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Erscheinung:15.08.2018 BaFin-Exekutivdirektorin Elisabeth Roegele: „Die Maßnahmen der ESMA greifen mittelbar gegenüber sämtlichen Marktteilnehmern“

Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA verfolgt den Zweck, den Anlegerschutz zu fördern und stabile sowie funktionsfähige Finanzmärkte in der EU sicherzustellen. Dabei stehen vier Bereiche im Fokus: die Finalisierung des einheitlichen Regelwerks (Single Rulebook) für die europäischen Finanzmärkte, die Risikobewertung für Investoren, Märkte und Finanzstabilität, die direkte Aufsicht über bestimmte Finanzinstitute und die Förderung der Konvergenz in der Kapitalmarktaufsicht.

Dabei arbeitet die ESMA auf Grundlage rechtlich verbindlicher EU-Regelungen wie Richtlinien und Verordnungen (Level-1-Ebene)1. Zur Förderung der Konvergenz erarbeitet sie – ebenso wie ihre Pendants für die Bankenaufsicht und die Aufsicht über das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung, EBA und EIOPA – im Rahmen ihrer Befugnisse Level-3-Maßnahmen und andere Konvergenzinstrumente, deren Ziel eine einheitliche Rechtsauslegung und -anwendung durch die nationalen Aufsichtsbehörden ist. Als Instrumente der Aufsichtskonvergenz spielen in der Praxis insbesondere Leitlinien sowie Fragen und Antworten (Questions and Answers – Q&As) eine bedeutende Rolle.

Definition:Aufsichtskonvergenz

Aufsichtskonvergenz bedeutet, eine gemeinsame Aufsichtskultur zu schaffen, die Kohärenz der Aufsichtspraktiken sicherzustellen und einheitliche Verfahren in der gesamten Union zu gewährleisten.

Frau Roegele, die ESMA nutzt sehr viele Konvergenzinstrumente. Ist das angemessen?

In der Tat, die Zahl der Leitlinien und Empfehlungen, der Q&As und Stellungnahmen ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Dies ist auch nachvollziehbar, wenn man sich vor Augen führt, dass europäische Richtlinien und Verordnungen oft einen konkretisierungsbedürftigen Kompromiss darstellen. Diesen gilt es mit Leben zu füllen und in europaweit einheitliche Maßnahmen zu übersetzen.

Wie viele solcher Maßnahmen hat es in den vergangenen Jahren gegeben?

Die bedeutsamsten Konvergenzinstrumente sind Leitlinien und Q&As. Bislang hat die ESMA 44 Leitlinien erlassen und über 1.000 Q&As veröffentlicht.

Wendet die BaFin alle Maßnahmen der ESMA an?

Wir streben an, die Auslegung der ESMA möglichst vollständig in unsere Verwaltungspraxis zu übernehmen. Dies entspricht auch der Erwartungshaltung der ESMA. Derzeit gibt es nur drei Leitlinien und eine Q&A, die wir nicht vollständig in unserer Verwaltungspraxis anwenden.

Wie erfahren Marktteilnehmer, welche die BaFin anwendet und welche nicht?

Wir sind hier sehr transparent. Marktteilnehmer können sich auf unserer Internetseite darüber informieren, welche Leitlinien und Q&As die BaFin anwendet und welche nicht oder nur teilweise – übrigens nicht nur in Bezug auf Maßnahmen der ESMA, sondern aller europäischen Aufsichtsbehörden.

Sind Leitlinien und Q&As der europäischen Aufsichtsbehörden denn für die deutschen Marktteilnehmer rechtlich verbindlich?

Diese Konvergenzinstrumente sind für die Marktteilnehmer zwar zunächst rechtlich unverbindlich. Allerdings entfalten sie eine mittelbare Wirkung, wenn die BaFin sie in ihre Verwaltungspraxis übernimmt. Denn dadurch richtet die BaFin ihr Verwaltungshandeln an den Vorgaben der Leitlinien und Q&As aus. Hierdurch entsteht in der Regel eine Selbstbindung der Verwaltung, die gegenüber sämtlichen Marktteilnehmern greift.

