eigenen Interessen ohne Berücksichtigung etwaiger Folgen für den Anleihegläubiger für notwendig und angemessen erachtet. (…)“,
„(…) Die Emittentin, ein Vertriebspartner sowie eines ihrer verbundenen Unternehmen kann als Konsortialbank, Finanzberater oder Bank eines anderen Emittenten ohne Berücksichtigung der Interessen der Wertpapierinhaber fungieren. Im Rahmen der vorgenannten Funktionen können Handlungen vorgenommen oder Empfehlungen ausgesprochen werden, die sich für Wertpapierinhaber nachteilig auf den Basiswert bzw. seine Bestandteile auswirken. (…)“,
„(…) Die Emittentin und die mit diesen verbundenen Unternehmen können (i) gegebenenfalls am Handel mit Referenzverbindlichkeiten des Referenzschuldners beteiligt sein, (ii) von dem Referenzschuldner Informationen erhalten, diesem Darlehen ausreichen oder anderweitig Kredit gewähren und an Handels-, Bank- und sonstige Geschäften mit dem Referenzschuldner bzw. in Bezug auf die Referenzverbindlichkeit beteiligt sein, (iii) eine der Referenzverbindlichkeiten platziert, übernommen, arrangiert oder strukturiert haben oder diese halten und (iv) in Bezug auf die (…) beschriebenen Tätigkeiten so handeln, als ob die kreditereignisabhängigen Schuldverschreibungen in Bezug auf den Referenzschuldner nicht bestehen und unabhängig davon, ob diese Handlungen sich gegebenenfalls nachteilig auf die Verpflichtungen des Referenzschuldners, einen in Bezug auf eine Verpflichtung des Referenzschuldners tätigen Investment Manager oder Treuhänder, die Emittentin oder die Anleger auswirken kann. Die Emittentin ist jedoch nicht verpflichtet, Geschäfte zu tätigen, aus denen sie eigene Risiken in Bezug auf die Entwicklung der Verbindlichkeiten des Referenzschuldners übernimmt. Es besteht keine Verpflichtung zur Offenlegung dieser Umstände, die die eigenen Interessen der Emittentin an der Entwicklung der Verbindlichkeiten des Referenzschuldners beeinflussen können. (…)“.

Es wird damit deutlich, dass die Vertragsbedingungen den Emittenten erheblichen Spielraum in Bezug auf weitere Geschäftsbeziehungen einräumen. Insbesondere behalten sich die Emittenten vor, dass sie durch andere Geschäftsbeziehungen ggf. Einfluss auf die der Bonitätsanleihen zugrundeliegenden Referenzverbindlichkeiten nehmen. Es besteht daher potentiell das Risiko, dass Emittenten die Bonität des Referenzschuldners beeinflussen können. Dies steht jedoch im Konflikt mit den Interessen der Privatkunden, an die sich der Absatz von Bonitätsanleihen richtet.

ee) Weite Verbreitung bei Privatkunden:

Neben den vorgetragenen qualitativen Bedenken sind diese auch in quantitativer Hinsicht erheblich. Zwar handelt es sich bei der Frage der Erheblichkeit um eine unbestimmte Tatbestandsvoraussetzung. Das Heranziehen der im ESMA-Hinweis und im Entwurf der Delegierten Verordnung aufgezählten Kriterien14 und die im konkreten Fall vorliegende Kumulation dieser Bedenken führt jedoch in jedem Fall zum Vorliegen der in der Ermächtigungsgrundlage geforderten Erheblichkeitsschwelle.

Die Anlegerschutzbedenken sind auch aufgrund der besonderen Schutzwürdigkeit der hier betroffenen Kundengruppe erheblich, da diese in Bezug auf bonitätsabhängige Produkte strukturell unterlegen ist. Bonitätsanleihen sind im Privatkundenbereich weit verbreitet. Es ist eine große Anzahl von Kunden betroffen. Die Marktabfrage der Bundesanstalt zeigt, dass der Absatz der Produkte insbesondere an Privatkunden gängig ist und sowohl von Emittenten als auch von Intermediären aktiv betrieben wird. Es wird damit deutlich, dass der Absatz häufig in dem Kundensegment erfolgt, in dem typischerweise geringere Kenntnisse und Erfahrungen vorliegen (Retail).

