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Abbildung eines Mannes im Anzug und mit Aktentasche an einer Drehtür in einem Eingangsbereich. © flairimages - stock.adobe.com

Erscheinung:16.01.2019 Sonderbeauftragte

Wenn der Vorstand gehen muss

In Ausnahmesituationen kann die BaFin die Befugnisse von Organen eines Versicherungsunternehmens auf einen Sonderbeauftragten übertragen.

Der Sonderbeauftragte nach § 307 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) gehört zu den schärfsten Klingen im Instrumentenkasten der Versicherungsaufsicht (siehe „Sonderbeauftrage in anderen Finanzbranchen“). Wenn er kommt, muss meist ein Vorstand gehen. Zu den Organen eines Versicherers zählt neben dem Leitungsorgan unter anderem das Aufsichtsorgan. Die BaFin kann die Befugnisse eines Organs ganz oder teilweise auf den Sonderbeauftragten übertragen. Sogar die Befugnisse mehrerer Organe kann sie auf ihn übertragen. Da aber die körperschaftlichen Macht- und Kontrollstrukturen des Unternehmens durchbrochen werden, wenn der Sonderbeauftragte die Aufgaben gleich mehrerer Organe übernimmt, ist diese Konstellation Extremfällen vorbehalten. In der Praxis geht es im Regelfall um die Übertragung von reinen Vorstandsbefugnissen.

Auf einen Blick:Sonderbeauftragte in anderen Finanzbranchen

Der Sonderbeauftragte ist eine Erfindung des Versicherungsaufsichtsrechts, findet sich mittlerweile aber auch in anderen Aufsichtsgesetzen, insbesondere im Kreditwesengesetz (KWG) und im Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB):

  • Die BaFin kann – basierend auf § 45 c KWG – einen Sonderbeauftragten bestellen, der in einem Kreditinstitut die Aufgaben eines Geschäftsleiters oder eines Organs, aber auch andere Aufgaben übernimmt.
  • Laut § 40 KAGB kann die BaFin die Abberufung der verantwortlichen Geschäftsleiter von Kapitalverwaltungsgesellschaften verlangen oder anderen verantwortlichen natürlichen Personen, die in der Kapitalverwaltungsgesellschaft tätig sind, die Ausübung ihrer Tätigkeit untersagen. Die Organbefugnisse abberufener Geschäftsleiter kann die BaFin so lange auf einen geeigneten Sonderbeauftragten übertragen, bis die Kapitalverwaltungsgesellschaft über geeignete neue Geschäftsleiter verfügt.

Die einschlägigen Aufsichtsgesetze regeln auch, unter welchen Bedingungen die BaFin einen Sonderbeauftragten einsetzen kann.

Wenn die BaFin einen Sonderbeauftragten einsetzt, ist sie – wie bei jeder anderen aufsichtsrechtlichen Maßnahme auch – nach den §§ 296 f. VAG an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und an die Vorgaben einer pflichtgemäßen Ermessensausübung gebunden. Das bedeutet zum Beispiel, dass der Einsatz eines Sonderbeauftragten erst in Betracht kommt, wenn das betroffene Unternehmen eine bestehende Organ-Krise nicht aus eigener Kraft beheben kann. Darüber hinaus muss die Aufsicht die Interessen und Rechtsgüter des Unternehmens sorgfältig gegen den Nutzen des Einsatzes eines Sonderbeauftragten abwägen. Die BaFin ist sich bewusst, dass sie massiv in die Grundlagen der Unternehmensorganisation eines Versicherers einschneidet, wenn sie ihm einen Sonderbeauftragten ins Haus schickt. Trotzdem kann der Einsatz manchmal geboten sein.

Beschränkt ist die Übertragungsbefugnis der BaFin dadurch, dass nur die Befugnisse eines Organs übertragen werden können. Schlüsselfunktionen – etwa die Compliance-Funktion – haben keine Organqualität. In diesem Bereich kann die BaFin daher auch keinen Sonderbeauftragten einsetzen. Auf Grundlage von § 303 Absatz 2 Nr. 1 VAG kann sie aber verlangen, dass der Versicherer für Schlüsselfunktionen verantwortliche Personen abberuft.

Stellung des Sonderbeauftragten

Mit der Übertragung von Organbefugnissen übernimmt der Sonderbeauftragte ganz oder teilweise die rechtliche Stellung des von ihm ersetzten Organs, ohne jedoch selbst Organ des betroffenen Unternehmens zu werden. Er nimmt eine Stellung sui generis (eigener Art) ein. Durch seine Ermächtigung stehen ihm diejenigen Befugnisse zu, die dem ersetzten Organ auch zustanden. Dessen Kompetenzen sind für die Dauer der Übertragung suspendiert und leben erst wieder auf, wenn die BaFin den Einsatz des Sonderbeauftragten beendet.

