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Erscheinung:16.11.2016 BaFin-Präsident Felix Hufeld veröffentlicht Aufsatz zu Systemrisiken

Die Finanzkrise von 2007/2008 und den Folgejahren hat die Finanzmärkte und die gesamte Wirtschaft zerrüttet wie wenige Ereignisse zuvor. Eine der Ursachen dieser Krise war die Existenz von Systemrisiken. Um zu verhindern, dass sich eine solche Situation wiederholt, wurden auf institutioneller wie auch regulatorischer Ebene wichtige Reformen initiiert, die sich zunächst stark auf die Banken konzentrierten.

Aber auch in anderen Teilen der Finanzwirtschaft können systemische Risiken auftreten – sowohl bei Versicherern als auch im Sektor der sogenannten Nicht-Banken und Nicht-Versicherer. (Dazu zählen unter anderem Vermögensverwalter, Fonds und Finanzmarktinfrastrukturen, siehe BaFinJournal April 2015.) In einem Beitrag für das kürzlich erschienene Buch „The Economics, Regulation, and Systemic Risk of Insurance Markets“ hat BaFin-Präsident Felix Hufeld nun erläutert, wie aus seiner Sicht in der Versicherungswirtschaft mit diesen Risiken umgegangen werden sollte.

Hybrider Ansatz

Definition:Systemrisiken

Wenn Finanzunternehmen so groß, so komplex, so stark mit anderen Marktteilnehmern verwoben, in ihren Funktionen unersetzbar oder in hohem Maße international tätig sind, so birgt dies Systemrisiken: Geraten diese Unternehmen in Schieflage, kann das die Stabilität der globalen Finanzmärkte gefährden. Um dies zu verhindern, wurden und werden für diese Unternehmen – gesondert für Banken, Versicherer und sogenannte Nicht-Banken und -Versicherer – international besondere Regeln aufgestellt. Ausführliche Informationen dazu finden sich unter anderem in den BaFinJournal-Ausgaben September 2016, Mai 2016, April 2015, Dezember 2014 und Oktober 2013.

Um Systemrisiken in der Versicherungswirtschaft angemessen zu begegnen, so Hufeld, bedürfe es eines „hybriden Ansatzes“ – anders als im Bankensektor, wo Systemrisiken angemessen erfasst werden könnten, indem man sich auf einzelne Unternehmen oder Gruppen konzentriere. Ein hybrider Ansatz berücksichtige die Notwendigkeit, zwei konzeptionell unterschiedliche regulatorische Rahmen zu entwickeln und zu kombinieren, um im oder durch den Versicherungssektor aufkommende Systemrisiken umfassend zu steuern. Maßgeblich sei die Unterscheidung zwischen direktem und indirektem Systemrisiko. Um beide angemessen zu überwachen, seien jeweils gesonderte regulatorische Antworten und Aufsichtsmaßnahmen zu identifizieren.

Als direktes Systemrisiko bezeichnet Hufeld die potenziellen Folgen für das Finanzsystem, deren Verursacher ein einzelner Versicherer oder eine Versicherungsgruppe ist, wobei die Ursachen dieser schädlichen Auswirkungen unmittelbar etwa in der Natur, den Aktivitäten oder Produktmerkmalen des Versicherers selbst liegen. In Kombination mit dessen Größe und Verflechtungsgrad könne dies direkt zu Störungen systemweiten Ausmaßes im Finanzsystem führen.

Als indirektes Systemrisiko definiert der BaFin-Präsident hingegen die potenziell negativen Folgen für das Finanzsystem, die auf die Aktivitäten eines oder vieler Versicherer oder Versicherungsgruppen zurückgehen, wenn diese (kollektiv) auf negative Ereignisse oder Schocks reagieren, denen sie selbst ausgesetzt waren.

Direktes Systemrisiko

Die Entscheidung, ob ein Versicherer ein direktes Systemrisiko birgt, basiert auf einer Einstufungsmethode, die die Internationale Vereinigung der Versicherungsaufsichtsbehörden IAIS entwickelt hat. Derzeit sind auf Basis dieser Methode neun Gruppen als global systemrelevant (Global Systemically Important Insurers – G-SIIs) eingestuft – weit weniger als im Bankensektor. Die drei Hauptkategorien der Aufsichtsmaßnahmen sind hier eine verstärkte Aufsicht, insbesondere auf Gruppenebene, eine vorsorgliche Definition von Sanierungs- und Abwicklungsmaßnahmen und Kapitalaufschläge zur Erhöhung der Verlustausgleichsfähigkeit.