Die seitens des Deutscher Derivate Verband e. V. veröffentlichten Marktstatistiken zu Bonitätsanleihen zeigen eine Zunahme der Relevanz: Die Bedeutung von Bonitätsanleihen im Vertrieb an Privatkunden ist in jüngerer Vergangenheit erheblich gewachsen. So hat das Marktvolumen von Bonitätsanleihen nach eigener Aussage des Derivateverbandes kontinuierlich zugenommen. Während das Marktvolumen zu Anfang des Jahres 2015 noch 5.255.451.000 EUR (Marktanteil: 7,4%) betrug, belief sich das Marktvolumen zum Jahresanfang 2016 auf 5.664.092.000 EUR (Marktanteil: 9,3%). Auch unterjährig war im Jahr 2015 ein kontinuierliches Wachstum von Marktvolumen und Marktanteil zu erkennen. Die Marktentwicklungen spiegelten sich auch in den im Rahmen der Untersuchung abgegebenen Stellungnahmen befragter Markteilnehmer wider, die die wachsende Bedeutung von Bonitätsanleihen bestätigten.

c) Besondere Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit i. S. d. § 4b Abs. 2 Nr. 2 und 3 WpHG:

Mit der Allgemeinverfügung begegnet die Bundesanstalt den vorgetragenen Risiken. Die Maßnahme entspricht der Voraussetzung in § 4b Abs. 2 Nr. 2 WpHG: Die Anordnung des Verbots der Vermarktung, des Vertriebs und des Verkaufs verhindert die Verwirklichung der Risiken, die der Anlage in Bonitätsanleihen innewohnen.

Die Maßnahme ist auch besonders verhältnismäßig i. S. d. § 4b Abs. 2 Nr. 3 WpHG. Dies gilt unter Berücksichtigung der festgestellten Risiken, des Kenntnisniveaus der betreffenden Anleger oder Marktteilnehmer und der wahrscheinlichen Auswirkungen auf Anleger oder Marktteilnehmer. Als Maßstab für das Verbot lege ich den wirksamen Schutz von Privatkunden an. Im Vergleich zu professionellen Marktteilnehmern können Privatkunden Verluste, die z. B. aus Anlagen in Bonitätsanleihen entstehen, nicht im gleichen Maße absichern oder wirtschaftlich verkraften. Auch verfügen sie typischerweise über geringere Kenntnisse und eingeschränkten Zugang zu relevanten Informationen, die für die adäquate Beurteilung von Bonitätsanleihen und deren Risiken erforderlich sind. Bei realitätsnaher Betrachtung sind Privatkunden im Bereich der Bonitätsanleihen damit den professionellen Marktteilnehmern insbesondere in Bezug auf Risikotragfähigkeit sowie Kenntnisse strukturell unterlegen.

Auch in Bezug auf die wahrscheinlichen Auswirkungen ist die Maßnahme verhältnismäßig. Die Allgemeinverfügung bezieht sich lediglich auf den Absatz gegenüber Privatkunden. Professionelle Kunden sind von der Verfügung nicht betroffen. Selbst bei hinzugedachtem vollständigem Wegfall von Bonitätsanleihen verbleiben Privatkunden noch ausreichend weitere Anlagealternativen, in denen das Wissen und die Erfahrung von durchschnittlichen Privatkunden besser ausgeprägt sind.

