BaFin - Navigation & Service

Erscheinung:15.02.2017 | Thema Verbraucherschutz Interview zur Digitalisierung aus Verbrauchersicht: „Neue Möglichkeiten, aber auch neue Risiken“

Dorothea Mohn (Verbraucherzentrale Bundesverband) und Christian Bock (BaFin) im Gespräch

Die Digitalisierung im Finanzsektor schreitet kontinuierlich voran. Immer häufiger begegnet man in den Medien neuen Schlagworten wie Robo-Advice und Big Data. Im Interview mit dem BaFinJournal erläutern Dorothea Mohn, Leiterin Finanzen beim Verbraucherzentrale Bundesverband, und Christian Bock, der seit Ende 2016 die BaFin-Abteilung für Verbraucherschutz leitet, welche Chancen, aber auch Risiken die Digitalisierung für Verbraucher mit sich bringt und welche Entwicklung sie erwarten.

Interview: Digitalisierung aus Verbrauchersicht

Im Gespräch: Dorothea Mohn (Verbraucherzentrale Bundesverband) und Christian Bock (BaFin) Im Gespräch: Dorothea Mohn (Verbraucherzentrale Bundesverband) und Christian Bock (BaFin) © BaFin

Die Digitalisierung im Finanzsektor ist derzeit ein wichtiges Thema in der Öffentlichkeit. Worum geht es da genau?

Bock: Immer mehr Finanzdienstleistungen werden teilweise oder komplett digitalisiert angeboten, also mit Hilfe technologiebasierter Systeme. Ein Beispiel ist das Onlinebanking: Früher mussten Kunden ihre Bankgeschäfte in der Filiale erledigen, heute ist das auch über das Internet möglich – ob von zu Hause oder unterwegs.

Welche Bereiche sind von der Digitalisierung betroffen?

Mohn: Die Digitalisierung erstreckt sich über alle Bereiche des Finanzsektors, seien es normale Bankgeschäfte, also Zahlungsverkehr und Kredite, seien es Kapitalanlagen, Versicherungen oder auch virtuelle Währungen. Während man sich beim Zahlungsverkehr längst daran gewöhnt hat, Waren und Dienstleistungen digital, sprich online zu bezahlen, ist die Entwicklung etwa bei Versicherungen und der digitalisierten Beratung noch recht jung.

Bock: Das kann ich nur bestätigen. Vor zwei Jahren hatten wir es vor allem mit Fintechs zu tun, also innovativen Unternehmen, die Finanzdienstleistungen im engeren Sinne anbieten. Mittlerweile machen auch Insurtechs von sich reden – also Fintechs, die sich auf Versicherungsdienstleistungen spezialisiert haben – und sogar Regtechs, die IT-Lösungen für effiziente Compliance-Strukturen und das regulatorische Management in den Unternehmen bereithalten.

Ist diese Entwicklung für Verbraucher positiv oder negativ?

Mohn: Automatisierte oder digitalisierte Prozesse bieten natürlich andere Möglichkeiten als stationäre Dienstleistungen. Dies ist zunächst einmal sehr erfreulich für Verbraucher. Auf der anderen Seite können daraus aber auch neue Risiken erwachsen.

Schauen wir uns dies einmal im Einzelnen an. Herr Bock, Sie haben eben die Fintechs erwähnt. Wie unterscheiden sich die Chancen und Risiken für Verbraucher von denen bei etablierten Unternehmen?

Bock: Ich sehe zwei wichtige Vorteile. Zum einen profitieren die Verbraucher natürlich davon, dass Fintechs den technischen Fortschritt im Finanzmarkt insgesamt vorantreiben und kundenfreundliche, schnelle und bequeme Anwendungen für die Nutzer fördern. Zum anderen haben sie mehr Dienstleister zur Auswahl und können so leichter ein kostengünstiges Angebot finden, das zu ihnen passt. Denn auch etablierte Unternehmen lassen sich inzwischen von den Geschäftsmodellen der Fintechs inspirieren oder gehen Kooperationen mit ihnen ein, um ihr Angebot zu ergänzen und konkurrenzfähig zu bleiben. Schließlich sind nicht deren Finanzdienstleistungen neu, sondern die technologiebasierten Prozesse, die dahinterstecken.