Manche Unternehmen und Verbände sehen die Konvergenzbestrebungen der ESMA und der BaFin kritisch. Wogegen richtet sich ihre Kritik?

Es gibt mehrere Punkte, an denen sich einige Marktteilnehmer stoßen. Ihre Kritik richtet sich vor allem gegen die hohe Zahl der Konvergenzinstrumente, vor allem der Q&As, und dagegen, dass die ESMA diese weder vorab konsultiert noch übersetzt.

Ist die Kritik aus Ihrer Sicht gerechtfertigt?

Sicherlich ist die große Zahl der Maßnahmen und vor allem der vielen detaillierten Q&As für die Marktteilnehmer eine Herausforderung, insbesondere für die kleineren Institute und Emittenten. Allerdings sind natürlich nicht alle Vorgaben für jeden Marktteilnehmer einschlägig. Das kommt ganz auf die jeweilige Tätigkeit an. Dank der Inhaltsverzeichnisse innerhalb der Dokumente und der Hinweise auf der Internetseite der ESMA lässt sich schnell identifizieren, welche Maßnahmen für den jeweiligen Marktteilnehmer relevant sein können. Über die Frage, ob und wie man einzelne Prozesse verbessern oder die Transparenz noch erhöhen kann, kann man natürlich immer diskutieren.

Die Stärkung der Konvergenz in der Kapitalmarktaufsicht an sich ist aber dringend geboten, um das Risiko einer Aufsichtsarbitrage innerhalb der EU zu reduzieren. Das von der ESMA geförderte Level-Playing-Field schafft einheitliche Aufsichtsstandards und bietet somit gleiche Chancen im gesamten europäischen Markt. Das ist aber nicht der einzige Grund, warum mehr Konvergenz den Marktteilnehmern direkt zugutekommt.

Warum noch?

Zum einen, weil sie die Sicherheit und Transparenz in Auslegungsfragen erhöht. Zum anderen verbessert eine stärkere Konvergenz auch die Vergleichbarkeit der Aufsicht.

Eine weitgehend vereinheitlichte Verwaltungspraxis erleichtert es den Marktteilnehmern daher auch, ihre Tätigkeiten grenzüberschreitend zu entfalten. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Fragen ja häufig auch von den Unternehmen und Verbänden selbst gestellt wurden. Das zeigt, dass der Bedarf an Antworten der Aufsichtsbehörden hoch ist.

Die BaFin versucht, ihren Teil dazu beizutragen, dass die Marktteilnehmer europaweit eine möglichst einheitliche Praxis vorfinden. Zugleich behält sie aber die Besonderheiten des deutschen Finanzmarkts im Blick und unterstützt Marktteilnehmer und Verbände zudem auf vielfältige Weise, hinsichtlich der Konvergenzmaßnahmen auf dem aktuellen Stand zu bleiben.

Was tut die BaFin konkret?

Bei allen drei europäischen Aufsichtsbehörden hat die BaFin sowohl in den Arbeitsgruppen als auch im Rat der Aufseher ein wachsames Auge darauf, dass Leitlinien und Q&As den Besonderheiten des deutschen Markts Rechnung tragen. Sie kennt diesen besser und kann daher auch eher gewährleisten, dass eine effektive und effiziente Aufsicht stattfindet, in der diese Besonderheiten adäquat Berücksichtigung finden. Daher ist es so wichtig, die europäischen Aufsichtsbehörden als von ihren Mitgliedern getragene Institutionen zu erhalten und die Etablierung eines „One Size Fits All“-Ansatzes zu verhindern.

