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Erscheinung:01.12.2014 | Thema Sanierung/Abwicklung Abwicklung: Zusätzliche Kapitalanforderungen für global systemrelevante Institute

Grenzüberschreitende Anerkennung von Anordnungen

Wenn global systemrelevante Kreditinstitute scheitern – also Banken, die zu groß, zu komplex oder zu stark mit anderen Marktteilnehmern verwoben sind, als dass sie problemlos im Rahmen einer Insolvenz aus dem Markt ausscheiden könnten – kann dies die Stabilität der Finanzmärkte gefährden. In der Finanzmarktkrise mussten Banken darum mit Steuergeldern gestützt werden.

Seither beschäftigen sich Aufseher und Regulierer auf internationaler Ebene mit der Frage, wie diese „Too-Big-to-Fail“-Problematik überwunden werden kann. Im Kern geht es darum sicherzustellen, dass auch solche Institute im Ernstfall abgewickelt werden können, ohne den Markt aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Im November hat es hier wesentliche Fortschritte gegeben. Zum einen veröffentlichte der Finanzstabilitätsrat FSB (Financial Stability Board) einen Vorschlag, wonach global systemrelevante Institute ausreichend Mittel für eine mögliche Abwicklung vorhalten müssen. Zum anderen haben sich die 18 größten global systemrelevanten Banken verpflichtet, bei grenzüberschreitenden Abwicklungen bestimmte Anordnungen ausländischer Behörden anzuerkennen und im Fall einer Schieflage vorübergehend auf ihre Beendigungsrechte bei Derivaten zu verzichten.

Ausreichende Verlusttragungsfähigkeit

Durch Basel III wurden die Eigenmittelanforderungen an Banken verschärft, damit sie unvorhergesehene Verluste im laufenden Geschäftsbetrieb (Going-Concern) auffangen können. Im Fall einer Abwicklung aber sind diese Mittel aufgezehrt. Gerade dann ist jedoch dringend Kapital notwendig, um sämtliche Verluste zu tragen und die Bank zumindest vorübergehend zu rekapitalisieren, damit die Abwicklung gelingt. Woher kommen diese Mittel?

Der Finanzstabilitätsrat hatte diese Frage im September 2013 in seinem Bericht zum Thema „Too Big to Fail“ als wesentlich identifiziert. Um eine effektive Abwicklung sicherzustellen und systemische Risiken zu bewältigen, müssten die Institute über eine ausreichende Verlusttragungsfähigkeit verfügen.

Im November 2014 stellte das FSB nun einen entsprechenden Vorschlag zur Konsultation. Er enthält Prinzipien und daraus abgeleitete Anforderungen, die für global systemrelevante Banken gelten sollen.

Verbindlichkeiten und Eigenmittel

Das FSB will global systemrelevante Banken demnach dazu verpflichten, ein Minimum an Eigenmitteln oder Verbindlichkeiten vorzuhalten, die bei einem Scheitern des Instituts abgeschrieben oder in Eigenkapital umgewandelt werden können (GLAC). Dies soll Verluste auffangen, die vom Mindestkapital nach Basel III nicht gedeckt sind, und sicherstellen, dass das Institut für eine geordnete Abwicklung rekapitalisiert werden kann. GLAC schreibt neben der Mindesthöhe bestimmte qualitative Kriterien vor. Sie sollen gewährleisten, dass die Umwandlung schnell und ohne Risiken für die Finanzstabilität erfolgen kann.

Die Kapitalanforderungen nach Basel III und GLAC sollen laut FSB in einer einheitlichen Mindestquote zusammengefasst werden (TLAC). Bezugsgröße der Quote sind die risikogewichteten Aktiva (RWA) oder die Gesamtverbindlichkeiten für die Berechnung der Höchstverschuldungsquote nach Basel III (Leverage Ratio), je nachdem, was zu einem höheren Ergebnis führt. Die einheitliche Quote dient dazu, die Kapitalanforderungen nach Basel III und GLAC aufeinander abzustimmen und sicherzustellen, dass die Funktionsweise der Kapitalpuffer nicht beeinträchtigt wird.

