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Erscheinung:26.04.2012 „Wir wollen international als Benchmark wahrgenommen werden“

Interview mit BaFin-Präsidentin Dr. Elke König

Seit Anfang Januar 2012 ist Dr. Elke König Präsidentin der BaFin. Rund 100 Tage nach ihrem Amtsantritt sprach das BaFinJournal mit ihr über die Herausforderungen, die es in den nächsten Monaten in Deutschland, in Europa und weltweit zu bewältigen gilt.

Frau Dr. König, Ihr Vorgänger Jochen Sanio verlangte eine Aufsicht mit Biss. Wie soll die BaFin Ihrer Meinung nach gegenüber der Finanzindustrie auftreten?

Die BaFin soll weiterhin eine schlagkräftige Aufsichtsbehörde sein, die ihre Aufgaben mit Augenmaß erfüllt und den beaufsichtigten Unternehmen dabei auf Augenhöhe begegnet. In der Bankenaufsicht, in der wir mit der Bundesbank sehr gut zusammenarbeiten, sollte die Kreditwirtschaft beide Institutionen als tatkräftige Einheit ansehen.

Mein Ziel ist es, dass die BaFin in Europa und in den internationalen Gremien als Benchmark wahrgenommen wird. Deutschland ist schließlich ein wichtiger Finanzplatz. Daher wollen wir intensiv an der Gestaltung der europäischen und globalen Aufsichtsstandards mitarbeiten. Zurzeit fügen sich viele Dinge neu zusammen. Dies sollten wir als Chance verstehen.

An welche Themen denken Sie da insbesondere, und wo sehen sie die größten Herausforderungen der kommenden Monate?

Da wären zunächst einmal die drei Europäischen Aufsichtsbehörden zu nennen. Wir müssen darauf bedacht sein, uns im neuen Europäischen System der Finanzaufsicht richtig zu positionieren. Zugleich steht die Umsetzung verschiedener Regulierungspakete an, beispielsweise die von Basel III durch CRD IV und die von Solvency II. Außerdem dürfen wir auf keinen Fall die Regulierung des Schattenbankensektors aus den Augen verlieren.

Gehen wir auf den ersten Punkt einmal näher ein. Was heißt es für die BaFin, sich im Zusammenspiel mit EBA, EIOPA und ESMA richtig zu positionieren?

Lassen Sie uns eines festhalten: Eine Alternative zum Europäischen System der Finanzaufsicht gibt es nicht. Europa ist ein gemeinsamer Wirtschaftraum, für den wir auf Sicht einheitliche Spielregeln brauchen. Das ist auch im Interesse der deutschen Finanzwirtschaft. Mit „richtig positionieren“ meine ich vor allem, dass wir uns an der Erarbeitung der europäischen Spielregeln für den Finanzsektor beteiligen. Hierbei ist es wichtig, dass wir unseren Einfluss auf allen Wegen geltend machen und unsere Expertise einbringen: beispielsweise in den Räten der Aufseher, über die Mitwirkung in den Arbeitsgruppen, in denen die technischen Standards entwickelt werden, durch die Besetzung von Spitzenposten und eine optimale Beratung der politischen Verhandlungsführer im Rat.

Die BaFin wird die Arbeit der ESAs und des ESRB begleiten, aber auch kritisch beobachten. Die EU-Kommission wird Anfang 2014 einen ersten Erfahrungsbericht über die Tätigkeit der drei Behörden vorlegen. Möglicherweise müssen dann die Gründungsverordnungen der ESAs an der einen oder anderen Stelle nachgebessert werden.

Zumal ja im vergangenen Jahr bei der EBA nicht alles rund gelaufen ist.

