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Erscheinung:14.06.2017 | Thema Makroaufsicht Wohnimmobilienkredite: BaFin erhält neue makroprudenzielle Kompetenzen

Mit dem kürzlich beschlossenen Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz hat die BaFin zusätzliche Befugnisse erhalten, um Stabilitätsrisiken aus Immobilienfinanzierungen besser begegnen zu können. Durch den neuen § 48u Kreditwesengesetz (KWG) hat sie nun die Möglichkeit, das Neugeschäft zielgerichteter zu steuern, indem sie bei Bedarf den Fremdfinanzierungsanteil eines Immobilienkaufs begrenzen kann. Darüber hinaus kann sie Vorgaben zur Rückzahlung von Krediten machen und so vorschreiben, in welcher Höhe ein Darlehen in einem bestimmten Zeitraum mindestens zu tilgen ist (Amortisationsanforderung).

Analoge Regelungen wurden auch im Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) und im Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) geschaffen, um diese Geschäfte sektorübergreifend gleich zu behandeln und Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Aufgrund der herausragenden quantitativen Bedeutung der Banken bei der Darlehensgewährung für den Häusermarkt stellt der vorliegende Artikel aber ausschließlich auf den Bankenbereich ab. Die neuen Kompetenzen sind in der deutschen Bankenaufsicht ein Novum, weil sie nicht am Eigenkapital der Banken anknüpfen, sondern direkt das individuelle Kreditverhältnis zwischen Bank und Kunde betreffen.

Handlungsfähigkeit verbessern, Steuerzahler schützen

Das Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz ist ein weiterer wichtiger Baustein zur Sicherung der Finanzstabilität in Deutschland. Denn die Finanzkrise hat Marktteilnehmern und Aufsichtsbehörden deutlich vor Augen geführt, dass eine rein mikroprudenzielle, also institutsbezogene Aufsicht nicht ausreicht, um die Stabilität des Finanzsystems als Ganzes zu gewährleisten. Vielmehr muss sie angemessen durch makroprudenzielle Eingriffsmöglichkeiten ergänzt werden, die – bei Bedarf – die Widerstandsfähigkeit des Gesamtsystems stärken.

Der Ausschuss für Finanzstabilität (AFS), der sich aus Vertretern des Bundesfinanzministeriums, der Deutschen Bundesbank, der Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung und der BaFin zusammensetzt, empfahl daher im Sommer 2015, das bis dato vorhandene makroprudenzielle Instrumentarium zu ergänzen, um alle zentralen Stabilitätsrisiken, die aus dem Häusermarkt resultieren, angemessen adressieren zu können (siehe BaFinJournal Juli 2015).

Die Initiative des AFS zielt dabei explizit auf die vorbeugende Schaffung neuer Instrumente ab. Nicht ein akuter Handlungsbedarf, sondern die Schaffung von Handlungsfähigkeit für den Fall der Fälle steht somit im Fokus. Hauptziel des AFS und der beteiligten Institutionen ist es, die Belastung der Steuerzahler mit den exorbitanten Kosten von Finanzkrisen zu vermeiden, die aus Fehlentwicklungen am deutschen Häusermarkt resultieren könnten.

Direkte Wirkung auf Kreditverträge

Preisübertreibungen am Häusermarkt können dann zu einem stabilitätsrelevanten Problem, also der vielzitierten Immobilienblase werden, wenn sie durch eine überbordende Kreditvergabe und aufweichende Kreditvergabestandards der Banken begleitet werden. Eine zu laxe und zu umfangreiche Kreditvergabe erhöht zum einen künstlich die Nachfrage nach Wohnimmobilien, wodurch die Preise und das Ungleichgewicht am Markt weiter ansteigen. Zum anderen nimmt auch die Anfälligkeit des Bankensystems für einen abrupten Abschwung am Häusermarkt zu. Der Darlehensvergabe durch die Institute kommt daher eine besondere Bedeutung bei der Sicherung der Finanzstabilität zu.

Um das Finanzsystem vor einer Krise zu schützen, ist es somit sinnvoll, der Aufsicht eine direkte Einflussnahme auf Art und Umfang der Wohnimmobilienkreditvergabe der Banken zu ermöglichen. Die Instrumente, die bisher zur makroprudenziellen Steuerung des Wohnimmobilienmarkts zur Verfügung standen, reichen dafür nicht aus. So kann die Aufsicht den Banken beispielsweise durch höhere Risikogewichtungen vorgeben, für Häuserkredite mehr Eigenkapital als für andere Geschäftsarten vorhalten zu müssen. Im Ergebnis verteuern sich Wohnimmobilienkredite dadurch. Nach Erfahrungen aus Wissenschaft und Aufsichtspraxis lassen sich über diese Veränderung der relativen Preise möglicherweise leichte Steuerungswirkungen erzielen.

