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Erscheinung:30.03.2022 | Geschäftszeichen IFS 3-QA 2103-2022/0001 | Thema Makroaufsicht, Eigenmittel Allgemeinverfügung zur Anordnung eines Kapitalpuffers für systemische Risiken nach § 10e KWG

Nach § 10e Absatz 1 KWG wird ein Kapitalpuffer für systemische Risiken in Höhe von zwei Prozent für Wohnimmobilienfinanzierungen angeordnet.

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht erlässt folgende

Allgemeinverfügung:

1. Mit Wirkung zum 1. April 2022 ordnet die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (nachfolgend: „Bundesanstalt“) gemäß § 10e Absatz 1 des Kreditwesengesetzes (KWG) einen aus hartem Kernkapital bestehenden Kapitalpuffer für systemische Risiken in Höhe von zwei Prozent an.

2. Gemäß § 10e Absatz 1 Satz 2 KWG wird dieser Kapitalpuffer angeordnet für alle jene Risikopositionen - oder Teile von Risikopositionen - gegenüber natürlichen und juristischen Personen, bei denen Grundpfandrechte an im Inland belegenen Wohnimmobilien anrechnungsmindernd bei der Ermittlung der Eigenkapitalanforderungen berücksichtigt werden.

3. Die Allgemeinverfügung richtet sich an Institute im Sinne des § 1 Absatz 1b des Gesetzes über das Kreditwesen (Kreditwesengesetz – KWG) sowie an Institutsgruppen, Finanzholding-Gruppen und gemischte Finanzholding-Gruppen, denen mindestens ein Institut angehört, das die Anforderung in § 10e Absatz 1 Satz 1 bis 3 KWG auf Einzelinstitutsebene erfüllen muss, und für Institute im Sinne des Artikels 22 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013. Ausgenommen sind die in § 2 Absatz 4 Satz 1, Absatz 5 Satz 1, Absatz 7, Absatz 7a, Absatz 7b, Absatz 9a Satz 1, Absatz 9e sowie § 51c Absatz 4 KWG genannten Unternehmen unter den jeweils genannten Voraussetzungen.

4. Die unter Ziffer 1 genannte Quote muss ab dem 1. Februar 2023 zur Berechnung des Kapitalpuffers für systemische Risiken angewendet werden.

5. Diese Allgemeinverfügung wird gemäß § 41 Abs. 3 und 4 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) in Verbindung mit § 17 Abs. 2 Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz (FinDAG) öffentlich bekannt gemacht und gilt mit dem auf die Bekanntmachung folgenden Tag als bekannt gegeben.

Begründung

I.

Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2013/36/EU über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Anpassung des Aufsichtsrechts an die Verordnung (EU) Nr. 575/2013 über die Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen (CRD IV-Umsetzungsgesetz) wurde die Regelung des § 10e KWG zum Kapitalpuffer für systemische Risiken mit Wirkung zum 1. Januar 2014 eingeführt. In der Folge hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht („Bundesanstalt“) zwar Anordnungen zum Aufbau und zur Aufhebung eines ebenfalls durch das CRD IV-Umsetzungsgesetz eingeführten antizyklischen Kapitalpuffers getroffen. Einen Kapitalpuffer für systemische Risiken hat die Bundesanstalt bisher noch nicht angeordnet.

Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinien (EU) 2019/878 und (EU) 2019/879 zur Reduzierung von Risiken und zur Stärkung der Proportionalität im Bankensektor (Risikoreduzierungsgesetz – RiG) vom 9. Dezember 2020 hat der Gesetzgeber Vorgaben des sog. „Bankenpakets“ umgesetzt. Aufgrund der neuen Regelung in § 10e Abs. 1 S. 2 KWG kann die Bundesanstalt u.a. auch sektorale Systemrisikopuffer anordnen, d.h. die Reichweite des Kapitalpuffers auf bestimmte Teilgruppen von Risikopositionen beschränken. Bei der Bildung möglicher Teilgruppen sind Art. 133 Abs. (5) b) der Richtlinie (EU) 2019/878 sowie die „EBA-Guideline on the appropriate subsets of sectoral exposures to which competent or designated authorities may apply a systemic risk buffer in accordance with Article 133(5)(f) of Directive 2013/36/EU“ 1 zu berücksichtigen; die Bundesanstalt hat eine Erklärung nach Art. 16 (3) der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 vom 24. November 2010 abgegeben, wonach sie die genannte Guideline einhalten wird.