Auch das Verhältnis des Sonderbeauftragten zu den übrigen Unternehmensorganen richtet sich nach der Stellung, die er übernommen hat. Ein auf Vorstandsebene eingesetzter Sonderbeauftragter hat damit selbstverständlich auch im Vorstand ein Stimmrecht oder ist – sofern er den gesamten Vorstand ersetzt – alleine entscheidungs- und vertretungsbefugt. Wenn es in § 307 Absatz 2 Satz 1 VAG heißt, der Sonderbeauftragte nehme an allen Sitzungen und Versammlungen der Organe in „beratender Funktion“ teil, dann bezieht sich die Beratung nur auf diejenigen Organe, für die der Sonderbeauftragte nicht bestellt worden ist. Dort, wo er bestellt ist, hat er selbstverständlich auch Entscheidungsgewalt. Die in § 307 Absatz 2 VAG ausdrücklich aufgelisteten Kompetenzen des Sonderbeauftragten bilden damit keine abschließende Liste.

Besonders auffällig ist die Dominanz der im Gesetz aufgeführten Auskunfts-, Zutritts-, Teilnahme- und Vorlagerechte. Wer aber als Interimskrisenmanager in ein Unternehmen kommt, dessen Situation und Geschäftslage er zunächst nicht kennt, ist darauf angewiesen, vollumfänglich über die Geschäftslage und das Handeln der anderen Organe informiert zu werden.

Was das Verhältnis des Sonderbeauftragten zur BaFin angeht, so macht ihn die Einsetzung durch die Aufsichtsbehörde nicht etwa zu deren verlängertem Arm. Der Sonderbeauftrage handelt – anders als die Aufsicht – nicht im öffentlichen Interesse, sondern im Interesse des Unternehmens. Dem steht nicht entgegen, dass ihn das Gesetz in § 307 Absatz 2 Satz 3 VAG gegenüber der Aufsichtsbehörde „zur Auskunft über alle Erkenntnisse im Rahmen seiner Tätigkeit“ verpflichtet. Diese Regelung greift im Wesentlichen die allgemeine Auskunftspflicht aller Unternehmensorgane nach § 305 Absatz 1 Nr. 1 VAG auf.

Anforderungen an einen Sonderbeauftragten

Die Neufassung von § 307 VAG (siehe „Entstehungsgeschichte der Eingriffsbefugnis seit 1936“) benennt die Anforderungen an einen Sonderbeauftragten: Er muss unabhängig, zuverlässig und fachlich geeignet sein.

  • Damit sind Personen als Sonderbeauftragte ausgeschlossen, die für das Zielunternehmen arbeiten oder mit ihm Geschäftsbeziehungen pflegen, die einem neutralen Blick auf das Unternehmen und einer unvoreingenommenen Wahrnehmung der übertragenen Tätigkeit potenziell im Wege stehen könnten. Diese Kandidaten wären nicht unabhängig.
  • Die Zuverlässigkeit – das zweite Kriterium – bemisst die BaFin an den allgemeinen aufsichtsrechtlichen Grundsätzen, die bei der Überprüfung anzeigepflichtiger Personen zur Anwendung kommen. Nach dem VAG können nur natürliche Personen dieses charakterliche Erfordernis erfüllen. Juristische Personen sind damit von einer Sonderbeauftragtenbestellung ausgeschlossen.
  • Bei der fachlichen Eignung ist nach dem Organ zu unterscheiden, an dessen Stelle der Sonderbeauftragte treten soll. Wenn die BaFin dem Sonderbeauftragten Vorstandsaufgaben überträgt, muss er die Anforderungen des § 24 VAG erfüllen: Er muss berufliche Qualifikationen, Kenntnisse und Erfahrungen mitbringen, die eine solide und umsichtige Leitung des Unternehmens gewährleisten. Aufgrund der großen Bandbreite an möglichen Situationen, die einen Sonderbeauftragteneinsatz erforderlich machen können, sind daher grundsätzlich alle Fachrichtungen als Berufshintergrund denkbar, die nach der aufsichtsrechtlichen Praxis für ein Vorstandsamt qualifizieren. Mitnichten sind also nur Juristen angesprochen.

Auf einen Blick:Entstehungsgeschichte der Eingriffsbefugnis seit 1936

Die Möglichkeit, einen Sonderbeauftragten einzusetzen, wurde für das Versicherungsaufsichtsrecht bereits 1936 geschaffen. Trotz der Jahreszahl gab es hierfür keinen nationalsozialistischen Hintergrund. Die „Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Beaufsichtigung der privaten Versicherungsunternehmen vom 21. April 1936“ eröffnete der Aufsichtsbehörde in ihrem Artikel 3 die Möglichkeit, alle Rechte und Befugnisse, die einem Organ nach Gesetz oder Satzung zustanden, im Missstands- oder Konkursfall auf einen Sonderbeauftragten zu übertragen.

