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Erscheinung:01.08.2018 | Thema Fintech „Diese Verdrängungsdebatte ist mir zu oberflächlich.“

Die Finanzwelt durchlebt – bedingt durch die Auswirkungen von Big Data Artificial Intelligence (BDAI) – einen tiefgreifenden Wandel. Etablierte Banken werden sich vor allem dann behaupten, wenn Sie konsequent an ihren Stärken arbeiten, ihre Vorort-Präsenz nutzen und Kunden einen echten Mehrwert bieten.

Interview mit Prof. Dr. Stephan Paul, Inhaber, Lehrstuhl für Finanzierung und Kreditwirtschaft, Ruhr-Universität Bochum

Herr Professor Paul, Bill Gates prophezeite 1994, „banking is necessary, banks are not“. Muss man 2018 sagen, dass er Recht hatte? Wird sich seine Vorhersage in den nächsten Jahren erfüllen?

Mit Verlaub, aber diese Verdrängungsdebatte war und ist mir zu oberflächlich. Was wir erleben, sind doch Metamorphosen, Wandlungsprozesse, wie sie bereits in anderen Branchen zu beobachten waren. Beispielsweise hat man auch Büchern und Zeitungen vor zwei Jahrzehnten das Aus prophezeit. Sie existieren trotz aller wirtschaftlichen Probleme immer noch, haben sich unter dem Druck der Digitalisierung aber gewandelt. So auch in der Kreditwirtschaft: Banken haben ihre in- und externen Prozesse schon erheblich angepasst, müssen aber noch eine lange Wegstrecke gehen, um zukunftsfähig zu bleiben. Meine Prognose lautet daher: Banken wird es auch in 25 Jahren noch geben, sie sehen nur vollkommen anders aus als heute.

Welche Technologie halten Sie auf dem Weg in die Zukunft der Banken für den entscheidenden Game-Changer?

Die Auswertung sehr großer Datenmengen mit Hilfe künstlicher Intelligenz – Big Data Artificial Intelligence (BDAI) – hat sicherlich die gravierendsten Auswirkungen. So sieht man zum Beispiel im Bereich der Vermögensberatung – deren Ausbau sich ja viele Banken angesichts schwacher Zinserträge auf die Fahnen geschrieben haben –, dass das auf BDAI basierende Robo Advisory für einen Grundbedarf des privaten Portfolio-Managements eine sehr effektive und zudem effiziente Lösung sein kann. In diesem Bereich wird die persönliche Beratung sowohl aus Kosten- als auch Qualitätsgründen zunehmend zur zweitbesten Alternative. Noch stärker werden wohl die internen Prozesse der Banken durch BDAI revolutioniert, nehmen Sie nur als Beispiel die Bonitätsprüfungen im Kreditgeschäft.

Was ist mit der Blockchain-Technologie?

Dort sehen wir erste Anbieter, die auf dieser Technologie ihr Geschäftsmodell aufbauen, quasi „Fintech 2.0“. Speziell unter dem Sicherheitsaspekt handelt es sich fraglos um eine Technologie mit Zukunftspotenzial. Wenn ich mir allerdings ansehe, wie viel Energie die Blockchain verbraucht und wie zeitaufwändig die Transaktionen sind, scheint mir die derzeitige Euphorie übertrieben. Dagegen ist BDAI-Kompetenz schon heute entscheidend, wenn man Wettbewerbsvorteile erzielen will. Und hier muss die Kreditwirtschaft aufpassen, gegenüber den Datenriesen aus anderen Branchen nicht ins Hintertreffen zu geraten.

Etablierte Banken und Versicherer versuchen, in eigenen Labs mit agilen Methoden Fintechs bzw. Insurtechs zu kopieren. Glauben Sie, dass es ihnen gelingen wird, den technologischen Vorsprung aufzuholen und am Markt zu bleiben?

Diese Labs schießen ja derzeit wie Pilze aus dem Boden. Doch mit ihrer Einrichtung allein ist es nicht getan. Ausschlaggebend ist, wie die Impulse aus solchen Denkfabriken in die bestehende Organisation hineinwirken und tradierte Unternehmenskulturen verändern. Das Lab darf keine isolierte Insel sein. Es müssen möglichst viele Brücken zum Festland geschlagen werden, damit es zum Innovationstreiber der Organisation werden kann. Selbst dann wird es aber nicht jeder Bank gelingen, an die Spitze des Digitalisierungstrends zu kommen. Das wäre auch zu unwirtschaftlich. Stattdessen wird es, was sich heute schon zeigt, immer mehr Kooperationen zwischen Banken und Versicherungen auf der einen und Fintechs/Insurtechs auf der anderen Seite geben. Die Etablierten und die Neuen werden sich gegenseitig befruchten und verändern – im Sinne von Metamorphosen.

Die Digitalisierung von Geschäftsmodellen setzt zunächst eine Standardisierung von Daten und Prozessen voraus. Diese Standardisierung bringt naturgemäß auch Einbußen bei der Flexibilität mit sich. Wie kritisch sehen Sie diesen Verlust an Flexibilität für den Gesamtmarkt und gibt es hierzu bereits erste Lösungsansätze?

