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Erscheinung:07.04.2017 | Thema Kapitalanlagen von Versicherern Behandlung von Staatenrisiken unter Solvency II im Rahmen des Grundsatzes der unternehmerischen Vorsicht, im ORSA und im Rahmen der eigenen Kreditrisikobeurteilung

Behandlung von Staatenrisiken unter Solvency II

I. Anwendungsbereich

1. Diese Auslegungsentscheidung befasst sich mit dem Aufsichtssystem Solvency II (Richtlinie 2009/138/EG) und richtet sich deshalb an alle inländischen Erst- und Rückversicherungsunternehmen gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 7 Nr. 33 und 34 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) soweit sie nicht Sterbekassen gemäß § 218 Abs. 1 VAG, Pensionskassen gemäß § 232 Abs. 1 VAG oder kleine Versicherungsunternehmen gemäß § 211 VAG sind oder als Rückversicherungsunternehmen ihre Tätigkeit nach § 165 Abs. 1 VAG eingestellt haben.

2. Außerdem ist die Auslegungsentscheidung an alle Versicherungsgruppen gerichtet, die ausschließlich aus inländischen Erst- und Rückversicherungsunternehmen bestehen, sowie Versicherungsgruppen mit Erst- oder Rückversicherungsunternehmen in anderen Mitglied- oder Vertragsstaaten gemäß § 7 Nr. 22 VAG, für die nach den in § 279 Abs. 2 VAG genannten Kriterien die Aufgabe der für die Gruppenaufsicht zuständigen Behörde der BaFin zufällt.

3. Nicht angesprochen sind Erst- und Rückversicherungsunternehmen, die den Abschluss neuer Versicherungs- oder Rückversicherungsverträge zum 1. Januar 2016 eingestellt haben und ihr Portfolio ausschließlich mit dem Ziel verwalten, ihre Tätigkeit einzustellen, und die weiteren in § 343 VAG genannten Voraussetzungen erfüllen.

4. Diese Auslegungsentscheidung richtet sich vorrangig an Unternehmen, welche die Standardformel anwenden. Hintergrund ist, dass Unternehmen, die ihre Solvabilitätskapitalanforderung mit einem internen Modell berechnen, im Gegensatz zu Unternehmen, die die Standardformel anwenden, wesentliche Staatenrisiken bereits berücksichtigen. Die BaFin erwartet aber auch bei diesen Unternehmen eine angemessene Behandlung der Risiken im Risikomanagement (§ 26 VAG).

II. Vorbemerkungen

5. Sofern Unternehmen Risikoexponierungen in Form von Anleihen oder Darlehen gegenüber Zentralstaaten im Bestand haben, die Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums oder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sind, müssen sie sich unabhängig von der Eigenmittelunterlegung mit diesem Engagement und den hiermit verbundenen Risiken auseinandersetzen. Dies gilt auch für Anleihen gegenüber regionalen und lokalen Gebietskörperschaften im Sinne von Art. 1 der Durchführungsverordnung (EU) 2015/2011 der Kommission vom 11. November 2015 zur Festlegung technischer Durchführungsstandards im Hinblick auf die Verzeichnisse regionaler und lokaler Gebietskörperschaften, für die gemäß der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates gilt, dass Risiken ihnen gegenüber als Risiken gegenüber dem Zentralstaat zu betrachten sind. In der Auslegungsentscheidung wird im Weiteren zur Vereinfachung allein auf „Staatsanleihen und/oder Darlehen an Staaten“ oder „Staatenrisiken“ Bezug genommen. Für diese Gebietskörperschaften gelten die aufgezeigten Grundsätze und Prozesse aber entsprechend.

6. Dass eine Auseinandersetzung mit den entsprechenden Risiken geboten ist, ergibt sich aus dem VAG und wird in den Leitlinien zum Governance-System und zur unternehmenseigenen Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung der Europäischen Versicherungsaufsichtsbehörde EIOPA spezifiziert.

