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Erscheinung:15.11.2017 Jahreskonferenz der Versicherungsaufsicht - Austausch mit der Branche: Solvency II, Digitalisierung und Zukunft der Regulierung

Wie schätzt die Europäische Kommission die Fortentwicklung der Regulierung ein? Sind – basierend auf den ersten Erfahrungen – weitere regulatorische Anpassungen an Solvency II notwendig? Welche Folgen wird die zunehmende Digitalisierung auf die Versicherungsbranche und die Aufsicht haben? Diese Themen standen im Mittelpunkt der diesjährigen Jahreskonferenz der Versicherungsaufsicht, die einmal mehr rund 250 Vertreter der Versicherungswirtschaft, von Verbänden, Wissenschaft und Aufsicht ins Rheinische Landesmuseum Bonn lockte.

Wirtschaftliche Situation der Branche

Dr. Frank Grund, Exekutivdirektor der Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht, begrüßte die Teilnehmer mit einer positiven Nachricht: „Zum 30. Juni betrug die durchschnittliche SCR-Quote1) in der Versicherungsbranche rund 340 Prozent. Die Branche hat die aufsichtlichen Anforderungen im Mittel also deutlich erfüllt.“

Bei der Betrachtung einzelner Unternehmen sehe die Lage jedoch weniger rosig aus. Vor allem vielen Lebensversicherern falle es schwer, die neuen Kapitalanforderungen zu erfüllen. Sie nutzten hierfür zum großen Teil die Übergangsmaßnahmen. „Das ist auch richtig“, erklärte Grund. „Die Unternehmen schaffen sich auf diese Weise die Möglichkeit, ihr Portfolio sukzessive umzubauen.“ Im Neugeschäft zeichne sich ein klarer Schwenk zu Produkten ab, die mit geringeren Kapitalanforderungen verbunden seien als die traditionellen Garantieprodukte. Die dauerhafte Erfüllung der Garantien im Bestand bedarf aber Grund zufolge angesichts der immer noch sehr niedrigen Zinsen bei vielen Unternehmen weiterhin erheblicher Anstrengungen.

Zinszusatzreserve: Tempo drosseln

Neben Solvency II stellten auch die Rahmenbedingungen des Handelsgesetzbuchs (HGB) und vor allem die Zinszusatzreserve (siehe BaFinJournal August 2017) erhebliche Anforderungen an die Unternehmen. Die Zinszusatzreserve werde bis Ende des Jahres auf rund 64 Milliarden Euro anwachsen – eine wichtige Absicherung für Kunden.

„Die Zinszusatzreserve ab 2018 weiter im bisherigen Tempo aufzubauen, ist allerdings weder für die Unternehmen noch für deren Kunden sinnvoll“, mahnte Grund. Er hoffe, dass die Rekalibrierung sehr früh im neuen Jahr erfolge, um den Unternehmen Planungssicherheit zu geben.

Externer Run-Off

Zum seitens der Presse sehr beliebten Thema „externer Run-Off“ stellte Grund klar, dass die BaFin bislang gerade einmal drei Anträge erhalten habe. „Alle drei haben wir positiv beschieden“, so Grund, „allerdings nach teilweise recht langwierigen Verfahren.“

Derzeit lägen der BaFin keine neuen Anträge von Lebensversicherern vor, und es seien auch keine weiteren angekündigt. „Auch in künftigen Fällen werden wir die Belange der Versicherungsnehmer wahren – nicht nur in finanzieller Hinsicht“, bekräftigte Grund. Je größer die betreffenden Bestände, desto größer seien auch die operationellen Anforderungen an den Übernehmer.

Pensionskassen unter Druck

Grund ging zudem auf die Lage der Pensionskassen ein. Prognoserechnungen der BaFin zeigten, dass sich bei vielen Pensionskassen der Abstand zwischen der laufenden Verzinsung der Kapitalanlagen und dem durchschnittlichen Rechnungszins der Deckungsrückstellung in den nächsten Jahren verkleinern werde. Diesen Unternehmen werde es zunehmend schwer fallen, eine Absenkung des Rechnungszinses zu finanzieren. „Das Problem könnte gemildert werden, wenn Aktionäre und Arbeitgeber, die die Pensionskasse für die betriebliche Altersversorgung ihrer Arbeitnehmer nutzen, den Pensionskassen zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen“, merkte Grund an. Die BaFin dränge hierauf auch in ihren Aufsichtsgesprächen.

