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Erscheinung:16.10.2017 | Thema Verbraucherschutz Mittelstandsanleihen: Undurchsichtige Geldanlage für Verbraucher?

Vor einigen Jahren erlebte die Finanzierung mittelständischer Unternehmen durch die Begebung sogenannter Mittelstandsanleihen einen regelrechten Boom. Aktuell sowie 2018 stehen viele der damals emittierten Anleihen zur Rückzahlung an, was dazu führt, dass derzeit vermehrt Mittelstandsanleihen zu deren Refinanzierung angeboten werden. In dieser Situation stehen viele Anleger vor der Entscheidung, ob sie ihr Geld in solche Produkte investieren sollten. Welche Besonderheiten kennzeichnen diese Anlageform? Gibt es Chancen und Risiken, die zu beachten sind? Und welche Informationsquellen kann der Anleger bei der Anlageentscheidung nutzen? Der vorliegende Beitrag soll hier einen kurzen Überblick geben.

Aufstieg der „Mittelstandsanleihe“

Im Lauf des Jahres 2010 etablierten mehrere Börsen in Deutschland Segmente speziell für die Emission mittelständischer Unternehmensanleihen. Auf der einen Seite eröffnete dies mittelständischen Unternehmen, neben dem normalen Bankkredit, eine weitere Möglichkeit zur Finanzierung von Investitionen und zur Refinanzierung ihrer Verbindlichkeiten. Auf der anderen Seite stellte die Mittelstandsanleihe angesichts der sinkenden Rendite klassischer Geldanlagen für viele Anleger eine interessante Investitionsmöglichkeit dar.

In den Folgejahren erfreuten sich die Mittelstandsanleihen daher großer Beliebtheit. Bis 2013 führte die BaFin fast 150 Verfahren zur Billigung von Wertpapierprospekten für Mittelstandsanleihen durch. Mit dazu beigetragen hat sicherlich der Begriff „Mittelstand“, der in Deutschland im Allgemeinen für Seriosität und Bodenständigkeit steht.

Die Mittelstandsanleihen wurden im Allgemeinen mit einer Stückelung in Höhe von 1.000 Euro vertrieben. Das führte dazu, dass auch viele Privatanleger Mittelstandsanleihen zeichneten.

Rückgang des Markts

Die Nachfrage nach Mittelstandsanleihen ging jedoch im Verlauf der Jahre 2012 bis 2014 zurück, als es zu Ausfällen bei mehreren Anleihen kam. Dieser Trend setzte sich 2015 und 2016 fort. Gleichzeitig ging auch die Zahl der Emissionen zurück. So billigte die BaFin von 2014 bis 2016 lediglich 71 neue Prospekte für Mittelstandsanleihen.

Von den Mittelstandsanleihen, die seit 2010 angeboten wurden, sind inzwischen etliche von Insolvenzen oder Zahlungsverzögerungen betroffen. Schlimmstenfalls kann dies zum Totalverlust für den Anleger führen.

Refinanzierung

Seit einiger Zeit sind vermehrt Angebote von Mittelstandsanleihen zu beobachten, die der Refinanzierung bereits begebener Anleihen dienen. Wie bereits erwähnt, liegt das auch daran, dass ein großer Teil der einst platzierten Anleihen im Lauf der Jahre 2017 sowie 2018 zur Rückzahlung anstehen.

Die Emittenten gehen bei der Durchführung solcher Refinanzierungen teilweise sehr unterschiedlich vor. So konnten in den vergangenen Monaten einige Emittenten, deren Anleihen sich dem Laufzeitende näherten, Gelder über die Ausgabe neuer Anleihen einsammeln. Dies versetzte sie in die Lage, die alten Anleihen zurückzuzahlen. Andere Emittenten machen ihren Anlegern das Angebot, die Anleihen um einige Jahre zu verlängern, häufig zu einem reduzierten Zinssatz. Wieder andere bieten den Anlegern einen Umtausch ihrer Anleihen in eigene Aktien oder andere Fremdkapitalinstrumente an. Dadurch entfällt die Rückzahlung oder wird in die Zukunft verlagert.

Anleger sollten jedoch kritisch hinterfragen, warum die Refinanzierung erfolgt. Dies kann aufgrund attraktiver Konditionen am Kapitalmarkt geschehen oder aber auch, weil das Unternehmen nicht in der Lage ist, die bestehenden Verbindlichkeiten aus eigener Kraft beziehungsweise aus anderen Quellen zurückzuführen, etwa einem Bankkredit.

Definition:Wichtige Begriffe

Unternehmensanleihe:
Schuldverschreibung eines Unternehmens, die mit einer vorher festgelegten Laufzeit, einem vorher festgelegten (festen) Zinssatz und einer Rückzahlung des Nennbetrags am Ende der Laufzeit ausgegeben wird.