In seiner Pressemitteilung vom 12. Januar 2022 hat der Ausschuss für Finanzstabilität (AFS) das beabsichtigte „Maßnahmenpaket“ der Bundesanstalt begrüßt, das auch die Festlegung eines Kapitalpuffers für systemische Risiken vorsieht. Der AFS hielt dies im Hinblick auf die Risikolage im deutschen Finanzsystem für geboten: „Darüber hinaus sollen die spezifischen Risiken aus Wohnimmobilienfinanzierungen adressiert werden. Aufgrund des lang andauernden Aufschwungs am Wohnimmobilienmarkt haben sich neben zyklischen auch strukturelle Risiken gebildet. […] Setzt sich die Kredit- und Preisdynamik am Wohnimmobilienmarkt in dieser Form fort, birgt dies auch die Gefahr einer größeren Verwundbarkeit für Neukreditnehmer gegenüber Zinsanstiegen oder Marktkorrekturen. Die BaFin beabsichtigt daher, einen sektoralen Systemrisikopuffer als ergänzendes Instrument anzuordnen. Der sektorale Systemrisikopuffer wirkt zusätzlich den spezifischen Risiken am Immobilienmarkt entgegen, die nicht vollständig durch den antizyklischen Kapitalpuffer adressiert werden können. Die Quote des sektoralen Systemrisikopuffers auf mit Wohnimmobilien besicherte Kredite soll 2,0 % betragen.“ Bereits in seiner Mitteilung vom 3. Dezember 2021 hatte der AFS folgende Wertung vorgenommen: „Die Preise für Wohnimmobilien wachsen kräftig und die Wachstumsraten haben historische Höchstwerte erreicht. Überbewertungen und Verschuldung nehmen tendenziell zu. Gleichzeitig erhöhte sich die Vergabe von Wohnimmobilienkrediten kräftig. Setzt sich die Kredit- und Preisdynamik am Wohnimmobilienmarkt und die Entwicklung bei der Verschuldung von privaten Haushalten fort, besteht die Gefahr einer Verschlechterung der Schuldentragfähigkeit insbesondere bei Neukreditnehmern.“

Die Bundesanstalt hat sich die Ausführungen auch zu den nicht-zyklischen Komponenten des Systemrisikos zu eigen gemacht und hat angesichts aktueller Daten der Bundesbank ihre Risikoeinschätzung aktualisiert und überprüft.

Die beabsichtigte Entscheidung hat die Bundesanstalt am 12. Januar 2022 auf ihrer Website veröffentlicht: Zu der beabsichtigten Allgemeinverfügung hat die Bundesanstalt vom 12. Januar 2022 bis zum 26. Januar 2022 ein Anhörungsverfahren durchgeführt. Beteiligte haben sich über ihre Interessenverbände geäußert. Die vorgetragenen Argumente hat die Bundesanstalt bei der Entscheidungsfindung entsprechend berücksichtigt. Im Wesentlichen wurde vorgebracht:

A. Allgemein: Die Anordnung sei im derzeitigen wirtschaftlichen und politischen Umfeld nicht geboten, Belastungen bestünden durch die fortbestehende Pandemiesituation, die verhaltene Konjunktur und durch politische Erwartungen in Bezug auf die Transformation im Bereich Erneuerbare Energien und Digitalisierung. Bemühungen der Geld- und Fiskalpolitik zur Unterstützung der Kreditvergabe und von Investitionen würden konterkariert. Das Anwachsen von Preisen und Krediten zeige ein Resultat der expansiven Geld- und Fiskalpolitik und gehe eben nicht von einem übermäßig risikofreudig agierenden Bankensektor aus. Die Anordnung treffe die Institute wirtschaftlich signifikant, werde zu zusätzlichem Eigenkapitalbedarf führen, senke die Profitabilität und werde Einschränkungen der Kreditvergabe und/oder Kreditverteuerungen nach sich ziehen.

B. Bemessung von Sicherheiten: Die Institute verfügten über genügend Risikopuffer und die bestehenden Sicherheiten für vergebene Immobilienkredite seien unter allen Umständen ausreichend. Nach der Kreditvergabe erfolge in den Beständen regelmäßig keine Anpassung der Sicherheitenwerte an die Wertentwicklung am Markt. Daher lägen die Sicherheitenwerte im Bestand überwiegend signifikant unter den aktuellen Marktwerten. Die Maßnahme sei damit nicht das angemessene Mittel; wenn überhaupt, müsse sie auf das Neugeschäft beschränkt werden und dürfe nicht auf risikoarmes Geschäft mit niedrigem Beleihungsauslauf angewandt werden.

