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Erscheinung:06.06.2013 08:32 Uhr | Thema Makroaufsicht Makroprudenzielle Aufsicht: Neues Gefüge auf globaler, europäischer und nationaler Ebene

Eine der zentralen Konsequenzen aus der globalen Finanzkrise 2007/2008 war es, eine makroprudenzielle Aufsicht zu schaffen. Anders als bei der mikroprudenziellen Aufsicht gab es kein Regelwerk, das man hätte erweitern, und keine Struktur, die man hätte reformieren können. Daher galt es, als direkte Antwort auf die Krise ein grundlegend neues Gefüge von Konzepten, Instrumenten und Institutionen zu entwickeln.

Obwohl man heute ein wesentlich besseres Verständnis von systemischen Risiken hat, ist die Suche nach geeigneten regulatorischen Schritten alles andere als abgeschlossen. Die jüngsten Entwicklungen in einigen hoch verschuldeten Industrieländern und die massiven Kapitalzuflüsse in einigen Schwellenländern machen deutlich, wie wichtig die makroökonomische Betrachtung systemischer Risiken ist.

Globale und europäische Ebene

Auf globaler Ebene sind der Internationale Währungsfonds (IWF) und der Finanzstabilitätsrat FSB (Financial Stability Board) mit der Überwachung der Risikolage und -entwicklung im weltweiten Finanzsystem befasst. Dabei konzentriert sich der IWF primär auf die Identifizierung makrofinanzieller Risiken, das heißt insbesondere auf die Interaktion zwischen Realwirtschaft und Finanzsektor.

In der Europäischen Union ist die makroprudenzielle Überwachung Aufgabe des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken ESRB (European Systemic Risk Board). Der ESRB hat Anfang 2011 seine Arbeit aufgenommen. Er bündelt die Expertise der europäischen Zentralbanken und Aufsichtsbehörden mit dem Ziel, systemische Risiken zu identifizieren und zu bewerten, gegebenenfalls Warnungen auszusprechen und zu empfehlen, welche Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die Finanzstabilität ergriffen werden sollten.

Anfang 2012 schlug der ESRB vor, auf nationaler Ebene makroprudenzielle Behörden oder Gremien einzurichten. Danach benötigt eine handlungsfähige makroprudenzielle Aufsicht auf nationaler Ebene einen klar definierten Handlungsrahmen; der ESRB empfiehlt dafür eine gesetzliche Grundlage. Diese solle Ziele makroprudenzieller Aufsicht festlegen, eine oder mehrere zuständige Behörden benennen und Transparenz- und Rechenschaftspflichten vorgeben.

Gesetz zur Überwachung der Finanzstabilität

Deutschland hat diese Empfehlung des ESRB durch das Gesetz zur Überwachung der Finanzstabilität, kurz Finanzstabilitätsgesetz (FinStabG), umgesetzt. Wesentlicher Inhalt des Gesetzes ist die Stärkung der Zusammenarbeit von Deutscher Bundesbank, BaFin und Bundesministerium der Finanzen (BMF) auf dem Gebiet der Finanzstabilität. Insbesondere erfolgt mit der Gründung des Ausschusses für Finanzstabilität (AFS) am 18. März 2013 eine institutionelle Verzahnung der laufenden makroprudenziellen Überwachung der Bundesbank mit der mikroprudenziellen Aufsicht der BaFin.

Dem AFS gehören Vertreter des BMF, der Bundesbank, der BaFin sowie – ohne Stimmrecht – der Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung (FMSA) an. Zentrale Aufgabe des AFS ist es, auf der Grundlage von Analysen der Deutschen Bundesbank die für die Finanzstabilität maßgeblichen Sachverhalte regelmäßig zu erörtern, bei identifizierten Gefahren vor diesen zu warnen sowie Empfehlungen zu ihrer Abwehr abzugeben.