GLAC und TLAC

GLAC (Gone-Concern Loss-Absorbing Capacity): Verlusttragungsfähigkeit für den Abwicklungsfall
TLAC (Total Loss-Absorbing Capacity): Einheitliche Mindestquote aus Kapitalanforderungen nach Basel III und GLAC

Mindestquote

Das FSB schlägt eine TLAC-Mindestquote von 16 bis 20 Prozent der risikogewichteten Aktiva und dem Doppelten der Leverage Ratio vor, nach gegenwärtiger Planung also 6 Prozent (siehe Grafik). Beide Anforderungen sind parallel zu erfüllen. Die TLAC-Quote auf RWA-Basis setzt sich zusammen aus der Basel-III-Mindestkapitalanforderung von 8 Prozent (nach voller Umsetzung) und weiteren 8 bis 12 Prozent, die nach dem GLAC-Vorschlag mit geeignetem Fremdkapital oder überschüssigen Eigenmitteln zu erfüllen sind. Die TLAC-Quote auf Basis der Leverage Ratio besteht entsprechend zu 3 Prozent aus den nach Basel III erforderlichen Eigenmitteln für die Leverage Ratio und zu weiteren 3 Prozent aus geeignetem Fremdkapital und zusätzlichen Eigenmitteln.

Die Kapitalpuffer aus hartem Kernkapital, die mit Basel III eingeführt wurden, sind zusätzlich zu erfüllen. Sie sind sowohl vor dem Basel-III-Mindestkapital als auch vor TLAC für den Ausgleich von Verlusten heranzuziehen. Stehen bei einem Institut nicht ausreichend Verbindlichkeiten oder Eigenmittel zur Erfüllung der TLAC-Anforderungen zur Verfügung, werden die Kapitalpuffer so weit herabgeschrieben, wie dies erforderlich ist, um die Differenz zu decken. Eine TLAC-Verletzung kann daher erst eintreten, wenn die Kapitalpuffer aufgezehrt sind. Bereits zuvor greift das Sanktionsregime für die Verletzung der Kapitalpuffer: Das Institut darf dann kein Kapital ausschütten und muss einen Kapitalerhaltungsplan aufstellen.

Die endgültige Höhe der Mindestquote wird Ende 2015 festgelegt. Entscheidungsgrundlage werden die Ergebnisse einer umfassenden Auswirkungsstudie sein, die das FSB im nächsten Jahr zusammen mit dem Basler Ausschuss für Bankenaufsicht BCBS (Basel Committee on Banking Supervision) und der Bank für internationalen Zahlungsausgleich durchführen wird. Die zuständigen Behörden können über die Mindestquote hinaus weitere institutsindividuelle Anforderungen festlegen.

Grafik: Total Loss-Absorbing Capacity (TLAC)

Total Loss-Absorbing Capacity (TLAC)

Total Loss-Absorbing Capacity (TLAC) BaFin Total Loss-Absorbing Capacity (TLAC)

Geeignetes Fremdkapital

Zweck von TLAC ist es, im Abwicklungsfall ein Mindestmaß an Kapitalinstrumenten zur Verfügung zu haben, die schnell und ohne rechtliche oder praktische Schwierigkeiten umgewandelt oder abgeschrieben werden können, um das Institut rasch zu rekapitalisieren. Daher eignen sich nicht alle Verbindlichkeiten für TLAC. Nicht angerechnet werden können etwa gesicherte Einlagen, besicherte Verbindlichkeiten, Derivate und operative Verbindlichkeiten, insbesondere solche, die nicht vertraglich vereinbart sind.

Außerdem müssen die Verbindlichkeiten eine Restlaufzeit von mindestens einem Jahr aufweisen. Für TLAC geeignete Verbindlichkeiten, wie etwa unbesicherte Anleihen oder Einlagen von Großkunden, müssen ferner nachrangig zu den nicht anrechnungsfähigen Verbindlichkeiten sein. Dies soll das Risiko ausschließen, dass das insolvenzrechtliche Gleichbehandlungsprinzip (Pari-Passu-Prinzip) verletzt wird, was Schadensersatzklagen zur Folge haben könnte.