7. Der Gesetzgeber hat eine Auseinandersetzung mit Risiken im Rahmen des Grundsatzes der unternehmerischen Vorsicht nach § 124 VAG, innerhalb der Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung gemäß § 27 VAG und im Rahmen der eigenen Kreditrisikobewertung nach § 28 Abs. 2 VAG in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 über Ratingagenturen (im Weiteren: Rating-Verordnung) explizit vorgesehen. Unternehmen haben sich daher in diesen drei Bereichen insbesondere umfassend und intensiv mit Staatenrisiken auseinanderzusetzen.

8. Die in dieser Auslegungsentscheidung aufgezeigten Grundsätze und Prozesse sind als sinnvolle Verfahrensweisen (Good-Practice-Ansätze) zu verstehen, an denen sich die Unternehmen bei der unternehmensindividuellen Behandlung von Staatenrisiken orientieren können. Die Aufsicht erwartet, dass die Unternehmen, insbesondere im Falle eines hohen Staatenexposures (abhängig beispielsweise vom Volumen des Staatenexposures am Anteil der Kapitalanlage, Diversifikation und Konzentrationen), eine umfassende und intensive Auseinandersetzung mit den entsprechenden Staatenrisiken zu jeder Zeit sicherstellen und dies in angemessener Weise nachprüfbar dokumentieren. Da es sich hierbei um eine ureigene Beurteilung des Unternehmens handelt, sind alternative oder ergänzende Verfahrensweisen zu den in dieser Auslegungsentscheidung dargelegten Grundsätzen und Prozessen möglich. Sie können geboten sein, wenn dies zu einem angemessenen Umgang mit den Risiken führt.

9. Die in dieser Auslegungsentscheidung aufgezeigten Grundsätze und Prozesse können gegebenenfalls auch auf die Behandlung von Risiken weiterer Anlagekategorien unter Berücksichtigung der jeweiligen Besonderheiten entsprechend übertragen werden.

III. Proportionalität

10. Bei der unternehmensindividuellen Umsetzung der Grundsätze und Prozesse hinsichtlich der Behandlung von Staatenrisiken im Rahmen des Grundsatzes der unternehmerischen Vorsicht, der unternehmenseigenen Risiko-und Solvabilitätsbeurteilung und im Rahmen der eigenen Kreditrisikobewertung spielt das Proportionalitätsprinzip eine erhebliche Rolle. Die Anforderungen sind auf eine Weise zu erfüllen, die der Wesensart, dem Umfang und der Komplexität der mit der Tätigkeit des Unternehmens einhergehenden Risiken gerecht wird (vgl. § 296 Abs. 1 VAG). Das Proportionalitätsprinzip knüpft also an das individuelle Risikoprofil eines jeden Unternehmens an.

11. Proportionalität wirkt sich darauf aus, wie Anforderungen erfüllt werden können. So können bei Unternehmen mit schwächer ausgeprägtem Risikoprofil einfachere Strukturen und Prozesse ausreichend sein. Umgekehrt kann das Proportionalitätsprinzip bei Unternehmen mit stärker ausgeprägtem Risikoprofil aufwändigere Strukturen und Prozesse erfordern. Die Einschätzung, welche Gestaltung als proportional anzusehen ist, ist in Bezug auf das einzelne Unternehmen nicht statisch, sondern passt sich im Zeitablauf den sich verändernden Gegebenheiten an. In diesem Sinne haben die Unternehmen und Gruppen zu prüfen, ob und wie die vorhandenen Strukturen und Prozesse weiter entwickelt werden können und gegebenenfalls müssen.

IV. Grundsatz der unternehmerischen Vorsicht

12. Nach § 124 Abs. 1 S. 1 VAG müssen Unternehmen ihre gesamten Vermögenswerte und damit auch Staatsanleihen und Darlehen an Staaten nach dem Grundsatz der unternehmerischen Vorsicht anlegen.

13. Die Unternehmen dürfen nach § 124 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 VAG ausschließlich in Vermögenswerte investieren, deren Risiken sie hinreichend identifizieren, bewerten, überwachen, steuern, kontrollieren und in ihre Berichterstattung einbeziehen sowie bei der Beurteilung ihres Solvabilitätsbedarfs gemäß § 27 Abs. 2 Nr. 1 VAG hinreichend berücksichtigen können. Insbesondere sollte das Unternehmen nach der EIOPA-Leitlinie 27 zum Governance-System bei seinen Anlageentscheidungen den mit den Anlagen verbundenen Risiken Rechnung tragen, ohne sich darauf zu verlassen, dass das Risiko durch die Kapitalanforderungen hinreichend gedeckt wird. Dies bedeutet, dass das Unternehmen, unabhängig von den den Eigenmittelunterlegungen zu Grunde liegenden Erwägungsgründen, eine eigene Risikoeinschätzung treffen muss.

