Erscheinung:12.03.2002 | Geschäftszeichen III - 20.10.8 § 1 Absatz 4 der Verordnung zum Schutz der Gläubiger von Bausparkassen
Ihr Schreiben vom 22. Februar 2002
Sehr geehrte Damen und Herren,
gemäß § 1 der Verordnung zum Schutz der Gläubiger von Bausparkassen - BSpKV dürfen die für die Zuteilung angesammelten und die bereits zugeteilten, aber von den Bausparern noch nicht in Anspruch genommenen Beträge bis zu 70 vom Hundert nach Maßgabe der Absätze 1 bis 3 vorübergehend zur Gewährung von Darlehen nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 BSpKG verwendet werden. Im Interesse einer ausreichenden Zahlungsbereitschaft für die Auszahlung der Bauspardarlehen und Bausparguthaben dürfen diese Beträge grundsätzlich nur im Rahmen der Kontingentierung der Absätze 1 - 3 vorübergehend für andere Zwecke verwendet werden. Gemäß § 1 Absatz 4 BSpKV kann das Bundesaufsichtsamt auf Antrag in besonderen Fällen jedoch Ausnahmen von § 1 Absatz 1-3 BSpKV zulassen.
Um der fortschreitenden Entwicklung betriebswirtschaftlicher Instrumentarien Rechnung zu tragen, werde ich im Rahmen der Ausnahmeregelung des § 1 Absatz 4 BSpKV künftig auf Antrag einer Bausparkasse auch dann eine Ausnahme von § 1 Absatz 1 - 3 BSpKV zulassen, wenn die Bausparkasse mit Hilfe eines geeigneten, bauspartechnischen Simulationsmodells darlegt, daß sie aufgrund einer nachhaltig gesicherten Liquidität ihres Bausparkollektives jederzeit in der Lage ist, Ansprüche auf Auszahlung der Bauspardarlehen und Bausparguthaben zu befriedigen.
Auf Antrag einer Bausparkasse wird das Bundesaufsichtsamt prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Ausnahme gemäß § 1 Absatz 4 BSpKV vorliegen. Dem Antrag sind Unterlagen beizufügen, in denen die Funktionsweise des Simulationsmodells beispielhaft in nachvollziehbarer Weise erläutert wird. Die Funktionsfähigkeit des Modells ist zu belegen. Sind die Voraussetzungen für eine Ausnahme nach § 1 Absatz 4 BSpKV gegeben, wird das Bundesaufsichtsamt die Antragstellerin von der Kontingentierung des § 1 Absatz 1 - 3 BSpKV durch einen jederzeit widerruflichen Verwaltungsakt befreien. Dieses Modell und seine Ergebnisse sind kein Ersatz für eine umfassende Liquiditätsplanung der Bausparkassen oder für besondere Liquiditätsgrundsätze für Bausparkassen.
I. Anforderungen an die Simulationsmodelle
Als geeignet werde ich ein bauspartechnisches Simulationsmodell dann ansehen, wenn mit seiner Hilfe unter Berücksichtigung der bisherigen Erfahrungswerte und der aktuellen Markteinschätzung die Entwicklung des Bausparkollektives hinreichend genau prognostiziert werden kann. Hierbei sind plausible Annahmen zugrunde zu legen, die ebenso wie das Prognoseverfahren einer kritischen Überprüfung standhalten müssen. Kollektiv-Simulationen dienen im Rahmen der Liquiditätssteuerung der Bausparkasse der mittel- und langfristigen Vorausschau der kollektiven Liquiditätsentwicklung unter bestimmten Prämissen, die wesentlichen Einfluß auf das Ergebnis haben. Zur Modellkonstruktion, regelmäßigen Anpassung, Anwendung und Prüfung ist bausparmathematischer Sachverstand notwendig.
a. Allgemeine Rahmenbedingungen
Es ist sicherzustellen, dass ein Sachverständiger innerhalb einer angemessenen Zeit den Prozess der kollektiven Vorausberechnung (hier: "Simulation") nachvollziehen kann. Dazu bedarf es einer schriftlichen Fixierung
- der aktuellen Programmversion und von Programmänderungen,
- des Aufbaus des Modells und des Ablaufs des Verfahrens einschließlich der Prämissen- und Parameterfestlegung und
- der konkret verwendeten Parameter und Ergebnisse einzelner Programmläufe.