Auch für die betroffenen Marktteilnehmer auf Anbieterseite ist die Maßnahme verhältnismäßig. Von einer existenzbedrohenden Marktbeschränkung für die Produktanbieter ist nicht auszugehen, weil es sich nach eigenen Angaben der Interessenvertreter um eine einstellige Marktanteilsquote handelt. Im Übrigen ist davon auszugehen, dass sich das Marktvolumen für Bonitätsanleihen auf andere Anlageklassen verteilt.

d) Allgemeine Verhältnismäßigkeit der Anordnung:

Die Maßnahme erfüllt auch die Anforderungen des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgebots. Die Anordnung des Verbots der Vermarktung, des Vertriebs und des Verkaufs an Privatkunden ergeht im Interesse des Anlegerschutzes i. S. d. § 4b Abs. 2 Nr. 1a WpHG. Damit liegt ein legitimer öffentlicher Zweck vor. Die Anordnung hält der allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprüfung stand: Sie ist geeignet, erforderlich und angemessen.

Die Anordnung ist geeignet, den legitimen öffentlichen Zweck – den Schutz der Anlegerinteressen von Privatkunden – zu erreichen. Durch das Verbot der Vermarktung, des Vertriebs und des Verkaufs an Privatkunden wird der Absatz von Bonitätsanleihen an diese Kundengruppe verhindert. Schäden, die aus der Anlage resultieren, können dadurch nicht entstehen.

Das Verbot der Vermarktung, des Vertriebs und des Verkaufs an Privatkunden ist auch erforderlich, weil kein milderes Mittel ersichtlich ist, welches in gleichem Maße geeignet ist, den erheblichen Bedenken für den Anlegerschutz zu begegnen. Nur ein vollständiges Verbot erreicht einen umfassenden Schutz der Anleger. Das Verbot von nur einzelnen Bonitätsanleihen erreicht nicht das erforderliche Niveau für den Anlegerschutz und ist daher nicht im gleichen Maße effektiv: Die Anlegerschutzbedenken (z. B. Komplexität, Interessenkonflikte) sind der Produktgattung immanent und können nicht durch eine Intervention gegen einzelne Produkte ausgeräumt werden.

Auch stellt etwa eine Verpflichtung zu klarstellenden Produktbezeichnung kein gleich effektives, milderes Mittel dar. Selbst wenn Bonitätsanleihen nur objektiv beworben werden dürften, beseitigte dies nicht die über eine irreführende Beschreibung hinaus vorliegenden Anlegerschutzbedenken.

Als eine weniger eingreifende Maßnahme wären zwar Auflagen für den Vertrieb an Privatkunden denkbar – so z. B. höhere Anforderungen an die Kundenaufklärung im Rahmen der Anlageberatung. Entsprechende Auflagen entfalten jedoch auch nicht die gleiche Intensität in Bezug auf den Anlegerschutz. Höhere Anforderungen an den Vertrieb sind nicht geeignet, die strukturellen Bedenken, die der Produktklasse „Bonitätsanleihe“ innewohnen, zu heilen. Auch wird die Effektivität dieser milderen Auflagen durch das weiterhin bestehende kommerzielle Absatzinteresse der Produktanbieter- und –vermittler kompromittiert.

Eine Warnung der BaFin würde kein milderes Mittel darstellen, das in gleicher Weise die vorliegenden Bedenken für den Anlegerschutz ausräumen könnte. Risikohinweise werden von den Privatanlegern in der Regel mangels erforderlicher Anlageerfahrung als rein theoretische Szenarien betrachtet. Für eine realistische Einschätzung der Eintrittswahrscheinlichkeit von Verlustszenarien fehlt einem typischen Privatanleger die erforderliche Erfahrung.

Zudem stellte eine Beschränkung der Maßnahme auf ein Verbot des aktiven Vertriebs kein milderes und ebenso geeignetes Mittel dar. Denn auch im beratungsfreien Geschäft ist der Schutz von Privatkunden vor produktimmanenten Gefahren nötig.

