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Erscheinung:15.09.2017 Produktintervention - Anwendung in der Praxis

Das Instrument der Produktintervention, das die BaFin seit Mitte 2015 nutzen kann (siehe BaFinJournal September 2015), hat sich inzwischen in der Aufsichtspraxis etabliert.

In mehreren Fällen hat die BaFin es bereits angewendet: So hat sie etwa die Vermarktung, den Vertrieb und den Verkauf von finanziellen Differenzkontrakten (Contracts for DifferenceCFDs) beschränkt und mit einem Vertriebsverbot für bonitätsabhängige Schuldverschreibungen gedroht.

Der vorliegende Artikel gibt einen Einblick, nach welchen Kriterien sich die BaFin richtet, wenn sie das Instrument der Produktintervention in der Praxis anwendet.

Auf einen Blick:Produktintervention

Seit Mitte 2015 verfügt die BaFin über das Instrument der Produktintervention. Mit diesem kann sie die Vermarktung, den Vertrieb und den Verkauf von bestimmten Finanzprodukten beschränken oder sogar verbieten, wenn diese erhebliche Bedenken für den Anlegerschutz aufwerfen oder eine Gefahr für die Stabilität oder Integrität des Finanzsystems oder des Finanzmarkts darstellen. Das Produktinterventionsrecht wurde mit dem Kleinanlegerschutzgesetz als § 4b in das Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) eingeführt.

Novum des Aufsichtsrechts

Die Schaffung der Ermächtigung zu Produktinterventionen war eine systematische Weiterentwicklung des Aufsichtsrechts, da sie Maßnahmen in Bezug auf einzelne Finanzprodukte ermöglicht hat. Bislang bezog sich die Aufsicht in erster Linie auf die am Markt tätigen Personen und Unternehmen, für die bestimmte Ge- und Verbote gelten. Unter gewissen Voraussetzungen kann nun aber das Produkt selbst reguliert werden, auch wenn beteiligte Unternehmen wie Emittenten oder Vermittler ihren Pflichten genügen.

Damit einher geht auch eine Neuerung für die Emittenten: Diese können nun auch dann mit der BaFin in Kontakt kommen, wenn das Prospektbilligungsverfahren für das emittierte Finanzprodukt bereits abgeschlossen ist. Dies gilt auch dann, wenn sie – anders als etwa Banken und Wertpapierdienstleistungsunternehmen – nicht der laufenden Aufsicht der BaFin unterliegen. Die Möglichkeit einer Produktintervention besteht dabei aufgrund des unterschiedlichen Prüfungsumfangs und der anderen Zielrichtung unabhängig vom Prospektregime. So prüft die BaFin im Rahmen der Prospektprüfung weder die inhaltliche Richtigkeit des Prospekts noch das Produkt selbst im Hinblick auf Aspekte des Anlegerschutzes. Daher schließt auch ein gebilligter Prospekt eine spätere Produktintervention nicht aus.

Wie kommt es zu einer Produktintervention?

Die Ermächtigungsgrundlage in § 4b Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) sieht mehrere Gründe für Produktinterventionen vor: Die BaFin kann einschreiten, wenn ein Finanzinstrument erhebliche Bedenken für den Anlegerschutz aufwirft, es eine Gefahr für die Finanz- oder Warenmärkte oder die Stabilität des Finanzsystems darstellt oder wenn ein Derivat negative Auswirkungen auf den Preisbildungsmechanismus in den zugrundeliegenden Märkten hat. In der Anwendungspraxis der BaFin haben bisher allein erhebliche Bedenken für den Anlegerschutz eine Rolle gespielt.

Es gibt vielfältige Auslöser, welche die BaFin dazu veranlassen zu prüfen, ob ein bestimmtes Finanzprodukt erhebliche Bedenken für den Anlegerschutz aufwirft. Sie greift dazu nicht nur auf die Erkenntnisse ihrer Marktüberwachung zurück, sondern verwertet auch Hinweise aus externen Quellen. So können zum Beispiel Beschwerden von Anlegern dazu führen, dass die BaFin bestimmte Finanzprodukte analysiert. Ferner können Medienberichte oder Hinweise von Verbraucherschützern Anlass für entsprechende Prüfungen sein. Nicht zuletzt erfährt die BaFin von neuen Finanzprodukten oft schon vor deren Emission: nämlich im Prospektbilligungsverfahren. Auch die dazu eingereichten Unterlagen können im Einzelfall Anhaltspunkte für erhebliche Anlegerschutzbedenken enthalten.

