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Erscheinung:16.08.2017 Robo-Advice - Automatisierte Anlageberatung in der Aufsichtspraxis

Im Zuge der zunehmenden Digitalisierung bieten Unternehmen Finanzinstrumente immer häufiger online an. Für solche Wertpapierdienstleistungen gelten grundsätzlich die gleichen Anforderungen wie für Dienstleistungen, die etwa in der Filiale oder über das Telefon erbracht werden. Dies gilt auch für die Anlageberatung. Geben Anbieter dem Anleger die Möglichkeit, sich in einer personalisierten Form über Finanzinstrumente zu informieren, verschiedene Angebote zu vergleichen und Produktabschlüsse zu tätigen, kann der Tatbestand der Anlageberatung verwirklicht sein. Umso mehr gilt dies, wenn Dienstleistungsaspekte hinzutreten, die der Nutzer als Beratung versteht.

Definition:Anlageberatung

§ 1 Absatz 1a Satz 2 Nr. 1a Kreditwesengesetz (KWG) definiert die Anlageberatung als die „Abgabe von persönlichen Empfehlungen an Kunden oder deren Vertreter, die sich auf Geschäfte mit bestimmten Finanzinstrumenten beziehen, sofern die Empfehlung auf eine Prüfung der persönlichen Umstände des Anlegers gestützt oder als für ihn geeignet dargestellt wird und nicht ausschließlich über Informationsverbreitungskanäle oder für die Öffentlichkeit bekannt gegeben wird“. Es ist Aufgabe der BaFin zu prüfen, ob ein Robo-Advisor den gesetzlichen Tatbestand aufgrund seines tatsächlichen Funktionsumfangs erfüllt. Dabei hat es keinerlei Relevanz, ob der Anbieter sein Angebot mit dem Hinweis (Disclaimer) versieht, dass es sich dabei nicht um Anlageberatung handele.

Der automatisierte Vertrieb von Finanzinstrumenten und ähnliche digitale Angebote – auch Robo-Advice genannt – erfüllen in der Regel den Tatbestand der Anlageberatung und bedürfen daher einer Erlaubnis nach Bank- oder Gewerberecht. Liegt keine Erlaubnis vor oder werden die damit verbundenen Folgepflichten des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) beziehungsweise der Gewerbeordnung (GewO) nicht erfüllt, setzt sich der Anbieter einem erheblichen Rechtsrisiko aus. Auch wenn derzeit viele neue Angebote auf den Markt drängen, lohnt es sich daher nicht, um der Schnelligkeit willen einen Robo-Advisor zu lancieren, der (vergeblich) versucht, den Tatbestand der Anlageberatung zu umgehen. Die Anbieter sollten die Möglichkeiten der neuen Medien vielmehr dazu nutzen, mit Erlaubnis und unter Aufsicht der BaFin eine vollwertige Anlageberatung zu erbringen und damit zu einem verbraucherfreundlichen Marktumfeld beizutragen.

Der vorliegende Beitrag soll Anbietern helfen einzuschätzen, ob sie den Tatbestand der Anlageberatung erfüllen. Den derzeit marktgängigen Modellen ist im Hinblick auf eine mögliche Anlageberatung gemeinsam, dass auf Basis diverser Eingaben des Kunden ein Ergebnis erzeugt wird, welches von der Empfehlung eines Einzeltitels über Vorschläge zur Portfoliostruktur mit oder ohne Empfehlungscharakter bis hin zu einer wertfreien Auflistung verschiedener Finanzinstrumente reichen kann. Der Beitrag folgt diesem Standardprozess anhand der drei typischen Schritte „Exploration“, „Empfehlung“ und „Inhalt der Empfehlung“ und unterlegt die Ausführungen zum Tatbestand der Anlageberatung mit Praxisbeispielen.