Risikokomitee der BaFin

Um den neuen Aufgaben gerecht werden zu können, die für die BaFin aus dem Finanzstabilitätsgesetz resultieren, hat die Behörde zum Jahresbeginn 2013 die bis dato bestehenden geschäftsbereichsspezifischen Risikokomitees zu einem BaFin-weiten Risikokomitee (RK) zusammengefasst. Dadurch kommt die sektorübergreifende Sichtweise der Allfinanzaufsicht besser zur Geltung. Mit Hilfe des RK soll die makroprudenzielle Systemsicht enger mit der mikroprudenziellen Aufsicht über einzelne Marktteilnehmer verwoben werden. Darüber hinaus soll das RK zur vorausschauenden und risikoorientierten Steuerung der BaFin beitragen.

Das BaFin-Risikokomitee beschäftigt sich im Wesentlichen mit der Identifikation, Bewertung, Überwachung und Steuerung von Risiken der beaufsichtigten Unternehmen oder des Finanzsektors, die BaFin-weit relevant sind. Solche Risiken sollen durch BaFin-interne und externe Analysen, zum Beispiel der Bundesbank und von Wirtschaftsprüfern, sowie durch Quervergleiche der Unternehmen durch die BaFin identifiziert werden. Ziel ist es, die relevanten Risiken auszuwerten und in der laufenden Aufsicht zu berücksichtigen. Darüber hinaus unterstützt das RK die Arbeit des Direktoriums, indem es Aufsichtsthemen identifiziert und aufbereitet und die Sitzungen des Ausschusses für Finanzstabilität zusammen mit der Bundesbank vorbereitet.

Das Risikokomitee setzt sich aus Vertretern aller Geschäftsbereiche der BaFin zusammen und tagt vierteljährlich. Zu den ständigen Mitgliedern des Komitees zählen auch Vertreter der Bundesbank aus den Zentralbereichen Banken und Finanzaufsicht sowie Finanzstabilität. Ein im Präsidialbereich angesiedeltes Sekretariat dient als Schnittstelle zwischen dem Direktorium, dem BaFin-weiten Risikokomitee, dem Sekretariat des AFS beim BMF und der Bundesbank.

Die Zusammenarbeit zwischen der Instituts- beziehungsweise Unternehmens- und der makroprudenziellen Systemaufsicht durch den AFS sieht wie folgt aus: In der Regel ist die Instituts- bzw. Unternehmensaufsicht für die Datensammlung und den Kontakt zu den Aufsichtsobjekten zuständig. Sie überwacht die Risiken bei den einzelnen Unternehmen und sorgt dafür, dass diese die aufsichtsrechtlichen Vorschriften einhalten. Auch der AFS sammelt und analysiert Daten, aber aus einer systemweiten Perspektive. Indem er Handlungsempfehlungen ausspricht, übt er indirekt Einfluss auf den Einsatz mikroprudenzieller Instrumente aus; diese Instrumente liegen in Deutschland und vielen anderen Jurisdiktionen in Händen der Institutsaufsicht.

Ganzheitliche Betrachtung des Finanzsystems

Um beurteilen zu können, an welchen Stellen das Finanzsystem für Krisen anfällig ist, bedarf es einer ganzheitlichen Betrachtung der finanziellen Risiken. Deren Bewertung hängt in hohem Maße von der Qualität und Aktualität der zugrunde gelegten Daten ab. Insbesondere im Schattenbankensystem ist es nach wie vor schwierig, entsprechende Daten zu erheben. Dazu zählen Unternehmen, die bankähnliche Geschäftsaktivitäten verfolgen, wie Kreditvergabe oder Liquiditätstransformation, die aber nicht der Bankenaufsicht unterstehen.

Marktinfrastrukturen und -dienstleister, also Zahlungssysteme, Clearing- und Abrechnungsgesellschaften sowie Zentrale Gegenparteien, sind ebenfalls von wesentlicher Bedeutung für die Funktionsfähigkeit des Systems und können zur Quelle systemischer Risiken werden. Eine umfassende Bewertung der Schwachstellen im Finanzsystem sollte daher die Nichtbanken-Finanzinstitute ebenso einschließen wie die privaten Haushalte und Unternehmen.