Kriterien für Anlegerschutzbedenken

Um zu beurteilen, wann ein Finanzprodukt erhebliche Bedenken für den Anlegerschutz aufwirft, zieht die BaFin – im Interesse einer einheitlichen Anwendung der Vorschrift – den Kriterienkatalog aus Artikel 21 der einschlägigen Delegierten Verordnung der Europäischen Kommission heran. Dieser beinhaltet Kriterien wie Komplexität und Transparenz des Produkts, angesprochener Kundenkreis, Rendite-Risiko-Verhältnis, Preisbildung, Marktliquidität und Verkaufspraktiken, aber auch emittentenbezogene Kriterien wie dessen finanzielle und geschäftliche Lage oder die Bedeutung des Produkts als Finanzierungsquelle für den Emittenten. Die Liste der Kriterien ist nicht abschließend, so dass die BaFin bei der Prüfung von Anlegerschutzbedenken auch weitere Aspekte heranziehen kann.

Die BaFin hat die Befugnis der Produktintervention von Anfang an als Ultima-Ratio-Ermächtigung bewertet. Das bedeutet, dass nicht jeder Kritikpunkt in Bezug auf ein Finanzprodukt zu einer Interventionsmaßnahme führen kann. Dieser Linie ist die BaFin treu geblieben: Sie hat bislang in allen Prüfverfahren erhebliche Bedenken für den Anlegerschutz anhand mehrerer der in der Delegierten Verordnung aufgeführten Kriterien analysiert.

Aufklärung des Sachverhalts

Geht die BaFin Hinweisen auf mögliche Anlegerschutzbedenken nach, so geschieht dies meist zunächst, indem sie sich weitere Informationen beschafft. Dazu kann sie häufig auf gesetzliche Pflichtdokumente wie Wertpapier- und Vermögensanlageprospekte sowie auf Produktinformationsblätter der Emittenten zurückgreifen. Auch die Internet-Auftritte der Anbieter enthalten oft wichtige Angaben.

Mitunter zieht die BaFin aber auch nicht öffentlich verfügbare Informationen heran, um Anlegerschutzbedenken zu bestätigen – oder zu entkräften. Dafür kann sie von jedermann verlangen, Auskünfte zu erteilen, Unterlagen vorzulegen und Kopien zu überlassen. Der Gesetzgeber hat klar geregelt, dass die Aufsicht diese Befugnis auch dann nutzen kann, wenn sie prüfen will, ob die Voraussetzungen für eine Produktinterventionsmaßnahme vorliegen. Auf dieser Grundlage erhält die BaFin in der Regel alle Informationen, die sie benötigt. Lediglich in einem Fall wehrte sich ein Emittent gegen die Erteilung der Auskünfte. Das zuständige Verwaltungsgericht bestätigte allerdings, dass das Auskunftsverlangen der BaFin rechtmäßig ist.

Nicht alle Fälle enden mit Produktinterventionsmaßnahme

Auf einen Blick:Weitere Informationen

Weitere ausführliche Informationen zum Thema Produktintervention sowie ein Interview mit BaFin-Exekutivdirektorin Elisabeth Roegele finden Sie im BaFinJournal September 2015. Über die erwähnten Praxisfälle berichtete das BaFinJournal in den Ausgaben Dezember 2016, Mai 2017, Januar 2017 und Juli 2017.

Nicht alle Fälle, in denen zunächst Anhaltspunkte für die Prüfung erheblicher Bedenken für den Anlegerschutz vorliegen, enden mit einer förmlichen Produktinterventionsmaßnahme. In einigen Fällen können die Bedenken ganz entkräftet werden, in anderen wird die Schwelle „erhebliche Bedenken für den Anlegerschutz“ nicht erreicht. So rechtfertigt zum Beispiel nicht jedes Missverständnis eines Anlegers über die Funktionsweise eines Finanzprodukts, dass die BaFin dieses als intransparent bewertet. Wenn sich bei der Prüfung herausstellt, dass die Eigenschaften des Produkts in den Produktbedingungen oder anderen Dokumenten wie Prospekten ausreichend klar dargestellt sind, bestehen keine erheblichen Bedenken für den Anlegerschutz.