14. Die spezifischen Staatenrisiken können nur dann hinreichend identifiziert und bewertet werden, wenn das Unternehmen über eine ausreichende Informationsgrundlage verfügt. In einem ersten Schritt müssen die Unternehmen festlegen, welche Informationen bei der Identifikation und Bewertung von Staatenrisiken herangezogen werden sollen.

15. Der EIOPA-Leitlinie 27 zum Governance-System folgend dürfen sich Unternehmen hierbei nicht ausschließlich auf die von Dritten, wie Ratingagenturen, Finanzinstituten und Vermögensverwaltern, bereitgestellten Informationen stützen. Dies bedeutet aber keinesfalls, dass nicht auf die Informationen Dritter zugegriffen werden darf. Abhängig von dem zu betrachtenden Finanzinstrument und von dem im Unternehmen vorhandenen Wissen und den vorhandenen Erfahrungen kann es aus Sicht der BaFin sinnvoll sein, zusätzlich Rat von Dritten – insbesondere einschlägigen Experten – einzuholen. Informationen von Dritten stellen somit aus Sicht der Aufsicht ein wichtiges Instrument zur Beurteilung eines Finanzinstruments dar.

16. Das Unternehmen hat darüber hinaus nach der EIOPA-Leitlinie 27 zum Governance-System eine Reihe eigener wichtiger Risikoindikatoren zu entwickeln. Diese Entwicklung hat unternehmensindividuell zu erfolgen und sollte eine Vergleichbarkeit, z.B. im Hinblick auf die Entwicklung verschiedener Staaten, ermöglichen.

17. Die Kriterien, die für die Identifikation von Staatenrisiken herangezogen werden, sind von einer Reihe unterschiedlicher Faktoren abhängig. Beispielsweise könnten von einem Unternehmen folgende Aspekte in die Betrachtung einbezogen werden: Die rechtliche, politische, wirtschaftliche und finanzielle Situation des Schuldners, relevante volkswirtschaftliche Kennzahlen sowie deren vergangene und/oder prognostizierte Entwicklungen, die Defizit und Schuldenquote eines Staates, die Wettbewerbsfähigkeit des Staates, die Situation des Arbeitsmarktes und die Inflation. Weitere Kriterien können beispielsweise Garantien oder Bürgschaften sein, denen der Staat ausgesetzt ist. Auch eine Analyse der Stabilität der Regierung und des Rechts- und Finanzsystems sowie der Rechte und Verpflichtungen, die mit Mitgliedschaften in internationalen Organisationen verbunden sind, kann sinnvoll sein. Auch ein Vergleich der Staaten untereinander, etwa durch eine Betrachtung zurückliegender Datenreihen dahingehend, ob sich Entwicklungen oder Trends abzeichnen, kann geboten sein.

18. Bei der Bewertung von Staatenrisiken spielt die Quantifizierung der Risiken eine entscheidende Rolle. Beispielsweise sind Zahlungsausfälle in der Vergangenheit, zumindest in der Europäischen Union, äußerst selten eingetreten. Eine statistische Auswertung, die bei der Risikoquantifizierung grundsätzlich geboten erscheint, ist im Zusammenhang mit Staatenrisiken daher nur begrenzt oder überhaupt nicht möglich. Das Unternehmen hat hier vielmehr, losgelöst von statistischen Daten, Eintrittswahrscheinlichkeiten für den Ausfall der Anleihe eines Staates zu ermitteln. Diese sollten auch die Berechnung von Ausfallwahrscheinlichkeiten von mehreren Staaten zur nahezu gleichen Zeit (Stichwort: Ansteckungsgefahr) beinhalten. In die Überlegungen einfließen können auch die Folgen einer Aktivierung möglicherweise in Betracht kommender Sicherungsmechanismen, wie beispielsweise des Europäischen Stabilitätsmechanismus.