Mittelstandsanleihe:
Spezielle Form der Unternehmensanleihe, die von mittelständischen Unternehmen ausgegeben wird. Die Emissionsbedingungen werden je nach Einzelfall ausgestaltet. Das Emissionsvolumen bewegt sich meist zwischen drei und 20 Millionen Euro. Die Laufzeit beträgt durchschnittlich fünf Jahre bei einem Zinssatz zwischen 3,5 und 8 Prozent. Die Stückelung beträgt in der Regel 1.000 Euro.

Emittent:
Unternehmen, das die Anleihe herausgibt.

Wertpapierprospekt:
Enthält Angaben zum Emittenten und zum Wertpapier, die notwendig sind, um dem Leser ein zutreffendes Urteil über die Vermögenswerte und Verbindlichkeiten, die Finanzlage, die Gewinne und Verluste, die Zukunftsaussichten des Emittenten sowie über die mit dem Wertpapier verbundenen Rechte zu ermöglichen. Unternehmen, die Anleihen öffentlich anbieten, sind verpflichtet, einen Wertpapierprospekt bei der BaFin einzureichen. Die BaFin billigt den Prospekt, wenn dieser die im Wertpapierprospektgesetz (WpPG) und der Prospektverordnung festgelegten Mindestangaben enthält, verständlich und widerspruchsfrei ist. Sie überprüft jedoch weder die Seriosität des Emittenten noch die Werthaltigkeit des Produkts.

Covenants:
Schutzklauseln, in denen sich Emittenten verpflichten, bestimmte Gläubigerrechte zu wahren.

Zinsdeckungsgrad:
Kennzahl, die das Verhältnis der Zinsaufwendungen zum operativen Ergebnis wiedergibt.

Nutzen und Risiken

Der Nutzen der Mittelstandsanleihe liegt auf der Hand: Sie stellt im anhaltenden Niedrigzinsumfeld zunächst eine attraktive Alternative zu konservativen Geldanlagen dar. Den schwindenden Renditen beispielsweise von Giro- und Sparkonten und privaten Rentenversicherungen steht bei der Mittelstandsanleihe eine deutlich höhere Verzinsung gegenüber.

Dieser Vorteil darf jedoch nicht über die Risiken hinwegtäuschen, die mit der Mittelstandsanleihe einhergehen – im Gegenteil: Die höhere Verzinsung sollte als Gradmesser dieses höheren Risikos betrachtet werden. Für Anleger ist es deshalb wichtig, die Risiken von Mittelstandsanleihen zu kennen.

Wie zahlreiche Ausfälle zeigen, ist die Mittelstandsanleihe eine spekulative Geldanlage. Es besteht die Gefahr, dass es aufgrund einer Insolvenz des Emittenten zu einem Zahlungsausfall kommt, in dessen Folge er dem Anleger weder die erwarteten Zinsen zahlen noch das investierte Geld in vollem Umfang zurückerstatten kann. Im Unterschied zu einem Bankkredit kann ein Unternehmen bei der Mittelstandsanleihe nicht dazu verpflichtet werden, den Gläubigern für diesen Fall Sicherheiten zu stellen. Zwar werden vielfach Covenants vereinbart. Der Emittent kann jedoch frei über das Ob und Wie dieser Schutzklauseln entscheiden.

Es kann darüber hinaus vorkommen, dass eine Anleihe nicht vollständig platziert werden kann und dem Emittenten somit nicht genügend Mittel zufließen, um die geplanten Investitionen zu realisieren oder die Refinanzierung in vollem Umfang durchzuführen. Auch ist nicht ausgeschlossen, dass er später weiteres Fremdkapital aufnimmt und seine Verschuldung auf diese Weise erhöht, was eine Bedienung von Zins- und Rückzahlungen erschweren kann.
Zu bedenken ist auch, dass die Liquidität des Markts für Mittelstandsanleihen wegen des vergleichsweise niedrigen Emissionsvolumens gering sein kann.

Deshalb besteht die Gefahr, dass das Angebot die Nachfrage für Mittelstandsanleihen übersteigt und ein Verkauf während der Laufzeit nicht oder nur mit hohem Kursverlust möglich ist.

Tipps für Verbraucher

Angesichts dieser und weiterer Risiken sollten sich Anleger sorgfältig informieren, bevor sie Mittelstandsanleihen zeichnen. Dabei sollten sie darauf achten, dass sie alle Merkmale des ausgewählten Produkts verstehen und ausreichend Informationen über den Emittenten einholen. Bei Fragen oder Zweifeln kann es sinnvoll sein, Rat bei Fachkundigen einzuholen, zum Beispiel einem Anlageberater oder den Verbraucherzentralen.

Insbesondere sollten Anleger wegen des Risikos eines Totalausfalls nur Beträge investieren, deren Verlust für sie finanziell tragbar ist. Auch ist es sinnvoll, nicht die gesamten zur Verfügung stehenden Mittel in einer Investition zu konzentrieren, sondern auf verschiedene Investitionen und Anlageklassen zu streuen.