Erst 1982 erhielt diese Regelung Gesetzesrang – und dies auch nur aus bloßen Praktikabilitätserwägungen. Da sich die Verordnung allein auf die privaten Versicherungsunternehmen bezog, ihre Regelungen mittlerweile aber auch auf öffentlich-rechtliche Versicherer erstreckt werden sollten, hätte man erst die Reichweite der Verordnungsermächtigung anpassen und dann – in einem zweiten Schritt – die Verordnung selbst entsprechend ändern müssen. Der Gesetzgeber zog es stattdessen vor, die Regelung in einen neuen § 81 Absatz 2a VAG aufzunehmen. Damit verschaffte er dem Eingriffsmittel en passant eine Rechtsgrundlage, die nach ihrem Normenrang die Schwere des Eingriffs besser widerspiegelte.

Seitdem wurde die Eingriffsbefugnis mehrere Male angepasst, zuletzt mit der Verabschiedung des neuen VAG zum 1. Januar 2016. Nach der Gesetzesbegründung sollte die Neufassung des § 307 VAG jedoch keine materiellen Änderungen der Eingriffsnorm im Vergleich zur Vorgängervorschrift des alten § 83a VAG bringen.

Besonders wichtig sind Erfahrungshorizont und Persönlichkeit des Kandidaten. Da Sonderbeauftragte regelmäßig in schwierige Unternehmenssituationen treten, sind neben Führungsstärke und ausgeprägter Konfliktfähigkeit auch Kommunikationsstärke, Fingerspitzengefühl und Branchenkenntnisse gefragt, die meist durch langjährige Tätigkeiten auf Führungsebene eines anderen Unternehmens erworben wurden. Kürzlich pensionierte Vorstandsmitglieder oder auch versierte ehemalige Aufsichtsräte kommen damit für das Amt des Sonderbeauftragten ebenso in Betracht wie erfahrene, aktive Amtsträger, die vorhandene zeitliche Kapazitäten nutzen können und wollen (siehe „Interesse an einem Einsatz als Sonderbeauftragte oder Sonderbeauftragter?“).

Vergütung und Haftung

Auf einen Blick:Interesse an einem Einsatz als Sonderbeauftragte oder Sonderbeauftragter?

Sollten Sie Interesse an einem Einsatz als Sonderbeauftragte oder Sonderbeauftragter haben, schreiben Sie bitte der BaFin an VA55@bafin.de. Die BaFin ist stets an Frauen und Männern interessiert, die das Anforderungsprofil eines Sonderbeauftragten nach § 307 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) erfüllen und sich zur Übernahme eines Sonderbeauftragtenamtes – auch als Neben- oder Ruhestandbeschäftigung – bereit erklären.

Die durch die Bestellung entstehenden Kosten einschließlich der dem Sonderbeauftragten zu gewährenden angemessenen Auslagen und der Vergütung trägt das betroffene Unternehmen. Die Höhe der Vergütung wird nicht etwa zwischen ihm und dem Sonderbeauftragten ausgehandelt, sondern von der BaFin in jedem Einzelfall festgelegt. In die Berechnung fließt neben Umfang und Komplexität der Aufgabe auch die Situation des Unternehmens ein. Außerdem berücksichtigt die BaFin, welche Vergütung marktüblich ist.

Um den Sonderbeauftragten – insbesondere bei einer finanziellen Schieflage des Zielunternehmens – vor einem Forderungsausfallrisiko zu schützen, sieht das VAG weiter vor, dass die BaFin die Auslagen und die Vergütung des Sonderbeauftragten auf dessen Antrag vorschießt.

Berührungsängste bestehen gegenüber dem Amt des Sonderbeauftragten mitunter aufgrund des vermuteten Haftungsrisikos. Seit 2008 ist allerdings eine Haftungsbegrenzung für fahrlässiges Handeln in Kraft, die § 307 Absatz 4 VAG bei 1 Million Euro zieht. Lediglich bei einer Aktiengesellschaft, deren Aktien zum Handel im regulierten Markt zugelassen sind, liegt die Haftungsgrenze bei 4 Millionen Euro. Die genannten Haftungsbeschränkungen gelten auch, wenn der Sonderbeauftragte mehrere zum Schadenersatz verpflichtende Handlungen begangen hat.

Die Befürchtung, durch die Annahme eines Sonderbeauftragtenamtes einem unkalkulierbaren Haftungsrisiko ausgesetzt zu werden, ist also unbegründet. Trotzdem ist der Abschluss einer D&O-Versicherung (Directors-and-Officers-Versicherung) erwägenswert.

Autorin

Ute Baumgartner
BaFin-Referat Nationale Gesetzgebung im Versicherungssektor, Versicherungsrecht

Hinweis

Der Beitrag gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im BaFinJournal wieder und wird nicht nachträglich aktualisiert. Bitte beachten Sie die Allgemeinen Nutzungsbedingungen.

Zusatzinformationen

BaFinJournal 01/2019 (Download)

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