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Erscheinung:15.03.2018 Forderungen gegenüber Staaten - BaFin-Experte Frank Pierschel zur Diskussion im BCBS: „Es wäre fahrlässig, bei der derzeitigen Regelung zu bleiben“

Wie sind Forderungen gegenüber Staaten regulatorisch zu behandeln? Anfang 2015 beschloss der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht BCBS, diese Frage neu zu überdenken. Vor wenigen Tagen endete die Frist für Stellungnahmen zu einem Diskussionspapier, das er Ende 2017 dazu veröffentlichte (siehe BaFinJournal Dezember 2017). BaFin-Experte Frank Pierschel erläutert die Inhalte des Diskussionspapiers und ordnet sie aus Sicht der BaFin ein.

Herr Pierschel, warum hat sich der BCBS entschlossen, die Regeln für Forderungen gegenüber Staaten zu überprüfen?

Die Regelungen zu Sovereign Exposures sind Bestandteil des Basler Rahmenwerks für die Berechnung des Kreditrisikos. Daher sollten sie ursprünglich in diesem Rahmen mit überprüft werden. Angesichts der Diskussionen im Laufe der Arbeiten und der Staatsschuldenkrise hat der Basler Ausschuss dann aber doch eine eigene Arbeitsgruppe zu dem Thema eingesetzt, um die Gefahr zu umgehen, die Überarbeitung des Kreditrisikostandardansatzes oder des IRBA1) insgesamt zu torpedieren.

Warum torpedieren? Gibt es hier so große Meinungsverschiedenheiten?

Ja, in der Tat. Es gibt ein Nord-Süd-Problem, sowohl innerhalb Europas als auch global gesehen. Offen gesagt, sehen die nördlichen Staaten die dringende Notwendigkeit, die 0-Prozent-Risikogewichtung aufzugeben. Einige, zumeist südliche Länder sind da weniger ambitioniert.

Warum ist es aus Ihrer Sicht wichtig, von der Nullgewichtung wegzukommen?

Es dabei zu belassen, wäre fahrlässig. Es geht hier um die Entkoppelung von Staatsfinanzierung und Banken. Die Nullgewichtung führt dazu, dass Forderungen an Staaten in den Bankbilanzen in Konzentrationen vorkommen, die wir Aufseher als nicht gesund einschätzen müssen. Denn das Risiko ist nun mal nicht null. Selbst deutsche Staatsanleihen werden bei der IRBA-Modellierung mit 1 bis 1,2 Prozent risikogewichtet. Nationale Wahlrechte erlauben aber auch IRB-Banken, im Rahmen des sogenannten Permanent Partial Use2) die Forderungen an Staaten im Standardansatz zu rechnen. Und der sagt für in nationaler Währung ausgestellte Kredite: Null Risikogewicht. Vergibt also eine Bank aus einem Mitgliedstaat der Eurozone einen Kredit an das eigene oder ein anderes Euro-Land, gilt für diese Forderungen die Null.

Wie lautet der entgegengesetzte Standpunkt?

Eine Nullgewichtung erlaubt, nur eingeschränkt von der Leverage Ratio3), eine unbeschränkte Kreditvergabe, ohne dass Eigenkapital vorgehalten werden muss. Das haben viele südliche Staaten, aber auch Länder im Norden, weidlich ausgenutzt und damit eine Verflechtung geschaffen, die sich sowohl für die Banken als auch für die Staaten ungünstig auswirken kann. Nämlich wenn das Unaussprechliche passiert und ein Staat seine Schuld nicht mehr begleichen kann, wie zuletzt beim Teilausfall griechischer Staatstitel.

Natürlich wissen diese Staaten das. Sie wissen aber auch: Würde man diese Positionen in den Bankbilanzen nicht mehr mit Null risikogewichten dürfen, hätte das erhebliche Eigenkapital- oder Großkreditanforderungen zur Folge. Und das könnte die Bereitschaft der Kreditinstitute deutlich senken, weiter Staaten zu finanzieren.

Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund das Diskussionspapier?

Zunächst einmal sind wir froh, dass es das Papier überhaupt gibt. Angesichts der konträren Meinungen stand das zwischenzeitlich durchaus auf der Kippe. Das Dokument stellt auch die deutsche Position dar und enthält zahlreiche Denk- und Diskussionsanstöße.

