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Porträtaufnahme von Dr. Frank Grund, Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht. © Bernd Roselieb

Erscheinung:16.10.2018 Eine Small-Insurance-Box gibt es bereits – Dr. Frank Grund zu Solvency II und weiteren Themen der bevorstehenden ­Jahreskonferenz

Mit Blick auf die Jahreskonferenz der Versicherungsaufsicht am 13. November hat das BaFinJournal Exekutivdirektor Dr. Frank Grund, zur Altersvorsorge, nachhaltigen Investments, Solvency II und anderen aktuellen Fragen interviewt.

Warum ist die Altersvorsorge ein so wichtiges Thema auf der Agenda der diesjährigen Jahreskonferenz?

Die Altersvorsorge in Deutschland wird neben der gesetzlichen Rente zum überwiegenden Teil von Versicherungsgesellschaften und Pensionskassen getragen. Als Aufsichtsbehörde sehen wir seit Jahren, dass diese Unternehmen von der Niedrigzinsphase besonders betroffen sind. Sie haben den Kunden zum Teil hohe Garantien versprochen, die sie heute nicht mehr ohne weiteres erwirtschaften können. Zudem sind im Lebensversicherungssektor viele neue Formen von Altersvorsorgeprodukten entstanden. Sie haben oft gemeinsam, dass sie das Kapitalanlagerisiko zumindest teilweise auf den Kunden übertragen. Somit gibt es genug Gründe, am 13. November über die Altersvorsorge zu sprechen.

Jahreskonferenz der Versicherungsaufsicht:Hinweis

Die diesjährige Jahreskonferenz der Versicherungsaufsicht findet am 13. November in Bonn statt. Das Programm der Veranstaltung unter dem Titel „Neue Herausforderungen für Aufsicht und Branche“ hat die BaFin auf ihrer Internetseite veröffentlicht. Die Veranstaltung richtet sich unter anderem an beaufsichtigte Versicherungsunternehmen und Pensionsfonds, Verbände, Verbraucherschutzverbände, Wissenschaft und Aufseher. Zu den Gästen zählen Dr. Gerhard Schick von Bündnis 90/Die Grünen, Bettina Stark-Watzinger von der FDP, Dr. Gabriel Bernardino, der Vorsitzende der europäischen Versicherungsaufsichtsbehörde EIOPA, und Professor Bernd Raffelhüschen, Experte für Finanzwissenschaft an den Universitäten Freiburg und Bergen. Anmeldungen sind nicht mehr möglich.

Wie ist es um die Anbieter von betrieblichen Altersvorsorgeprodukten in Deutschland bestellt?

Trotz der Herausforderungen im Niedrigzinsumfeld sind die Versicherer und auch die Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge (EbAVs) im Grunde gut aufgestellt. Die deutschen Versicherer weisen im internationalen Vergleich hohe Solvenzraten auf, und viele EbAVs haben die erforderliche Unterstützung ihrer Trägerunternehmen oder Aktionäre. Wir schauen aber auf einzelne Unternehmen genauer, wenn die individuelle Situation das erfordert.

Wie hoch ist das Interesse in der Branche an dem zum 1. Januar 2018 eingeführten Betriebsrentenstärkungsgesetz?

Mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz hat der Gesetzgeber zum Jahresanfang die reine Beitragszusage eingeführt. Sie sieht keinerlei Garantiezusagen vor, dafür kann die Kapitalanlage freier und langfristig ertragreicher erfolgen. Das ist ein Novum und erfordert von Gewerkschaften und Arbeitgebern die bewusste Entscheidung, den Versorgungsberechtigten eine höhere Altersversorgungsleistung in Aussicht zu stellen, die aber womöglich schwanken kann, weil die Garantie einer durchführenden Einrichtung fehlt. Wir haben in vielen Gesprächen ein deutliches Interesse bei Lebensversicherern, Pensionskassen und Pensionsfonds als möglichen Anbietern festgestellt, ebenso auf Seiten der Tarifparteien. Gleichwohl ist bislang noch kein Tarifvertrag über die reine Beitragszusage zustande gekommen.

Wie ist der Stand der Dinge beim PEPP, dem paneuropäischen Altersvorsorgeprodukt?

Über das Pan-European Pension Product (PEPP) gibt es derzeit noch intensive Diskussionen auf europäischer Ebene. Eine konkrete Umsetzung in Deutschland ist noch nicht zu erkennen. Mir erscheint es besonders wichtig zu betonen, dass das PEPP ein Altersvorsorgeprodukt bleibt. Der Aspekt einer lebenslangen Rentenzahlung sollte deutlichen Vorrang gegenüber der Auszahlung eines Sparbetrags auf einen Schlag haben. Sonst müsste man PEPP umbenennen in PEIP für „Pan-European Investment Product“.

Stehen nachhaltige Investments und langfristige Verbindlichkeiten bei Versicherungsgesellschaften im Widerspruch zueinander oder ergänzen sie sich?