Dabei müssen Verbraucher aber die Dynamik des Markts im Auge behalten. Derzeit gibt es in Deutschland nach einer Studie des Bundesfinanzministeriums etwa 433 Fintechs. Aber nur 346 davon weisen eine aktive Geschäftstätigkeit auf; die übrigen 87 waren entweder noch nicht aktiv oder hatten ihre Tätigkeit bereits wieder eingestellt. Es liegt in der Natur der Sache, dass nicht alle innovativen Anbieter überleben. Verbraucher kommen also meist nicht umhin, die Angebote immer wieder aufs Neue zu vergleichen.

Mohn: Das sehe ich ebenso, möchte aber einen wichtigen Punkt ergänzen: Wenn Verbraucher die Angebote von etablierten Unternehmen und Fintechs vergleichen, schauen sie mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf, welches Unternehmen ihnen den größten Nutzen bietet – kaum aber darauf, wer wie reguliert und von welcher Behörde kontrolliert wird. Das können wir nicht erwarten. Ich sehe den Staat in der Verantwortung, sich darum zu kümmern, dass diese Unternehmen passend reguliert und wirksam beaufsichtigt werden.

Bock: Da haben Sie vollkommen Recht. Daher gilt: Gleiche Regeln für gleiches Geschäft. Fintechs unterliegen also denselben Regeln wie etablierte Unternehmen.

Man hört im Zusammenhang mit Fintechs immer wieder den Begriff „Robo-Advice“. Was verbirgt sich dahinter?

Bock: Beim Robo-Advice – das bedeutet wörtlich übersetzt so viel wie „Beratung durch Roboter“ – erstellt ein Algorithmus eine Empfehlung für eine Kapitalanlage oder ein Musterportfolio. Der Computer ersetzt hier also den menschlichen Anlageberater. Der Kunde beantwortet dazu auf einer Plattform einen Fragenkatalog und legt seine persönlichen Umstände, anlagerelevanten Kenntnisse und Handelserfahrungen sowie seine Risikotragfähigkeit und seine Anlageziele offen. Bei der Berechnung der Anlagemöglichkeiten greifen die Plattformen häufig auf börsengehandelte Investmentfonds zurück, sogenannte Exchange-Traded Funds.

Die Vorteile von Robo-Advice für Verbraucher liegen auf der Hand: Die Plattformen sind bequem vom Computer aus zu erreichen und zeichnen sich durch eine günstige und transparente Kostenstruktur aus. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass man seine Anlageentscheidung genauso überlegt fällen muss wie bei einer klassischen Anlageberatung.

Ob der Robo-Advisor besser oder schlechter ist als der menschliche Berater, lässt sich noch nicht beurteilen. Unbedingt günstiger ist er jedenfalls nicht, denn auch er berechnet Gebühren. Ein Nachteil kann sich außerdem aus dem überwiegenden Rückgriff auf börsengehandelte Investmentfonds ergeben; die Empfehlungen umfassen dann nicht alle Anlagemöglichkeiten.

Aus aufsichtsrechtlicher Sicht ist es aber letztlich egal, ob sich der Kunde von einem menschlichen Berater oder einem Computer helfen lässt und ob es sich um eine Anlageberatung oder eine Portfolioverwaltung handelt. Sie alle stehen unter Aufsicht der BaFin.

Frau Mohn, was halten Sie von Robo-Advice?

Mohn: Nach meinem Verständnis gibt es den Robo-Advice heute eher in der Theorie als in der Praxis. Zwar wird häufig irgendwie suggeriert, dass es sich um eine Beratung handelt, aber gleichzeitig distanzieren sich viele Robo-Advisor in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen davon. Hintergrund sind hier sicherlich die aufsichtsrechtlichen Anforderungen. Damit bleibt unklar, ob eine Beratung stattfindet, so dass eine rechtliche Grauzone entsteht. Die meisten Robo-Advisor schlagen sich heute daher eher auf die Seite der automatisierten Portfolioverwaltung. Dass viele Anbieter dabei auf kostengünstige und einfache Finanzanlagen setzen, sehe ich positiv.

