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Erscheinung:04.12.2015 | Thema Rückstellungen Wechselwirkungen zwischen Überschussbeteiligung und Neugeschäft

Die Überschussbeteiligungssystematik in der deutschen Lebens-und Krankenversicherung sowie in der Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr (UPR) ist geprägt von Mechanismen auf kollektiver Ebene. Hierdurch kann der konkrete Verlauf des zukünftigen Neugeschäftes auch Auswirkungen auf die zukünftige Überschussbeteiligung des vorhandenen Bestandes haben. Die folgenden Ausführungen gelten für alle drei Arten von Versicherungen.

Einleitung

Ziel unter Solvency II ist es, die Solvenzsituation des Unternehmens auf Basis einer marktkonsistenten Bewertung aller Aktiva und Passiva möglichst realistisch zu beschreiben. Die versicherungstechnischen Rückstellungen sollen dabei zu einem Marktwert bewertet werden, der als der Betrag definiert ist, den das Unternehmen zahlen müsste, wenn es seinen Bestand auf ein anderes Unternehmen übertragen würde (vgl. § 75 Abs. 2 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG)). Die Bewertung der versicherungstechnischen Rückstellungen hat dabei unter der Annahme einer fortgeführten Geschäftstätigkeit des Unternehmens (going-concern-Annahme) zu erfolgen (vgl. Art. 7 delegierte Verordnung (EU) 2015/35 (DVO)).

Berücksichtigung von Wechselwirkungen zwischen Überschussbeteiligung und Neugeschäft

Mögliche Auswirkungen künftigen Neugeschäftes bei der Bewertung der versicherungstechnischen Rückstellungen des vorhandenen Bestandes können grundsätzlich nur dann berücksichtigt werden, falls solches Neugeschäft realistisch zu erwarten ist. Davon kann nicht ausgegangen werden, falls das Unternehmen sich in Abwicklung befindet. Falls in naher Zukunft mit der Abwicklung des Unternehmens zu rechnen ist, ist dies ebenfalls geeignet zu berücksichtigen.

Die Berücksichtigung eines Effektes, welcher die zukünftige Überschussbeteiligung des vorhandenen Bestandes und damit die versicherungstechnischen Rückstellungen vermindert, ist dann nicht als ökonomisch sachgerecht zu bewerten, wenn der betrachtete Effekt nur darauf zurückzuführen ist, dass das erwartete Neugeschäft Mehrleistungen zu Lasten des Bestandes bekommt, die jedoch aus dem Neugeschäft selbst heraus nicht erwirtschaftet werden. In diesem Fall wäre die versicherungstechnische Rückstellung unter Anrechnung dieses rückstellungsmindernden Effektes zu gering, um die erwarteten zukünftigen Leistungen (einschließlich Überschussbeteiligung) im Rahmen der going-concern-Annahmen finanzieren zu können.

Ein Effekt, welcher die zukünftige Überschussbeteiligung des vorhandenen Bestandes und damit die versicherungstechnischen Rückstellungen erhöht, ist analog nur dann anzusetzen, wenn dieser für das aufnehmende Unternehmen unter der going-concern-Annahme eine ökonomische Belastung darstellt. Dies bedeutet, dass die Mehrleistung, die der vorhandene Bestand zu Lasten des erwarteten Neugeschäftes erhält, aus dem Neugeschäft selbst heraus nicht erwirtschaftet werden kann.

Eine einseitige Berücksichtigung rückstellungsmindernder Effekte widerspricht einer vorsichtigen, verlässlichen und objektiven Berechnung der versicherungstechnischen Rückstellungen gemäß § 75 Abs. 1 VAG.

Das Unternehmen hat mit Hilfe angemessener Methoden eine Einschätzung vorzunehmen, welche Auswirkungen des zukünftigen Neugeschäftes auf die Überschussbeteiligung des vorhandenen Bestandes vorliegen und welche dieser Auswirkungen in der Berechnung versicherungstechnischen Rückstellungen zu berücksichtigen sind.