Zur Durchführung der Simulation ist eine angemessene DV-Kapazität notwendig.
b. Horizont und Gliederung
Das bauspartechnische Simulationsmodell soll einen vorliegenden Basiskontenbestand über einen bestimmten Zeitraum fortschreiben und hierbei unter dem Aspekt der Liquiditätssteuerung die Entwicklung der Bauspareinlagen, der Bauspardarlehen sowie der Bewegung der Zuteilungsmasse darstellen. Der Zeithorizont der Kollektivsimulation korrespondiert mit der maximalen Laufzeit der Vor- und Zwischenfinanzierungskredite gemäß dieses Schreibens (Ziffer II.). Der Zeitraum der Kollektivsimulation soll zwei Jahre mehr als die maximale Laufzeit der von der Bausparkasse kollektiv refinanzierten Vor- und Zwischenfinanzierungskredite betragen. Die internen Rechenperioden des Simulationsmodells können sich am System der Zuteilungsperioden orientieren, müssen aber mindestens Vierteljahre umfassen. Die Simulation muss die Liquiditätssituation in angemessenem Detaillierungsgrad darstellen können. Dazu ist in der Simulation eine Gliederung nach wesentlichen Tarifen und Varianten erforderlich. Wesentlich ist ein Tarif, der mindestens 3 % am Neugeschäft oder 3 % des Bestandes ausmacht. Sofern etwa durch Gewinnung einer repräsentativen Stichprobe oder anderer geeigneter Methoden eine Komprimierung des Datenbestandes angestrebt wird, soll die komprimierte Datenmenge den Vertragsbestand hinreichend genau abbilden.
c. Konsistenz einer Simulation
Bei Einstellung eines Tarifs müssen bei ausreichend langer Simulationsdauer die Bestandszahlen im Wesentlichen, d.h. bis auf eventuell zufallsbedingte Schwankungen oder Effekte aus inaktiven Verträgen, auf Null geführt werden. Bei Annahme der Konstanz aller Parameter muss die Simulation im selben Sinne zu einem Beharrungszustand führen.
d. Bestandsübernahme und Parameter
Als Grundlage für die Simulation des Bausparkollektivs sollen hinreichend genaue und aktuelle Vertragsbestandsdaten sowie aktuelle Einflussgrößen dienen. Bei der Bestandsübernahme ist bei den für die Liquiditätssteuerung wesentlichen Ausgangsgrößen (Bausparguthaben, Bauspardarlehen) eine angemessene Genauigkeit zu sichern.
Es ist sicherzustellen, dass die möglichen Verhaltensweisen der Bausparer sowie die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen in ihren Abhängigkeiten und in den Auswirkungen auf das Bausparkollektiv hinreichend genau erfaßt werden.
Die Festlegung der Abhängigkeiten der Einflussgrößen (Parameter), deren Bestimmung den Bausparkassen obliegt, soll durch geeignete Methoden erfolgen. Die festgelegten Parameter sind mindestens jährlich mit den Ergebnissen von Bestandsanalysen abzugleichen. Jede Bestandsanalyse ist daraufhin zu überprüfen, inwieweit ihr Ergebnis für die Zukunft fortgeschrieben werden kann. Dies ist z.B. in folgenden Fällen fraglich:
- neuer Tarif,
- geänderte Geschäftspolitik bei Vor- und Zwischenfinanzierungen,
- geänderte Vertriebsstruktur,
- veränderte Zinslandschaft,
- gesetzliche und sonstige (z.B. volkswirtschaftliche) Änderungen der geschäftlichen Rahmenbedingungen,
- weitere Sondereffekte aus der Vergangenheit oder in der Zukunft.
e. Ergebnisse
Als Basis der Liquiditätssteuerung und als Grundlage für die gemäß dieses Schreibens (Ziffer II.) abzugebenden Meldungen müssen die aus den Tarifen abgeleiteten Bestimmungsgrößen für die Bewegung der Zuteilungsmasse und die erwartete Entwicklung von Bausparguthaben und -darlehen darstellbar sein.
f. Qualitätssicherung
Das Prognoseverfahren einschließlich der zugrundeliegenden Annahmen ist von einem Wirtschaftsprüfer auf seine Plausibilität zu untersuchen und diese von ihm zu bestätigen. Die Bausparkasse legt seinen Bericht und die Bestätigung bei Antragstellung dem Bundesaufsichtsamt vor. In den Folgejahren ist das Prognoseverfahren Gegenstand der Jahresabschlußprüfung. Das Bundesaufsichtsamt behält sich vor, die Berichte im Rahmen einer Prüfung gemäß § 44 KWG zu überprüfen.
Um die Qualität des bauspartechnischen Simulationsmodells zu überprüfen, sind regelmäßig und zeitnah die prognostizierten Werte mit den Ist-Werten zu vergleichen. Bei wesentlichen Abweichungen sind die Ursachen zu ermitteln (Abweichungsanalyse). Es ist sicherzustellen, dass auch im Hinblick auf die Parameterfestlegung eine angemessene Abweichungsanalyse erfolgt. Die Ergebnisse dieser Überprüfungen sind nachvollziehbar zu dokumentieren. Bei Zugrundelegung von für die Vergangenheit tatsächlich festgestellten Parametern müssen sich bei Simulationen, die einen vergangenen Zeitraum als Basis haben, größenordnungsmäßig Ergebnisse einstellen, die tatsächlich aufgetreten sind (Backtesting).