Um allerdings Finanzkrisen angemessen begegnen zu können, bedarf es Impulsen, die sehr viel deutlicher und schneller wirken. Konsequenterweise hat der AFS daher die Schaffung von zwei Instrumenten vorgeschlagen, die direkten Einfluss auf die Vertragsbedingungen im Neugeschäft nehmen: die sogenannte Kreditvolumen-Immobilienwert-Relation und die Amortisationsanforderung.

Begrenzung des Fremdfinanzierungsanteils

Die Kreditvolumen-Immobilienwert-Relation ist dabei von besonderer Bedeutung. Über dieses Instrument kann die BaFin die Höhe von Häuserkrediten in Abhängigkeit vom Wert der Immobiliensicherheit begrenzen. Legt sie etwa eine Kreditvolumen-Immobilienwert-Relation von 85 Prozent fest, so bedeutet dies, dass mindestens 15 Prozent des Marktwerts der Immobilie aus Eigenkapital zu bestreiten sind (siehe Grafik).

Eine derartige Begrenzung des Fremdfinanzierungsanteils soll gewährleisten, dass Institute bei Zahlungsausfall ihrer Kreditkunden erwartete Verluste über die Verwertung der Immobiliensicherheiten reduzieren können.

Beispiel: Kreditvolumen-Immobilienwert-Relation von 85 Prozent

Beispiel: Kreditvolumen-Immobilienwert-Relation von 85 Prozent Beispiel: Kreditvolumen-Immobilienwert-Relation von 85 Prozent BaFin

Amortisationsanforderung

Das zweite neue Instrument ist die Amortisationsanforderung. Über dieses Mittel kann die BaFin künftig bei Bedarf einen Anteil des Gesamtkreditbetrags bestimmen, der innerhalb eines festgelegten Zeitraums von den Kreditnehmern zu tilgen ist. Für den Kreditnehmer bedeutet die Amortisationsvorgabe, dass die Tragbarkeit seines Schuldendienstes aus Zins- und Tilgungszahlungen nicht dadurch erleichtert werden kann, dass eine übermäßig lange Laufzeit des Darlehens vereinbart wird.

Aus Sicht der Finanzstabilität sinkt damit die Ausfallwahrscheinlichkeit der Kredite. Zudem führt die zügigere Rückführung des Kredits auch zu einer schnelleren Reduktion der offenen Kreditforderung des Darlehensgebers. Beide Aspekte tragen signifikant dazu bei, das systemische Risiko zu verringern.

Negative Folgen von Eingriffen abmildern

Die neuen Instrumente nehmen direkt Einfluss auf die Wohnimmobilienkreditvergabe und stellen damit wirkungsstarke Mittel zur Sicherung der Finanzstabilität dar. Diese Stärke führt allerdings automatisch zu Zielkonflikten mit anderen Politikfeldern. So würde ein Einsatz der Instrumente etwa bei Bauwirtschaft und privater Vermögensbildung zu Einbußen führen. Rechtstechnisch stellt der Einsatz dieser Instrumente zudem einen erheblichen Eingriff in die Vertragsfreiheit dar.

Die am AFS beteiligten Institutionen waren sich dessen von Anfang an bewusst und haben daher über vielfältige Ausnahmetatbestände und Öffnungsklauseln Vorkehrungen getroffen, um unbillige Härten zu vermeiden. So wurden etwa sozialer Wohnungsbau und Anschlussfinanzierungen von den neuen Regelungen ausgenommen. Zudem sind unter anderem substanzielle Erleichterungen für Kredite vorgesehen, die bestimmte Beträge nicht übersteigen und aufgrund einer niedrigen, konservativen Beleihung der Immobilie eine geringe Ausfallwahrscheinlichkeit aufweisen.

Einsatz mit Augenmaß

Die neuen Beschränkungen gemäß § 48u KWG gelten nicht unmittelbar, sondern müssen von der BaFin mittels Allgemeinverfügung festgelegt werden. Sie wird dies nur dann tun, wenn und soweit der Einsatz der Instrumente erforderlich ist, um einer Gefährdung der Finanzstabilität in Deutschland entgegenzuwirken. Eine Gefährdung der Finanzstabilität könnte beispielsweise drohen, wenn die Immobilienpreise und die Immobilienfinanzierungen zeitgleich stark ansteigen und die Banken den Anforderungen an Kreditwürdigkeit und Zahlungsfähigkeit der Schuldner weniger Bedeutung beimessen.