Möglicherweise haben die Systeme mittelfristig wirklich das Potenzial, eine Alternative zur persönlichen Anlageberatung zu sein. Ich würde das sehr begrüßen, weil daraus für Verbraucher enorme Chancen erwachsen können. Provisionsbasierte Beratungen erfolgen häufig nicht in ihrem Interesse. Die automatisierten Verfahren können somit dazu beitragen, dass Verbraucher eine bessere Anlageentscheidung treffen können. Zudem bieten sie ganz andere Möglichkeiten, die für Verbraucher von Vorteil sind.

Nämlich welche?

Mohn: Automatisierte Beratung muss unweigerlich stark standardisiert sein. Dahinter müssen also Beratungskonzepte stehen, die sich letztendlich besser oder überhaupt erst kontrollieren lassen. Eine Beratung in einer Bankfiliale ist hingegen kaum kontrollierbar. Wenn man perspektivisch darüber nachdenkt, dass diese Beratungsmodelle auch transparent gemacht werden können, könnte überdies ein Wettbewerb um gute Beratung entstehen. Ein weiterer Vorteil sind die geringeren Kosten. Es ist daher denkbar, dass sich hier kostengünstige Honorarmodelle etablieren. Der Kostendruck wie auch der Druck, Margen und Provisionen zu generieren, ist insgesamt geringer, was sich positiv auf die Produktlösungen auswirken kann – das ist ja heute schon zu beobachten. Von alldem profitieren die Verbraucher.

Das klingt, als habe die Aussicht auf automatisierte Beratungen durchweg positive Aspekte. Sehen Sie auch Risiken?

Mohn: Ich neige tatsächlich dazu, hier in erster Linie die Vorteile zu sehen, denn mit der Qualität der Beratung in Filialen bin ich höchst unzufrieden. Die Alternative, über die wir hier sprechen, bietet Auswege. Trotzdem sehe ich natürlich auch Risiken. So weiß der Computer nicht, wer gerade vor ihm sitzt und ob der- oder diejenige alles richtig verstanden und sich ausreichend Bedenkzeit genommen hat. Man muss intelligente Lösungen finden, um Verbraucher vernünftig abzuholen. Wenn sie etwas nicht richtig verstehen, besteht immer die Gefahr, dass sie am Ende Dinge tun, die nicht gut für sie sind. Allerdings ist all das in der Filiale nicht unbedingt anders. Daneben sehe ich bei der automatisierten Beratung das große Risiko von Fehlern oder auch Fehlanreizen im System. Solche Fehler können schnell weitreichende negative Folgen haben.

Neben Robo-Advice ist im Zusammenhang mit Fintechs auch immer wieder von „APIs“ die Rede. Was hat es damit auf sich?

Bock: API steht für Application Programming Interface. Gemeint sind Anwendungsprogrammierschnittstellen zwischen verschiedenen Programmen oder Programmteilen, die auf diese Weise Daten vereinheitlicht und strukturiert austauschen können. Auch Apps können auf APIs zurückgreifen und es dem Kunden so ermöglichen, all seine Konten bei verschiedenen Instituten im Blick zu behalten.

Ist das für die Verbraucher aus Ihrer Sicht gut oder schlecht?

Bock: Auf den ersten Blick ist das für die Kunden praktisch: Ist jemand beispielsweise mit seiner Kreditkarte dauerhaft im Minus, könnte ihm das Fintech einen günstigeren Kleinkredit von einem anderen Anbieter zur Umschuldung anbieten. Dass hiermit aber umgekehrt erhöhte Risiken einhergehen, etwa was den Datenschutz betrifft, dürfte klar sein. Verbraucher müssen hier besonders stark darauf achten, dass die Sicherheit und Vertraulichkeit ihrer Daten gewährleistet ist. Ich kann nur dazu raten, die Vertragsbedingungen und Datenschutzbestimmungen derartiger Apps genau anzuschauen, bevor man personenbezogene Daten freigibt.

Frau Mohn, wie sehen Sie das?

Mohn: Wir teilen die Datenschutzbedenken.

Man muss sich die Vertragsbedingungen und tatsächlichen Datenflüsse dieser Schnittstellen genau anschauen. Wenn sie zu weit gehen, könnte ich meine Kontoauszüge überspitzt gesagt auch offen an die Haustür kleben.