19. Des Weiteren sind gemäß § 124 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 VAG sämtliche Vermögensanlagen so anzulegen, dass Sicherheit, Qualität, Liquidität und Rentabilität des Portfolios als Ganzes sichergestellt sind. Das Unternehmen muss nach der EIOPA-Leitlinie 25 zum Governance-System (Buchstabe a und c) in einem ersten Schritt unternehmensindividuell festlegen, welchen Grad an Sicherheit, Qualität, Liquidität, Rentabilität und Verfügbarkeit in Bezug auf das gesamte Vermögensportfolio es anstrebt.

20. Das Unternehmen muss auch entscheiden, wie dieser Grad erreicht werden soll. Die Punkte sind in die Risikomanagementleitlinien zum Anlagerisiko aufzunehmen, vgl. hierzu auch EIOPA-Leitlinie 25 zum Governance-System (Buchstabe a, b und c).

21. Darüber hinaus sieht § 124 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 VAG vor, dass Anlagen in angemessener Weise so zu mischen und zu streuen sind, dass eine übermäßige Abhängigkeit von einem bestimmten Vermögenswert oder Emittenten oder von einer bestimmten Unternehmensgruppe oder einem geographischen Raum und eine übermäßige Risikokonzentration im Portfolio als Ganzem vermieden werden. Nach § 124 Abs. 1 S. 2 Nr. 8 VAG dürfen Vermögensanlagen bei demselben Emittenten oder bei Emittenten, die derselben Unternehmensgruppe angehören, nicht zu einer übermäßigen Risikokonzentration führen. Dies bedeutet, dass sich das Unternehmen eigene Rahmenbedingungen quantitativer Natur gegebenenfalls in Form eines internen Anlagekatalogs auferlegen muss.

22. In Bezug auf Staatsanleihen und Darlehen an Staaten ist zu entscheiden, ob diese als mögliche Anlagekategorie in den Anlagekatalog aufgenommen werden. Sofern das Unternehmen Staatsanleihen und/oder Darlehen an Staaten in den Anlagekatalog aufgenommen hat, sind die quantitativen Grenzen unternehmensindividuell festzulegen. Grundlage der Entscheidung für die Höhe des Exposures bei einem einzelnen Staat als Schuldner wird insbesondere der seitens des Unternehmens angestrebte Grad an Sicherheit, Qualität, Liquidität, Rentabilität und Verfügbarkeit des Portfolios als Ganzes sein. Die festgelegten quantitativen Grenzen sollen hierbei sicherstellen, dass der angestrebte Grad an Sicherheit, Qualität, Liquidität, Rentabilität und Verfügbarkeit des Portfolios als Ganzes auch tatsächlich vom Unternehmen erreicht wird.

23. Hierbei können Zielkonflikte zwischen einzelnen Anlagegrundsätzen entstehen, beispielsweise zwischen Sicherheit und Rentabilität, mit denen sich das Unternehmen auseinanderzusetzen hat.

24. Aus den Risikomanagementleitlinien für das Anlagerisiko hat entsprechend der EIOPA-Leitlinie 25 zum Governance-System (Buchstabe d) hervorzugehen, dass sich das Unternehmen mit dem Finanzmarktumfeld auseinandersetzt und dieses entsprechend berücksichtigt. Zum Finanzmarktumfeld gehören alle relevanten unternehmensexternen Faktoren, die Einfluss auf den Wert, die Rendite und die Sicherheit von Kapitalanlagen haben, die das Unternehmen hält oder deren Erwerb beabsichtigt ist. Das Unternehmen hat sich in regelmäßigen Abständen und bei wesentlichen Änderungen während der Anlagedauer mit den entsprechenden Gegebenheiten auseinanderzusetzen.

25. Unternehmen haben in den Risikomanagementleitlinien für das Anlagerisiko den Zusammenhang zwischen dem Marktrisiko und anderen Risiken in ungünstigen Szenarien zu erfassen, vgl. EIOPA-Leitlinie 25 zum Governance-System (Buchstabe f). Unterschiedliche Szenarien sollten hier simuliert und analysiert werden. Als Grundlage können geeignete historische und hypothetische Ereignisse oder Szenarien dienen. Entsprechende Einzelheiten und Details können auch außerhalb der Risikomanagementleitlinie dokumentiert werden.

V. Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung

26. Im Rahmen der Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung (Own Risk and Solvency Assessment – ORSA) analysiert das Versicherungsunternehmen unter anderem sein individuelles Risikoprofil und den daraus resultierenden Solvabilitätsbedarf.

27. Das Unternehmen hat nach § 27 Abs. 2 Nr. 1 VAG eine eigenständige Bewertung des Solvabilitätsbedarfs unter Berücksichtigung des spezifischen Risikoprofils, der festgelegten Risikotoleranzlimite und der Geschäftsstrategie des Unternehmens vorzunehmen. Den sich im Zusammenhang mit Staatsanleihen und/oder Darlehen an Staaten ergebenden Risiken ist hier seitens des Unternehmens entsprechend der Art, dem Umfang und der Komplexität der Risiken angemessen Rechnung zu tragen.

28. Um festzustellen, wie hoch der Solvabilitätsbedarf hinsichtlich des Staatenengagements ist und wie dieser gedeckt werden kann, sollten Unternehmen gegebenenfalls die aus Staatsanleihen und Darlehen an Staaten resultierenden wesentlichen Risiken einem ausreichend breiten Spektrum an unternehmensindividuellen Stresstests oder Szenarioanalysen unterziehen (vgl. EIOPA-Leitlinie 7 für die unternehmenseigene Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung). Hierbei können sich die Unternehmen an den unter Randnummer 14 ff. dargelegten Punkten zum Grundsatz der unternehmerischen Vorsicht orientieren.

29. Das Unternehmen hat die im Rahmen der Ermittlung des Solvabilitätsbedarfs getroffenen Annahmen und Feststellungen samt Begründungen sowie die entsprechend durchgeführten Quantifizierungen zu dokumentieren (vgl. EIOPA-Leitlinie 5 für die unternehmenseigene Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung). Hierbei sollte das Unternehmen im Hinblick auf Staatsanleihen und/oder Darlehen an Staaten nicht nur den Solvabilitätsbedarf für das gesamte Staatenexposure darlegen. Vielmehr sollte aus der Dokumentation hervorgehen, welchen Solvabilitätsbedarf das Unternehmen für Staatsanleihen und/oder Darlehen an einzelne Staaten vorsieht. Hierbei steht es den Unternehmen frei, beispielsweise vergleichbare Staaten in Gruppen zusammenzufassen und mit einem einheitlichen Unterlegungsfaktor zu gewichten.

30. Das Spreadrisiko ist das Risiko der Veränderung der Höhe oder der Volatilität der Kreditspreads, also der Rendite-Marge über der risikofreien Zinskurve. Es spiegelt auch die Markteinschätzung hinsichtlich der Ausfallwahrscheinlichkeit einzelner Emittenten und Emissionen wider. Insbesondere in den vergangenen Jahren waren Marktwertverluste aufgrund von Spreadausweitungen einzelner europäischer Staaten sichtbar. Bei der Berechnung des Kapitalbedarfs für Staatsanleihen und Darlehen an Staaten aufgrund des Spreadrisikos hat das Unternehmen eine eigene Einschätzung des Bedarfs an Kapital und anderen Mitteln vorzunehmen. Da es um die ureigene Beurteilung des Unternehmens geht, kann es naturgemäß keine aufsichtsrechtlichen Vorgaben oder Hilfestellungen dazu geben, wie diese Beurteilung im Einzelnen vorzunehmen ist. Ob sich das Unternehmen bei der Berechnung des Solvabilitätsbedarfs für Staatsanleihen und Darlehen an Staaten in Bezug auf das Spreadrisiko daher beispielsweise an der Berechnung des Spreadrisikos von Unternehmensanleihen im Spreadrisikomodul orientiert und diese entsprechend modifiziert oder eine anderen Ansatz wählt, bleibt dem Unternehmen überlassen.