Wenn ein Unternehmen die Auswirkungen zukünftigen Neugeschäftes auf die Überschussbeteiligung des vorhandenen Bestandes berücksichtigt, so hat es hinsichtlich der dabei getroffenen Annahmen und verwendeten Methoden die Anforderungen des Solvency-II-Regelwerks zur Bewertung versicherungstechnischer Rückstellungen zu erfüllen. Dies bedeutet insbesondere, dass

  • das Unternehmen die getroffenen Annahmen über das zukünftige Neugeschäft darlegen und rechtfertigen kann, unter Berücksichtigung der mit den Annahmen verbundenen Unsicherheit und ihrer Bedeutung für die Rückstellungshöhe;
  • das Unternehmen nachweisen kann, dass es für die Quantifizierung des jeweiligen Effektes eine verlässliche Methode angesetzt hat, die der Wesensart, dem Umfang und der Komplexität der zugrunde liegenden Risiken gerecht wird;
  • das Unternehmen in diesem Zusammenhang eine quantitative oder qualitative Bewertung darüber vorgenommen hat, in welchem Ausmaß die angewandte Methode infolge einer Abweichung zwischen den zugrunde liegenden Annahmen der Methode und dem Risikoprofil der den Versicherungsverpflichtungen zugrunde liegenden Risiken zu Fehlern in den Ergebnissen der Methode führen kann (vgl. Art. 56 Abs. 2 DVO).

Unter den Voraussetzungen der Solvency-II-Vorschriften zum Proportionalitätsprinzip bei der Kalkulation der versicherungstechnischen Rückstellungen (vgl. Art. 56 Abs. 4 DVO) kann das Unternehmen eine Bewertung der versicherungstechnischen Rückstellungen des vorhandenen Bestandes alternativ auch unter der vereinfachenden Annahme durchführen, dass das zukünftige Neugeschäft keine Auswirkungen auf die Überschussbeteiligung des vorhandenen Bestandes hat. Dies kann insbesondere dann in Frage kommen, wenn keine verlässlichen Methoden zur Abbildung der betrachteten Effekte existieren.

Bemerkungen zur UPR

Im Hinblick auf die Auswirkungen des zukünftigen Neugeschäftes auf die Überschussbeteiligung des vorhandenen Bestandes ist die UPR mit der Lebensversicherung vergleichbar.

Jedoch sind bei der Abwägung, ob und ggf. mit welchen Methoden Auswirkungen des zukünftigen Neugeschäftes bei der Projektion der zukünftigen Überschussbeteiligung des vorhandenen Bestandes angesetzt werden, die Besonderheiten in der UPR angemessen zu berücksichtigen.

Beispiele für mögliche Auswirkungen des Neugeschäftes auf die Überschussbeteiligung

Auswirkungen aus Abschlusskostenvorfinanzierung

Im deutschen Lebens-und Krankenversicherungsgeschäft sowie der UPR kann es vorkommen, dass die tatsächlichen Abschlusskosten des Neugeschäftes nicht bereits im ersten Versicherungsjahr kalkulatorisch gedeckt sind. In diesem Fall sind negative Abschlusskostenergebnisse zu verzeichnen. Diese reduzieren das versicherungstechnische Ergebnis und damit die zukünftige Überschussbeteiligung.

Die Berücksichtigung von Auswirkungen aus der Abschlusskostenvorfinanzierung ist grundsätzlich sachgerecht. Die geforderte ökonomische Werthaltigkeit kann als gegeben betrachtet werden, falls davon auszugehen ist, dass die Beiträge im Neugeschäft so kalkuliert sind, dass die anfänglichen Abschlusskostenverluste über die gesamte Vertragslaufzeit aus den zukünftigen Kostenanteilen der Beiträge des Neugeschäftes selbst wieder gedeckt werden können. Die erwarteten Abschlusskostenaufwendungen aus zukünftigem Neugeschäft stellen keine Verpflichtung gegenüber dem vorhandenen Bestand dar, die in den Kosten-Zahlungsströmen für die Kalkulation der versicherungstechnischen Rückstellungen zu berücksichtigen sind.

Eine Anrechnung scheidet jedoch aus, wenn der Nachweis verlässlicher und angemessener Methoden bzw. der ökonomischen Werthaltigkeit nicht möglich ist (zum Beispiel weil eine Prognose der zukünftigen Abschlusskosten unvorsichtig erscheint). Ebenfalls ist sicherzustellen, dass etwaige gegenläufige Effekte adäquat berücksichtigt werden. Ferner sind im Falle der UPR den Besonderheiten der UPR Rechnung zu tragen.