Zumindest am Ende eines jeden Kalenderjahres sind die prognostizierten Werte in dem unter II. dargestellten Meldeformular mit den Ist-Werten zu vergleichen. Zur Beurteilung der Qualität der Prognose wird eine Abweichungskennzahl, die das Bundesaufsichtsamt nach Anhörung der Verbände der Bausparkassen verbindlich festlegt, herangezogen. Als gravierend sieht das Bundesaufsichtsamt eine Abweichung der Ist- von den Planwerten für ein Kalenderjahr an, wenn die Abweichungskennzahl eine Grenze überschreitet, die das Bundesaufsichtsamt verbindlich festlegt. Treten solche gravierende Abweichungen nicht nur einmalig auf und sind die Abweichungen nicht nachweislich auf von der Bausparkasse nicht prognostizierbare exogene Faktoren zurückzuführen, so ist davon auszugehen, dass das bauspartechnische Simulationsmodell nicht geeignet ist, eine Ausnahme von § 1 Abs. 1 - 3 Bausparkassenverordnung zuzulassen. Gravierende Abweichungen sind zu analysieren. Abweichungen, die mindestens 2/3 des Wertes für gravierende Abweichungen erreichen, sind dem Bundesaufsichtsamt mitzuteilen und auf dessen Wunsch ebenfalls zu analysieren. Dem Bundesaufsichtsamt sind die Ergebnisse der Analyse mitzuteilen, die Abweichungsursachen zu begründen und Maßnahmen aufzuzeigen, die geeignet sind, derartige Abweichungen künftig nach Möglichkeit zu verhindern.
II. Ergebnisse der Simulation
Dem Bundesaufsichtsamt sind jährlich die Ergebnisse der vorgenannten Simulationen in folgender Form einzureichen:
Quartalsende | Bausparguthaben (1) |
Bauspardarlehen (2) |
Guthabenüberschuß (Gap) (3) = (1) - (2) |
Sicherheitspuffer: 10 % vom Gap + 0,4 % vom Guthaben je Quartal ansteigend (4) = Puffersatz von (3) und (1) |
Modellbasierte freie Bausparguthaben (5) = (3) - (4) |
Kollektiv refinanzierte VK/ZK (6) |
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März 2002 Juni 2002 Sept 2002 Dez 2002 |
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März 2010 Juni 2010 Sept 2010 Dez 2010 |
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Die Spalten (1) und (2) enthalten Simulationswerte. Bei den Werten in Spalte (2) (Bauspardarlehen) werden Einzelwertberichtigungen nicht abgezogen (insofern besteht eine Differenz zu den Bilanzwerten, die ein zusätzliches Element der Sicherheit darstellt). Darlehenszusagen werden nicht hinzugezählt (Darlehenszusagen schlagen sich in den Simulationswerten künftiger Perioden nieder).
Im Guthabenüberschuß (Gap; Spalte 3) sind die Abzugspositionen modellbedingt bereits enthalten.
Der Sicherheitspuffer (Spalte 4) besteht aus zwei Komponenten. Die erste Komponente ist in Höhe von 10 % des jeweiligen Gaps festgelegt. Die zweite Komponente in Höhe von 0,4 % des Bausparguthabens steigt - beginnend mit dem ersten simulierten Quartal - jedes Quartal um 0,4 Prozentpunkte an und bildet damit einen zur längeren Laufzeit sich öffnenden Trichter. Damit wird berücksichtigt, dass Simulationswerte in ferner Zukunft unsicherer sind als jene in naher Zukunft.
Die sich in Spalte (5) ergebenden Werte (Modellbasierte freie Bausparguthaben) bezeichnen die Mittel, die von der Bausparkasse in Vor- und Zwischenfinanzierungskrediten angelegt werden dürfen. Allerdings ist die längste Laufzeit dieser Kredite auf 10 Jahre begrenzt. Die kollektiv refinanzierten Vor- und Zwischenfinanzierungskredite (Spalte 6) dürfen zu keinem Zeitpunkt den zeitgleichen Wert der modellbasierten freien Bausparguthaben (Spalte 5) übersteigen.
Die Bestandswerte für die kollektiv refinanzierten Vor- und Zwischenfinanzierungskredite (Spalte 6) werden vom Rechnungswesen der Bausparkasse in geeigneter Weise ermittelt. Berücksichtigt werden grundsätzlich nur die zum Meldestichtag bereits ausgezahlten Mittel.
Die für den Berechnungstermin bestehenden Anlagen in kollektiv refinanzierten Zwischenfinanzierungskrediten und Geldanlagen nach § 4 Abs. 3 BSpKG sowie der Kassenbestand und das Bundesbankguthaben dürfen zusammen nicht kleiner sein als der Guthabenüberschuß (Gap).
Die Anlage "Anforderungen an Simulationsmodelle für ein Bausparkollektiv zur Darstellung der kollektiven Liquiditätslage" zu Ihrem Schreiben vom 22. Februar 2002 habe ich zustimmend zur Kenntnis genommen.