Erscheinung:02.10.2012 | Thema SSM "Der Zeitplan ist mehr als ambitioniert"
Interview mit BaFin-Präsidentin Dr. Elke König
Die Europäische Kommission hat kürzlich ihre Vorschläge zu einem einheitlichen Aufsichtsmechanismus für Banken im Euroraum vorgelegt. Die Europäische Zentralbank (EZB) soll dabei eine führende Rolle übernehmen. Dazu gehören Aufgaben, für die bislang die nationalen Aufseher zuständig sind: So soll die EZB zum Beispiel für die Zulassung von Kreditinstituten verantwortlich sein und kontrollieren, ob die Institute die geltenden aufsichtlichen Anforderungen einhalten. Auch Finanzkonglomerate soll sie künftig mit beaufsichtigen.
Die Kommission plant, den neuen Aufsichtsmechanismus ab dem 1. Januar 2013 stufenweise einzuführen. Von dem Tag an soll die EZB die Möglichkeit haben, von sich aus die volle Aufsichtsverantwortung für jede Bank zu übernehmen, vor allem dann, wenn das Institut öffentlich Unterstützung erhält oder beantragt hat. Vom 1. Juli 2013 an soll die EZB zudem alle systemrelevanten Banken beaufsichtigen. Vom Beginn des Jahres 2014 an sollen nach den Plänen der Kommission alle Banken der Euro-Zone unter der Aufsicht der EZB stehen.
Frau Dr. König, wie finden Sie die Idee, dass die EZB die Aufsicht über Banken und Finanzkonglomerate der Euro-Gruppe übernehmen soll?
Ich teile die Ansicht der Kommission, dass wir in Europa eine starke und effiziente Bankenaufsicht brauchen.
Aber?
Der Vorschlag der EU-Kommission ist eine erste Diskussionsgrundlage. Die Einbeziehung der EZB in die Bankenaufsicht wirft viele hochkomplexe Fragen auf – rechtlicher wie praktischer Art. Diese Fragen müssen aus meiner Sicht zunächst beantwortet werden.
Welche Fragen sind das zum Beispiel?
Die Frage, wie man mit dem Zielkonflikt von Aufsichtshandeln und geldpolitischer Verantwortung umgeht. Wir brauchen hier eine strikte Trennung. Es wäre aus meiner Sicht sehr problematisch, wenn der EZB-Rat in Fragen der Bankenaufsicht abschließende Entscheidungen träfe.
Von zentraler Bedeutung ist auch das Thema Rechenschaft der EZB gegenüber demokratisch legitimierten Gremien. Die EZB soll schließlich weitreichende Eingriffsbefugnisse bekommen. Mit ihrer Unabhängigkeit lässt sich das nicht ohne Weiteres vereinbaren.
Und dann folgender Punkt: Die nationalen Aufseher sollen Teil des neuen Mechanismus sein – ebenso die Europäische Bankenaufsichtsbehörde EBA (Anm. der Red.: European Banking Authority). Da wird noch einiges zu klären sein: Wer hat welche Aufgaben, und wer trägt die Verantwortung? Aufsichtshandeln und die Verantwortung dafür müssen in einer Hand liegen. Wie gestaltet man die Schnittstellen? Sie müssen genau definiert werden, und es sollte nicht zu viele geben.
Diese und viele weitere Fragen sollte man zügig, aber vor allem sorgfältig klären, um eine tragfähige Konstruktion zu entwickeln, der die Finanzmärkte und die Bürger vertrauen.
Davon abgesehen kann ich als Aufseherin nur dafür plädieren, vor dem Start der neuen europäischen Aufsicht das "Single Rule-Book" zu verabschieden, das im Rahmen der Umsetzung von Basel III geschaffen werden soll.
Wird das alles in der Kürze der Zeit möglich sein? Die neue europäische Bankenaufsicht soll schon Anfang kommenden Jahres an den Start gehen, wenn auch schrittweise.