Auswirkungen auf die Beteiligung der Versicherungsnehmer an den Kapitalerträgen

Im klassischen Geschäftsmodell der deutschen Lebensversicherung, der Krankenversicherung und der UPR gibt es grundsätzlich keine Zuordnung von Kapitalanlagen zu einzelnen Teilbeständen. Es ist zum Beispiel in der Lebensversicherung üblich, im Rahmen der Überschussbeteiligung eine für alle Versicherungsnehmer einheitliche Gesamtverzinsung zu gewähren. Für die nach Art der Lebensversicherung betriebene Krankenversicherung orientiert sich die nach §150 VAG gewährte Direktgutschrift ebenfalls an einer einheitlichen Verzinsung. In Phasen, in denen sich die mit Neuanlagen erzielbaren Renditen deutlich von den Renditen der Bestandskapitalanlagen unterscheiden, könnte dies zu materiellen Wechselwirkungen zwischen dem Umfang des Neugeschäftes und der zukünftigen Überschussbeteiligung des vorhandenen Bestandes führen.

Im Falle einer rückstellungsmindernden Wirkung dieser Vererbung von Kapitalerträgen ist die Anforderung an die ökonomische Werthaltigkeit nicht erfüllt. Die Reduzierung der zukünftigen Überschussbeteiligung des vorhandenen Bestandes beruht in diesem Fall darauf, dass das zukünftige Neugeschäft Mehrleistungen erhält, die es nicht aus eigener Kraft sondern zu Lasten des vorhandenen Bestandes finanziert. Die Berücksichtigung dieses Effektes bei der Kalkulation der versicherungstechnischen Rückstellung scheidet daher aus.

Dieser Effekt wäre nach Einschätzung der BaFin darüber hinaus auch kaum verlässlich quantifizierbar und würde in der Realität auch nur eingeschränkt auftreten, da das Unternehmen sicherstellen müsste, eine Spekulation zu Lasten des Bestandes zu verhindern (siehe auch Rundschreiben R 8/2010 (VA)).

Analog würde dieser Effekt im Falle einer rückstellungserhöhenden Wirkung keine ökonomische Belastung darstellen und muss daher auch in diesem Fall bei der Projektion der zukünftigen Überschussbeteiligung nicht berücksichtigt werden.

Wechselwirkung zwischen RfB und zukünftigem Neugeschäft

Mittel, die der Rückstellung für Beitragsrückerstattung (RfB) zugeführt werden, dürfen grundsätzlich nur für die Überschussbeteiligung der Versicherungsnehmer verwendet werden. Sie kommen dabei aber nicht zwangsläufig dem Bestand zu Gute, der sie erwirtschaftet hat. Befindet sich ein Bestand z.B. in einem Gleichgewichtszustand, in dem das durch Vertragsbeendigungen wegfallende Geschäft kontinuierlich durch Neugeschäft ersetzt wird, so kann es realistisch sein, dass die ungebundene RfB im Zeitverlauf stabil gehalten wird. Ein systematischer Abbau der ungebundenen RfB zu Gunsten des vorhandenen Bestandes findet dann nicht statt. Dies kommt implizit einer kontinuierlichen „Vererbung“ von RfB-Mitteln an das künftige Neugeschäft gleich. Ein Versicherer ohne Neugeschäft müsste die vorhandene RfB dagegen im Abwicklungszeitraum vollumfänglich an den vorhandenen Bestand ausschütten. In der Realität kann die zukünftige Überschussbeteiligung durch diesen RfB-Vererbungseffekt daher niedriger ausfallen, als es bei einem Versicherer ohne Neugeschäft der Fall wäre.
Neben der Prognose des zukünftigen Neugeschäftsvolumens sind für eine Modellierung von RfB-Vererbungseffekten auch konkrete Annahmen über Produktmix, Produktgestaltung und Zahlungsströme des erwarteten zukünftigen Neugeschäftes erforderlich. Zudem ist bei der Berechnung der Überschussfonds sicherzustellen, dass keine doppelte Anrechnung von Eigenmitteln vorgenommen wird. Vor dem Hintergrund dieser Komplexität erscheint der Nachweis einer verlässlichen und angemessenen Berechnungsmethode und die Erfüllung der weiteren genannten Bedingungen schwer vorstellbar. Der Ansatz dieses Effektes scheidet aber ohne diesen Nachweis aus.