Das verbuche ich unter dem Stichwort Anlaufschwierigkeiten. Man muss ja auch anerkennen, dass die EBA 2011 aus dem Stand eine Mammut-Aufgabe bewältigen musste. Da der nächste Stresstest erst 2013 stattfinden soll, ist nun genügend Zeit für eine neue Ausrichtung, zum Beispiel weg vom Fokus auf einen potenziellen Kapitalbedarf hin zu der Analyse, wie und in welchen Bereichen die Institute auf nachteilige Marktsituationen reagieren. Die BaFin wird ihre Vorstellungen zu dieser Frage in der EBA sehr deutlich machen.

Sie hatten ja eben schon das Regulierungspaket CRD IV erwähnt.

Ja, das ist derzeit eines der wichtigsten Themen der Bankenaufsicht. Zu all den aufsichtlichen Anforderungen und Prozessen muss die EBA in den nächsten Jahren technische Standards entwerfen – allein für die Verordnung, die CRR, sind es mehr als 100. Wir müssen sicherstellen, dass die berechtigten deutschen Interessen dabei gewahrt bleiben.

Was sind denn aus Ihrer Sicht die berechtigten deutschen Interessen?

Das ist eine sehr gute Frage. Es gibt für mich zwei Arten von Sonderlocken, wie ich besondere Interessen gern nenne. Die einen sind berechtigt, etwa weil sich bestimmte Strukturen in einem nationalen Markt bewährt haben. Andere nationale Besonderheiten hingegen sind tradiert; es gibt sie einfach, weil es immer schon so war, ohne dass ihr Nutzen erkennbar wäre.

Ich trage beispielsweise voll und ganz mit, was unter der Ägide meines Vorgängers Jochen Sanio bei den Verhandlungen zu Basel II als „Mittelstandspaket“ geschnürt worden ist. Die deutsche Wirtschaftsstruktur und der deutsche Kapitalmarkt unterscheiden sich nun einmal von denen in den USA, aber auch in Großbritannien. Wir haben eine sehr stark mittelständisch geprägte Industrie, die sich auch heute noch in erster Linie über den Bankkredit finanziert. Diese Struktur zu erhalten ist ein wohlberechtigtes Interesse, das auch bei der Umsetzung der CRD IV berücksichtigt wird. Aber ich sehe auch die eine oder andere Ausnahmeregel, auf die das nicht zutrifft.

Welche anderen Themen werden die Bankenaufsicht in den kommenden Monaten besonders beschäftigen?

Etwa die Frage, wie wir systemisch relevante Banken beaufsichtigen. Mittlerweile hat man 29 Institute als G-SIBs , also als global systemrelevante Bankengruppen, eingestuft. Für solche Institute gelten künftig besondere Regeln. Beispielsweise wird es einen Kapitalaufschlag geben. Als nächstes werden wir die Frage zu klären haben, wie wir mit den Banken umgehen, die auf nationaler Ebene systemisch relevant sind. Wie sind sie zu definieren? Welche Anforderungen sollen an sie gestellt werden? Das ist eine spannende Diskussion, die aber noch am Anfang steht.

Wie sollte man mit den nationalen Bankenriesen umgehen?

Anders als bei den G-SIBs können bei den Domestics nicht allein höhere Kapitalanforderungen im Fokus stehen. Aus meiner Sicht ist die Aufsichtsintensität in diesem Fall das Entscheidende: Wir brauchen für bestimmte wichtige Banken eine besonders intensive Aufsicht. Über das ganze Kapitalthema geht häufig der Blick dafür verloren, dass das Risikomanagement, die Art der Geschäfte, die ein Unternehmen betreibt, und die dafür unterhaltene Organisation weit wichtiger sind. Das Kapital muss immer die letzte Verteidigungslinie sein – aber nicht die einzige.

International diskutiert wird auch über die Frage, wie große Institute im Notfall über nationale Grenzen hinweg saniert oder sogar abgewickelt werden können. Wann rechnen Sie mit einer Einigung?