Nicht thematisiert werden dagegen die Tatbestände der Anlagevermittlung, der Abschlussvermittlung und der Finanzportfolioverwaltung, die manchmal ebenfalls unter der Marketing-Bezeichnung „Robo-Advice“ angeboten werden. Im Zweifelsfall sollten Anbieter eine verbindliche, individuelle Einschätzung der BaFin einholen.

Erster Schritt: Exploration

Die Anlageberatung ist eine personalisierte Wertpapierdienstleistung, die typischerweise darauf beruht, die persönlichen Umstände des Kunden zu prüfen. Um Ergebnisse zu erzeugen, greifen Robo-Advice-Tools daher auf Eingaben des Kunden zurück. Die Eingabe erfolgt typischerweise nach direkter Aufforderung, meist in einem oder mehreren Schritten, an deren Ende die eigentliche Empfehlung steht. So werden beispielsweise zunächst persönliche Basisangaben wie Alter, Beruf und Anlageziel des Kunden erfragt und sodann die Eckdaten der beabsichtigten Anlage, also Anlagehorizont, Anlagebetrag und monatliche Sparbeträge, bevor in einem dritten Schritt persönliche Details anzugeben sind, etwa Kenntnisse und Erfahrungen sowie Risikobereitschaft.

Nicht jeder Umstand, den der Dienstleister beim Kunden abfragt, stellt jedoch einen persönlichen Umstand im Sinne der Anlageberatung dar . Anlagebetrag und monatliche Sparraten beispielsweise sind in der Regel keine persönlichen Umstände. Die Zahl der abgefragten persönlichen Umstände ist allerdings nach der Verwaltungspraxis der BaFin für den Tatbestand der Anlageberatung nicht von Bedeutung. Es reicht aus, wenn nur ein persönlicher Umstand abgefragt wird. Somit ist auch ein Tool, das lediglich den Anlagehorizont und Anlagebetrag des Kunden erfragt und anschließend die Anlage in einen nach der Anlagedauer ausgewählten Fonds empfiehlt, als Anlageberatung anzusehen. Ebensowenig kommt es auf die objektive Relevanz des abgefragten Umstands an. So reicht die Abfrage des Alters des Kunden ebenso aus, um den Tatbestand zu erfüllen, wie die Abfrage des Anlagehorizonts oder der Risikobereitschaft.

Auch wenn der Kunde keine ausdrücklichen Angaben macht, teilt er dem Anbieter möglicherweise persönliche Umstände mit. Wenn er beispielsweise aus Strategien auswählen kann, deren Namensgebung auf den Risikogehalt schließen lässt, gibt er schon durch die Auswahl seine Risikobereitschaft preis – etwa wenn er sich zu Beginn des Prozesses für eines der drei Musterportfolien „Portfolio Defensiv“, „Portfolio Ausgewogen“ und „Portfolio Spekulativ“ entscheiden muss. Auch die Sortierung einer Produktliste nach Merkmalen wie „Empfohlener Anlagehorizont“ oder „Geeignet für: Altersvorsorge/Vermögensaufbau/Kurzfristige Gewinnerzielung“ stellt die implizite Abfrage eines persönlichen Umstands dar.

Eine bloße Wiedergabe von Produktbezeichnungen ist dagegen auch dann keine Abfrage eines persönlichen Umstands, wenn die Bezeichnungen Bestandteile enthalten, die solche Umstände suggerieren können, zum Beispiel „Fonds XY Defensiv“ (Risikobereitschaft) oder Anleihe „Medium Term“ (Anlagehorizont).

Zweiter Schritt: Empfehlung

Für den Tatbestand der Anlageberatung kommt es darauf an, ob das vom Robo-Advisor erzeugte Ergebnis den Charakter einer persönlichen Empfehlung hat. Wenn der Anbieter den Kunden in einer neutralen Art und Weise informiert, so ist dies keine Empfehlung. Das gilt etwa für die Bereitstellung einer Suchfunktion, die ein vorhandenes Produktangebot nach rein objektiven Produktmerkmalen selektiert. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn eine Suchmaschine anhand vorgegebener Kriterien wie Verzinsung, Laufzeit, Produkt/Anlageklasse oder Wertpapierkennnummern (ISIN, WKN etc.) eine umfängliche Produktauswahl eingrenzt.