Auf einen Blick:Neue Eigenkapitalregeln für Banken

Ende 2017 einigte sich das Leitungsgremium des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht BCBS, die Gruppe der Zentralbankpräsidenten und Leiter der Bankenaufsichtsinstanzen (Group of Governors and Heads of Supervision – GHoS), auf neue Eigenkapitalregeln für Banken (siehe BaFinJournal Dezember 2017). Die Überarbeitung des Rahmenwerks Basel III umfasste neben der internen Modellierung (siehe BaFinJournal April 2017), der Verschuldungsquote (Leverage Ratio) und den Standardansätzen für operationelle und derivative Risiken auch den Standardansatz für das Kreditrisiko (siehe BaFinJournal April 2015).

Was sind die zentralen Punkte?

Das Papier enthält neben einem definitorischen Teil mehrere Themenblöcke, die verschiedene – teilweise kombinierbare – Ansätze widerspiegeln. Ein Ansatz besagt: Alles so lassen. Nach den Diskussionen im BCBS ist dies aber schon vom Tisch, denn alle Mitgliedstaaten sind sich einig, dass man in Bezug auf Forderungen gegenüber Staaten den Ansatz verfolgen sollte, Anpassungen an Säule 3 vorzunehmen, also an den Offenlegungsanforderungen. Wir brauchen detailliertere Informationen. In der Staatsschuldenkrise konnten wir die Staatsverbindlichkeiten selbst zwar relativ genau messen, hatten aber beispielsweise keinen Überblick darüber, wie viel davon dem Zentralstaat zuzurechnen war und wie viel den Public Sector Entities, also öffentlichen Stellen.

Ein anderer Themenblock dreht sich um den Ansatz, Staatsrisiken gemäß Säule 2 zu behandeln, diese also institutsindividuell zu betrachten. Und schließlich adressieren zwei Kapitel die Punkte, die für uns am wichtigsten sind, nämlich die Risikogewichtung und die Großkreditbeschränkung. Außerdem geht das Papier auf einen weiteren Streitpunkt ein: Den Vorschlag, Forderungen gegenüber Staaten nicht mehr im IRBA zu modellieren.

Warum dieser Vorschlag?

Hintergrund ist ein Problem, das wir auch bei den operationellen Risiken hatten: Es gibt zu wenige bankindividuelle Verluste, um alles selbst modellieren zu können. Die Banken greifen darum letztlich auf dieselben externen Datenbanken zu wie Aufseher und Zentralbanken. Beim operationellen Risiko haben wir deswegen vorgegeben, wie zu kalibrieren ist.

Allerdings ist der IRBA für Forderungen an Staaten aus unserer Sicht alternativlos, solange wir keinen schärferen Standardansatz haben. Im Moment ist er die einzige brauchbare Messmethode, die nennenswert positive Risikogewichte hervorbringt.

Welche Lösung ist aus deutscher Sicht die beste?

Wir brauchen eine überarbeitete Definition, die klar festlegt, was als Forderung gegenüber Staaten in den Bankbüchern auftauchen und damit grundsätzlich eine privilegierte Risikogewichtung erhalten soll. Das deutsche Ziel lautet, die Nullgewichtung von Staatsschulden zu überwinden. Das kann man sowohl über eine positive Risikogewichtung als auch über eine Großkreditbeschränkung erreichen. Das Europäische Parlament hat eine Studie in Auftrag gegeben, deren Verfasser relativ harte Großkreditbeschränkungen vorschlagen – ein Weg, den man durchaus gehen kann.

Unser Favorit wäre aber der hybride Ansatz, der auf deutschen Vorschlag hin entwickelt wurde. Dabei hätte man im Prinzip die ratingbedingte Risikogewichtung als Basis. Ab einer bestimmten Großkreditschwelle würde man dann mit Risikogewichtsaufschlägen arbeiten. Natürlich müsste man dazu auch an den Definitionen arbeiten. Um die Großkreditbegrenzung genau abzustecken, muss es eine klare Regelung zur Gruppe verbundener Kunden geben. Das Bundesfinanzministerium hat dem BCBS gegenüber entsprechend Stellung genommen.

