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Erscheinung:15.08.2017 Interne Modelle - Dr. Frank Grund: „Kein Allheilmittel, aber die Königsklasse des Risikomanagements“

Zu den großen Neuerungen unter Solvency II gehört, dass Unternehmen wählen können, ob sie ihre Solvenzkapitalanforderung mit der Standardformel ermitteln oder ob sie dazu – mit Genehmigung der BaFin – interne Modelle nutzen. BaFin-Exekutivdirektor Dr. Frank Grund erläutert, wo aus seiner Sicht die Vorteile interner Modelle liegen, welche Herausforderungen damit verbunden sind und was er für die Zukunft erwartet.

Herr Dr. Grund, welche Erfahrungen hat die Versicherungsaufsicht in den ersten 18 Monaten des neuen Aufsichtsregimes mit internen Modellen gesammelt?

Wir haben viele und durchweg gute Erfahrungen gemacht. Unsere Erwartung hat sich bestätigt: Interne Modelle ermöglichen es noch besser als die Standardformel, die individuellen Risiken der Versicherungsunternehmen aufzuzeigen. Auf das Phänomen der negativen Zinsen beispielsweise kann man so viel besser eingehen.

Natürlich haben wir aber auch die – wenig überraschende – Erfahrung gemacht, dass der Prozess für Unternehmen und Aufsicht sehr aufwändig ist. Umso wichtiger ist es, dass wir hier von den Vorteilen einer integrierten Finanzaufsicht profitieren: Da es interne Modelle bei Banken schon seit Ende der 1990er Jahre gibt, können wir bei der Prüfung auf die Expertise unserer Kollegen in der Bankenaufsicht und der sektorübergreifenden Abteilung für quantitative Risikomodellierung aufbauen.

Ist der Aufwand denn gerechtfertigt? Die Versicherer, die interne Modelle verwenden, sind ja deutlich in der Minderheit.

Ginge man nur nach der Zahl der Unternehmen, könnte man sich diese Frage durchaus stellen. Von den mehr als 300 deutschen Solvency-II-Unternehmen verwenden nur 36 ein internes Modell. Hinzu kommen sieben Gruppenmodelle, bei denen wir zum Teil als Home-Aufseher, zum Teil als Host-Aufseher beteiligt sind.

Wenn man aber auf den Marktanteil schaut, zeichnet sich ein ganz anderes Bild: Es handelt sich hier überwiegend um sehr große Unternehmen, die zusammen rund 50 Prozent des deutschen Versicherungsmarkts ausmachen. Insofern ist der Aufwand durchaus angemessen.

In den ersten Monaten erreichte die BaFin eine wahre Flut von Genehmigungsanträgen. Wird es nun ruhiger?

Die große Welle der Genehmigungsanträge ist sicherlich vorbei. Aber eins ist klar: Nach dem Antrag ist vor dem Antrag, denn interne Modelle fordern permanente Anpassungen – sei es aufgrund von Änderungen der Geschäftstätigkeit, sei es aufgrund äußerer Umstände oder durch die technische Weiterentwicklung des Modells. Die BaFin wird sich darum auch weiterhin intensiv mit internen Modellen befassen müssen. Aber diese intensive Arbeit lohnt sich.

Auf einen Blick:Interne Modelle

Versicherer, die unter das Aufsichtsregime Solvency II fallen, müssen – abhängig von ihren Risiken und ihrer Risikotragfähigkeit – bestimmte Eigenmittel vorhalten. Um deren Höhe zu ermitteln, haben sie die Solvenzkapitalanforderung zu berechnen. Dazu können sie entweder die Standardformel nutzen, die fest vorgegeben ist, oder ein internes Modell. Im Gegensatz zur Standardformel werden interne Modelle von den Unternehmen selbst entwickelt und sind somit auf deren individuelle Gegebenheiten zugeschnitten. Bisher nutzen vor allem große Versicherer und Versicherungsgruppen diese Möglichkeit. Interne Modelle dürfen nur mit Genehmigung der Aufsicht verwendet werden.

Inwiefern lohnt sie sich? Was sind aus Ihrer Sicht die Vorteile interner Modelle?