Die angeordnete Maßnahme ist angemessen. Das Verbot berücksichtigt auch die Interessen der Produktemittenten und die der vermittelnden Unternehmen. Das Interesse der Produktemittenten besteht darin, über die Emission der verbotsgegenständlichen Wertpapiere Mittel am Kapitalmarkt zur eigenen Finanzierung aufzunehmen und darüber hinaus eine in den Produkten regelmäßig eingepreiste Emittentenmarge zu vereinnahmen. Vermittelnde Unternehmen sind darauf aus, die vom Emittenten für den Absatz der verbotsgegenständlichen Produkte versprochene Vergütung zu verdienen. Im öffentlichen Interesse liegt es hingegen, die Privatkunden vor Finanzinstrumenten zu schützen, die solche erheblichen Anlegerschutzbedenken aufwerfen. Die Abwägung dieser Interessen ergibt, dass die legitimen gewerblichen Interessen der Produktemittenten und vermittelnden Unternehmen gegenüber dem öffentlichen Interesse am erforderlichen Anlegerschutz in Bezug auf Privatkunden zurücktreten müssen.

Dieses Abwägungsergebnis folgt zunächst daraus, dass für den erforderlichen Schutz der Privatkunden Vermarktung, Vertrieb und Verkauf der verfügungsgegenständlichen Schuldverschreibungen nicht schlechthin verboten werden müssen. Es handelt sich gerade nicht um ein generelles Vermarktungs-, Vertriebs- und Verkaufsverbot von Bonitätsanleihen. Das Verbot ist vielmehr auf Vermarktung, Vertrieb und Verkauf an die Gruppe der Privatkunden i. S. d. § 31a Abs. 3 WpHG beschränkt. Entsprechende Tätigkeiten der Produktemittenten und Vermittler gegenüber professionellen Kunden bleiben weiterhin möglich. Privatkunden, die aufgrund ihrer Erfahrung, ihrer Kenntnisse und ihres Sachverstandes in der Lage sind, im Markt für Bonitätsanleihen aktiv zu werden, können nach Maßgabe des § 31a Abs. 7 WpHG als professionelle Kunden eingestuft werden. Die Maßnahme gilt damit nur für die Privatkunden, die nicht über die erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen für die Anlage in die verbotsgegenständlichen Schuldverschreibungen verfügen und deshalb strukturell den professionellen Akteuren unterlegen sind. Nur das Interesse am Schutz dieser Kundengruppe überwiegt das kommerzielle Interesse von Emittenten und vermittelnden Unternehmen.

Produktemittenten und Vermittler werden durch die Maßnahme auch nicht über Gebühr belastet. Von einer unzumutbaren Marktbeschränkung für die Produktanbieter ist nicht auszugehen, weil es sich bei den verbotsgegenständlichen Schuldverschreibungen ohnehin nur um ein kleines Segment des Marktes für strukturierte Schuldverschreibungen (Zertifikate) handelt. Im Übrigen ist davon auszugehen, dass sich das bislang auf die verbotsgegenständlichen Schuldverschreibungen entfallende Marktvolumen zukünftig auf andere Finanzinstrumente verteilt. Emittenten und Vermittler bieten regelmäßig ein breites Spektrum an unterschiedlich strukturierten Schuldverschreibungen an. Emittenten und Vermittler haben daher die Möglichkeit, andere als die verbotsgegenständlichen Schuldverschreibungen anzubieten und die eingangs genannten Interessen (Finanzierung, Gewinnerzielung) weiter zu verfolgen.

Für den Schutz der Privatkunden ist das ausgesprochene Verbot hingegen notwendig. Im Vergleich zu professionellen Marktteilnehmern können Privatkunden Verluste, die z. B. aus Anlagen in den verbotsgegenständlichen Schuldverschreibungen entstehen, nicht im gleichen Maße absichern oder wirtschaftlich verkraften. Auch verfügen sie typischerweise über geringere Kenntnisse und eingeschränkten Zugang zu relevanten Informationen, die für die adäquate Risikobeurteilung in Bezug auf die verbotsgegenständlichen Schuldverschreibungen erforderlich sind. Bei realitätsnaher Betrachtung sind Privatkunden damit den Anbietern solcher Schuldverschreibungen strukturell unterlegen.