Die Frist zur Kommentierung ist vor wenigen Tagen abgelaufen. Konnten Sie schon einen Überblick über die Rückmeldungen gewinnen?

Was man schon sagen kann ist, dass der BCBS viel Feedback von ganz unterschiedlichen Seiten erhalten hat. Darüber sind wir sehr glücklich. Ein Grund für die rege Teilnahme war sicherlich der Effekt, dass es für Länder mit schlechteren Ratings künftig deutlich schwieriger wird, sich zu refinanzieren, wenn man die Staatsschulden nicht anders behandelt. Denn nach dem neuen Standardansatz für das Kreditrisiko wäre das Risiko von Forderungen an Banken und andere Unternehmen ab einem Rating von BBB beziehungsweise BB genauso zu gewichten wie das für Staatsanleihen. Das hat ebenfalls dazu geführt, dass sowohl Gegner als auch Befürworter einer Regulierungsänderung mobil gemacht haben.

Wie geht es nun weiter?

Der BCBS wird die Stellungnahmen zunächst auf seiner Internetseite veröffentlichen. Anschließend wird er sie sichten und auswerten und dann wohl einen Überblick über die Antworten vorlegen. Den werden sich insbesondere die Europäer sehr genau anschauen. Aus den Antworten lässt sich unter anderem abschätzen, welche Punkte anderen nationalen Behörden wichtig sind – seien es die Schuldenverwaltungen, die Aufsichtsbehörden oder die Zentralbanken. Das ist elementar für die weitere Diskussion zu den risikoreduzierenden Maßnahmen, die derzeit in Zusammenhang mit der europäischen Einlagensicherung in Brüssel geführt wird.

Auf einen Blick:Säulen nach Basel III

Säule 1: Berechnung der Kapitalanforderungen anhand der Bankrisiken (Kredit-, Markt und operationelle Risiken)

Säule 2: Grundprinzipien für die qualitative Bankenaufsicht und das Risikomanagement

Säule 3: Aufsichtliche Offenlegungspflichten

Was hat die mit den Sovereign Exposures im Rahmen von Basel III zu tun?

Die europäische Einlagensicherung ist sehr eng mit der Staatsschuldenthematik verbunden. Eine zentrale deutsche Forderung ist, dass es sie nur dann geben kann, wenn man vorher hinreichende risikoreduzierende Maßnahmen ergreift. Und aus unserer Sicht fällt darunter in erster Linie eine positive Risikogewichtung für Forderungen an Staaten. Ob und wie es in Basel weitergeht, ist umgekehrt aber sicherlich auch davon abhängig, ob wir in Europa zu einer Lösung kommen.

Beißt sich da nicht die Katze in den Schwanz?

Ja, das ist das klassische Chicken-and-Egg-Problem: Die Europäer warten auf Basel; Basel wiederum wird erst dann richtig aktiv werden können, wenn die Europäer zu einer einheitlichen Meinung gekommen sind. Die Frage ist also: Wer rührt sich zuerst? Aber ich bin guter Dinge, dass wir in Europa weiterkommen. Und wenn es irgendwann eine gemeinsame europäische Lösung gibt, hinter der wirklich alle stehen, dann können wir die Sache auch im Basler Ausschuss vorantreiben.

Vorher kann ich mir höchstens vorstellen, dass der BCBS kleinere Adjustierungen vornimmt, möglicherweise in Form von Risikogewichtsnachlässen für schlecht geratete Länder. Vor allem beim definitorischen Teil, der es dringend nötig hätte, werden wir so aber ganz bestimmt nicht weiterkommen. Die wichtigen Definitionen sind nach wie vor komplett offen gehalten. Jeder hat beispielsweise seine eigene Interpretation, was unter Public Sector Entities zu verstehen ist. Wir brauchen aber einheitliche Definitionen, um das Rahmenwerk so konsistent wie möglich zu halten.

Hinweis

Der Beitrag gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im BaFinJournal wieder und wird nicht nachträglich aktualisiert. Bitte beachten Sie die Allgemeinen Nutzungsbedingungen.

Fußnoten:

  1. 1) Interner Ratingbasierter Ansatz (Internal Ratings-Based Approach).
  2. 2) Dauerhafte partielle Anwendung.
  3. 3) Verschuldungsquote.

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