Die mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG, siehe BaFinJournal August 2017) ab dem 1. Januar 2018 bestehende Möglichkeit einer betrieblichen Altersversorgung ohne Garantien stoße bislang auf wenig Interesse. „Unser Eindruck ist, dass zumindest kurzfristig nicht viele diesen neuen Weg der betrieblichen Altersversorgung beschreiten“, berichtete Grund. Aber der Weg sei ja auch gerade erst geebnet. Die BaFin stehe Unternehmen und Tarifvertragsparteien jederzeit für Gespräche zur Verfügung. Sie könne aber nur beraten, jedoch keine Vereinbarungen schließen.

Digitalisierung

Zum Thema Digitalisierung sagte Grund, die BaFin beobachte derzeit innerhalb der Versicherungsbranche eine starke Tendenz zur Modernisierung der Prozesse. „Dies kommt auch den Versicherungsnehmern zugute, da die Kommunikation mit dem Versicherer erleichtert, Kernprozesse beschleunigt und mittelfristig Kosteneinsparungen realisiert werden“, erklärte er.

Gleichzeitig nehme jedoch die Bedeutung von IT- und Cyberrisiken zu. „Diesen Risiken müssen die Versicherer angemessen begegnen“, forderte Grund. Aber auch die Aufsicht sei gefragt, sich auf die Entwicklungen einzustellen. Aufgrund des Markteintritts von Fintech-Unternehmen herrsche derzeit ein intensivierter Wettbewerb um den direkten Kontakt zum Kunden. Hier seien zahlreiche Fragen zu klären, beispielsweise zum Umgang mit Auslagerungen. „Wir werden uns im ersten Halbjahr 2018 – selbstverständlich nach ausführlicher Konsultation mit der Branche – zu den Anforderungen an die IT in der Versicherungswirtschaft äußern“, kündigte Grund an.

Regulatorische Veränderungen

Grund ging zudem ausführlich auf die aktuellen und kommenden regulatorischen Veränderungen ein, den dritten Schwerpunkt der Veranstaltung. „In Deutschland arbeiten wir derzeit unter anderem an der Umsetzung entscheidender regulatorischer Weichenstellungen im Verbraucherschutz“, sagte Grund. Als wichtiges Beispiel nannte er die Umsetzung der Versicherungsvertriebsrichtlinie (siehe BaFinJournal März 2017, August 2017 und Oktober 2017) .

Auf Basis der Entwürfe der Delegierten Verordnungen zur Richtlinie, die die Europäische Kommission im September auf den Weg gebracht hat und die die Informationspflichten und Wohlverhaltensregeln beziehungsweise die Aufsichts- und Lenkungsanforderungen konkretisieren, arbeite die BaFin nun an Auslegungs- und Arbeitshilfen für die Unternehmen. „Wir beschäftigen uns unter anderem intensiv mit den Anforderungen an den provisionsbasierten Vertrieb, gerade in der Lebensversicherung“, so Grund. „Provisionen dürfen nicht zu Fehlanreizen führen.“ Die BaFin erwarte, dass sich auch die Versicherer und betroffenen Vermittler bereits jetzt mit den neuen Regelungen auseinandersetzten.

Europäische Ebene

Als wichtige Themen auf europäischer Ebene nannte Grund unter anderem die Überprüfung der Standardformel für die Ermittlung der SCR. „Wir setzen uns dafür ein, die Standardformel weniger komplex als bislang zu gestalten.“ Wichtig sei zudem die angemessene Kalibrierung des Zinsänderungsrisikos auch für negative Zinsen. Mit Blick auf die Überprüfung der Übergangsmaßnahmen für langfristige Garantien sagte Grund, die BaFin setze sich stark für deren Erhalt ein.