Das Thema der grenzüberschreitenden Restrukturierung ist ein sehr kompliziertes. Mit unserem deutschen Restrukturierungsgesetz brauchen wir uns im Moment zwar nicht zu verstecken. Aber die Wirkung nationaler Gesetze endet nun mal an den Staatsgrenzen, was bei G-SIBs problematisch ist. Das FSB hat daher im Oktober 2011 Prinzipien für die Sanierung und Abwicklung von G-SIFIs , von global systemrelevanten Instituten, verabschiedet. Sie sollen die geordnete Abwicklung solcher Institute erleichtern. Ein wesentlicher Bestandteil der FSB-Anforderungen sind Sanierungs- und Abwicklungspläne. Das FSB hält sehr genau nach, ob den nationalen Aufsichtsbehörden für die G-SIFIs solche Pläne vorliegen. Die BaFin ist für die beiden deutschen G-SIFIs, die Deutsche Bank und die Commerzbank, in der Verantwortung.

Auch die Frage der Lastenteilung spielt eine herausragende Rolle. Da kommen auf internationaler Ebene sehr schnell nationale Interessen hoch: Jedes Land will seine Steuerzahler und seine Einleger schützen. Hier müssen wir realistisch sein.

Wie geht die EU damit um?

Es ist eine Richtlinie zum Krisenmanagement geplant. Man denkt darüber nach, nicht nur die FSB-Anforderungen umzusetzen und eine Regelung zur Lastenteilung einzuführen. Im Gespräch ist auch eine Regelung zur Verlustteilnahme von Gläubigern, Stichwort „Debt-Write-Down“. Spätestens wenn wir eine solche Richtlinie haben, sollte zumindest für den europäischen Raum die Sanierung und Abwicklung von Instituten besser planbar und handhabbar sein.

Damit es gar nicht so weit kommt, nimmt die EBA die Rekapitalisierungspläne unter die Lupe, die unter anderem sechs deutsche Banken im Anschluss an die EBA-Rekapitalisierungsumfrage vorgelegt haben. Erwarten Sie unangenehme Überraschungen?

Im Gegenteil. Aus den Plänen der deutschen Teilnehmer-Banken geht hervor, dass keine einzige von ihnen auf den Staat zukommen muss, um die Rekapitalisierung zu schaffen. Die EBA hat die Pläne bereits grundsätzlich akzeptiert. Die jeweiligen internationalen Aufsichtskollegien haben über die Planungen diskutiert. In meinen Augen ist das auch der einzig richtige Prozess, um die Gastlandaufseher rechtzeitig und hinreichend über diese Planungen zu informieren. Nun bleibt abzuwarten, ob sie aufgehen.

Was wird sich für die Banken mit der Umsetzung der Pläne verändern?

Unsere Analyse der Pläne hat ergeben, dass keines der beteiligten deutschen Institute sein Gebaren in seinem Kerngeschäft ändern wird. Dass Banken ihre Risikopositionen abbauen, also Deleveraging betreiben, ist an sich nicht schlecht. Eines der Instrumente zur Rekapitalisierung ist nun mal das Deleveraging. Im Sinne einer Rückbesinnung auf Kernkompetenzen und -geschäfte kann ein Aufseher das doch nicht falsch finden. Gefährlich würde es nur dann, wenn es exzessive Züge annähme und in einer Kreditklemme resultierte. Doch das ist in
Deutschland derzeit nicht der Fall.

Befürchten Sie, dass die Kriterien, die die Banken erfüllen müssen, wieder aufgeweicht werden könnten?

Das glaube ich nicht. Natürlich werden wir auf Sicht darüber diskutieren müssen, ob es den im Rahmen der Umfrage eingeführten Sovereign Buffer geben muss. Es ist sogar zu hoffen, dass er irgendwann entfallen kann. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass wir in der nächsten Zeit von einer einmal getroffenen Eigenkapitalanforderung abweichen werden. Außerdem verlangt Basel III – bzw. die CRD IV – in der Endausbaustufe 2018 keine geringere Kapitalausstattung als die Rekapitalisierungsempfehlung der EBA. Man kann die Empfehlung der EBA daher auch als wichtigen Zwischenschritt hin zu Basel III bzw. CRD IV interpretieren.