Abwicklungsstrategie

TLAC muss innerhalb einer Institutsgruppe von den Gesellschaften aufgenommen und vorgehalten werden, bei denen nach der Abwicklungsplanung im Fall einer Schieflage entsprechende Maßnahmen angesetzt würden (Resolution Entity). Dies können eine oder mehrere Gesellschaften sein; häufig ist es die Muttergesellschaft einer Institutsgruppe. TLAC ist damit hinsichtlich der gewählten Abwicklungsstrategie neutral.

Ein Teil der Mittel muss allerdings intern an wesentliche ausländische Tochtergesellschaften weitergereicht werden. Gerät eine Tochtergesellschaft in Schieflage, können die Verbindlichkeiten gegenüber der Mutter zur Rekapitalisierung eingesetzt werden, und zwar durch Umwandlung oder Abschreibung per vertraglicher Regelung, also ohne die Anwendung von Abwicklungsmaßnahmen. Abwicklungsmaßnahmen erfolgen auf diese Weise ausschließlich bei der Resolution Entity. Mit diesem Konzept des Internal TLAC soll gewährleistet werden, dass Verluste wesentlicher ausländischer Tochtergesellschaften zur Resolution Entity transferiert werden können, ohne diese selbst abzuwickeln. Ziel ist es, bei der Gastlandbehörde Vertrauen zu schaffen, dass die Tochtergesellschaft bei einer Schieflage nicht allein gelassen wird. Dies soll Anreize für Ring-Fencing-Maßnahmen vermindern, also Abwicklungs- und Vorbereitungsmaßnahmen, die von der vereinbarten Abwicklungsstrategie abweichen.

Investoren

Aufgrund von Ansteckungsrisiken wäre es nicht zielführend, wenn global systemrelevante Banken gegenseitig übermäßig in TLAC-Instrumente investierten. Deshalb müssen Banken, die in TLAC-Instrumente anderer Banken investieren, diese von ihrem eigenen TLAC abziehen. Die detaillierten Abzugsregelungen werden sich voraussichtlich an die Basel-III-Regeln für das regulatorische Kapital anlehnen.

Hier finden Sie ein Interview mit BaFin-Präsidentin Dr. Elke König zum FSB-Vorschlag. Sie erläutert wichtige Einzelheiten des Vorschlags und erklärt, warum eine solche Regelung aus ihrer Sicht notwendig ist.

Rechtliche Hindernisse beseitigen

Neben finanziellen Fragen geht es bei der Debatte um die grenzüberschreitende Abwicklung global systemrelevanter Finanzinstitute auch darum, wie die rechtlichen Hindernisse überwunden werden können, die derzeit noch bestehen. Der Finanzstabilitätsrat war bei seinem Peer Review im vergangenen Jahr zu dem Ergebnis gekommen, dass die nationalen Abwicklungsbehörden noch nicht mit ausreichenden Befugnissen ausgestattet sind. Insbesondere können sie Maßnahmen ausländischer Abwicklungsbehörden kaum oder gar nicht anerkennen und sie auch nicht wirksam umsetzen.

Das erklärt, warum viele nationale Regelwerke zu Abwicklungsfragen die Anforderungen der Key Attributes für effektive Abwicklungsregimes des FSB noch nicht vollständig erfüllen. Die meisten sehen einen zeitintensiven Anerkennungsprozess durch nationale Gerichte vor. Neben der Frage der Gleichbehandlung der inländischen Gläubiger spielen dabei auch grundlegende nationale Wertvorstellungen eine Rolle.

Behandlung von Derivaten

Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Überwindung dieser Hindernisse ist Mitte November vollzogen worden: Die 18 größten global systemrelevanten Banken haben ein Zusatzprotokoll zum Master-Agreement der International Swaps and Derivatives Association (ISDA) unterzeichnet, das die Behandlung von Derivaten im Fall einer Abwicklung deutlich erleichtert.

Danach haben sich die Institute freiwillig verpflichtet, bei Over-the-Counter-Derivaten (OTC-Derivate), die unter das Master-Agreement fallen, die Aussetzung von vorzeitigen Beendigungsrechten durch ausländische Abwicklungsbehörden anzuerkennen. Außerdem verzichten sie für den Fall, dass die Muttergesellschaft oder ein anderes verbundenes Unternehmen einer Gegenpartei einem US-Insolvenzverfahren unterfällt, vorübergehend auf ihr Recht, Finanzterminkontrakte sofort zu beenden (Cross-Default-Klauseln).