Die Vorteile für die Aufsicht liegen auf der Hand: Wir können die Unternehmen, ihr Risikoprofil und ihr Risiko- und Kapitalmanagement viel besser beobachten als bei der Standardformel und im Zweifel entsprechend zielgerichteter handeln. Gleichzeitig sind interne Modelle für die Unternehmen aber auch ein wichtiges Steuerungsinstrument. Die intensive Beschäftigung mit diesen Modellen führt dazu, dass mögliche Risiken und Gegenmaßnahmen viel besser identifiziert werden.

Selbstverständlich heißt das nicht, dass interne Modelle den gesunden Menschenverstand ersetzen können, und auch sie können nicht alle Risiken abbilden. Die Realität sieht immer anders aus. Ich bin daher weit weg davon zu sagen, interne Modelle seien das Allheilmittel. Dennoch: Aus meiner Sicht sind sie die Königsklasse des Risikomanagements in einem Versicherungsunternehmen.

Warum ist es so wichtig, interne Modelle laufend zu beaufsichtigen?

Ein internes Modell muss ja nicht nur zum Zeitpunkt der Antragsgenehmigung angemessen sein, sondern dauerhaft – eben so lange, wie das Unternehmen Geschäfte tätigt. Die Genehmigung von internen Modellen und die laufende Aufsicht sind darum untrennbar miteinander verbunden.

Die laufende Aufsicht muss auch dafür sorgen, dass Unternehmen bei der Modellierung nicht nur Entwicklungen erfassen, die sie in puncto Kapitalanforderungen entlasten. Eine adäquate Modellierung muss alle Komponenten erfassen, das gesamte Spektrum – und dazu zählen eben auch mögliche negative Entwicklungen, die zusätzliche Kapitalmaßnahmen erforderlich machen. Durch die laufende Aufsicht beugen wir dem Missbrauch des internen Modells zur reinen Kapitaloptimierung vor.

Gibt es Anzeichen, dass Unternehmen dies versuchen?

Das schließe ich nicht aus. Aber wir sind sicher, dass wir solche Tendenzen durch die laufende Aufsicht über die Modelle im Griff haben.

Was bedeutet laufende Aufsicht konkret?

Laufende Aufsicht bedeutet zunächst einmal, mit den Unternehmen permanent über das interne Modell und das Geschäft zu kommunizieren. Bei Auffälligkeiten schreiten wir sehr schnell ein. Außerdem haben wir – ergänzend zum Standardreporting – in Deutschland ein dezidiertes Berichtswesen für interne Modelle aufgesetzt. Anderswo ist man noch nicht so weit; hier würden wir uns eine weitere europäische Harmonisierung wünschen. Darüber hinaus sind wir sehr um Quervergleiche zu anderen Modellen bemüht, um nützliche Erkenntnisse zur Angemessenheit der Parameter zu gewinnen.

Wo liegen im Hinblick auf interne Modelle die großen Herausforderungen für die Aufsicht?

Interne Modelle haben den Anspruch, die Risiken der Unternehmen passgenau zu messen. Das erfordert auf Seiten der Aufsicht Mitarbeiter, die in der Lage sind, die Angemessenheit der Modelle interdisziplinär zu überprüfen. Hier sind wir bei der BaFin hervorragend aufgestellt. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Modellierungsexperten, Kaufleuten und Juristen hat inzwischen ein sehr hohes Niveau erreicht, auch im internationalen Vergleich. Darauf können wir als BaFin stolz sein, aber natürlich nehmen wir das auch als Ansporn, uns weiter zu verbessern. Eine weitere – aber durchaus reizvolle – Herausforderung ist natürlich die Internationalität der Arbeit in den Aufsichtskollegien der großen Gruppen.

Inhaltlich sehe ich die Herausforderung vor allem in der Vergleichbarkeit der Ergebnisse. Bei aller Individualität von Geschäftsmodellen, Geschäfts- und Risikostrategien oder Vertriebswegen müssen interne Modelle in ihren Kernaussagen vergleichbar bleiben. Das gilt umso mehr, als wir es bei Solvency II ohnehin mit einem volatilen Solvenzregime zu tun haben, das es schwierig macht, Kennzahlen zu vergleichen. Hier ist insbesondere auf europäischer Ebene noch einiges an Konvergenzarbeit zu leisten.