Das würden Verbraucher außerhalb der digitalen Welt ja auch nicht tun, aus Angst vor Betrügern und anderen Kriminellen. Die Programme und Anbieter einfach machen zu lassen, weil es bequem und einfach erscheint, auf Vorschläge nur noch mit einer kurzen Bestätigung reagieren zu müssen, ist ein zusätzliches Risiko. Es kann bedeuten, die Kontrolle über die eigenen Finanzen sukzessive an Anwendungen abzugeben, denen man vielleicht zu Unrecht vertraut oder die sich als nicht sicher genug erweisen.
Zurzeit wird auch viel über „Big Data“ diskutiert – ein weiterer Begriff, der vielleicht nicht jedem geläufig ist.

Mohn: Bei Big Data im Finanzsektor geht es häufig darum, möglichst viele Daten über Verbraucher zu sammeln und auszuwerten, um daraus eine Prognose über Ereignisse ableiten zu können. Ziel ist es, mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit vorhersehen zu können, ob beispielsweise ein Kreditereignis oder ein Versicherungsfall eintreten wird oder wie sich Verbraucher im Allgemeinen verhalten. Dies ist natürlich für große Teile der Finanzindustrie höchst interessant.

Ich befürchte, dass nicht jedem Verbraucher klar ist, was das bedeutet: Man gibt kostenlos Daten frei, die für Banken und Unternehmen einen großen wirtschaftlichen Wert haben. Häufig läuft das über Einwilligungserklärungen, bei denen man nur ein Häkchen setzen muss. Weil die Folgen für Verbraucher schlecht einschätzbar sind, ist aus unserer Sicht an dieser Stelle die Politik gefragt, das Sammeln von Daten einzugrenzen. Das Anklicken einer Einwilligungserklärung darf kein Freibrief dafür sein, sämtliche persönlichen Daten abzugreifen. Sie sind ein sensibles Gut, die der Staat schützen muss.

Wie weit sollte das Verbot reichen?

Mohn: Big Data kann für Verbraucher Vorteile haben. Beispielsweise, wenn es über zusätzliche Daten gelingt, Verbraucher versicherbar zu machen, die bislang vom Versicherungsschutz ausgeschlossen waren. Ich denke da etwa an Menschen mit bestimmten Krankheiten, die anhand von Daten belegen können, ein geringes individuelles Risiko mitzubringen. Man muss sich aber fragen, wie weit man das Thema treiben will. Am Ende darf nicht der gläserne Verbraucher stehen. Nehmen wir das Beispiel Bordcomputer beim Autofahren. Hier kann die Versicherungsprämie bei speziellen Telematik-Tarifen davon abhängen, wie ich in der Praxis fahre. Dies kann aber zu kritischen Situationen führen: Wenn man zum Beispiel einen Unfall verursacht, kann der Bordcomputer möglicherweise Informationen zum Unfallhergang geben, die man nach heutigem Rechtsverständnis eigentlich nicht preisgeben müsste. Am Ende spielen hier also auch ethische Fragen eine Rolle: Wie viel Kontrolle lässt sich durch solche Systeme aufbauen, und wie weit will man gehen? Ich bin daher nicht traurig darüber, dass es sich um ein Nischenprodukt handelt: Verbraucher haben bislang kaum Interesse an solchen Tarifen. Das dürfte vor allem an der paradoxen Tatsache liegen, dass sie teurer sind als die normalen Versicherungsbeiträge.

Es liegt aber nicht nur an den Gefahren für den Datenschutz, dass ich das ganze Thema kritisch sehe.

Woran noch?

Mohn: Gerade in der Versicherung gilt: Je weiter wir Risiken auf einzelne Personen herunterbrechen, desto stärker kehren wir uns vom Solidargedanken ab. Die Konsequenz ist, dass die Tarife für diejenigen Verbraucher, denen es gesundheitlich oder finanziell gut geht, günstiger werden, während es für diejenigen mit einem schlechteren Profil immer teurer wird oder sie sogar ganz von bestimmten Versicherungen ausgeschlossen werden. Eine Gesellschaft muss sich fragen, wie weit sie das zulassen möchte.

Herr Bock, sehen Sie das genauso?