C. Vergabestandards und Überschuldung: Eine Erosion der Vergabestandards sei nicht erkennbar; die Institute hielten an ihrer konservativen und risikoorientierten Kreditvergabepraxis fest. Variabel verzinste Darlehen seien in Deutschland marktunüblich. Informationen aus dem Finanzstabilitätsbericht der Bundesbank seien so zu interpretieren, dass die Kreditvergabestandards nach einer Lockerung während der Pandemie zwischenzeitlich wieder gestrafft worden seien. Risiken für die Finanzstabilität aus der Kreditvergabe an private Haushalte seien damit überschaubar, zudem die Überschuldung der Haushalte aktuell rückläufig sei. Im Übrigen sei die Datenlage zu Kreditvergabestandards noch lückenhaft bei der Finanzierung von Wohnimmobilien privater Haushalte.

D. Doppelunterlegung: Es bestehe die Gefahr, dass die Institute durch sich gegenseitig überlappende Kapitalanforderungen getroffen würden (Doppelunterlegung): So dürften sich der sektorale Systemrisikopuffer für Wohnimmobilien mit dem antizyklischen Kapitalpuffer sowie mit den Säule 2-Anforderungen überschneiden, wenn für den Stresstest zur Festlegung der Eigenmittelzielkennziffer unter anderem das Risiko aus negativen Entwicklungen bei Immobilienfinanzierungen berücksichtigt werde.

E. Ungleichbehandlung: Institute, die den Kreditrisiko-Standardansatz verwenden, würden besser behandelt als Institute, die den IRB-Ansatz verwenden. Die ersteren müssten nach Art. 125 CRR nur den besicherten Teil der Kreditforderung mit den zusätzlichen Anforderungen unterlegen, wogegen die Institute, die den IRB-Ansatz verwenden, die gesamte Forderung mit dem Kapitalzuschlag zu unterlegen hätten.

F. Bausparkassen: Für diese gälten die Argumente der vorsichtigen Kreditvergabe und der Begrenzung auf das Neugeschäft in besonderer Weise. Ihr Geschäftsmodell sei durch gesetzlichen Vorgaben bereits in besonderer Weise beschränkt.

Nach Durchführung des Anhörungsverfahrens hat die Bundesanstalt den Inhalt der Anordnung präzisiert sowie weitere Detail- und Auslegungsfragen zur Veröffentlichung in einer FAQ-Liste auf ihrer Website vorgesehen.

II.

Zu Ziffer 1 und 2:
Die Voraussetzungen für die Anordnung der Quote eines sektoralen Kapitalpuffers für systemische Risiken von zwei Prozent des nach Artikel 92 Absatz 3 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 ermittelten Gesamtforderungsbetrags liegen vor.

Die Anordnung beruht auf §§ 10e Abs. 1 bis 3 und 7 KWG. Danach kann ein Kapitalpuffer für systemische Risiken angeordnet werden, um systemische oder makroprudenzielle Risiken zu vermindern oder abzuwehren, die zu einer Störung mit schwerwiegenden negativen Auswirkungen auf das nationale Finanzsystem und die Realwirtschaft im Inland führen können.

§§ 10e Abs.1 S. 2 letzter Halbsatz KWG ermöglicht die Bildung der in Ziff. 2 der Anordnung genannten Teilgruppe. Dies steht im Einklang mit § 36a Abs.1 SolvV, der eine Anwendungshilfe für § 10e Abs.1 S. 2 KWG darstellt, sowie mit den Vorgaben der „EBA-Guideline on the appropriate subsets of exposures in the application of SyRB“2 die sich auf Art. 133 (5) f) RL 2013/36/EU bezieht. Die Teilgruppe wird gebildet aus den im Inland (§ 36a Abs.1 Nr.2 SolvV), in einem EWR-Vertragsstaat (Nr. 3) oder einem Drittland (Nr. 5) belegenen Risikopositionen gegenüber natürlichen und juristischen Personen (Nr. 2a) und d) sowie c)) und hierbei weiter eingegrenzt durch das Kriterium der Berücksichtigung von Grundpfandrechten an im Inland belegenen Wohnimmobilien (bei der Ermittlung der Eigenkapitalanforderungen). Der so abgegrenzte sektorale Systemrisikopuffer bezieht sich damit auf die üblichen Finanzierungsgestaltungen von Wohnimmobilien in Deutschland, so dass Wettbewerbsverzerrungen am Wohnimmobilienmarkt aufgrund der Maßnahme weitestgehend ausgeschlossen sind. Auch bezüglich der Kalibrierung des Instrumenteneinsatzes kommt der Bundesanstalt ein weiter Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu. Ziel ist die Verminderung oder Vermeidung langfristiger, nicht zyklischer systemischer oder makroprudenzieller Risiken, wobei unbedeutende Risiken ausscheiden.3