Um eine Empfehlung handelt es sich nach dem entsprechenden Merkblatt vielmehr dann, „wenn dem Anleger zu einer bestimmten Handlung als in seinem Interesse liegend geraten wird“. Die Schwelle von der reinen Information zur Erteilung eines Rates wird dann überschritten, wenn der Anbieter sein Angebot mit eigenen Merkmalen unterlegt oder objektive Produktmerkmale zu Kriterien weiterverarbeitet, die den Kunden bei seiner Auswahl unterstützen sollen. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn der Anbieter eine Skala an Risikoklassen vorgibt, die er anhand einer eigenen Wertung erstellt hat. Nutzt er für die Sortierung hingegen das Rating einer anerkannten Agentur, so ist dies üblicherweise ein hinreichend objektives Produktmerkmal.

Auch die Produktauswahl, die dem Angebot zugrunde liegt, kann bereits den Charakter einer Empfehlung begründen. Durch die Vorauswahl der Produkte kann der Anbieter das Suchergebnis steuern und die Bandbreite möglicher Resultate erheblich verengen. Dabei ist das Ausmaß der Eingrenzung entscheidend. Wenn die Vorauswahl anhand objektiver Kriterien erfolgt und eine angemessen große Zahl an Finanzinstrumenten umfasst, stellt sie keine Empfehlung dar.

Die erteilte Empfehlung muss zudem „persönlich“ sein. Dieses Tatbestandsmerkmal bedeutet, dass sich die Empfehlung auf eine Prüfung der persönlichen Umstände des Kunden stützt oder als für ihn geeignet dargestellt wird. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn sich die Angaben des Kunden zu seiner Risikobereitschaft erkennbar auf die Gestaltung des vorgeschlagenen Portfolios auswirken.

Aber auch wenn die Kundenangaben tatsächlich nicht berücksichtigt werden, kann es sich um eine persönliche Empfehlung handeln – nämlich dann, wenn beim Kunden der Eindruck erweckt wird, dass seine persönlichen Umstände in die erteilte Empfehlung einfließen. Dieser Eindruck kann bereits durch das bloße Erfragen der persönlichen Umstände des Kunden entstehen, selbst wenn das abschließend vorgeschlagene Portfolio tatsächlich immer die gleichen Instrumente enthält oder unabhängig von den Kundeneingaben mit zufällig ausgewählten Instrumenten befüllt wird.

Dritter Schritt: Inhalt der Empfehlung

Um den Tatbestand der Anlageberatung zu erfüllen, muss sich die Empfehlung darüber hinaus auf Geschäfte mit bestimmten Finanzinstrumenten beziehen. Geschäfte sind neben Kauf/Zeichnung und Verkauf/Rückgabe auch der Tausch, der Rückkauf und die Übernahme eines Finanzinstruments. Auch das Halten einer Position und die Ausübung beziehungsweise Nichtausübung von Rechten, die mit einem Finanzinstrument einhergehen, zählen zu den Geschäften.

Ein Beispiel: Der Anbieter gibt dem Anleger die Möglichkeit einer automatisierten Depotanalyse. Im Ergebnis schlägt das Tool vor, einzelne Positionen zu reduzieren, um Klumpenrisiken zu vermeiden; zugleich werden Ersatzprodukte zum Kauf vorgeschlagen. Die restlichen Depotpositionen werden als „unproblematisch“ gekennzeichnet. Zudem wird der Kunde darauf hingewiesen, dass er ein Wandlungsrecht fristgerecht ausüben sollte, weil sich die Aktien des Emittenten nach Einschätzung des Anbieters positiv entwickeln werden. Der Anbieter erteilt hier also neben Verkaufsempfehlungen zur Vermeidung von Klumpenrisiken auch ausdrückliche Halte-Empfehlungen in Bezug auf die restlichen Depotpositionen, indem er diese als unproblematisch kennzeichnet. Die vorgeschlagenen Ersatzprodukte stellen Kaufempfehlungen dar. Auch der Hinweis auf die fristgerechte Wandlung ist die Empfehlung eines Geschäfts.