31. Das Konzentrationsrisiko umfasst nach § 7 Nr. 17 VAG sämtliche mit Risiken behaftete Engagements mit einem Ausfallpotenzial, das umfangreich genug ist, um die Solvabilität oder die Finanzlage der Versicherungsunternehmen zu gefährden. Bei der Berechnung des Solvabilitätsbedarfs für Staatsanleihen und Darlehen an Staaten innerhalb des Konzentrationsrisikomoduls hat das Unternehmen ebenfalls eine eigene Einschätzung vorzunehmen (vgl. Randnummer 30).

32. Das Unternehmen hat in einem weiteren Schritt nach § 27 Abs. 2 Nr. 3 VAG im Rahmen des ORSA zu prüfen, ob durch die bei einem Großteil der Unternehmen bestehende Abweichung bei Staatsanleihen/Darlehen an Staaten gegebenenfalls zusammen mit anderen über- und/oder unterschätzten Risiken eine wesentliche Abweichung des Risikoprofils des Unternehmens von den Annahmen, die der Berechnung der Solvabilitätskapitalanforderung mit der Standardformel zu Grunde liegt, besteht. Damit würde möglicherweise Handlungsbedarf seitens des Unternehmens ausgelöst (vgl. Randnummer 35).

33. Die Unternehmen haben die Wesentlichkeitsgrenzen selbst entsprechend ihres Risikoprofils anhand geeigneter und nachvollziehbarer Kriterien festzulegen. Orientieren können sie sich dabei an den Schwellenwerten, die die Delegierte Verordnung (EU) 2015/35 der Kommission vom 10. Oktober 2014 zur Ergänzung der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II – im Weiteren: Delegierte Verordnung) in Art. 279 für Kapitalaufschläge vorsieht. Demnach sind Abweichungen von zehn Prozent in der Regel als wesentlich anzusehen. Abweichungen von 15 Prozent gelten als unwiderlegbar wesentlich (vgl. auch Auslegungsentscheidung der BaFin zum ORSA).

34. Wenn eine wesentliche Abweichung verneint wird, weil das Unternehmen eine Gegenrechnung mit überschätzten Risiken vornimmt, ist auf diese Risiken näher einzugehen und das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Gegenrechnung darzulegen (vgl. Art. 283 Abs. 7 der Delegierten Verordnung). Liegen nach Ansicht eines Unternehmens hierbei die Voraussetzungen für eine „Verrechnung“ von überschätzten Risiken vor, ist dieses Ergebnis zu dokumentieren. Dazu gehört insbesondere festzuhalten, warum und in welchem Umfang Risiken überschätzt sein sollen und warum das Unternehmen zu der Auffassung gelangt ist, dass die Voraussetzungen für eine „Verrechnung“ erfüllt sind (vgl. auch Auslegungsentscheidung der BaFin zum ORSA).

35. Bestehen wesentliche Abweichungen, so hat das Unternehmen Überlegungen anzustellen, welche Maßnahmen es ergreifen will. Hierfür steht eine Reihe von Maßnahmen, die von ihrer Intensität für das Unternehmen von unterschiedlicher Natur sind, zur Verfügung (vgl. auch Auslegungsentscheidung der BaFin zum ORSA).

VI. Eigene Kreditrisikobewertungen

36. Die Unternehmen haben nach § 28 Abs. 2 VAG in Verbindung mit Art. 5a Abs. 1 der Rating-Verordnung eigene Kreditrisikobewertungen vorzunehmen.

37. Auch hinsichtlich der eigenen Kreditrisikobewertung von Staatsanleihen/Darlehen an Staaten können sich die Unternehmen vorerst an der im Oktober 2013 auf der Homepage der BaFin veröffentlichten Auslegungsentscheidung zur Durchführung eigener Kreditrisikobewertungen orientieren. Für die Überprüfung externer Staatenratings bietet es sich grundsätzlich an, auf einen Teil der seitens des Unternehmens aufgestellten Grundsätze im Rahmen der Risikomanagementleitlinien für das Anlagerisiko zurückzugreifen. Dies gilt insbesondere für die Kriterien, die für die Identifikation von Staatenrisiken herangezogen werden (vgl. Randnummer 14 ff.).

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