Soweit Verbände der Kreditwirtschaft geltend gemacht haben, dass die Institute, die den IRB-Ansatz zur Beurteilung des Kreditrisikos verwenden, schlechter gestellt würden als Institute, die den Kreditrisiko-Standardansatz nutzen, sieht die BaFin darin keine rechtlich bedeutsame Ungleichbehandlung. Im Kreditrisiko-Standardansatz ist das unechte Realkreditsplitting (Art. 125 CRR) vorgesehen, wonach eine risikomindernde Anrechnung der Immobiliensicherheit nur für vollständig besicherte Positionen vorgenommen wird. Teile der Risikoposition, die den nach Art. 125 CRR anrechenbaren Objektwert übersteigen, erhalten hingegen das Risikogewicht der eigentlichen Kreditnehmer, sie werden als unbesichert angesehen. Im IRB-Ansatz ist für Risikopositionen ein derartiges unechtes Realkreditsplitting nicht vorgesehen. Die Wohnimmobiliensicherheit wird somit für den gesamten Forderungsbetrag risikomindernd berücksichtigt. IRBA-Institute können somit Immobiliensicherheiten sehr viel umfassender anrechnungsmindernd nutzen als KSA-Institute. Aufgrund dieses Vorteils hat der sektorale Systemrisikopuffer bei IRBA-Instituten implizit einen weiteren Anwendungsbereich.

Die Bundesanstalt adressiert die Wohnimmobilienrisiken durch ein Maßnahmenpaket. So werden die zyklischen Aspekte der Wohnimmobilienrisiken zusammen mit weiteren zyklischen Risiken über die parallele Festlegung eines antizyklischen Kapitalpuffers abgedeckt. Insoweit kommt der sektorale Systemrisikopuffer nur zur Adressierung ergänzender Risikobestandteile des Wohnimmobilienmarkts, konkret struktureller Komponenten sowie intendierter zielgenauer Steuerungswirkungen zum Einsatz. Die Pufferhöhe wurde anhand von Berechnungen der Deutschen Bundesbank auf Basis ihres Wohnimmobilienstresstests festgesetzt. Diese indizieren unter der Annahme eines Basisstress-Szenarios und einer Festlegung des antizyklischen Kapitalpuffers i.H.v. 0,75% einen bedingten sektoralen Systemrisikopuffer i.H.v. rund 2%. Diese Feststellungen der Bundesbank macht sich die Bundesanstalt zu eigen; den Wert von 2% zur Adressierung der nicht-zyklischen Systemrisiken hält sie daher für geboten, aber auch für derzeit ausreichend.

In der aktuellen wirtschaftlichen Situation hält die Bundesanstalt systemische makroprudenzielle Risiken i.S.d. § 10e KWG für gegeben. Hierbei bezeichnet das systemische Risiko das Risiko einer Gefährdung der Funktionsfähigkeit und der Stabilität des gesamten Finanzsystems. Makroprudenzielle Risiken betreffen im Gegensatz zu mikroprudenziellen Risiken nicht nur eine Institution sowie deren Gläubiger, sondern das gesamte Finanzsystem. Das Vorliegen eines so beschriebenen Risikos einer Störung des Finanzsystems ergibt sich aus Folgendem:

Das Finanzsystem muss in der Lage sein, Verluste aus unerwarteten Entwicklungen zu absorbieren, um negative Ansteckungs- und Rückkopplungseffekte zwischen den Finanzmarktakteuren untereinander sowie zwischen dem Finanzsystem und der Realwirtschaft zu verhindern. In der aktuellen wirtschaftlichen Situation hält die Bundesanstalt den Eintritt einer Störung mit schwerwiegenden negativen Auswirkungen auf das nationale Finanzsystem und die Realwirtschaft im Inland jedoch für möglich:

