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Globaler Kapitalstandard © istockphoto.com/cyano66

Erscheinung:15.08.2018 | Thema Liquiditätsanforderungen Globaler Kapitalstandard: Antworten zum International Capital Standard für international tätige Versicherungsgruppen

Für große, international tätige Versicherungsgruppen (Internationally Active Insurance Groups – IAIGs) soll es künftig einen globalen Kapitalstandard geben, den International Capital Standard (ICS). Ende Juli startete die Internationale Vereinigung der Versicherungsaufsichtsbehörden IAIS eine umfassende Konsultation zum Thema.

Der ICS soll perspektivisch Teil des gemeinsamen Rahmenwerks (Common Framework – ComFrame) für diese Versicherungsgruppen werden, zu dem kürzlich ebenfalls eine große Konsultation angelaufen ist. In Deutschland sind nach derzeitiger Definition drei Versicherer betroffen, weltweit gibt es derzeit circa 70 IAIGs.1

Der vorliegende Beitrag erklärt, welche Schritte in den nächsten Jahren anstehen, und erläutert zahlreiche Einzelaspekte rund um ICS und ComFrame.

Definition:International tätige Versicherungsgruppen (IAIGs)

Nach der Definition der Internationalen Vereinigung der Versicherungsaufsichtsbehörden IAIS handelt es sich um eine große, international tätige Versicherungsgruppe, wenn

a) die Prämieneinnahmen aus mindestens drei Jurisdiktionen stammen und mindestens 10 Prozent der Bruttoprämien außerhalb des Heimatlandes eingenommen werden und

b) die Vermögensmasse im Durchschnitt der vergangenen drei Jahre mindestens 50 Milliarden US-Dollar (USD) oder die Bruttoprämien mindestens 10 Milliarden USD betragen.

Zeitplan ICS

Im Rahmen der Arbeiten am ICS hat die IAIS jährlich Feldstudien durchgeführt, an denen von Beginn an auch deutsche Unternehmen teilnahmen (siehe dazu auch BaFinJournal August 2017). Im Mai 2018 startete die vorletzte Feldstudie, die bis Ende August läuft und damit zeitweise parallel zur aktuellen Konsultation, die bis zum 30. Oktober geöffnet ist. Sowohl die Rückmeldungen auf die Konsultation als auch die Ergebnisse der Feldstudie finden Eingang in die Anleitung für die letzte Feldstudie, die voraussichtlich im April 2019 beginnt. Im November 2019 wird die IAIS den vorerst finalen ICS verabschieden, den ICS 2.0.

2020 beginnt dann die fünfjährige Beobachtungsphase (Monitoring Phase, siehe Grafik „Zeitplan für den ICS 2.0“) – die erste von zwei Stufen zur Implementierung des ICS. In der Beobachtungsphase sollen die IAIGs den ICS auf Basis der Standardmethode berechnen und an die Gruppenaufseher berichten. Der ICS soll jedoch noch nicht für aufsichtliche Zwecke verwendet werden. Es geht zunächst nur darum, Informationen über die weltweite Anwendung des ICS durch die Unternehmen zu sammeln. Zudem ist vorgesehen, den ICS in den Aufsichtskollegien näher zu betrachten. So sollen beispielsweise ICS und nationale Kapitalanforderungen miteinander verglichen werden. Erfahrungen aus der Analyse und den Diskussionen sollen dann mit der IAIS, den Mitgliedern und anderen Aufsehern von IAIGs geteilt werden. Zu diesem Zweck will die IAIS ein Forum einrichten. Ziel ist es, die Erfahrungen zur Weiterentwicklung des ICS zu nutzen und Schwachstellen oder Unstimmigkeiten zu identifizieren und zu beheben.

Bislang ist geplant, dass 2022 dann die Anforderungen an die Höhere Verlusttragfähigkeit (Higher Loss Absorbency – HLA) für global systemrelevante Versicherer in Kraft treten sollen, die die IAIS 2015 verabschiedet hatte. Aufgrund der Arbeiten am ICS, welcher die Grundlage für die HLA sein soll, und des aktivitätenbasierten Ansatzes (Activity-Based Approach – ABA), in dessen Rahmen auch die Beurteilung von Systemrisiken zur Debatte steht, wird die IAIS die Situation jedoch neu beurteilen.