Während sich bei der Regulierung der Banken seit Ausbruch der Finanzkrise international viel getan hat, kann man das in Bezug auf den Schattenbankensektor nicht behaupten. Sie haben das Thema ja bereits als eine der größten Herausforderungen genannt.

Es ist sehr wichtig, dass wir uns dabei nicht verzetteln. Bisher haben die verschiedenen Arbeitsgruppen des FSB lediglich die Fakten zusammengetragen. Dabei definieren wir ganz wunderbar, was es alles gibt, um dann immer neue Punkte festzustellen und zu ergänzen. Aber wir müssen bei diesem Thema zwingend vom Beschreiben zum Handeln kommen. Sonst regulieren wir zwar den Bankenmarkt, aber die Risiken bilden sich nebenan.

Der nächste Schritt muss daher sein, die Verbindungen zwischen den regulierten Banken und den Schattenbanken transparent zu machen. Diese Verbindungen müssen wir dann gegebenenfalls regulieren. Aber auch die Regulierung der Schattenbanken selbst sollten wir schleunigst vorantreiben. Nur so lässt sich eine gefährliche Arbitrage stoppen.

Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass die Verhandlungen stocken?

Das Problem ist, dass die nationalen Interessen inzwischen wieder relativ weit auseinander gehen. Manche Länder scheinen leider mehr auf den kurzfristigen Marktvorteil als auf langfristige Stabilität zu setzen. Ich habe auch insgesamt den Eindruck, dass der Enthusiasmus für dieses Thema nachlässt. Während der Finanzkrise war der Druck, etwas zu tun, sehr hoch.

Die Entwicklung neuer Kapital- und Liquiditätsvorschriften stand im Fokus. Damals hat man die Ausweichbewegungen zwar befürchtet, das Problem selbst aber zunächst nicht angefasst. Nun, da erkennbar ist, in welche Richtung sich die Märkte verändern, dürfen wir uns für die Regulierung von Schattenbanken auf keinen Fall noch mehr Zeit lassen. Wenn wir nicht bald wesentliche Fortschritte erzielen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis uns aus diesem Bereich unliebsame Überraschungen treffen.

Wie wollen Sie erreichen, dass das Thema wieder Fahrt aufnimmt?

Es in den internationalen Gremien immer wieder ansprechen, dafür werben und Verbündete finden, um so Mehrheiten zu bilden. In letzter Zeit hatte ich den Eindruck, dass einige Länder, die bislang gemauert haben, sich ein wenig bewegen. Ich bleibe jedenfalls optimistisch – schließlich bin ich Rheinländerin.

Nun haben wir viel über Bankenthemen geredet, aber auch in der Versicherungsaufsicht gibt es ein Projekt von großer Tragweite: das europäische Regelwerk Solvency II.

Auf uns und auch auf EIOPA kommt mit der Entwicklung der technischen Standards zu diesem Regelwerk einiges zu. Mir ist es das wichtigste Anliegen, dass die Proportionalität gewahrt bleibt. An kleine und mittlere Versicherer können nicht die gleichen Anforderungen gestellt werden wie an große.

Es geht mir ausdrücklich nicht um die Kapitalanforderungen – das Basismodell gilt im Prinzip für alle, wobei kleinere Versicherer kaum Interne Modelle erarbeiten werden, weil der Aufwand einfach zu groß ist. Aber bei den Berichts- und Meldepflichten muss man genau schauen, wer welche Informationen wirklich braucht.

Solvency II soll im Jahr 2013 in Kraft treten und ab dem 1. Januar 2014 voll angewendet werden. Ist dieser Zeitplan angesichts der Diskussionen über die ergänzende Richtlinie Omnibus II noch realistisch?