Belange der Privatkunden sind durch das ausgesprochene Verbot nicht über das unbedingt notwendige Maß hinaus betroffen. Insbesondere verbleiben den Privatkunden bei Wegfall der verbotsgegenständlichen Schuldverschreibungen noch ausreichend Anlagealternativen, hinsichtlich der das Wissen und die Erfahrung von durchschnittlichen Privatkunden besser ausgeprägt sind. Die Privatkunden werden daher in ihren Möglichkeiten zur Geldanlage nicht unangemessen beeinträchtigt.

e) Öffentliche Bekanntgabe:

Die Bekanntgabe erfolgt nach § 17 Abs. 2 Satz 1 FinDAG öffentlich. Die öffentliche Bekanntgabe erfolgt durch elektronische Bekanntmachung auf der Internetseite der Bundesanstalt (§ 17 Abs. 2 Satz 2 FinDAG i. V. m. § 41 Abs. 4 Satz 1 VwVfG).

Hinweise:

Nach § 4b Abs. 6 WpHG haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Maßnahmen nach Absatz 1 keine aufschiebende Wirkung.

Ich weise darauf hin, dass nach § 39 Abs. 2 Nr. 2b. WpHG ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder leichtfertig einer vollziehbaren Anordnung nach § 4b Abs. 1 WpHG zuwiderhandelt."

(Roegele)

Fußnoten:

1 Vgl. Lause in: Gruber/Gruber/Braun, Asset-Backed-Securities und Kreditderivate, 2005, S. 29 ff.

2 Trafkowski, Kreditderivate und Versicherungsderivate als Risikotransferverträge, 2007, S. 24.

3 Zahn/Lemke, Die Credit Linked Note – Anleihe mit integriertem Kreditderivat, WM 2002, S. 1536, 1537.

4 ABl. L 173 vom 12.06.2014, S. 84.

5 Begründung zum Gesetzesentwurf eines Kleinanlegerschutzgesetzes, BT-Drs. 18/3994, S. 53.

6 Final Report, ESMA's Technical Advice to the Commission on MiFID II and MiFIR (Az.: 2014/1569), S. 190 ff., abrufbar unter: www.esma.europa.eu

7 Delegierte Verordnung zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates (MiFIR) im Hinblick auf Begriffsbestimmungen, Transparenz, Portfoliokomprimierung und Aufsichtsmaßnahmen zur Produktintervention und zu den Positionen.

8 Vgl. Benzler/Brunner-Reumann in: Burghof/Rudolph/Schäfer/Schönbucher/Sommer (Hrsg), Kreditderivate, 3. Aufl., 2015, S. 367.

9 OLG Karlsruhe, Urteil vom 29.08.2013 - 9 U 24/11 (LG Konstanz), BKR 2014, S. 205 ff.

10 Guidelines on complex debt instruments and structured deposits“ vom 04.02.2016, Az. ESMA/2015/1787.

11 Comunicazione n. 0097996 del 22-12-2014, Comunicazione sulla distribuzione di prodotti finanziari complessi ai clienti retail.

12 So auch: OLG Karlsruhe, Urteil vom 29.08.2013 - 9 U 24/11 (LG Konstanz), BKR 2014, S. 208, 210.

13 So auch Zahn/Lemke, Die Credit Linked Note – Anleihe mit integriertem Kreditderivat, WM 2002, S. 1536, 1537.

14 Final Report, ESMA's Technical Advice to the Commission on MiFID II and MiFIR (Az.: 2014/1569), S. 190 ff., abrufbar unter: www.esma.europa.eu; Delegierte Verordnung zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates (MiFIR) im Hinblick auf Begriffsbestimmungen, Transparenz, Portfoliokomprimierung und Aufsichtsmaßnahmen zur Produktintervention und zu den Positionen.

Kontakt:Dr. Chan-Jae Yoo

Industrie und AnlegerReferat VBS 7
Telefon: +49 (0) 228-4108-4396
E-Mail: Chan-Jae.Yoo@bafin.de

Kontakt:Kars­ten Lan­gen­kamp

Industrie und AnlegerReferat VBS 7
Telefon: +49 (0) 228-4108-2740
E-Mail: Karsten.Langenkamp@bafin.de

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