Aber auch dann, wenn ein Produkt aus Sicht der BaFin erhebliche Bedenken für den Anlegerschutz aufwirft, führt dies nicht immer zum Erlass einer Produktinterventionsmaßnahme. Aus rechtlichen Gründen erfahren die betroffenen Emittenten oder Anbieter immer im Vorhinein, dass eine solche Maßnahme droht. Denn die BaFin ist gesetzlich dazu verpflichtet, sie vor dem Erlass der Maßnahme anzuhören und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

In dieser Situation entschließen sich Emittenten oder Anbieter mitunter dazu, von weiteren Emissions- oder Vertriebsvorhaben abzusehen. Das kann etwa dadurch geschehen, dass Emittenten einen bereits gestellten Antrag auf Prospektbilligung zurückziehen. Möglich ist aber auch, dass sie bereits begonnene Vertriebsaktivitäten einstellen. Ein solches Vorgehen kann eine Interventionsmaßnahme gegenstandslos machen. Dies ist auch legitim: Denn zum einen ist die BaFin verpflichtet, eine Maßnahme der Produktintervention auf ihrer Internetseite bekannt zu machen. Zum anderen würden dem Betroffenen Verfahrenskosten auferlegt. Ohne förmlichen Abschluss des Interventionsverfahrens bleibt ihm beides erspart.

Selbstverpflichtung: Bonitätsabhängige Schuldverschreibungen

Auch die Praxis hat gezeigt, dass Adressaten eines Produktregulierungsvorhabens die Anlegerschutzbedenken auch ohne Produktverzicht so weit ausräumen können, dass eine förmliche Maßnahme entbehrlich wird. Ein Beispiel hierfür ist die Selbstverpflichtung der Branche zu wesentlichen Anpassungen bei Emission und Vertrieb von bonitätsabhängigen Schuldverschreibungen. Die Verbände reagierten damit auf die öffentliche Anhörung der BaFin zu einer Interventionsmaßnahme.

Die BaFin hat nach Veröffentlichung des Branchenstandards vorerst von einer Produktinterventionsmaßnahme abgesehen. Bis Ende September wird sie zunächst prüfen, ob die Selbstverpflichtung für das angestrebte Anlegerschutzniveau ausreichend ist. Im Anschluss daran wird sie entscheiden, ob die ursprünglich geplante Interventionsmaßnahme noch erforderlich ist.

Ein solches Verfahrensende sollte nicht als „Kuhhandel“ oder fauler Kompromiss gesehen werden. Denn die BaFin sieht verbraucherschützende Maßnahmen von Emittenten und Anbietern nicht als Verhandlungsgegenstand. Allerdings ist sie zu jedem Zeitpunkt einer Prüfung von Produktinterventionsmaßnahmen dazu verpflichtet, alle tatsächlichen Umstände zu berücksichtigen. Daher muss sie auch selbstverpflichtende Maßnahmen mit Blick darauf bewerten, ob eine Interventionsmaßnahme noch erforderlich und angemessen ist. Nur wenn das Produkt am Ende des Prüfverfahrens noch erhebliche Bedenken für den Anlegerschutz aufwirft, darf die BaFin die vorgesehene Maßnahme erlassen.

Im Ergebnis lässt sich daher die verbraucherschützende Wirkung der Befugnis zu Produktinterventionen nicht allein an der Zahl der erlassenen Interventionsmaßnahmen festmachen. Auch der „geordnete Rückzug“ von Emittenten oder andere Maßnahmen der Anbieter, die dem Ziel des Verbraucherschutzes dienen, sind das Ergebnis der Ausübung der Befugnis zu Produktinterventionen.

Interventionsmaßnahme: Vertriebsbeschränkung bei CFDs

Erhebliche Bedenken für den Anlegerschutz können aber auch zum tatsächlichen Erlass einer Interventionsmaßnahme führen. Das hat die Vertriebsbeschränkung für CFDs gezeigt, die die BaFin angeordnet hat.

Damit ist ihre Arbeit aber keineswegs getan. Es ist nun ihre Aufgabe zu überwachen, ob die Betroffenen die Maßnahme umsetzen und die Regelung tatsächlich beachten.

Anlegerverantwortung

Aus dem Ultima-Ratio-Charakter der Befugnis zu Produktinterventionen folgt auch, dass das Instrument nicht bewirken kann, dass im Markt nur noch Produkte angeboten werden, die in jeder Hinsicht unbedenklich sind. Daher sind andere Teile des Aufsichtsrechts wie Prospekt-, Transparenz- und Verhaltensvorschriften ebenso wichtige Pfeiler des finanziellen Anleger- und Verbraucherschutzes.

All das unterstützt den Anleger bei Geldanlageentscheidungen – für die er jedoch nach wie vor selbst verantwortlich ist.

Hinweis

Der Beitrag gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im BaFinJournal wieder und wird nicht nachträglich aktualisiert. Bitte beachten Sie die Allgemeinen Nutzungsbedingungen.

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