Nach der Beobachtungsphase beginnt die zweite Stufe: die formale Implementierung des ICS 2.0, des weltweit ersten bindenden Mindestkapitalstandards für IAIGs. Für Europa bedeutet dies, dass die europäische Versicherungsaufsichtsbehörde EIOPA, die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten in der Beobachtungsphase bis Ende 2024 evaluieren können, ob sich aufgrund des globalen ICS Änderungsbedarf an der Solvency-II-Richtlinie ergibt.

Zeitplan für den ICS 2.0

Zeitplan für den ICS 2.0 Grafik: Zeitplan für den ICS 2.0; © BaFin Zeitplan für den ICS 2.0

Ziele des ICS

Der ICS soll als weltweit einheitlicher Mindeststandard für die Berechnung von Kapitalanforderungen und Eigenmitteln dazu beitragen, diese für international tätige große Versicherungsgruppen besser vergleichbar zu machen. Er stellt die erste internationale Vereinbarung über einen risikosensitiven Kapitalstandard dar. Nähere Informationen dazu hält die IAIS auf ihrer Internetseite bereit.

Da es sich um einen Mindeststandard handelt, können die einzelnen Jurisdiktionen bei der Umsetzung auch darüber hinausgehen. In Europa muss Solvency II mit dem finalen ICS abgeglichen werden, um zu beurteilen, ob Anpassungsbedarf besteht.

Meldepflicht

Bisher war die Teilnahme an den Feldstudien der IAIS freiwillig. Nach Abschluss der Feldstudie 2019 müssen die nationalen Aufsichtsbehörden gemäß ihrer Selbstverpflichtung jedoch sicherstellen, dass die IAIGs unter ihrer Aufsicht den ICS 2.0 parallel zum lokalen Kapitalstandard berechnen und an sie berichten.

Bis zum Beginn der Beobachtungsphase wird die IAIS zusammen mit ihren Mitgliedern entsprechende Mechanismen entwickeln und kommunizieren, die auch die Einbindung der IAIS sicherstellen. Gegenstand der Diskussion sind dabei unter anderem die Organisation der Datenlieferung, der Inhalt der Datenabfrage sowie die zeitliche Integration in den Berichtskalender der Unternehmen.

Standardmethode

Ähnlich wie bei Solvency II gibt es auch beim ICS für alle IAIGs eine Standardmethode, die die Rechenwege zur Bestimmung der Kapitalanforderungen vorgibt. Für den ICS wird eine Kalibrierung auf einem Konfidenzniveau von 99,5 Prozent des Risikomaßes Value at Risk (VaR) vorgenommen. Die Zusammenfassung der verschiedenen Module erfolgt mit Hilfe von Korrelationsmatrizen, die die IAIS vorgibt. Beide Ansätze finden auch bei Solvency II Anwendung.

Vereinfachungen bei der Berechnung

Im Rahmen der Feldstudien bemühte sich die IAIS, den freiwilligen Teilnehmern durch Erleichterungen entgegenzukommen. So durften diese beispielsweise bestimmte Werte schätzen (Approximation).

Dies soll auch weiterhin der Fall sein. Allerdings sollen umso weniger Vereinfachungen genutzt werden, je näher das Ende der Beobachtungsphase rückt. Zu diesem Zweck wollen IAIS, Gruppenaufseher und IAIGs daran arbeiten, die Ergebnisse weiter zu verbessern.

Bewertungsbasis

Der ICS 2.0 verwendet eine marktnahe Bewertung. Ähnlich wie unter Solvency II werden die Vermögenswerte (Assets) zu Marktwerten bewertet und die Verbindlichkeiten auf Basis eines besten Schätzwertes (Best Estimate). Zur Diskontierung von Zahlungsströmen verwendet die IAIS – ebenfalls ähnlich wie Solvency II – eine risikofreie Zinskurve, bestehend aus drei Segmenten, die durch unterschiedliche Spread-Anpassungen modifiziert werden kann.

Noch hat sich die IAIS nicht final auf die Gestaltung der Zinskurve geeinigt. Allerdings fokussiert sich die Arbeit auf wenige verbliebene Optionen, die in der Feldstudie auf ihre Eignung überprüft werden.

Interne Modelle

Interne Modelle sind Teil der aktuellen Feldstudie zum ICS, werden aber in der Beobachtungsphase als „andere Methoden“ geführt. Das bedeutet, dass alle IAIGs die Standardmethode berechnen müssen, die Aufsicht aber zusätzlich Interne Modelle erlauben kann. Die IAIS wird noch Parameter definieren, die vor der Anwendung eines Internen Modells erfüllt sein müssen. Die BaFin befürwortet die Aufnahme von Internen Modellen im ICS.