Der deutsche Wohnimmobilienmarkt ist schon seit dem Jahr 2010 von Preissteigerungsraten geprägt, deren Dynamik im Zeitverlauf markant zunahm. Mit einem Anstieg von zuletzt 12,4%“4 ist das Ausmaß mittlerweile ausgesprochen hoch; die Preisentwicklung hat sich zunehmend von fundamentalen ökonomischen Parametern (u.a. von den Einkommen) abgekoppelt. In der Konsequenz konstatiert die Deutsche Bundesbank landesweite Überbewertungen in Höhe von 20-35%.5 In dieser Situation besteht grundsätzlich die Gefahr, dass in Erwartung weiter steigender Preise der fremdkapitalfinanzierte Erwerb von Wohnimmobilien ausgeweitet wird und Banken aufgrund zu optimistischer Erwartungen sowohl die Schuldendienstfähigkeit ihrer Kreditnehmer als auch die Werthaltigkeit der Immobiliensicherheiten überschätzen.6 Anzeichen für Aufweichungen bei einkommensbezogenen Parametern hat die Deutsche Bundesbank in ihrem aktuellen Finanzstabilitätsbericht bereits ausgemacht7; auch die Kreditvergabe zeigt deutlich expansive Tendenzen.8 Es bestehen mithin substanzielle makroprudenzielle Risiken am Wohnimmobilienmarkt.9

Mit den erheblichen Überbewertungen am Wohnimmobilienmarkt geht zunehmend das Risiko einer früher oder später unvermeidlichen Korrektur einher. Dabei besteht auch das Risiko, dass Übertreibungen in einer (abrupten) wirtschaftlichen Abwärtsentwicklung abgebaut werden könnten. In einer solchen - nach aller Erfahrung mit steigender Arbeitslosigkeit einhergehenden - Situation kann sich die Schuldendienstfähigkeit der Darlehensnehmer signifikant reduzieren. Gerade in Bezug auf Kredite an besonders stark verschuldete Haushalte steigen somit die Ausfallrisiken der Banken. Bei einer signifikanten Preiskorrektur am Wohnimmobilienmarkt können auch Unternehmen der Wohnungswirtschaft in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten und die Ausfallrisiken der Banken erhöhen. Die Institute sehen sich somit – zeitgleich – mit der Situation konfrontiert, Kreditsicherheiten zu verwerten. Dies verstärkt die Tendenz sinkender Wohnimmobilienpreise weiter. In der Konsequenz führt dies bei den Banken zu Abschreibungsbedarf und möglichen Bestandsrisiken. Treten derartige Risiken – wie in einer Krise üblich – simultan auf, kann das Finanzsystem insgesamt seine Aufgaben möglicherweise nicht mehr vollständig erfüllen. Dies kann insbesondere zu Einschränkungen bei der Kreditversorgung der Realwirtschaft führen und eine bestehende Krise weiter verschärfen.10 Wirtschaftliche Krisen, die ihren Ursprung im Immobiliensektor haben, sind dabei erfahrungsgemäß schärfer und von längerer Dauer als anders geartete Krisen. Die Bundesanstalt bewertet das Risiko einer so beschriebenen Störung des Finanzsystems und der Realwirtschaft im Inland als signifikant. Die beobachteten Risiken sind durch Maßnahmen zu adressieren, die die Kreditversorgung des Wohnimmobilienmarktes insgesamt betreffen, weswegen die Einbeziehung der Risikopositionen gegenüber natürlichen und juristischen Personen notwendig ist.

Soweit Verbände der Kreditwirtschaft geltend gemacht haben, aus Überbewertungen ergäben sich wegen der konservativen Bewertungspraxis und reichlichen Bemessung der Sicherheiten keine Risiken, ist darauf hinzuweisen, dass die tragenden Argumente für die Einführung des Kapitalpuffers insbesondere in steigenden Immobilienpreisen und Kreditvolumina sowie in der weiter wachsenden Verschuldung privater Haushalte liegen. Die Gesamt-Überschuldung von Haushalten mag zwar rückläufig sein, die gravierenden Preissteigerungen im Wohnimmobiliensektor mit einhergehenden erhöhten Wohnungsbaukrediten haben die Verschuldung der Immobilienerwerber aber stark ansteigen lassen. Überbewertungen mögen regional unterschiedlich stark ausgeprägt sein, bestehen aber bundesweit nahezu flächendeckend; eine regionale Ausdifferenzierung der Maßnahme verbietet sich im Übrigen allein schon wegen zu erwartender Ausweichbewegungen. Auch eine Begrenzung auf das Neugeschäft wäre nicht ausreichend, da Berechnungen aus dem Wohnimmobilienstresstest gezeigt haben, dass schon im relativ moderaten Basisszenario trotz konservativer Bewertungsmethoden signifikante Verluste auch im Bestandsgeschäft auftreten können.