Was die Basisbedarfe sowohl im Privat- als auch im Firmenkundengeschäft angeht, hat die Standardisierung ja schon weit um sich gegriffen, und die Digitalisierung beschleunigt diesen Trend in der Tat. Hier kann nicht mehr jede Bank ihren eigenen Weg wählen. Gleichartige Produktangebote, basierend auf ebenso gleichartigen IT- und Steuerungssystemen, unter Umständen bezogen bei nur wenigen Lieferanten, bergen aber die Gefahr einer Homogenisierung in sich, die in letzter Konsequenz auch ein Systemrisiko darstellt. Da sich dieser Trend aber wohl nicht mehr umkehren lässt, ist für mich die Frage umso bedeutender, wo die jeweilige Bank künftig noch ihre Individualität wahren und dem Kunden Kompetenz und Relevanz demonstrieren kann, denn nur damit lassen sich nachhaltige Wettbewerbsvorteile erzielen.

Und wo könnte das sein?

Im Firmenkundengeschäft ganz klar in der Begleitung und Beratung der Kunden bei der Weiterentwicklung ihrer Geschäftsmodelle in der digitalisierten Industrie-4.0-Welt. Wir erleben in nahezu allen Branchen den stärksten Umbruchprozess seit Jahrzehnten. Was dieser aber für die Unternehmensfinanzierung bedeutet, ist noch gar nicht richtig durchdacht. Wenn die Praxis-Formel „die Finanzierung muss zum Geschäftsmodell passen“ zutrifft, dann stehen mit der Disruption von Geschäftsmodellen und neuartigen Formen der Organisation und Steuerung von Wertschöpfungsketten auch die Anforderungen an die Finanzleiter der Unternehmen in Bezug auf die Liquiditätsbeschaffung vor radikalen Veränderungen.

Die Intensivierung der unternehmensübergreifenden Kooperationen von Wertschöpfungspartnern wirft zum Beispiel die Frage auf, worauf sich die Bonitätseinschätzung im Rahmen des Bankenratings künftig idealerweise beziehen soll. Die klassische Unternehmensfinanzierung wird nämlich immer mehr zu einer – vom Gesamtunternehmen losgelösten – Projektfinanzierung. Der Einzel- wandelt sich zum Value-Chain-Kredit. Damit sind größere Investitionen gemeint, die zunehmend im Netzwerk mehrerer Unternehmen über verschiedene Wertschöpfungsstufen hinweg getätigt werden und deren Gelingen von der Qualität der beteiligten Partner abhängt. Für den Erfolg des Projekts und damit die Fähigkeit zur Zahlung der Kreditverpflichtungen ist damit nicht mehr nur ein einzelner Akteur verantwortlich, sondern das Geflecht der Akteure – mit zum Teil unterschiedlichen Bonitäten. Auch bei Sicherheiten, die Kreditverträgen zumindest im Mittelstand vielfach noch zugrunde liegen, führt Industrie 4.0 zu Veränderungen: Unternehmensinvestitionen werden im Zuge der Digitalisierung weniger durch klassisches Anlagevermögen geprägt, sondern immer mehr durch immaterielle Assets wie insbesondere Software und Patente (Intellectual Property), aber auch durch Betreuungs-, Pflege- und Ausbildungsaufwand. Diese immateriellen Assets sind in vielen Fällen so unternehmensspezifisch, dass sich die Berechnung von Beleihungswerten und -grenzen kaum auf allgemein akzeptierte Marktpreise stützen kann, wie wir es bei Rohstoffen, Fahrzeugen oder selbst Immobilien kennen.

Kunden in diesem Umbruchprozess zu beraten, ist für die Banken eine große Chance, setzt aber voraus, dass die Firmenkundenberater kräftig an Kompetenz zulegen.

Wie sieht es im Privatkundengeschäft aus?

Die Mehrheit der Generation Z, also der Kunden von morgen, gibt selbstkritisch an, dass ihre ökonomische Allgemeinbildung nicht ausreicht, um sich ohne Hilfe eine angemessene Altersvorsorge aufzubauen. Gerade weil nach empirischen Untersuchungen auch Jüngere den persönlichen Ansprechpartner schätzen, ergibt sich hieraus eine große Chance für Banken. Der personalisierte Flächenvertrieb erweist sich als wichtige Stärke, macht Nähe sachlich und emotional erlebbar. Allerdings steigen auch hierdurch die Anforderungen an die Kompetenz deutlich – vor allem, was die Vermögensberatung angeht. Wettbewerbsvorteile gegenüber den Fintechs werden sich nur dann erzielen lassen, wenn der Berater auch einem zunehmend verbesserten Robo Advisory überlegen ist. Daher hat der persönliche Vertrieb vor Ort Zukunft, aber an weniger Standorten und mit höher qualifiziertem Personal.

Herr Professor Paul, wir danken Ihnen für das Interview!

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