Ich denke ja, auch wenn er sehr sportlich ist. Allerdings darf es keine weiteren Verzögerungen mehr geben, sonst wird es für die Aufsicht und für die Unternehmen ein Problem, sich rechtzeitig darauf vorzubereiten. Viele der Vorgaben, die wir in der Praxis brauchen, sind einfach noch nicht an einem Punkt, an dem die Unternehmen ihre organisatorischen Abläufe darauf ausrichten und ihre IT-Systeme anpassen können. Und auch wir brauchen einen gewissen Vorlauf, um für die Auswertung der Daten gerüstet sein.

Ich bin generell der Meinung, dass man sich ehrgeizige Termine setzen muss. Natürlich gibt es immer noch etwas an Solvency II zu verbessern. Aber irgendwann muss man mit der Umsetzung anfangen. Dann sollte man aber auch in drei oder fünf Jahren den Mut haben zu sagen: „Das hat sich bewährt und das nicht, dort muss nachgebessert werden.“ Wir schaffen ja kein System, das die nächsten 30 Jahre genau so bleiben muss. Fest steht, dass wir jetzt eine Reform brauchen. Derzeit haben wir für Versicherer ein Solvenzsystem, das dringend auf neue Beine gestellt werden muss.

Gerade kleine und mittlere Versicherer sind in dieser Frage eher skeptisch.

Für viele kleinere Unternehmen ist die Umstellung auf Solvency II eine große Herausforderung. Die großen Versicherer kommen mit dem ganzen Prozess besser klar, weil sie die entsprechenden Ressourcen haben. Wir nehmen die Sorgen der kleinen Versicherer sehr ernst und setzen uns in EIOPA dafür ein, die Komplexität des Regelwerks im Sinne der Verhältnismäßigkeit weiter zu reduzieren. Aus meiner Sicht spielt aber auch ein Verband wie der GDV bei der Vorbereitung der Unternehmen auf Solvency II eine wichtige Rolle. Gerade die kleinen Versicherer können die Unterstützung des Verbandes sicher gut gebrauchen.

Kommen wir von den kleinen zu den ganz großen Versicherungsunternehmen: Kann man Ihrer Meinung nach, wie bei den Banken, auch im Versicherungssektor global systemrelevante Unternehmen identifizieren?

Damit sprechen Sie eine weitere wichtige Diskussion an. Ich glaube, dass die Zusammenhänge, die für Banken gelten, nicht einfach auf die Versicherer übertragen werden können. Das Risiko eines Runs oder Dominoeffekte sind im Versicherungssektor unwahrscheinlich. Dort kommen ganz andere Mechanismen zum Tragen. Die Lebensversicherung ist eine tragende Säule der Altersversorgung. Wenn diese Säule wackelt, ist das ein volkswirtschaftliches Problem.

Es gibt aber kaum ein einzelnes Unternehmen, das die ganze Säule zum Einsturz bringen würde. Die Gefahr, die ich sehe, liegt eher in der weitgehend ähnlichen Struktur der Kapitalanlagen aller Lebensversicherer. Wenn einer der Bausteine, aus denen sich die Kapitalanlagen zusammensetzen, dramatisch an Wert verliert oder ausfällt, dann stürzt nicht nur ein Versicherer, sondern dann können viele fallen. Das heißt, ein Thema – nicht ein Unternehmen – bringt die gesamte Säule ins Wanken, ohne dass die Unternehmen direkt miteinander verknüpft sind. Darum hilft Eigenkapital allein in diesem Zusammenhang auch nicht weiter.

Stattdessen muss unser Fokus auf dem Risikomanagement liegen, unter anderem auf einer möglichst angemessenen Mischung und Streuung der Kapitalanlagen. Das gilt auch unter dem Regime von Solvency II.

Ein weiterer wichtiger Unterschied zum Bankensystem ist der, dass im Versicherungssektor bei Problemen mehr Zeit bleibt, um zu restrukturieren, Bestände zu übertragen oder andere Lösungen zu finden. Es wird zwar immer wieder argumentiert, dass der US-Versicherungskonzern AIG in der Finanzkrise gerettet werden musste. Die Ursache lag aber gerade nicht im Versicherungsgeschäft, sondern darin, dass das Unternehmen auch Finanzgarantien ausgab, also letztlich im Schattenbankensektor aktiv war.