Bock: Die risikogerechte Differenzierung von Versicherungsprämien ist kein neues Phänomen. Sie rückt durch Big Data nur stärker in den Fokus der Öffentlichkeit. Denken Sie beispielsweise an die vielen Tarifierungsmerkmale in der Kfz-Versicherung. Private Versicherungen funktionieren nach dem Äquivalenzprinzip. Das bedeutet, dass sich die Beitragshöhe nach dem versicherten Risiko richtet. Die Versicherung stellt dann einen Risikoausgleich im Kollektiv her. Der Beitrag zu diesem Kollektiv wird mit Hilfe statistischer Verfahren risikogerecht ermittelt. Versicherte mit höherem Risiko zahlen höhere Beiträge als Versicherte mit niedrigem Risiko, weil es statistisch gesehen bei ihnen zu mehr oder teureren Versicherungsfällen kommt.

In punkto Datenschutz bin ich mit Frau Mohn einer Meinung:

Eine unbeschränkte Datenerhebung und -verwendung kann nicht das Ziel sein. Hier sind aber auch die Verbraucher selbst gefragt.

Viele geben freiwillig zahlreiche Daten über sich im Internet preis, zum Beispiel in sozialen Netzwerken. Wenn diese Daten öffentlich zugänglich sind, können sie auch genutzt werden. Übrigens setzen nicht nur Versicherer auf die Sammlung und Auswertung großer Datenmengen, sondern auch Banken, vor allem bei der Kreditvergabe. Ein bekanntes Beispiel ist das Schufa-Scoring.

Wir dürfen außerdem nicht vergessen, dass Dinge, die in der Theorie erst einmal einfach und logisch klingen, häufig an praktische Grenzen stoßen.

Wie meinen Sie das?

Bock: Nehmen wir beispielsweise die Sammlung von Daten zum Bewegungsverhalten, Puls und Kalorienverbrauch durch Krankenversicherer. Technisch ist das problemlos möglich. Die Frage ist aber, welche Preisnachlässe damit gerechtfertigt werden können: Auch eine gesunde Lebensweise ist schließlich leider keine Garantie dafür, dass ein Kunde niemals ernsthaft erkrankt und dann eine kostspielige Behandlung braucht. Bei der Erhebung von Daten und bei Preisnachlässen sind zudem eine Reihe versicherungsaufsichtlicher und datenschutzrechtlicher Fragen zu klären.

Auch die Telematik-Tarife in der Kraftfahrzeug-Versicherung, die Frau Mohn eben erwähnte, sind kein Allheilmittel. Ein Versicherer kann zwar mit einiger Berechtigung vermuten, dass ein Fahrer, der gleichmäßig fährt, weniger riskant unterwegs ist. Ob dem im Einzelfall aber tatsächlich so ist, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Kommen wir zu einem anderen Thema, das schon seit längerem für Schlagzeilen sorgt: Crowdinvesting. Worauf müssen Verbraucher hier achten?

Bock: Beim Crowdinvesting – auch Schwarmfinanzierung genannt – wird zur Finanzierung eines Vorhabens von zahlreichen Geldgebern Kapital eingesammelt, in der Regel über eine Internetplattform. Die Schwarmfinanzierung ist eine Alternative zur klassischen Finanzierung durch Banken, die gerade Start-up-Unternehmen gern nutzen.

Anleger sollten hier sehr vorsichtig sein. Die Beteiligung erfolgt häufig in Form von Nachrangdarlehen, eine für Privatanleger besonders gefährliche Finanzierungsform. Sie tragen sowohl das Bonitätsrisiko des Emittenten als auch mittelbar die zahlreichen Risiken, die mit dem Anlageobjekt verbunden sind. Falls die Gesellschaft Insolvenz anmeldet, stehen sie in der Rangfolge der Gläubiger aber ganz hinten und können das Kapital, das sie eingesetzt haben, im schlimmsten Fall komplett verlieren. Oft stehen die konkreten Anlageobjekte zu Beginn nicht einmal fest. Die Emittenten versprechen bei solchen „Blind Pool“-Angeboten zum Beispiel, in Immobilien, Tierfutter, Arzneimittel, Kochrezepte, Raumsonden oder andere oftmals skurrile Dinge zu investieren. Die BaFin hat Hinweise dazu erstellt, was Anleger beachten sollten, bevor sie in Crowdinvesting-Projekte investieren.

