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Erscheinung:27.07.2016 | Thema Solvabilität Auslegungsentscheidung zur Unterdeckung der Solvabilitätskapitalanforderung oder der Mindestkapitalanforderung

Auslegungsentscheidung zur Unterdeckung der Solvabilitätskapitalanforderung

1. Die Anzeigepflicht nach §§ 134 Abs. 1, 135 Abs. 1 VAG bei drohender Unterdeckung der Solvabilitätskapitalanforderung oder der Mindestkapitalanforderung innerhalb der nächsten drei Monate besteht, sobald ein Unternehmen feststellt, dass eine Unterdeckung innerhalb der nächsten drei Monate wahrscheinlicher ist als die Einhaltung der Solvabilitätskapitalanforderung bzw. der Mindestkapitalanforderung.

2. Das unmittelbare Ergreifen von Maßnahmen, die die drohende Unterdeckung abwenden, entbindet nicht von der Anzeigepflicht. Es gibt auch keine Bagatellgrenze für die Anzeigepflicht.

3. Die Anzeige ist unverzüglich nach Feststellung der drohenden Unterdeckung vorzunehmen. Unverzüglich bedeutet ohne schuldhaftes Zögern. Dies wird bei einer drohenden Unterdeckung der Solvabilitätskapitalanforderung angenommen, wenn die Anzeige innerhalb von fünf Arbeitstagen ab Feststellung der drohenden Unterdeckung eingegangen ist. Bei einer drohenden Unterdeckung der Mindestkapitalanforderung muss die Anzeige spätestens am dritten Arbeitstag nach Feststellung bei der Aufsichtsbehörde eingegangen sein. Zur Fristwahrung reichen ein Anruf oder ein Fax bei dem zuständigen Aufseher bzw. eine E-Mail an das Postfach des zuständigen Referats aus; die außerdem umgehend vorzunehmende postalische Mitteilung kann später eingehen.

4. Die Anzeige gegenüber der Aufsichtsbehörde hat durch den Vorstand des Unternehmens zu erfolgen. Neben dem Zeitpunkt der Feststellung der drohenden Unterdeckung und dem Zeitpunkt ihres voraussichtlichen Eintritts ist die potentielle Höhe der Unterdeckung anzugeben.

5. Eine drohende Unterdeckung ist bereits dann festgestellt, wenn das Unternehmen selbst von einer zukünftigen Unterdeckung ausgeht, auch wenn (noch) keine genaue Berechnung der Bedeckung vorgenommen wurde. Bestehen lediglich Anhaltspunkte für eine mögliche Unterdeckung, ist diese erst festgestellt, wenn eine Berechnung der Bedeckung vorgenommen wird und sich dabei eine Unterdeckung ergibt. Anhaltspunkte für eine mögliche Unterdeckung verpflichten das Unternehmen, eine Berechnung unverzüglich durchzuführen. Der Zeitpunkt der Feststellung verändert sich nicht, wenn weitere Berechnungen vorgenommen werden, aufgrund derer die Höhe der Unterdeckung abweichend von der ersten Berechnung ermittelt wird.

6. Unternehmen haben angemessene Prozesse einzurichten um sicherzustellen, dass Anhaltspunkten für den (drohenden oder tatsächlichen) Eintritt einer Unterdeckung umgehend nachgegangen wird und die Anhaltspunkte sowie das Ergebnis der Überprüfung unverzüglich an die Geschäftsleitung und von dort ggf. fristgerecht an die Aufsichtsbehörde kommuniziert werden.

7. Bei Eintritt einer Unterdeckung der Solvabilitätskapitalanforderung oder der Mindestkapitalanforderung ist ungeachtet einer bereits erfolgten Anzeige einer drohenden Unterdeckung dieser Umstand der Aufsichtsbehörde unverzüglich durch den Vorstand des Unternehmens mitzuteilen. „Unverzüglich“ ist dabei genauso zu verstehen, wie bei der Feststellung einer drohenden Unterdeckung.

8. Zum Inhalt der Anzeige über das Vorliegen einer Unterdeckung gehören die Angabe:

  • des Zeitpunkts der Feststellung der Unterdeckung und wie das Unternehmen auf die Unterdeckung aufmerksam geworden ist,
  • wie lange die Unterdeckung wahrscheinlich schon besteht,
  • der Höhe der Unterdeckung,
  • der eingeleiteten Maßnahmen, sofern bereits Gegenmaßnahmen ergriffen wurden.

Soweit erforderliche Angaben noch nicht möglich sind, hat das Unternehmen sie so schnell wie möglich nachzuholen; die unverzügliche Meldung an die Aufsichtsbehörde darf nicht verzögert werden, weil noch Informationen fehlen.

9. Unternehmen haben nach Feststellung einer Unterdeckung unaufgefordert innerhalb von zwei Monaten bei einer Unterdeckung der Solvabilitätskapitalanforderung bzw. innerhalb von einem Monat bei einer Unterdeckung der Mindestkapitalanforderung einen Sanierungs- bzw. Finanzierungsplan bei der Aufsichtsbehörde zur Genehmigung vorzulegen. Diese Fristen können nicht verlängert werden; auch ggf. erforderliche Nachbesserungen des Planes um Genehmigungshindernisse auszuräumen sind nur innerhalb dieser Fristen möglich.