Die Niedrigzins-Abfrage der BaFin hat ja kürzlich erst gezeigt, dass die deutschen Versicherer gut aufgestellt sind. Sind also keine Probleme zu befürchten?

Das Ergebnis der Abfrage bedeutet nicht, dass wir jetzt die Hände in den Schoß legen können. Dauerhaft niedrige Zinsen werden die Unternehmen mittelfristig empfindlich treffen. Die nächsten Jahre werden die Versicherer belasten, weil sie eine dringend gebotene Zinszusatzreserve aufbauen müssen. Das muss erst einmal finanziert werden. Auch wenn sich die Versicherer vorbereitet haben – ohne Unterstützung durch geänderte Rahmenbedingungen wird es nicht gehen. Daher begrüßen wir, dass im Regierungsentwurf für die Novellierung des Versicherungsaufsichtsgesetzes die Regelungen zur Beteiligung an den Bewertungsreserven angepasst werden, was wir lange gefordert haben. Das ist ein erster richtiger Schritt.

Es werden immer wieder Rufe laut, die BaFin solle Verbraucherschutz betreiben.

Die BaFin hat bereits jetzt den Schutz der Verbraucher im Auge. Die Kernfrage ist eigentlich nur, was unter Verbraucherschutz zu verstehen ist. Die Solvenzaufsicht, die die BaFin betreibt, ist die stärkste Form des Verbraucherschutzes. Sie sorgt dafür, dass die Unternehmen solvent bleiben und Verträge über Finanzdienstleistungen langfristig erfüllen können. Auch die Rechtsaufsicht der BaFin, also die Aufsicht darüber, dass die Unternehmen geltendes Recht beachten und einhalten, dient den Verbrauchern.

Die BaFin kann aber als neutrale Behörde nicht Partei sein und die Interessen einzelner Verbraucher oder auch Unternehmen vertreten. Wir betreiben kollektiven Verbraucherschutz.

Auf europäischer Ebene ist das Mandat der ESAs für den kollektiven Verbraucherschutz konkret formuliert. Wie wird sich das auswirken?

Im Gegensatz zum deutschen Recht ist der Verbraucherschutz im europäischen Aufsichtsrecht ausdrücklich integriert. Wir müssen national überlegen, wie wir auf europäischer Ebene trotzdem sprechfähig bleiben. Es muss sichergestellt sein, dass die deutsche Position vertreten wird, wenn in den ESAs Verbraucherschutzthemen zur Sprache kommen. Eine Möglichkeit wäre, ein nationales Gremium zu schaffen, in dem eine gemeinsame Linie festgesetzt wird, die dann nach außen vertreten wird.

Was wird 2012 noch im Fokus stehen?

Da wäre vor allem die internationale Regulierung des Derivatehandels: Das Thema geht langsamer voran als erhofft. Ich denke, das liegt zum einen daran, dass die Dinge ungeheuer komplex sind. An solchen Transaktionen sind nun mal immer mehrere, sehr unterschiedliche Akteure beteiligt. Zum anderen muss man der Industrie natürlich die Chance geben, alles umzusetzen, was vereinbart wird, und da steckt der Teufel im Detail.

Wir brauchen diese Regulierung aber dringend, dazu sehe ich keine Alternative – auch wenn es natürlich nie eine vollkommen wasserdichte Lösung geben wird. Das Thema wird ganz neue Fragen aufwerfen: Was passiert, wenn eine Zentrale Gegenpartei ausfällt? Oder: Wie ermöglicht man den Aufsehern Zugriff auf Daten, die bei globalen Transaktionsregistern vorliegen? Transparenz ist aber auch in diesem Markt, der ja eng mit dem Schattenbankensektor verknüpft ist, absolut zwingend.

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