Auswirkungen auf Beteiligung der Versicherungsnehmer an den Risikoergebnissen

Die Auswirkungen des zukünftigen Neugeschäftes auf die Beteiligung der Versicherungsnehmer an den Risikoergebnissen wird im Folgenden für die Lebens-und Krankenversicherungen beispielhaft erläutert:
In der Lebensversicherung ist es bei Risikoversicherungen üblich, die Überschussbeteiligung in Form eines Beitragsrabattes zu gewähren. In der Regel adjustieren die Lebensversicherer die Höhe dieses Beitragsrabattes so, dass er nach Möglichkeit über die gesamte Laufzeit des einzelnen Vertrages konstant gehalten wird. Tatsächlich verläuft die Überschussentstehung bei Risikoversicherungen jedoch in der Regel nicht gleichmäßig über die Vertragslaufzeit. So können je nach Produkt die jährlichen Risikobeiträge im Zeitablauf ansteigen oder fallen. Selektionseffekte auf Grund von Risikoprüfungen und Wartezeiten wirken sich besonders in den ersten Vertragsjahren des zukünftigen Neugeschäftes aus und Sicherheiten in den verwendeten Ausscheideordnungen können altersabhängig variieren.

Diese teils gegenläufigen Effekte können einerseits dazu führen, dass die Überschussbeteiligung des zukünftigen Neugeschäftes zunächst aus Überschüssen des vorhandenen Bestandes vorfinanziert wird. Eine solche Wechselwirkung zwischen vorhandenem Bestand und zukünftigem Neugeschäft hätte dann eine rückstellungsmindernde Wirkung. Umgekehrt kann es aber auch passieren, dass Überschüsse des zukünftigen Neugeschäftes zunächst teilweise zur Finanzierung der Überschussbeteiligung des Bestandes verwendet werden. Dies hätte dann eine rückstellungserhöhende Wirkung.

Im klassischen Geschäftsmodell der nach Art der Leben betriebenen Krankenversicherung gibt es außer der Beteiligung der Versicherungsnehmer an den Kapitalerträgen grundsätzlich keine Zuordnung von sonstigen Überschüssen zu einzelnen Teilbeständen oder Verträgen. Eine Ausnahme bildet die Pflegepflichtversicherung (PPV), für die im Rahmen des Poolvertrages jährlich ein auf jeden Krankenversicherer entfallender anteiliger Rohüberschuss ermittelt wird, der vorrangig für die PPV zu verwenden ist. Daneben können aber auch gesetzliche oder vertragliche Vereinbarungen existieren, die abhängig oder unabhängig vom jeweiligen Geschäftsverlauf individuelle Überschussbeteiligungen nach sich ziehen. Unbeschadet dieser Ausnahmen besteht eine Wechselwirkung zwischen positiven und negativen überschussrelevanten Effekten, die das Neugeschäft auf den Bestand ausübt und umgekehrt. So führt bspw. Neugeschäft aufgrund der zu erwartenden überrechnungsmäßigen Selektionsersparnisse grundsätzlich zu höheren Risikogewinnen, während das Frühstorno in den ersten Jahren der Bestandszugehörigkeit sich unter Umständen negativ auf das Risikoergebnis auswirken kann.

Im Zusammenhang mit den Auswirkungen des zukünftigen Neugeschäftes auf die Risikoergebnisse besteht in der Regel also ein komplexes Wechselspiel zwischen verschiedenen teilweise gegenläufigen Effekten. Sollen rückstellungsmindernde Wechselwirkungen in Bezug auf das Risikoergebnis angesetzt werden, so müssten auch die gegenläufigen und somit rückstellungserhöhenden Wechselwirkungen adäquat berücksichtigt werden. Vor dem Hintergrund der hohen Komplexität erscheint der Nachweis einer verlässlichen und angemessenen Berechnungsmethode und die Erfüllung der weiteren genannten Bedingungen schwer vorstellbar. Der Ansatz rückstellungsmindernder Effekte scheidet aber ohne diesen Nachweis aus.

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