Ob und inwieweit eine Gefahr für die Finanzstabilität droht, analysiert und bewertet die BaFin zusammen mit der Deutschen Bundesbank fortlaufend. Die Einschätzungen werden in Finanzstabilitätsanalysen festgehalten und im Ausschuss für Finanzstabilität beraten. Wenn der Ausschuss zu der Erkenntnis gelangt, dass tatsächlich eine solche Gefährdungslage vorliegt, kann er der BaFin empfehlen, die neuen Instrumente einzusetzen.

Hält die BaFin eine Beschränkung der Immobilienkreditvergabe für geboten, so fertigt sie den Entwurf einer Allgemeinverfügung. Zu dem Entwurf sind sodann insbesondere die Spitzenverbände der Kredit- und Immobilienwirtschaft und mehrere Bundesministerien anzuhören, damit möglichst alle berechtigten Belange von Wirtschaft, Politik und Verwaltung bei Erlass der Beschränkungen angemessen berücksichtigt werden können. Darüber hinaus hat die BaFin den Erlass solcher Beschränkungen der Europäischen Zentralbank und diversen anderen europäischen Institutionen vorab anzuzeigen.

Beide Instrumente können je nach Art des zu adressierenden Stabilitätsproblems einzeln oder in Kombination eingesetzt werden. Ein gemeinsamer Einsatz kann sich etwa bei besonders gravierenden Problemsituationen anbieten. Auch lässt sich durch eine geeignete Kombination beider Instrumente gegebenenfalls verhindern, dass Institute aufsichtliche Maßnahmen umgehen.

Bewertung und Ausblick

In den Medien, der Politik und besonders bei den Vertretern der Bankenindustrie wurde das Gesetzesvorhaben lange Zeit kontrovers diskutiert. Dies ist angesichts der Intensität eines etwaigen Eingriffs und der implizierten Wirkungen auf andere Politikfelder auch durchaus nachvollziehbar.

Aus aufsichtlicher Perspektive war die Schaffung der neuen Instrumente ein dringend erforderlicher Schritt. Der deutsche Wohnimmobilienmarkt war in der Vergangenheit zwar im internationalen Vergleich stabil, auch dank einzelner eher konservativer Strukturelemente wie Beleihungswerten und langen Zinsbindungen. Daraus lässt sich aber – gerade in Zeiten einer sich verstetigenden Niedrigzinsphase – keine naturgesetzliche Stabilität ableiten. Insoweit muss sich die deutsche Aufsicht dafür wappnen, im Notfall frühzeitig mit den richtigen Instrumenten eingreifen zu können, um Finanzstabilität und Steuerzahler zu schützen. Das Gesetz hat hier eine ganz wesentliche Lücke im aufsichtlichen Instrumentenkasten geschlossen, da die BaFin nun erstmals die Möglichkeit hat, wirkungsstark in den Häusermarkt einzugreifen und Stabilitätsgefahren direkt an der Wurzel zu bekämpfen.

Hinzu kommt, dass im Zuge der internationalen Harmonisierung und speziell der europäischen Integration gerade von einem wirtschaftlich starken Land mit großer politischer Bedeutung erwartet wird, dass es auch bei aufsichtlichen Regularien und Instrumenten mit gutem Beispiel vorangeht. Deutschland agierte in Bezug auf die Verfügbarkeit makroprudenzieller Instrumente bisher recht zurückhaltend. Dies ist aufgrund der relativen Stabilität seines Wohnimmobilienmarkts auch verständlich. Viele Staaten im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) hingegen haben diese Instrumente nicht nur schon geschaffen, sondern setzen sie auch bereits ein (siehe Grafik). Der Internationale Währungsfonds IWF und der Europäische Ausschuss für Systemrisiken ESRB hatten bereits wiederholt angeregt, die aufsichtlichen Eingriffsmöglichkeiten auch in Deutschland fortzuentwickeln. Ein erster Meilenstein ist nun erreicht.

Grafik: Europäische Staaten mit Begrenzungen des Kreditfinanzierungsanteils

Europäische Staaten mit Begrenzungen des Kreditfinanzierungsanteils Europäische Staaten mit Begrenzungen des Kreditfinanzierungsanteils BaFin/ESRB, © kartoxjm/Fotolia.com

Dem deutschen Gesetzgeber ging es bei seinem Ja zu den neuen Kompetenzen für die BaFin um die präventive Schaffung von Handlungsfähigkeit. Es ist nicht mit der Intention verbunden, diese Instrumente sofort einzusetzen. Bislang besteht aus Sicht der BaFin dazu keine Notwendigkeit. Zwar beobachtet sie die Preisentwicklung am deutschen Häusermarkt nicht ohne Sorge. Diese wird jedoch bislang nicht von einer ausufernden Kreditvergabe und massiv aufweichenden Vergabestandards der Banken begleitet.

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