Mohn: Wir raten Verbrauchern generell, einen Bogen um Angebote des Grauen Kapitalmarkts zu machen. Es handelt sich in vielen Fällen um hochspekulative, komplexe und intransparente Produkte mit einer extrem hohen Ausfallwahrscheinlichkeit. Altersvorsorge und Vermögensaufbau sollten niemals darauf aufgebaut werden. In diese Systeme sollte man höchstens „Spielgeld“ investieren, also Geld, das verloren gehen darf, ohne dass es weh tut.

Hinweis:Informationen zum Grauen Kapitalmarkt

Fragen zum Grauen Kapitalmarkt – auch im Zusammenhang mit Crowdfunding – beantwortet die BaFin in ihrer Broschüre „Grauer Markt und schwarze Schafe“ und auf ihrer Internetseite. Einen umfassenden Beitrag zum Thema finden Sie zudem im BaFinJournal März 2014.

Vielleicht können wir zum Abschluss noch kurz auf das Thema Bitcoins eingehen. Wie sieht es hier mit den Chancen und Risiken für Verbraucher aus?

Bock: Bitcoin ist die derzeit bekannteste virtuelle Währung. Dahinter steckt die Idee einer nichtstaatlichen, verschlüsselten Ersatzwährung mit begrenzter Geldmenge, bei der keine Informationsasymmetrien entstehen. Die Risiken für Verbraucher sind ähnliche wie beim klassischen Geld. Wertschwankungen können zu Gewinnen oder Verlusten führen, Bitcoins können verloren gehen oder gestohlen werden – Stichwort Hackerangriffe –, und es besteht auch hier die Gefahr von Betrug und Geldwäsche, da die Transaktionen zum Teil anonym sind. Außerdem setzt die Praxis dem Einsatz von Bitcoins Grenzen: Die Akzeptanz als Zahlungsmittel ist noch nicht sehr ausgeprägt.

Mohn: Ja, für Verbraucher haben Bitcoins eigentlich kaum Relevanz. Aufgrund der hohen Wertschwankungen eignen sie sich für sie nicht wirklich als Zahlungsmittel.

Wie wird die Digitalisierung im Finanzsektor den Alltag von Verbrauchern verändern?

Mohn: Ich gehe davon aus, dass über alle Bereiche hinweg bestimmte digitale Dienstleistungen verstärkt nachgefragt werden.

Allerdings werden sich nur solche Systeme am Markt durchsetzen, die den Bedarf des Verbrauchers tatsächlich treffen, wenn sie also wirklich komfortabler, günstiger und einfacher sind als die herkömmlichen Dienstleistungen.

Nur dann haben sie das Potenzial, nicht nur finanz- und technikaffine Leute zu begeistern, sondern auch den Ottonormalverbraucher. Ich erwarte da einen intensiven Wettbewerb.

Ich denke außerdem, dass stationäre Anbieter schrumpfen werden. Das kann für bestimmte Bevölkerungsgruppen zu Problemen führen; ein Beispiel ist die Abnahme der Zahl der Bankfilialen auf dem Land. Ich bin gespannt, welche Alternativen sich entwickeln werden. Als Kind war ich es gewohnt, dass es in meinem Dorf in Ostwestfalen eine Postfiliale mit allerdings furchtbaren Öffnungszeiten gab, wo man seine Pakete aufgab und Briefmarken erwarb. Irgendwann wurde die Filiale geschlossen und die Dienstleistung am Kiosk, im Supermarkt oder an der Tankstelle angeboten. Man hat also eine andere Lösung gefunden, und ich glaube, dass kaum jemand der alten Postfiliale noch hinterhertrauert. Auf genau so etwas stelle ich mich auch bei den Finanzdienstleistungen ein. Gleichzeitig glaube ich, dass wir nicht auf eine voll durchdigitalisierte Welt zusteuern. Es wird immer den Wunsch nach dem persönlichen Kontakt zum Kundenberater geben – dieser wird sich aber sicherlich verändern.

Herr Bock, was sehen Sie beim Blick in die Glaskugel?