Hufeld geht in seinem Aufsatz auf die Kritik am Konzept der G-SIIs ein. Zum einen werde häufig eingewendet, im Geschäftsmodell von Versicherern und in der Versicherungswirtschaft insgesamt gebe es überhaupt keine Systemrisiken. Hufeld schließt sich hier in Bezug auf direkte Systemrisiken der Sicht der IAIS an: Potenzial für Systemrelevanz sieht er nur bei nichttraditioneller Versicherung und Nichtversicherungsgeschäften. Komplexe, international tätige Versicherungsgruppen könnten aber prinzipiell auch solche Aktivitäten in ihren Geschäftsportfolios haben. Die G-SII-Einstufungsmethode müsse nun verfeinert werden, um Systemrisiken besser erfassen und mindern und dem Anreiz entgegenwirken zu können, solche Risiken überhaupt einzugehen.

Auch den Einwand von Kritikern, ein zusätzlicher Kapitalzuschlag zur Erhöhung der Verlustausgleichsfähigkeit sei möglicherweise nicht der richtige Weg, greift Hufeld in seinem Beitrag ausführlich auf. Die Argumente seien teilweise berechtigt, so der BaFin-Präsident. Dadurch werde das Ziel der Regulierung, Externalitäten zu internalisieren, jedoch nicht obsolet. Konzeptionell sei nichts dagegen einzuwenden, einen solchen Ansatz in der Versicherungswirtschaft zu verfolgen. Es sei jedoch notwendig, den Kapitalaufschag richtig zu kalibrieren und die G-SII-Methode insgesamt zu verfeinern. Dies sei auch das Ziel der IAIS.

Indirektes Systemrisiko

Als Beispiele für indirekte Systemrisiken nennt Hufeld den plötzlichen Wertverlust bestimmter Staatsanleihen, den Ausfall von Emittenten gedeckter Schuldverschreibungen, einen plötzlichen massiven Einbruch der Aktienmärkte und eine längere Phase sehr niedriger Zinsen, möglicherweise gefolgt von einem Emporschnellen der Zinssätze. Es gehe also um Systemrisiken, die zwar generell durch Exponierung gegenüber externen Schocks oder Ereignissen ausgelöst werden, aber erst durch ihre Auswirkungen auf viele Versicherer und deren mögliche kollektive Reaktionen darauf systemisch werden. Wie viele Versicherer betroffen seien, sei vorab nahezu unmöglich zu bestimmen. Das systemische Risikopotenzial umfasse auch mittelgroße und kleine Versicherer, die einzeln niemals als systemrelevant gelten würden.

Die zweite Komponente des hybriden Ansatzes sei daher nicht unternehmens-, sondern aktivitäts- oder marktzentriert. Sie betreffe explizit Sicherungsmechanismen für kollektives Verhalten. Dies sei die Domäne des jeweiligen allgemeinen regulatorischen Rahmens. Beispiele seien das deutsche Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG), die europäische Solvency-II-Richtlinie sowie auf globaler Ebene die Prinzipien der IAIS zur Versicherungsaufsicht, das Rahmenwerk ComFrame für international tätige Versicherungsgruppen und der Kapitalstandards ICS (Insurance Capital Standard), den die IAIS derzeit entwickelt.

Allerdings konzentriere sich die allgemeine Versicherungsaufsicht traditionell mehr auf den Schutz der Versicherungsnehmer als auf Belange der Finanzstabilität. Daher müsse ein konsistenter, expliziter Rahmen für die Behandlung indirekter Systemrisiken aufgrund kollektiven Verhaltens entwickelt werden. Ein solcher Rahmen könne das enthalten, was gemeinhin als makroprudenzielle Perspektive bezeichnet werde, ohne jedoch damit identisch zu sein. Welche Kombination von Strategien und Instrumenten am besten geeignet sei, um neue regulatorische und aufsichtliche Antworten auf Systemrisiken zu formulieren, müsse sich durch die weitere Arbeit erweisen.

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