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Erscheinung:17.07.2018 | Thema Solvabilität Solvency II: Die Standardformel auf dem Prüfstand

Dynamische Entwicklungen an den Finanz- und Versicherungsmärkten erfordern eine regelmäßige Überprüfung des Solvency-II-Rahmenwerks. Die BaFin begrüßt es daher, dass die EU-Kommission bereits kurz nach Inkrafttreten von Solvency II die erste Überprüfung der Standardformel angestoßen hat. Bis Ende 2018 nimmt sie im Rahmen des Solvency-II-Reviews verschiedene Elemente der entsprechenden Delegierten Verordnung unter die Lupe.

Im Februar hat die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersvorsorge EIOPA dazu Technische Empfehlungen vorgelegt. Der Fokus liegt dabei auf verschiedenen Annahmen und Methoden der Standardformel für die Berechnung der aufsichtsrechtlichen Solvenzkapitalanforderung (Solvency Capital Requirement – SCR).

Die Überprüfung der Standardformel beruhte auf den Erfahrungen von Versicherungsunternehmen und Aufsicht in der Vorbereitungsphase und in den ersten Jahren der Anwendung von Solvency II. Dabei wurden mehrere Themen analysiert, die für den deutschen Versicherungsmarkt wichtig besonders sind, insbesondere:

  • Zinsänderungsrisiko
  • Vereinfachung der Standardformel
  • Prämien und Reserverisiko in der Nicht-Lebensversicherung
  • Latente Steuern und Risikomarge

Position der BaFin

Die BaFin hatte sich insbesondere dafür eingesetzt, die Komplexität der Standardformel zu reduzieren und technische Inkonsistenzen zu beheben. Sie ermutigte die deutschen Versicherer, sich an den Konsultationen zur Überprüfung der Standardformel zu beteiligen und auch an den Datenabfragen teilzunehmen.

Sowohl aus Sicht der Unternehmen als auch der BaFin war es wichtig, erneut auf die Besonderheiten des deutschen Versicherungsgeschäfts aufmerksam zu machen. Alle Beteiligten haben diese – entsprechend ihrer Bedeutung für den deutschen Markt – bei der europäischen Diskussion nachdrücklich betont.

Auf einen Blick:Berechnung der Solvenzkapitalanforderung

Bei der Berechnung der Solvenzkapitalanforderung gilt die Grundprämisse: Die Unternehmen müssen mindestens über so viel Eigenmittel verfügen, dass sie auch einen Verlust überstehen könnten, der statistisch gesehen nur höchstens einmal in 200 Jahren eintritt. Bei der Berechnung der aufsichtsrechtlichen Solvenzkapitalanforderung können sie entweder ein von der zuständigen Aufsicht genehmigtes (partielles) internes Modell oder die Standardformel verwenden. Im Gegensatz zu einem internen Modell erlaubt die Standardformel grundsätzlich nur – wie ihr Name schon sagt – eine standardisierte Berechnung der Solvenzkapitalanforderung, ohne alle Unternehmensspezifika im Detail zu erfassen.

Die Standardformel folgt dabei einer modularen Struktur. Zunächst wird für jedes einzelne Risiko eine Kapitalanforderung bestimmt. Dabei ist sicherzustellen, dass die Sicherheitsanforderungen von Solvency II jeweils erfüllt sind. Die Delegierte Verordnung gibt hierzu standardisierte Stressfaktoren und Parameter vor, die aus Markt-, Versicherungsdaten und sonstigen Analysen abgeleitet wurden. Im Anschluss werden die einzelnen Risiken unter Berücksichtigung von Diversifikationseffekten und verlustmindernden Effekten aus der Überschussbeteiligung und latenten Steuern zu einer Gesamtkapitalanforderung zusammengefasst. Diese ist geringer als die Summe der Kapitalanforderungen für die Einzelrisiken.

Zinsänderungsrisiko

Die Neubewertung des Zinsänderungsrisikos stellte für den deutschen Versicherungsmarkt das materiellste Thema dar. Besonders betroffen ist hier die deutsche Lebensversicherungsbranche mit ihren langfristigen Zinsgarantien, die zu entsprechend hohen Zins-Sensitivitäten führen.

Die aktuelle Ausgestaltung des Zinsänderungs-Risikomoduls der Standardformel sieht für die beiden betrachteten Zins-Szenarien, den Zinsanstieg und den Zinsrückgang, einen relativen Anstieg beziehungsweise Rückgang der Basiszinsstrukturkurve vor (relativer Stressansatz). Ein weiterer Zinsrückgang wird allerdings bei negativen Zinsen nicht unterstellt. Das liegt daran, dass der relative Stressansatz im Jahr 2009 kalibriert wurde. Damals war das Zinsniveau deutlich höher und ein andauerndes Niedrigzinsumfeld kaum vorstellbar. Die Zinsen sind seitdem allerdings deutlich gesunken; seit einiger Zeit sind zum Teil sogar negative Zinsen zu beobachten. EIOPA zeigte in umfangreichen Analysen der Zinsentwicklungen der vergangenen Jahre auf, dass der relative Stressansatz das Zinsänderungsrisiko im derzeitigen Zinsumfeld signifikant unterschätzt.

EIOPA schlägt daher in der Technischen Empfehlung an die EU-Kommission als neue Methodik zur Messung des Zinsänderungsrisikos den sogenannten Shift-Ansatz vor. Dieser soll das Zinsänderungsrisiko in verschiedenen Zinsumgebungen adäquat messen, insbesondere in einem Niedrigzinsumfeld mit negativen Zinsen. Da EIOPA in einer Datenabfrage an die europäischen Lebensversicherer hohe Auswirkungen gemessen hat, spricht sie sich für eine dreijährige Übergangsperiode aus, in der die neue Methodik graduell eingeführt werden soll.