Eine gesonderte Behandlung spezieller Geschäftszweige wie der Bausparkassen ist nach Auffassung der Bundesanstalt nicht geboten. Zwar ist eingewandt worden, die Beleihungswerte würden konservativ nach den Vorgaben der Beleihungswertverordnung ermittelt und auch nicht an die Marktentwicklung angepasst. Ein zwingendes Differenzierungskriterium liegt hierin jedoch nicht. Bausparkassen dürfen bei der Finanzierung von selbstgenutztem Wohneigentum seit 2015 Beleihungen bis zum Beleihungswert vornehmen. Die Art der Bestimmung des Beleihungswerts ist grundsätzlich mit zusätzlichen Vorsichtskomponenten versehen. Letztlich bestehen hier jedoch vielfältige Ausgestaltungsspielräume. Eine zwingende, gesetzliche Obergrenze für die Bestimmung des Beleihungswerts ist gemäß § 7 Abs. 7 BauSparkG nur der Verkehrswert.

Eine anderweitige Möglichkeit zur Adressierung der beschriebenen Risiken i.S.d. § 10e Abs.1 Nr. 2 KWG besteht nicht, weil Maßnahmen nach der Verordnung (EU) Nr. 575/2013(„CRR“) oder die Kapitalpuffer gemäß den §§ 10d, 10f und 10g KWG nicht verfügbar oder nicht wirksam wären:

So wäre eine wirkungsgleiche oder -ähnliche Anpassung der Risikogewichte nach den Artikeln 124, 164 CRR nicht durchführbar. Die Anwendung dieses Instruments setzt neben der vorausschauenden Betrachtung künftiger Risiken am Wohnimmobilienmarkt auch die Durchführung eines rückwärtsgewandten Hard Tests voraus. Dabei sind die Verlusterfahrungswerte des zurückliegenden Jahres mit festen aufsichtlichen Grenzwerten abzugleichen. Die Verlustraten sind im Jahr 2020 zwar signifikant angestiegen, liegen jedoch noch immer weit unterhalb der gegebenen Grenzen, die eine Anhebung der Risikogewichte indizieren würden. Bei kombinierter Bewertung der vergangenheits- und zukunftsbezogenen Aspekte liegt keine Indikation zur Anpassung von Risikogewichten und Mindest-Verlustquoten bei Ausfall (LGDs) vor.

Eine Anpassung der Risikogewichte nach Artikel 458 CRR kommt nicht in Betracht, da das Instrument des (sektoralen) Systemrisikopuffers dieser Bestimmung gegenüber vorrangig einzusetzen ist. Die Bundesanstalt hält die Anwendung des Instruments des Systemrisikopuffers für wirksam und strengere nationale Maßnahmen i.S.d. Art. 458 (2) CRR nicht für effektiver; überdies würden diese die Institute nicht weniger belasten als das Instrument des Systemrisikopuffers.

Auch über den antizyklischen Kapitalpuffer (§10d KWG) sind die beschriebenen Risiken nicht abgedeckt und auch nicht abdeckbar. Dieses Instrument dient im Rahmen des aktuellen Maßnahmenpakets der Adressierung zyklischer Risiken. Neben weiteren zyklischen Risikoarten werden über den antizyklischen Kapitalpuffer explizit auch zyklische Risikoelemente am Wohnimmobilienmarkt adressiert. Das Instrument ist aufgrund seiner weiten Ausgestaltung auf alle inländischen Risikopositionen und seiner ausschließlichen Fokussierung auf zyklische Risiken jedoch nicht geeignet, Wohnimmobilienrisiken zielgenau und umfassend zu adressieren. Strukturelle Risiken am Wohnimmobilienmarkt müssen mithin mit einem anderen Instrument abgedeckt werden. Auch die angestrebten Steuerungswirkungen in Bezug auf den Wohnimmobilienmarkt bedürfen eines anderen Instruments.

Ebenso können die Kapitalpuffer für global systemrelevante Institute (§ 10f KWG) und die Kapitalpuffer für anderweitig systemrelevante Institute (§ 10g KWG) die aufgetretenen Risiken nicht abdecken, da beide Instrumente keinen spezifischen Bezug zu Wohnimmobilienrisiken aufweisen.