Auch das Vorhaben, ein europäisches Produkt der privaten Altersvorsorge (Pan-European Pension Product – PEPP) zu schaffen, sprach der Exekutivdirektor an: „Es sollte sichergestellt sein, dass die Grenzen zwischen Altersvorsorgeprodukten und reinen Investmentprodukten nicht verschwimmen.“

Schließlich mahnte Grund Versicherer, die Niederlassungen in Großbritannien betreiben oder dort Dienstleistungen erbringen, sich jetzt auf das Szenario eines harten Brexits vorzubereiten.2) „Sollte der EU-Pass ersatzlos wegfallen, besteht die Gefahr, dass diese Unternehmen unerlaubtes Versicherungsgeschäft betreiben“, verdeutlichte Grund.

Globale Ebene

Auf globaler Ebene, bei der Internationalen Vereinigung der Versicherungsaufsichtsbehörden IAIS, bringe die BaFin ihre Meinung ebenfalls sehr stark ein. „Dort diskutieren wir gerade darüber, ob wir interne Modelle auch bei den globalen Kapitalstandards zur Risikomessung zulassen sollen“, erläuterte Grund. Aus Sicht der BaFin seien interne Modelle unverzichtbarer Bestandteil eines jeden Aufsichtsregimes.3)

Grund sprach zudem das bilaterale Abkommen zu Aufsichtsmaßnahmen für die Versicherung und die Rückversicherung an, das die EU und die USA im September geschlossen haben. „Die BaFin begrüßt das Abkommen. Es kann einerseits dazu beitragen, gleiche Wettbewerbsbedingungen für US-Versicherer in der EU und für EU-Versicherer in den USA zu etablieren, und andererseits den Herausforderungen des globalisierten Versicherungsmarkts Rechnung tragen“, sagte Grund. Die BaFin beabsichtige, die Regelungen bei Versicherern aus den USA bereits unmittelbar nach Abschluss des EU-Ratifizierungsverfahrens anzuwenden.

Perspektive der EU-Kommission

Dr. Nathalie Berger von der EU-Kommission beschrieb in ihrer Rede die Aktivitäten der Europäischen Kommission zur Fortentwicklung der Regulierung. Solvency II sei das fortschrittlichste System weltweit, betonte sie. „Die Qualität der Regulierung und der Aufsicht ist ein Grund dafür, warum die Branche gut dasteht.“

Zu möglichen Anpassungen der Standardformel sagte Berger, unbeabsichtigte Fehler müssten beseitigt und die Versicherer in der Niedrigzinsphase unterstützt werden, neue Investitionsmöglichkeiten zu finden, beispielsweise in Infrastruktur. Außerdem lege die Kommission den Fokus auf eine Vereinfachung der Anforderungen.

Die Kommissionvertreterin ging ebenfalls auf die Arbeiten der IAIS ein, die sie generell unterstütze. „Die hohe Qualität der Versicherungsaufsicht in Europa muss aber gewahrt bleiben“, forderte sie. Das bilaterale Abkommen mit den USA wertete sie als großen Erfolg. „Dadurch werden Benachteiligungen für europäische Versicherer, insbesondere Rückversicherer, beseitigt“, erklärte sie.

Paneldiskussion zu Solvency II

Im Anschluss an die Vorträge fanden zwei Paneldiskussionen statt. Die Diskussionen in der ersten Runde drehten sich um Solvency II und Spannungsfelder in der Praxis. An dem Panel nahmen neben Dr. Nathalie Berger auch Gabriel Bernardino, Chairman der Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung EIOPA, Dr. Axel Wehling vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV), Wirtschaftsprüfer Dr. Frank Ellenbürger und BaFin-Abteilungsleiter Joachim Kobischke teil.