Für die Erfüllung des Tatbestands ist nicht relevant, ob die empfohlenen Geschäfte direkt innerhalb des Tools beziehungsweise unmittelbar im Anschluss an die Empfehlung umgesetzt werden können – oder ob man bei dem Anbieter überhaupt Finanzinstrumente erwerben kann. Es handelt sich also auch dann um Anlageberatung, wenn der Robo-Advisor eine Portfoliostruktur mit konkreten Finanzinstrumenten vorschlägt, die der Kunde nur bei einem Drittanbieter erwerben oder im Rahmen eines Vermögensverwaltungsvertrags umsetzen kann.

Hinweis:Links zum Thema

Der Tatbestand der Anlageberatung setzt schließlich voraus, dass eine Empfehlung nicht nur generisch erfolgt, sondern sich auf bestimmte Finanzinstrumente bezieht. Die Empfehlung konkreter – beispielsweise mittels ISIN identifizierbarer – Fonds oder Einzelaktien ist immer „bestimmt“ im Sinne der Anlageberatung. Die Nennung allgemeiner Produktgruppen wie „Aktien“ und „Fonds“, etwa im Rahmen eines abstrakten Vorschlags zur Portfoliostruktur, ist hingegen nicht hinreichend bestimmt. Die BaFin berücksichtigt bei ihrer Prüfung sowohl die Zahl der verfügbaren Produkte als auch die Granularität der Eingrenzung.

Auch dies lässt sich anhand eines Beispiels verdeutlichen. Das Tool schlägt folgende Depotstruktur vor: 30 Prozent Aktien, 50 Prozent Anleihen, 20 Prozent Fonds. Der Aktienanteil wird lediglich nach Branchen weiter eingegrenzt (Technologie, Pharma und Autobau). Für den Rentenanteil kann der Kunde aus einem breiten Angebot direkt verfügbarer Unternehmensanleihen wählen, für den Fondsanteil stehen aber nur zehn diversifizierte Mischfonds zur Verfügung. In diesem Beispiel ist die Empfehlung von „Technologieaktien“ oder „Anleihen“ nicht hinreichend bestimmt, während hingegen die Nennung von „Technologieaktien im MDAX“ nur circa 20 Titel umfassen und damit eine bestimmte Empfehlung darstellen würde. Die Empfehlung von „Fonds“ hingegen ist zwar an sich unbestimmt, wird aber dadurch konkretisiert, dass lediglich zehn Produkte zur Auswahl stehen – es werden also zehn bestimmte Finanzinstrumente empfohlen.

Ausnahme: Öffentliche Empfehlung

Es gibt eine wichtige Tatbestands-Ausnahme: Wenn die Empfehlung ausschließlich über Informationsverbreitungskanäle, also insbesondere die Medien, oder in anderer Weise für die Öffentlichkeit bekannt gegeben wird, so ist dies keine Anlageberatung. Diese Ausnahme kommt insbesondere bei Werbemaßnahmen zum Tragen, wenn beispielsweise in einer Zeitungsannonce ein bestimmtes Finanzinstrument als „für risikobewusste, langfristig orientierte Anleger geeignet“ beworben wird.

Beim Robo-Advice hingegen handelt es sich in der Regel um eine Dienstleistung, die nur an Einzelne adressiert ist – auch wenn sie typischerweise im Internet erbracht wird. Schon technisch bedingt wird der einzelne Nutzer des Robo-Advisors individualisiert, um die Speicherung und Verarbeitung seiner Angaben im laufenden Prozess zu ermöglichen. Die Empfehlung, die aus dem Beratungsprozess resultiert, wird damit auch nur gegenüber dem einzelnen Kunden bekannt gegeben.

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