Eine Doppelunterlegung der Risiken bezüglich Wohnimmobilienkredite durch hartes Kernkapital bei einer etwaigen gleichzeitigen Aktivierung des sektoralen Systemrisikopuffers kann ausgeschlossen werden: Bei der Kalibrierung des sektoralen Systemrisikopuffers wird explizit die Höhe des inländischen antizyklischen Kapitalpuffers berücksichtigt, um eine Doppelunterlegung desselben Risikos zu vermeiden. Soweit geltend gemacht wird, diese Doppelunterlegung ergäbe sich daraus, dass für den Stresstest zur Festlegung der Eigenmittelzielkennziffer das Risiko aus negativen Entwicklungen bei Immobilienfinanzierungen berücksichtigt werde, gilt, dass diese Eigenmittelzielkennziffer als aufsichtliche Erwartungsgröße im Rahmen der Pillar 2 – Guidance („P2G“) keinen Bestandteil der harten SREP-Kapitalanforderung („P2R“) darstellt und keine rechtlich bindende Wirkung entfaltet.

Für eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung des Finanzsystems oder von Teilen des Finanzsystems eines anderen Staates oder des Europäischen Wirtschaftsraums insgesamt hat die Bundesanstalt keine Anhaltspunkte.

Das Risiko unerwünschter Ausweichreaktionen adressiert die Bundesanstalt ebenfalls. Die grenzüberschreitende Finanzierung von im Inland belegenen Wohnimmobilien durch Banken aus dem Ausland hat bisher gleichwohl nur eine untergeordnete quantitative Bedeutung. Um künftige Ausweichreaktionen zur Umgehung der Anordnung zu verhindern, hat die BaFin den Europäischen Ausschuss für Systemrisiken ersucht, gegenüber relevanten Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums (speziell den Nachbarstaaten) eine Empfehlung nach Artikel 16 der Verordnung (EU) Nr. 1092/2010 zur reziproken Anwendung des Kapitalpuffers für systemische Risiken durch europäische Staaten abzugeben.

Die Festsetzung eines sektoralen Systemrisikopuffers ist auch verhältnismäßig. Sie ist zur Erreichung des angestrebten Ziels der Verminderung oder Abwehr einer Störung mit schwerwiegenden negativen Auswirkungen auf das nationale Finanzsystem und die Realwirtschaft im Inland geeignet. Das Instrument richtet sich an alle unter Nr. 3 dieser Allgemeinverfügung genannten Adressaten, die Finanzierungen für im Inland belegene Wohnimmobilien anbieten können. Mit seiner Festsetzung wird spezifisch nur die Kapitalisierung derjenigen Banken erhöht, die bei der Vergabe von Wohnimmobilienfinanzierungen geschäftlich aktiv sind und die von den skizzierten systemischen Risiken am deutschen Wohnimmobilienmarkt besonders betroffen wären. Über eine Veränderung der relativen Preise wird die Vergabe von Wohnimmobilienfinanzierungen im Vergleich zu anderen Krediten weniger attraktiv, da zusätzliches Kapital vorzuhalten ist; damit wirkt die Maßnahme den am Wohnimmobilienmarkt bestehenden Überhitzungen entgegen. Über die Festlegung des sektoralen Systemrisikopuffers wird die Resilienz der Banken spezifisch gegen Risiken im Bestand von Wohnimmobilienfinanzierungen präventiv gestärkt. Zur Erreichung des vorgenannten Ziels ist der sektorale Systemrisikopuffer damit geeignet.

Mildere, gleich wirksame Mittel stehen der Bundesanstalt nicht zur Verfügung; insbesondere stellen die beschriebenen Instrumente (Anpassung der Risikogewichte, weitere Kapitalpuffer) bereits keine geeigneten Mittel in der aktuellen wirtschaftlichen Situation dar.

Die Festsetzung des Kapitalpuffers ist auch angemessen.

Die vorgebrachten, auf das allgemeine wirtschaftliche und politische Umfeld bezogenen Einwände hat die Bundesanstalt überprüft, sie führten jedoch zu keinem anderen Ergebnis. Die vielfältigen Herausforderungen des geschäftlichen Umfeldes sind bei den Berechnungen bereits berücksichtigt und werden weiterhin als gut tragbar eingeschätzt. Insofern rechnet die Bundesanstalt auch künftig nicht mit signifikanten Auswirkungen auf die Kreditversorgung oder deren Preisgestaltung.