Dass dazu die proaktive Unterstützung der Konvergenzbestrebungen seitens der nationalen Aufsichtsbehörden erforderlich ist, wird auch im Rahmen des ESA-Reviews deutlich, der aktuellen Überprüfung und Reform des europäischen Aufsichtssystems. Die EU-Kommission hat in diesem Zusammenhang erklärt, dass aufgrund einer fehlenden einheitlichen Aufsichtspraxis immer noch zahlreiche Hürden im europäischen Kapitalmarkt bestünden, ohne diesen Eindruck jedoch näher zu begründen. Ihre Vorschläge, die Organisation und Durchführung vergleichender Analysen zu zentralisieren und den europäischen Aufsichtsbehörden – insbesondere der ESMA – direkte Daten- und Informationsbefugnisse gegenüber den Marktteilnehmern einzuräumen, sind aus unserer Sicht der falsche Weg. Hier hat sich das bisherige System bewährt – das der Peer Reviews, also der gegenseitigen Überprüfung der nationalen Aufseher, ebenso wie die Datensammlung durch die nationalen Aufsichtsbehörden, die die Informationen dann an EBA, EIOPA oder eben ESMA weitergeben.

Um Unternehmen und Verbände auf dem aktuellen Stand zu halten, organisiert die BaFin regelmäßig fachbezogene Workshops. Die Wertpapieraufsicht beispielsweise bietet im November erneut einen Transparenzworkshop an. Aber auch unabhängig davon können Marktteilnehmer jederzeit Fragen und Hinweise an uns richten, die wir so zeitnah wie möglich beantworten. Nicht zuletzt veröffentlicht die BaFin in einigen Fällen unverbindliche deutsche Übersetzungen von Q&As für die Marktteilnehmer auf ihrer Internetseite – vor allem solcher zu Verbraucherschutzthemen2. Leitlinien lassen die europäischen Aufsichtsbehörden hingegen selbst in die amtlichen Sprachen der Mitgliedstaaten übersetzen.

Was ist Ihre Botschaft an die Marktteilnehmer?

Konvergenz in der Kapitalmarktaufsicht erfüllt keinen Selbstzweck, sondern ist notwendig, um einen einheitlichen europäischen Kapitalmarkt zu ermöglichen und den Finanzplatz Deutschland zu stärken. Insofern gilt: Die Regeln des Single Rulebooks für die Finanzmärkte der EU müssen für vergleichbare Marktteilnehmer in allen Mitgliedsländern effektiv, effizient und einheitlich angewandt werden. Die europäischen Aufsichtsbehörden sind aus ihren Gründungsverordnungen heraus mandatiert, eine einheitliche Aufsichtskultur mittels entsprechender Konvergenzinstrumente zu fördern. Die BaFin gestaltet diese aktiv mit – auch für die hiesigen Marktakteure.
Diese können und sollten sich im eigenen Interesse über die Maßnahmen informieren, die die europäischen Aufsichtsbehörden zur Förderung der Konvergenz erlassen haben, und diese bei ihren Tätigkeiten berücksichtigen. Die BaFin unterstützt sie dabei bestmöglich, indem sie über die Konvergenzinstrumente und Level-3-Maßnahmen informiert und Hilfestellungen anbietet. Und wir haben immer ein offenes Ohr, wenn sich herausstellt, dass bestimmte Maßnahmen nicht auf den jeweiligen Marktteilnehmer passen. Zögern Sie in einem solchen Fall nicht, sich mit uns in Verbindung zu setzen.

Hinweis

Der Beitrag gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im BaFinJournal wieder und wird nicht nachträglich aktualisiert. Bitte beachten Sie die Allgemeinen Nutzungsbedingungen.

Fußnoten:

  1. 1 Daneben zählen zu den rechtlich verbindlichen Regelungen auf EU-Ebene insbesondere die Level-2-Maßnahmen nach Artikel 10 ff. und Artikel 15 der ESA-Verordnungen, also Technische Regulierungs- und Durchführungsstandards. Diese werden von den europäischen Aufsichtsbehörden entwickelt und von der Kommission bestätigt.
  2. 2 Ein aktuelles Beispiel sind die Q&As zu den Themen Anlegerschutz und Vermittler.

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