Langfristige Investments sind für Versicherungsunternehmen vornehmlich dann sinnvoll, wenn sie auch langfristige Verbindlichkeiten in ihrer Bilanz haben. Insofern können sich nachhaltige Anlagen, die oftmals langfristig sind, und die langfristigen Verbindlichkeiten der Branche durchaus ergänzen. Für Versicherer muss aber immer das richtige Risikomanagement der Maßstab bleiben.

Wann ist mit einer gesetzlichen Definition von Nachhaltigkeit zu rechnen und was versteht die BaFin unter Nachhaltigkeit?

Wir Aufseher müssen uns keine eigene Nachhaltigkeitsdefinition ausdenken. Gespannt warten wir darauf, wie die von der EU-Kommission eingesetzte High-Level-Experts-Group, in der zum Beispiel auch die europäische Versicherungsaufsichtsbehörde EIOPA vertreten ist, nachhaltige Investments definieren wird. In der derzeitigen Praxis orientieren wir uns fürs Erste an den jeweiligen Nachhaltigkeitsdefinitionen der Unternehmen. Das ist auf Dauer aber unbefriedigend.

Wie sind Ihre ersten Erfahrungen nach Einführung der VAIT, der Versicherungsaufsichtlichen Anforderungen an die IT?

Wir haben im Rahmen der Erarbeitung des VAIT-Rundschreibens und in der Konsultationsphase viel Feedback erhalten – oft gut, manchmal gemischt. Das zeigt das Spannungsfeld zwischen fortschreitender Digitalisierung in den Unternehmen und dem Erfordernis, dafür dann auch eine wirksame Governance vorzuhalten. Denn am Ende sind die Geschäftsleitungen für die IT-Sicherheit verantwortlich. Der Dialog zwischen Aufsicht und Branche hat zu erhöhter Sensibilität bei allen Beteiligten geführt, zugleich das Verständnis geschärft und war daher sehr wertvoll. Die gesammelte Erfahrung wird den Unternehmen den Umgang mit den VAIT künftig sicher weiter erleichtern. Die Umsetzung der VAIT-Prinzipien in den Versicherungsunternehmen wird sich die BaFin in der nächsten Zeit ansehen, beispielsweise auch bei örtlichen Prüfungen.

Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass die Wertschöpfungskette der Versicherer durch Fintechs aufgebrochen wird?

Eine Disruption ist bislang ausgeblieben. Natürlich haben Fintechs die Digitalisierung beflügelt. Aber mittlerweile verbessern nahezu alle Versicherer von sich aus ihr digitales Angebot, und es kommt vor, dass sich Versicherer an Fintechs beteiligen. Bigtechs ziehen es derzeit vor, Versicherungsunternehmen ihre Dienstleistungen, wie etwa Cloudservices, anzubieten.

Wie wahrscheinlich ist es in diesem Zusammenhang, dass Versicherungsunternehmen künftig zu reinen Risikoträgern werden?

Risiko zu tragen ist das Wesensmerkmal jeder Versicherungsgesellschaft. Aber wer das Risiko trägt, muss es am Ende auch immer beherrschen, damit die Belange der Versicherten gewahrt bleiben. Darauf werden wir achten. Wie weit das Outsourcing gehen und wie sich die Unternehmenslandschaft dadurch weiterentwickeln wird, bleibt abzuwarten. Essentiell ist dabei nur, dass das ausgliedernde Unternehmen die Kontrolle behält. Bei vernünftig gemanagten Ausgliederungen oder Aufsplittungen der Wertschöpfungskette sehe ich kein Problem.

Der Bericht des Bundesministeriums der Finanzen zur Anwendung des Proportionalitätsprinzips nach Solvency II hat gezeigt, dass das neue Aufsichtssystem gerade kleine oder mittlere Versicherungsunternehmen vor große Herausforderungen stellt. Besteht Bedarf für eine Small-Insurance-Box?

Diese Small-Insurance-Box gibt es bereits. Solvency II gilt grundsätzlich nur für Unternehmen, die gewisse Schwellenwerte erreichen, wie zum Beispiel fünf Millionen Euro Prämien pro Jahr. Und auch Versicherer, die darüber liegen, müssen viele Anforderungen nur entsprechend der Art, dem Umfang und der Komplexität ihrer Risiken anwenden. Einen One-Size-fits-all-Ansatz gibt es nicht.

Zum Schluss eine Frage zur Zinszusatzreserve. Wie beurteilen Sie die Folgen eines möglichen langsameren Aufbaus, wie ihn das Bundesfinanzministerium vorschlägt?

Den vorgelegten Entwurf erachten wir als sachgerecht und geboten. Es ist eine notwendige Korrektur einer zu scharfen Kalibrierung. Durch diese Korrektur werden die Unternehmen nicht überfordert, und die Kunden profitieren davon.

Herr Dr. Grund, wir danken Ihnen für das Interview.

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