Die Schwere des Eingriffs ist vergleichsweise gering. Durchgeführte Berechnungen auf Basis des Wohnimmobilienstresstests der Deutschen Bundesbank und nachgelagerte Kapitalbelastungsrechnungen indizieren, dass betroffene Institute in aller Regel die Kapitalanforderung aus dem sektoralen Systemrisikopuffer problemlos aus ihrem Überschusskapital decken können. Nur bei einer kleineren Anzahl von Instituten entsteht ein extern zu deckender Kapitalbedarf; die hierdurch entstehenden Nachteile resultieren aus der gesetzlich intendierten Lenkungswirkung. Grundsätzlich können Institute damit weiterhin Wohnimmobiliendarlehen vergeben, allerdings unter Inkaufnahme einer zusätzlichen Kapitalbelastung. Ob und inwieweit die Banken auf diese Anpassung der finanziellen Anreizsituation eingehen, bleibt dabei ihrer Entscheidung überlassen.

Der Eingriff wird weiter dadurch gemildert, dass die Institute zur vollständigen Erfüllung der Kapitalpufferanforderung eine Vorbereitungszeit von zehn Monaten nutzen können (Ziffer 4).

Zu Ziffer 3:
Der Adressatenkreis ergibt sich aus §§ 1 Absatz 1b, 2 Absatz 4 Satz 1, Absatz 5 Satz 1, Absatz 7, Absatz 7a, Absatz 7b, Absatz 9a Satz 1, Absatz 9e sowie § 51c Absatz 4 KWG i.V.m. 10e Absatz 1 KWG.

Zu Ziffer 4:
Zur administrativen Umsetzung und für einen schrittweisen Aufbau des Kapitalpuffers steht den betroffenen Instituten Zeit bis zum 1. Februar 2023 zur Verfügung. Die Befugnis dazu ergibt sich aus § 36 (2) Nr.1 VwVfG. Die unter Ziffer 1 genannte Quote von zwei Prozent muss somit erst ab dem 1. Februar 2023 vollständig erfüllt werden.

Zu Ziffer 5:
Der Bekanntgabezeitpunkt beruht auf § 17 Absatz 2 des Gesetzes über die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz - FinDAG) i. V. m. § 41 Absatz 4 Satz 4 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG).

Rechtsbehelfsbelehrung

Gegen diese Allgemeinverfügung kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht in Bonn oder Frankfurt am Main erhoben werden.

Mark Branson

Fußnoten

  1. 1 EBA/GL/2020/13; https://www.eba.europa.eu/sites/default/documents/files/document_library/Publications/Guidelines/2020/Guidelines%20on%20the%20appropriate%20subsets%20of%20exposures%20in%20the%20application%20of%20the%20systemic%20risk%20buffer/932759/Final%20Report%20on%20EBA%20draft%20GL%20on%20the%20appropriate%20subsets%20of%20exposures%20in%20the%20application%20of%20SyRB.pdf.
  2. 2 https://www.eba.europa.eu/sites/default/documents/files/document_library/Publications/Guidelines/2020/Guidelines%20on%20the%20appropriate%20subsets%20of%20exposures%20in%20the%20application%20of%20the%20systemic%20risk%20buffer/932759/Final%20Report%20on%20EBA%20draft%20GL%20on%20the%20appropriate%20subsets%20of%20exposures%20in%20the%20application%20of%20SyRB.pdf
  3. 3 Schwennicke/Auerbach/Auerbach, 4. Aufl. 2021, KWG § 10e Rn. 9.
  4. 4 Preissteigerungsrate für Q4/2021 ggü. dem Vorjahresquartal nach vdp.
  5. 5 s. Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Februar 2022, S. 60.
  6. 6 s. etwa Ausschuss für Finanzstabilität, Empfehlung 2015/1, S. 6f.
  7. 7 s. Deutsche Bundesbank, Finanzstabilitätsbericht 2021, S. 35.
  8. 8 +7,1%; s. Deutsche Bundesbank, Indikatorensystem Wohnimmobilien (https://www.bundesbank.de/de/statistiken/indikatorensaetze/indikatorensystem-wohnimmobilienmarkt/indikatorensystem-zum-wohnimmobilienmarkt-775496)
  9. 9 s. Deutsche Bundesbank, Finanzstabilitätsbericht 2021, S. 37.
  10. 10 S. etwa Ausschuss für Finanzstabilität, Empfehlung 2015/1, S. 7.

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