10. Wenn sowohl eine Unterdeckung der Solvabilitätskapitalanforderung als auch eine Unterdeckung der Mindestkapitalanforderung vorliegt, laufen die Fristen für beide Ereignisse unabhängig voneinander ab dem Zeitpunkt der Feststellung der jeweiligen Unterdeckung.

11. Ein Sanierungs- oder Finanzierungsplan hat neben den nach § 136 VAG zwingend vorgesehenen Mindestangaben die folgenden Angaben zu enthalten:

  • Schätzungen der Solvabilitätskapitalanforderung und der Mindestkapitalanforderung für drei Zeithorizonte, nämlich das Ende der Wiederherstellungsfrist, das Ende des Geschäftsjahres, in dem die Wiederherstellungsfrist endet und das Ende des folgenden Geschäftsjahres,
  • die Annahmen und Methoden, die zur Ermittlung der Schätzungen verwendet worden sind, einschließlich der Annahmen bezüglich ökonomischer Szenarien,
  • eine Analyse des Unternehmens über die Gründe für die Nichteinhaltung der Solvabilitätskapitalanforderung bzw. der Mindestkapitalanforderung,
  • die bereits ergriffenen und die geplanten Wiederherstellungsmaßnahmen, einschließlich des Zeitplanes und der erwarteten Effekte dieser Maßnahmen in Bezug auf die Wiederherstellung der Solvabilitätskapitalanforderung bzw. Mindestkapitalanforderung und in Bezug auf den Geschäftsbetrieb des Unternehmens,
  • eine Analyse, inwiefern die Maßnahmen angemessen sind, eine nachhaltige, d. h. dauerhafte, Einhaltung der Solvabilitätskapitalanforderung bzw. Mindestkapitalanforderung sicherzustellen,
  • etwaige Bedenken oder Vorbehalte, die der Vorstand in Bezug auf den Sanierungs-/Finanzierungsplan hegt. Sofern Wiederherstellungsmaßnahmen Verpflichtungen Dritter beinhalten, sollten entsprechende Nachweise über die von den Dritten eingegangenen Verpflichtungen vorgelegt werden.

12. Die Schätzungen der Finanzmittel nach § 136 Abs. 1 Nr. 4 VAG erfordern u. a. Schätzungen der anrechnungsfähigen Eigenmittel, die zu in Nr. 11 genannten Zeitpunkten zur Verfügung stehen unter Angabe ihrer Hauptbestandteile und ihrer Einstufung in Tiers. Die Angaben zur Rückversicherungspolitik nach § 136 Abs. 1 Nr. 5 VAG müssen ggf. explizit vorgesehene Änderungen der Rückversicherungspolitik und deren potentielle Auswirkungen auf das Rückversicherungsprogramm berücksichtigen.

13. Eine Verlängerung der Wiederherstellungsfrist für die Einhaltung der Solvabilitätskapitalanforderung von sechs Monaten um maximal drei Monate (§ 134 Abs. 3 Satz 2 VAG) wird Solvency II-Unternehmen nur in Ausnahmefällen gewährt und erfordert eine überzeugende Begründung durch das betroffene Unternehmen, warum eine Fristverlängerung ausnahmsweise gerechtfertigt sei.

14. Bei Unterdeckungen der Mindestkapitalanforderung und wesentlichen Unterdeckungen der Solvabilitätskapitalanforderung besteht für Solvency II-Unternehmen eine Verpflichtung zur Veröffentlichung der Unterdeckung im nächsten Solvabilitäts- und Finanzbericht (SFCR). Eine wesentliche Unterdeckung der Solvabilitätskapitalanforderung ist anzunehmen, wenn die anrechnungsfähigen Eigenmittel 85% oder weniger der Solvabilitätskapitalanforderung ausmachen. In bestimmten Fällen muss eine Veröffentlichung auch noch im laufenden Geschäftsjahr erfolgen (§ 42 Abs. 1 Nr. 1 und 2 VAG). Ist ein Sanierungs- oder Finanzierungsplan nicht mehr genehmigungsfähig, weil das betroffene Unternehmen ihn nicht fristgerecht vorgelegt hat, darf eine Aktualisierung des SFCR auch dann nicht unterbleiben, wenn die Aufsichtsbehörde trotzdem von einer fristgerechten Beseitigung der Unterdeckung durch das Unternehmen überzeugt ist.

15. Unterdeckungen, deren Eintritt ein Unternehmen unter Verstoß gegen die Verpflichtung zur jederzeitigen Einhaltung der aufsichtsrechtlichen Kapitalanforderungen billigend in Kauf genommen oder grob fahrlässig nicht vermieden hat, können Einfluss auf die (laufende) Beurteilung der Einhaltung der Fit & Proper-Anforderungen bei Mitgliedern des Vorstands haben. Unterdeckungen, die aus anderen Gründen eintreten, können die Aufsichtsbehörde veranlassen, eine Verbesserung interner Prozesse und Verfahren zu verlangen.

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