Ist Solvency II modern und robust oder bürokratisch und kostenintensiv? Wie stehen der Wettbewerb und die Belange der Versicherten im Einklang? Ist prinzipienbasierte Aufsicht besser als regelbasierte? Um diese Fragen drehte sich die angeregte Diskussion mit durchaus unterschiedlichen Auffassungen. Wehling wies auf das Spannungsfeld zwischen Wettbewerbsfähigkeit und Sicherheit hin. Im Moment liege der Schwerpunkt insbesondere bei EIOPA einseitig auf Sicherheit. „Um vor dem Hintergrund von Solvency II, Niedrigzins und Digitalisierung die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, muss Bürokratie abgebaut werden“, forderte er. Es könnte der Eindruck entstehen, Solvency II sei ein Haus, das noch nicht fertig, aber schon wieder komplett renovierungsbedürftig sei. Bernardino teilte diese Meinung nicht: „Die Umsetzung von Solvency II ist ein Erfolg, auch mit Blick auf die Finanzstabilität“, bekräftigte er. Auch Ellenbürger äußerte sich positiv. Solvency II habe die Transparenz verbessert und einen integrierten Blick auf alle Unternehmensrisiken geschaffen. Dies sei gut für die Unternehmenssteuerung.

Berger bezeichnete die Kosten für die Aufsicht als Investment. „Das hohe Ansehen der europäischen Versicherungsbranche in der Welt beruht auch auf der Qualität der europäischen Aufsicht“, sagte sie. „Auch für die BaFin ist das Thema Proportionalität in der Aufsichtspraxis von hoher Bedeutung“, betonte Kobischke. Solvency II liefere wichtige Erkenntnisse sowohl für die Unternehmen als auch für die Aufsicht.

Paneldiskussion zur Digitalisierung

Im zweiten Panel wurden die Bandbreite und das Ausmaß der Herausforderungen deutlich, die die Digitalisierung für Branche und Aufsicht mit sich bringt. Neben den BaFin-Experten Jens Obermöller und Kathleen Köhn saßen drei Vertreter aus der Wirtschaft auf dem Podium: Dr. Christoph Wetzel von der Versicherungsgruppe Talanx, Thomas Rechnitzer vom IT-Unternehmen IBM und Dr. Roman Rittweger vom Fintech-Versicherer Ottonova.
In seinem Impulsvortrag beschrieb Wetzel die Chancen und Risiken der Digitalisierung. Dazu zählten zum einen kriminelle Aktivitäten im Internet, insbesondere der Versand schadhafter Software und die damit häufig verbundenen Erpressungen, zum anderen Angriffe durch Hacker. Versicherungsschutz gegen Internet-Attacken sei ein langfristiger Wachstumsmarkt für die Unternehmen. Die Digitalisierung verändere jedoch auch das Geschäftsmodell, die Arbeitsweise und Unternehmenskultur der Versicherer. Diese müssten auf die Konkurrenz durch Fintech-Start-ups reagieren. Als mögliche Optionen für eine Zusammenarbeit nannte Wetzel Kooperationen und Beteiligungen. Zudem werde der Trend zu Auslagerungen in der IT zunehmen. „Es muss aber weiterhin jederzeit sichergestellt sein, dass die Versicherer auf die ausgelagerten Funktionen zugreifen und diese steuern können.“

Obermöller und Köhn berichteten, dass die BaFin mit Blick auf Digitalisierung und Cyberrisiken bereits seit langem Expertise aufbaue. Sie setze sich intensiv mit diesen Themen und möglichen aufsichtlichen Antworten auseinander.

Dialog fortsetzen

Zum Abschluss der Veranstaltung wies Exekutivdirektor Grund noch einmal darauf hin, wie wichtig der Proportionalitätsgrundsatz für die Branche und die BaFin sei. Er forderte die Unternehmensvertreter auf, die gesetzlichen Spielräume auszunutzen: „Traut euch was!“ Grund versicherte zudem, dass die BaFin großes Interesse daran habe, den Dialog mit der Branche weiter fortzusetzen.

Hinweis

Der Beitrag gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im BaFinJournal wieder und wird nicht nachträglich aktualisiert. Bitte beachten Sie die Allgemeinen Nutzungsbedingungen.

Fußnoten:

  1. 1) Bedeckungsquote der Solvenzkapitalanforderung (Solvency Capital Requirement – SCR).
  2. 2) Zum Brexit siehe auch das Interview im BaFinJournal Oktober 2017.
  3. 3) Siehe dazu auch das Interview im BaFinJournal August 2017.

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