Makroprudenzielle Instrumente

Eine effiziente makroprudenzielle Aufsicht verlangt nicht nur einen klaren Ordnungsrahmen, sondern auch effektive und effiziente Instrumente. Makroprudenzielle Instrumente lassen sich grundsätzlich nach der Stärke des Eingriffs in weiche (Kommunikation), mittlere (Warnungen und Empfehlungen) und harte (Eingriffsinstrumente) Instrumente einteilen.

Öffentliche Kommunikation greift als weiches Instrument nicht direkt in die Geschäftstätigkeit von Marktteilnehmern ein, sondern beeinflusst insbesondere deren Erwartungen. Sie eignet sich daher für ein frühes Stadium des Risikoaufbaus. Konkretisiert sich eine Gefährdung der Finanzstabilität, dürfte die öffentliche Kommunikation hingegen nicht mehr genügen. Die makroprudenzielle Aufsicht kann dann auf die Instrumente der Warnungen und Empfehlungen zurückgreifen, die für AFS und ESRB maßgeblich sind. Eingriffsinstrumente wie zusätzliche Kapitalpuffer oder erhöhte Risikogewichte für bestimmte Kreditforderungen bilden die Kategorie harter Instrumente.

Unterscheidung nach Arten systemischer Risiken

Makroprudenzielle Instrumente lassen sich alternativ hinsichtlich der Art der systemischen Risiken klassifizieren. Man unterscheidet hier systemische Risiken der Zeit- und solche der Querschnittsdimension. Die Zeitdimension bezieht sich auf die Entwicklung der Risiken über die Zeit (Reduktion von Prozyklizität), während die Querschnittsdimension die Verteilung von Risiken zu einem gegebenen Zeitpunkt beziehungsweise Risikokonzentrationen im System beschreibt.

Auf internationaler Ebene wird darüber diskutiert, mit welchen Maßnahmen man die zyklische Komponente (Zeitdimension) des systemischen Risikos reduzieren könnte. Im Gespräch sind beispielsweise zeitvariable Kapital- und Liquiditätsanforderungen, die Einführung einer Verschuldungsobergrenze, Möglichkeiten zur Erhöhung der Risikogewichte für spezifische Forderungsklassen, die Anpassung der Anforderungen an Kreditsicherheiten und eine dynamische Ausgestaltung der Kreditrisikovorsorge. Als Instrumente gegen systemische Risiken der Querschnittsdimension gelten insbesondere zusätzliche Kapitalzuschläge für systemisch relevante Finanzinstitute (Systemically Important Financial Institutions – SIFIs), Liquiditätskennziffern zur Förderung stabiler Refinanzierungsquellen sowie Maßnahmen, die die Marktinfrastruktur betreffen.

Ausblick

Der makroprudenzielle Regulierungsrahmen wird sich in den nächsten Jahren wesentlich verändern. Dies wird auch die Arbeit des AFS und des Risikokomitees beeinflussen. So wird das kürzlich beschlossene CRD-IV-Paket, bestehend aus einer Richtlinie (Capital Requirements DirectiveCRD IV) und einer Verordnung (Capital Requirements RegulationCRR), unter anderem Basel III in Europa umsetzen und damit auch das makroprudenzielle Instrumentarium in der EU nochmals erweitern.

Die Überwachung des gesamten Finanzsystems ist ein neues Element des Aufsichtssystems; sie befindet sich noch im Aufbau. Wie erfolgreich die neu geschaffenen Behörden und Gremien sein werden, hängt wesentlich von der institutionellen Stärke der Aufsicht, der Wirksamkeit ihrer Instrumente und der Qualität ihrer Analysen ab.

Hinweis

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Autor: Frank Brings, BaFin

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