Die BaFin hält eine Überarbeitung des Zinsänderungsrisikos aus fachlichen Gesichtspunkten für dringend erforderlich. Die derzeitige Methodik unterschätzt das Zinsänderungsrisiko in einer Niedrigzinsphase erheblich und kann keine negativen Zinsen berücksichtigen. Außerdem liegt die Standardformel beim Thema Zinsänderungsrisiko deutlich hinter der Realität und der Praxis bei Internen Modellen zurück, die negative Zinsen bereits adäquat berücksichtigen. Der EIOPA-Vorschlag stellt aus Sicht der BaFin eine fachlich fundierte Methodik dar, das Zinsänderungsrisiko in verschiedenen Zinsumgebungen adäquat zu messen.

Die Kommission hat allerdings nach fraktionsübergreifender Kritik im Europäischen Parlament angekündigt, die Überprüfung des Zinsrisikos entgegen der EIOPA-Empfehlung erst im Rahmen der Gesamtüberprüfung von Solvency II im Jahr 2020 durchzuführen. Aus Sicht der BaFin bleibt die Behebung der Mängel beim Zinsänderungsrisiko in der Standardformel geboten. Bei der Überprüfung des Zinsänderungsrisikos 2020 wird die BaFin daher ihre aktive Rolle bei diesem für den deutschen Versicherungsmarkt sehr wichtigen Thema beibehalten.

Vereinfachungen in der Standardformel

Die Standardformel ist sowohl aus Sicht der Aufsicht als auch der Unternehmen in ihrer Gesamtheit zu komplex. Vereinfachungen sind daher für die Versicherer – insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen – und eine effektive Aufsicht erforderlich.

Darum hat sich die BaFin dafür eingesetzt, die Komplexität der Standardformel zu reduzieren. EIOPA hat in ihren Technischen Empfehlungen konkrete Vorschläge zur Vereinfachung der Standardformel unterbreitet, insbesondere für das Gegenparteiausfall- und das Katastrophenrisiko, das Storno-Risiko bei Nicht-Lebensversicherern und die Fondsdurchschau (Look-Through), also Marktrisiken bei Investmentfonds.

Dabei handelt es sich überwiegend um optionale Vereinfachungen. Das bedeutet: Die Unternehmen können diese konservativer kalibrierten Vereinfachungen anwenden, um Aufwand und Komplexität bei der SCR-Berechnung zu reduzieren. Sie können aber auch auf die Vereinfachung verzichten, wenn sie von der risikosensitiveren Solvenzkapitalberechnung profitieren wollen.

Wichtig ist: Die Standardformel wird nicht in Gänze vereinfacht. In manchen Bestandteilen wird sich die Komplexität aufgrund einer risikosensitiveren Modellierung sogar erhöhen. Zum Beispiel sollen zukünftig risikoärmere Anleihen und Darlehen ohne externes Rating im Spread-Risiko-Modul mit niedrigeren Risikofaktoren unterlegt werden als bisher, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind.

Prämien- und Reserverisiko bei Nicht-Lebensversicherern

Bei der Überprüfung des faktorbasierten Prämien- und Reserverisiko-Moduls für Nicht-Lebensversicherer hat EIOPA sowohl die Risikofaktoren für einige ausgewählte Geschäftsbereiche als auch das Volumenmaß für das Prämienrisiko neu kalibriert.

Daten aus dem deutschen Markt haben entscheidend dazu beigetragen, dass bestimmte Risikofaktoren genauer kalibriert werden konnten, insbesondere der Reserverisikofaktor für die Rechtsschutzversicherung. Das Risikoprofil der betroffenen Versicherer spiegelt sich nun besser wider.

Bei dem Volumenmaß für das Prämienrisiko schlägt EIOPA vor, zwischen Ein- und Mehrjahresverträgen zu differenzieren. Für Einjahresverträge, die den überwiegenden Anteil des deutschen Nicht-Lebensversicherungs-Geschäfts ausmachen, will EIOPA das Volumenmaß unverändert lassen. Für Mehrjahresverträge soll die derzeit bestehende Lücke bei zukünftigen Prämien aus dem Neugeschäft geschlossen werden. Allerdings werden diese Prämienanteile gleichzeitig mit einem Anpassungsfaktor korrigiert.

Insgesamt dürften sich die Anpassungen im Prämien- und Reserverisiko für die betroffenen Unternehmen tendenziell SCR-mindernd auswirken.

Latente Steuern und Risikomarge

Zum Umgang mit der verlustabsorbierenden Wirkung latenter Steuern schlägt EIOPA mehrere Leitprinzipien vor, die in erster Linie bei der Prüfung der Werthaltigkeit aktiver latenter Steueransprüche Anwendung finden sollen. Die Leitprinzipien machen Vorgaben, die bei der Projektion zukünftiger versteuerbarer Gewinne nach dem 200-Jahres-Verlust im Rahmen der Werthaltigkeitsprüfung zu beachten sind.

Bei der Risikomarge beschränkte sich die Überprüfung auf den Kapitalkostensatz. Bei der Bestimmung des Kapitalkostensatzes hat EIOPA verschiedene Methoden untersucht, die im Ergebnis alle den aktuellen Wert von 6 Prozent bestätigen.

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