Im Verlauf der Beobachtungsphase sollen Interne Modelle dahingehend geprüft werden, ob sie verlässliche und mit den ICS-Zielen vereinbare Ergebnisse erzielen. Die genauen Kriterien hierfür wird die IAIS vor Abschluss der Beobachtungsphase festlegen.

GAAP+ und Aggregationsmethode

Bei GAAP+ (angepasste Generally Accepted Accounting Principles) und der Aggregationsmethode (Aggregation Method) handelt es sich um zwei alternative Ansätze zur Bewertung des Kapitalstandards, die ebenfalls Eingang in die internationalen Diskussionen gefunden haben. GAAP+ basiert auf den jeweiligen nationalen Rechnungslegungsvorschriften und passt diese zielgerichtet an, um eine marktnahe Bewertung zu simulieren. Bei der Aggregationsmethode basiert die Berechnung einer Gruppenkapitalanforderung auf den jeweiligen nationalen Anforderungen, die dann, ergänzt um Korrekturen und Anpassungen und unter Zuhilfenahme von Skalierungsfaktoren, addiert werden. Während GAAP+ ebenfalls als „andere Methode“ Teil der Feldstudie ist, werden Daten für die Aggregationsmethode parallel erhoben und sind nicht Teil der eigentlichen Feldstudie.

Die BaFin hat sich für die Feldstudie in Deutschland gegen die Verwendung beider Methoden entschieden. Ob diese den Weg in den ICS 2.0 finden werden, ist derzeit noch nicht abzusehen. Auch hier steht eine Überprüfung im Verlauf der Beobachtungsphase an, basierend auf noch nicht festgelegten Kriterien.

Verwendung der Daten

Es ist vorgesehen, dass die Gruppenaufseher die erhaltenen Daten an die IAIS weiterleiten. Einzelheiten befinden sich derzeit in der Diskussion und werden nach Abschluss kommuniziert.

Die IAIS möchte auf Grundlage der Diskussionen in den Kollegien und der Daten an weiteren Verbesserungen des ICS 2.0 arbeiten, ehe ab 2025 die Implementierungsphase beginnt.

ComFrame

Die Kernprinzipien für die Versicherungsaufsicht (Insurance Core PrinciplesICPs) der IAIS enthalten Anforderungen an die Aufsicht über alle Versicherer und Versicherungsgruppen, unabhängig von deren Größe und Internationalität. Mit ComFrame entwickelt die IAIS ein Rahmenwerk speziell zur Aufsicht über IAIGs. Der Fokus liegt hier auf einer effektiven Gruppenaufsicht. ComFrame baut auf den ICPs auf und erweitert diese.

Wie die ICPs umfasst ComFrame ein breites Spektrum aufsichtlicher Themen, von der Gruppenidentifizierung über Risikomanagement und Unternehmenssteuerung (Governance) bis hin zur aufsichtlichen Zusammenarbeit. Die BaFin arbeitet bei der Erstellung von ComFrame mit und ist bestrebt, hinsichtlich ComFrame und ICS so weit wie möglich Konsistenz mit Solvency II herbeizuführen. Idealerweise sollte Solvency II den globalen Mindeststandard ICS darstellen.

Auch ComFrame soll nach der aktuellen Konsultation, die wie die ICS-Konsultation bis zum 30. Oktober läuft, nochmals überarbeitet werden. Die finale Verabschiedung ist für das vierte Quartal 2019 vorgesehen. Anschließend tritt ComFrame in die Umsetzungsphase ein, allerdings bis Ende der Beobachtungsphase zunächst ohne den ICS. Die IAIS will die Umsetzung in einem laufenden Prozess überwachen, sofern dies nicht bereits im Rahmen des Financial Sector Assessment Programs (FSAP) geschieht, der umfassenden Bewertung nationaler Finanzsektoren durch den Internationalen Währungsfonds IWF (siehe unter anderem BaFinJournal Juli 2016).

Autoren

Dr. Michael Popp
Dr. Hung Viet Quoc Lai
Meta Zähres
BaFin-Referat für Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht in der Abteilung Internationales

Hinweis

Der Beitrag gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im BaFinJournal wieder und wird nicht nachträglich aktualisiert. Bitte beachten Sie die Allgemeinen Nutzungsbedingungen.

Fußnote:

  1. 1 Basis der Berechnung sind die nach den internationalen Rechnungslegungsstandards (International Financial Reporting StandardsIFRS) ermittelten konsolidierten Jahresabschlüsse 2016.

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