ISDA Master-Agreement

Das Master-Agreement der International Swaps and Derivatives Association (ISDA) ist ein Standardvertragswerk für den Derivatehandel, in dem grundlegende Verpflichtungen der handelnden Parteien für alle Einzeltransaktionen festgelegt sind. Das Master-Agreement wird unter anderem durch Anhänge und Zusätze ergänzt. Zusatzprotokolle ergänzen die Bestimmungen des Master-Agreements für die Parteien, die sie unterzeichnen und miteinander Transaktionen unter dem Master-Agreement abschließen.

Beendigungsrecht vorübergehend aussetzen

Würde dieses vorzeitige Beendigungsrecht bei Einleitung eines Abwicklungsverfahrens durch eine Abwicklungsbehörde automatisch ausgelöst, so würde dies zur Fälligkeit und Aufrechnung aller gegenseitigen Positionen zu Marktwerten führen (Close-Out). Bei einem Institut, das sich in Abwicklung befindet, können diese sofort fälligen Nettoverbindlichkeiten beträchtlich sein und ein Abwicklungshindernis darstellen. Denn die Abwicklungsbehörde sähe sich sofort nach Anordnung der Abwicklung mit erheblichen Zahlungsforderungen aus einem gekündigten Portfolio von Finanzterminkontrakten konfrontiert.

Die nun unterzeichnete Selbstverpflichtung der Institute stellt hingegen sicher, dass die Abwicklungsbehörde vorzeitige Beendigungs- und Kündigungsrechte vorübergehend aussetzen kann. Dies ermöglicht es ihr, eine geordnete Abwicklung einzuleiten. Rechtlich erfolgt die gegenseitige grenzüberschreitende Anerkennung einer solchen Stay-Anordnung so, dass die Protokollparteien unterstellen, es sei – ausschließlich für diese Maßnahme – im Master-Agreement das Recht des Abwicklungsregimes vereinbart worden, dem das ausfallende Institut unterliegt (Opt-In).

Anwendungsbereich ausweiten

Die nationalen Aufsichtsbehörden haben angekündigt, den Anwendungsbereich des Protokolls durch flankierende regulatorische Maßnahmen auf weitere Finanzmarktteilnehmer auszuweiten. Ziel ist es, eine breite Marktabdeckung und eine größtmögliche Harmonisierung zu erreichen sowie Abwanderungseffekte und eine Fragmentierung der am Markt gängigen Kontrakte zu verhindern.

Die BaFin will ihre Verwaltungspraxis dahingehend anpassen, dass wenigstens bei potenziell systemgefährdenden Instituten dann ein Abwicklungshindernis vorliegt, wenn aufgrund der vertraglichen Ausgestaltung der Derivatekontrakte nicht sichergestellt ist, dass Stay-Anordnungen der Abwicklungsbehörde wirksam werden. Dies ist etwa bei grenzüberschreitenden Verträgen der Fall, die aufgrund von Rechtswahlvereinbarungen nicht deutschem Recht unterliegen und bei denen eine Partei die vorübergehende Aussetzung von Beendigungsrechten durch die nationale Abwicklungsbehörde der Gegenpartei nicht ausdrücklich anerkennt. Um dieses Abwicklungshindernis zu beseitigen, sieht das ISDA-Protokoll vor, dass grenzüberschreitende Derivatekontrakte künftig eine vertragliche Anerkennungsklausel enthalten müssen.

Bis Ende 2014 wollen sich die Aufseher der 18 größten global systemrelevanten Banken darüber abstimmen, welchen Umfang die flankierende Regulierung für Institute und Verträge annehmen soll. Im Laufe des nächsten Jahres werden sie innerhalb des FSB und mit der Industrie beraten. Die Umsetzung der neuen Regulierung ist bis zum Jahresende 2015 geplant.

Hinweis

Der Beitrag gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im BaFinJournal wieder und wird nicht nachträglich aktualisiert. Bitte beachten Sie die Allgemeinen Nutzungsbedingungen.

Autor: Ingo Wallenborn, Dr. Esther Brisbois, BaFin

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