Informationsquellen

Auf einen Blick:Worauf Anleger achten sollten

Bei der Durchsicht der Informationsquellen sollten Anleger insbesondere auf folgende Punkte achten:

  • Zins
  • Emittent
  • Unternehmenskennzahlen
  • Geschäftsmodell
  • Verwendung der Erlöse

Als wichtige Informationsquelle dient der Wertpapierprospekt, der stets zu veröffentlichen ist. Häufig geschieht dies im Internet, etwa auf der Homepage des Emittenten. Daneben macht die BaFin Prospekte, die sie gebilligt hat, für jeweils zwölf Monate auf ihrer Internetseite zugänglich. Anleger, die eine Anlageberatung in Anspruch nehmen, können sich auch im Produktinformationsblatt über die Art und Risiken des Finanzinstruments informieren, das ihnen nach § 31 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) rechtzeitig vor Abschluss des Geschäfts auszuhändigen ist. Darüber hinaus sollten sie die letzten Jahresabschlüsse einsehen sowie Hintergrundinformationen über den Emittenten sammeln.

Bei der Durchsicht von Ratingberichten ist hingegen Vorsicht geboten. Zum einen bestehen Anhaltspunkte dafür, dass einige Ratings in der Vergangenheit die Erwartungen der Anleger nicht erfüllt haben. Zum anderen sind Ratings vielfach emittenten- statt produktbezogen. Risiken des konkreten Wertpapiers, etwa eine mögliche nachrangige Stellung bestimmter Gläubiger in der Insolvenz, bleiben bei der Beurteilung dadurch außen vor. Gleichwohl ist es sinnvoll, den Ratingbericht zu lesen, da dieser zusätzliche Informationen enthalten kann.

Wichtige Informationen

Anleger sollten den Zins der jeweiligen Anleihe mit dem Zins des Marktumfelds und insbesondere dem risikolosen Zins vergleichen. Dieser liegt zurzeit um die 0 Prozent. Ist der Zins der Anleihe deutlich höher, kann dies auf eine besonders risikoreiche Investition hindeuten.

Für den Anleger ist es außerdem sinnvoll sich klarzumachen, wer Emittent der Anleihe ist. Tritt zum Beispiel eine Muttergesellschaft als Emittent auf, während Tochtergesellschaften das operative Geschäft wahrnehmen, muss der Anleger Folgendes wissen: Bei Zahlungsschwierigkeiten werden die Gläubiger der Tochtergesellschaften in der Regel vorrangig befriedigt. Nur wenn nach Befriedigung vorrangiger Gläubiger, beispielsweise Banken, noch Mittel übrig sind, erhält der Anleger sein Geld zurück.

Daneben sollten sich Anleger die Unternehmenskennzahlen des Emittenten genau anschauen. Die Bilanz sowie die Gewinn- und Verlustrechnung enthalten verschiedene wichtige Angaben, die bei der Bewertung der Liquidität hilfreich sind. Ist beispielsweise der Zinsdeckungsgrad größer als 1, so deutet dies darauf hin, dass Zinszahlungen aus dem operativ erwirtschafteten Gewinn bedient werden können, ohne dass der Emittent das Eigenkapital nutzen muss. Auch ist es ratsam, mehrere Jahresabschlüsse miteinander zu vergleichen. Schwierig wird es, wenn Positionen wie Kassenbestand, Umsatz und Forderungen besonders wechselhaft oder die Kennzahlen wegen neuer Sondereffekte kaum vergleichbar sind. Ergänzend sollten Anleger auch das Geschäftsmodell des Emittenten unter die Lupe nehmen. Hier gilt es beispielsweise zu bewerten, ob das Geschäftsmodell nachvollziehbar ist.

Mit Hilfe des Wertpapierprospekts schließlich sollten Anleger der Frage nachgehen, wofür der Emittent das Geld verwenden will. Eine Anleihe ist tendenziell risikoreicher, wenn die gesammelten Beträge nicht nur für geplante Investitionen, sondern auch oder ausschließlich zur Refinanzierung bestehender Verbindlichkeiten genutzt werden sollen. Vorsicht ist auch geboten, wenn der Prospekt hierzu keine Angaben enthält, weil der Emittent noch keine konkreten Verwendungsabsichten hat (Blind-Pool-Risiko). In diesem Fall kann der Anleger unter Umständen kaum nachvollziehen, ob der Emittent sein Geld sinnvoll einsetzt und mit welcher Sicherheit er mit den zugesagten Zins- und Rückzahlungen rechnen kann.

Hinweis

Der Beitrag gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im BaFinJournal wieder und wird nicht nachträglich aktualisiert. Bitte beachten Sie die Allgemeinen Nutzungsbedingungen.

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