Welche Rolle spielt dabei die europäische Versicherungsaufsichtsbehörde EIOPA?

EIOPA spielt die Hauptrolle: Es ist ihre vornehmste Aufgabe sicherzustellen, dass die aufsichtlichen Prinzipien europaweit gleich angewandt werden. Das ist auch deswegen so wichtig, weil einige Aufsichtsbehörden, in denen grenzüberschreitende Gruppen tätig sind, mit der Prüfung interner Modelle Neuland betreten. EIOPA sitzt darum in den entsprechenden Kollegien immer mit am Tisch. Außerdem erarbeitet sie Hilfsmittel, beispielsweise ein Handbuch für die laufende Aufsicht, und führt konkrete Projekte für konsistentes Aufsichtshandeln durch, etwa Vergleichsstudien zu einzelnen Aspekten.

Wir als BaFin bringen uns in diesen Prozess engagiert ein und geben wesentliche Anstöße. Denn nur, wenn interne Modelle europaweit konsistent sind, werden sie als Aufsichtsinstrument dauerhaft Akzeptanz finden.

Wie akzeptiert sind interne Modelle bei den Unternehmen?

Da mache ich mir keine Sorgen: Ich glaube nicht, dass irgendeines der Unternehmen, die heute ein internes Modell nutzen, jemals wieder davon abrücken wird. Ihr Erkenntnisgewinn und ihre Steuerungsfähigkeit sind dank der Modelle so stark gewachsen, dass sie nicht mehr darauf verzichten können. Das gilt vor allem für die großen, internationalen Versicherungskonzerne.

Lassen Sie uns zum Schluss einen kleinen Ausblick wagen: Was kommt in Zukunft auf die Aufsicht über interne Modelle zu?

Es wird den einen oder anderen Erweiterungsantrag für bestehende interne Modelle geben. Das kann Risikokategorien betreffen, beispielsweise operative Risiken, die noch nicht erfasst sind, oder auch zusätzliche Gruppenunternehmen aus anderen Ländern. Auch das ist übrigens ein Konvergenzthema, an dem wir arbeiten müssen, denn bei manchen nationalen Aufsehern sind interne Modelle noch nicht gerne gesehen.

Daneben werden uns natürlich gerade bei den internen Modellen auch viele Fragen beschäftigen, die uns ganz allgemein bei Solvency II umtreiben, negative Zinsen beispielsweise oder die richtige Kalibrierung von Risiken bei Staatsanleihen.

Und welche Entwicklungen erwarten Sie international?

In den nächsten Jahren stehen die ersten Überprüfungen von Solvency II an. Sowohl die Solvenzkapitalanforderung nach der Standardformel als auch die Maßnahmen für langfristige Garantien kommen auf den Prüfstand. Es ist uns ein großes Anliegen, unsere Erkenntnisse aus der Aufsicht über interne Modelle dort einzubringen. Parallel geht es darum, eine gemeinsame europäische Aufsichtskultur zu entwickeln. Konvergenz wird bei der Aufsicht über interne Modelle ein wichtiges Thema bleiben, in das wir uns mit starker Stimme einbringen werden.

Und bei der IAIS, der Internationalen Vereinigung der Versicherungsaufsichtsbehörden, diskutiert man derzeit darüber, ob interne Modelle auch bei den internationalen Kapitalstandards zur Risikomessung zugelassen werden sollen. Wir bringen unsere Meinung auch hier sehr stark ein: Aus unserer Sicht sind interne Modelle als Königsklasse eines fortgeschrittenen Risikomanagements unverzichtbarer Bestandteil eines jeden Aufsichtsregimes. Einige wichtige Staaten sind allerdings skeptisch. Sie befürchten im Extremfall eine willkürliche Eigenregulierung der Versicherer. Dieser Gefahr kann man nur durch eine intensive und knallharte Aufsicht über interne Modelle begegnen. Wir sind überzeugt, dass wir hier auf einem sehr guten Weg sind.

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