Bock: Die Digitalisierung ist nicht mehr aufzuhalten. Es ist daher für alle Beteiligten an der Zeit, sich darauf einzustellen und die damit verbundenen Herausforderungen anzunehmen – das gilt für etablierte Unternehmen genauso wie für Fintechs, Aufsicht und eben auch Verbraucher. Die Digitalisierung eröffnet ihm neue Möglichkeiten: Er kann beispielsweise schnell und bequem von jedem Ort aus auf Finanzprodukte zugreifen und Finanzdienstleistungen oder Bankgeschäfte tätigen, ist nicht mehr an Öffnungszeiten gebunden und kann sich aus einer größeren Vielfalt an Dienstleistungen die aussuchen, die am besten zu ihm passt und für ihn am günstigsten ist.

Angesichts dieser neuen Einfachheit darf er aber nicht vergessen, dass es sich um wichtige Investitionsentscheidungen handelt, bei der er seiner Eigenverantwortung gerecht werden und überlegt handeln muss. Außerdem müssen sich die Verbraucher bewusst machen, dass sie mehr Spuren im Internet hinterlassen. Dies kann dazu führen, dass ihnen individuell passende Leistungen angeboten werden, aber auch zu Leistungsverweigerungen oder Datenmissbrauch. Jeder muss sich damit auseinandersetzen, wie weit er diesen Trend mitgehen will. Denn Angebote gibt es nur dort, wo es auch eine Nachfrage gibt.

Mohn: Trotzdem, einen Punkt würde ich gern noch ergänzen, den wir bei der ganzen Diskussion nicht vergessen dürfen: Es wird immer Menschen geben, die bei der Digitalisierung nicht mithalten können – viele ältere Leute etwa, Obdachlose oder Menschen mit geistiger Behinderung. Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, dafür zu sorgen, dass im Zuge der Digitalisierung bestimmte Bevölkerungsgruppen nicht ausgeschlossen werden.

Was tut die BaFin, um Verbraucher zu schützen?

Bock: Die BaFin schützt Verbraucher auf zwei Ebenen: durch Information und durch Aufsicht. Verbraucher sollen möglichst aufgeklärt durch die Finanzwelt gehen und darüber informiert sein, welche Risiken mit einem Geschäft verbunden sind. Die BaFin veröffentlicht daher im BaFinJournal und auf ihrer Internetseite regelmäßig Artikel, die sich mit der Digitalisierung und neuen, technologiebasierten Dienstleistungen befassen. Zudem gibt es auf ihrer Internetseite einen eigenen Unterbereich mit zahlreichen Themen, die für Verbraucher von Interesse sind. Seit gestern sind dort auch Informationen zu Fintechs zu finden.

Und natürlich dient auch die Kernaufgabe der BaFin, die Aufsicht über den deutschen Finanzplatz, letztlich dem Schutz der Verbraucher. Sie beobachtet Unternehmen und Angebote kontinuierlich und schreitet ein, wenn diese gegen Vorschriften verstoßen. Das ist im Hinblick auf die Digitalisierung zuweilen eine schwierige Gratwanderung: Die BaFin muss verhindern, dass Aufsichtsgrundsätze durch Innovation ausgehebelt werden, darf diese aber gleichzeitig nicht durch zu hohe regulatorische Hürden im Keim ersticken. Das Kleinanlegerschutzgesetz vom Sommer 2015 hat die Befugnisse der BaFin noch erweitert. Sie kann nun beispielsweise Vermarktung, Vertrieb und Verkauf von Finanzprodukten zum Schutz der Verbraucher beschränken oder verbieten.

Frau Mohn, Herr Bock, vielen Dank für das Gespräch.

Hinweis

Der Beitrag gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im BaFinJournal wieder und wird nicht nachträglich aktualisiert. Bitte beachten Sie die Allgemeinen Nutzungsbedingungen.

Zusatzinformationen

Fanden Sie den Beitrag hilfreich?

Wir freuen uns über Ihr Feedback

Es hilft uns, die Webseite kontinuierlich zu verbessern und aktuell zu halten. Bei Fragen, für deren Beantwortung wir Sie kontaktieren sollen, nutzen Sie bitte unser Kontaktformular. Hinweise auf tatsächliche oder mögliche Verstöße gegen aufsichtsrechtliche Vorschriften richten Sie bitte an unsere Hinweisgeberstelle.

Wir freuen uns über Ihr Feedback