Dieser Zeitplan ist mehr als ambitioniert. Ich kann die Äußerung des Bundesfinanzministers nur bestätigen: Qualität muss in jedem Fall vor Schnelligkeit gehen. Denn funktionieren kann die künftige europäische Bankenaufsicht nur, wenn vorher die nötigen rechtlichen und organisatorischen Voraussetzungen geschaffen werden. Dabei dürfen keine Fehler gemacht werden.
Was mir sehr wichtig ist: Der Wechsel zum neuen Aufsichtsmechanismus muss reibungs- und vor allem lückenlos verlaufen. Die neue Aufsicht muss operativ von der ersten Sekunde an voll funktionsfähig sein. Alles andere wäre gefährlich. Die BaFin ist bereit, ihren Beitrag hierzu zu leisten.
Und was kommt danach? Wird der BaFin die Arbeit ausgehen?
Ganz sicher nicht. Die BaFin und die anderen nationalen Aufsichtsbehörden werden auch unter dem neuen Regime unverzichtbar sein. Aber ihre Rolle und ihre Aufgaben werden sich verändern. Wie genau, wissen wir noch nicht. Hier stellt sich wieder die Frage der Verantwortlichkeit und der Schnittstellen. Jedenfalls werden wir noch intensiver auf europäischer Ebene zusammenarbeiten, als das jetzt schon geschieht.
Zugleich bleiben wir erste Ansprechpartner für die Institute, denn eines dürfte klar sein: Eine zentrale europäische Behörde kann nicht alles besser. Denken Sie nur an die Probleme, die räumliche Ferne, Sprach- und Kulturunterschiede verursachen können.
Ist es überhaupt realistisch, dass die EZB 6.000 Banken beaufsichtigt? So viele gibt es allein in der Eurozone.
Kurzfristig wäre das wohl kaum praktikabel, zumal es sich um ganz unterschiedliche Institute handelt. Es ist daher sinnvoll, sich zunächst auf europäischer Ebene auf die Institute zu konzentrieren, die staatliche Hilfe erhalten oder beantragen, oder die generell systemisch relevant sind. Banken, die nicht systemrelevant sind, sollten grundsätzlich weiterhin national beaufsichtigt werden, denn die nationale Aufsicht kann die Besonderheiten der lokalen Banken und deren Umfeld besser einschätzen. Bei diesem Konzept ist allerdings das "Single Rule-Book" unverzichtbar.
Was halten Sie davon, nur die Banken der Eurozone unter EZB-Aufsicht zu stellen und den anderen EU-Mitgliedern die Teilnahme am neuen Mechanismus freizustellen?
Die Bankenunion auf die Banken der Eurozone zu beschränken, bringt die Gefahr von Arbitrage und Wettbewerbsverzerrungen mit sich. Insofern wäre sicherlich langfristig eine Bankenunion, die die gesamte EU umfasst, die bessere Lösung.
Ist die Allfinanzaufsicht nun passé?
Warum? Der wie auch immer geartete künftige Aufsichtsmechanismus steht nicht im Widerspruch zur Idee der Allfinanzaufsicht auf nationaler Ebene. In Deutschland hat sich die Allfinanzaufsicht bewährt. Es gibt keinen Grund, sich davon abzuwenden. Im Gegenteil: Mikro- und makroprudenziell sind die Verbindungen zwischen Banken und Versicherern aufsichtlich relevant.
Müssen sich die Sparkassen und Genossenschaftsbanken in Deutschland Sorgen machen?
Nein, die Drei-Säulen-Struktur des deutschen Bankensystems ist durch die Bankenunion nicht bedroht. Sie ist und bleibt ein wichtiger Standortvorteil. Allerdings werden sich die Institute aller drei Säulen auf die neuen Rahmenbedingungen einstellen müssen – wie wir auch. Die BaFin hat allerdings immer das Konzept „gleiches Geschäft – gleiches Risiko – gleiche Regel“ verfolgt, was auch bedeutet, das Ungleiches nicht gleich behandelt werden darf. Daher wird sich die BaFin weiterhin auf internationaler Ebene dafür einsetzen, dass die berechtigten Belange aller deutschen Banken angemessen berücksichtigt werden.
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