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Erscheinung:18.03.2022 Wenn Lebensversicherungen zu viel kosten

Hohe Kosten schmälern die Rendite von Versicherungsanlageprodukten. Sie können ein Zeichen für Mängel in den Produktfreigabeverfahren sein und dafür, dass Versicherer Interessenkonflikte im Vertrieb nicht gut genug im Griff haben. Eine BaFin-Abfrage legt Defizite offen.

Für viele Menschen sind sie ein wichtiger Baustein der Altersvorsorge: Versicherungsanlageprodukte (siehe Infokasten). Sind die Kosten solcher Produkte zu hoch, kann die Rendite unangemessen niedrig ausfallen. Dann reichen die Sparbeiträge der Versicherungsnehmerinnen und -nehmer möglicherweise nicht aus, um spätere Versorgungslücken zu vermeiden. Die BaFin sieht daher die Kostenbelastung in der Wohlverhaltensaufsicht als Risikoindikator.

Um sich einen branchenweiten Überblick zu verschaffen, hat die BaFin deutsche Lebensversicherer im vergangenen Jahr nach den Effektivkosten und weiteren Informationen zur Kostenbelastung von Versicherungsanlageprodukten (siehe Infokasten) befragt. Die Abfrage fördert bei einigen Unternehmen Verbesserungsbedarf zutage: im Produktfreigabeverfahren und beim Umgang mit potenziellen Interessenkonflikten im Vertrieb.

Auf einen Blick

Versicherungsanlageprodukte …

sind Lebensversicherungsverträge, die einen Fälligkeits- oder Rückkaufswert bieten, der Marktschwankungen ausgesetzt ist. Sie können in Form von klassischen Produkten mit Zinsgarantie, als fondsgebundene Produkte oder als Mischprodukte (Hybridprodukte) angeboten werden. Nicht zu den Versicherungsanlageprodukten zählen hingegen bestimmte geförderte Rentenversicherungsprodukte wie die Riester-Rente und Produkte der betrieblichen Altersvorsorge.

Für Versicherungsanlageprodukte (und teilweise auch für sonstige kapitalbildende Lebensversicherungen) gelten spezielle Wohlverhaltenspflichten zum Produktfreigabeverfahren und zur Vermeidung von Interessenkonflikten. Diese Pflichten ergeben sich aus der europäischen Versicherungsvertriebsrichtlinie. Darüber hinaus bestehen für Versicherungsanlageprodukte besondere Informationspflichten nach der PRIIPs-Verordnung. Das Kürzel PRIIPs steht für „Packaged Retail and Insurance-Based Investment Products“, also für „verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte“. Im BaFinJournal August 2017 werden Versicherungsanlageprodukte ausführlich erläutert.

Die Effektivkosten …

geben an, wie stark die jährliche Rendite eines Versicherungsanlageprodukts durch die insgesamt anfallenden Kosten gemindert wird. Nach § 2 Absatz 1 Nr. 9 Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen (VVG-Informationspflichtenverordnung – VVG-InfoV) müssen Lebensversicherer ihre Kunden vor Vertragsabschluss über die Höhe der Effektivkosten ihres individuellen Vertrags informieren. Ferner müssen die Effektivkosten eines Mustervertrags im Basisinformationsblatt nach der PRIIPs-Verordnung genannt werden. Dieses Informationsblatt müssen die Lebensversicherer auf ihrer Internetseite veröffentlichen und den Versicherungsnehmern vor Vertragsabschluss zur Verfügung stellen.

Worauf hohe Kosten hinweisen können

Hohe Kosten können darauf hindeuten, dass das Preis-Leistungs-Verhältnis von Versicherungsanlageprodukten nicht angemessen ist. Genau dafür muss aber ein Versicherer im Produktfreigabeverfahren sorgen. So verlangen es die einschlägigen Wohlverhaltenspflichten. Das Produktfreigabeverfahren soll sicherstellen, dass die Produkte eines Versicherers den Zielen, Interessen und Merkmalen der Kundinnen und Kunden Rechnung tragen.

Speziell bei den fondsgebundenen Lebensversicherungen steht das Preis-Leistungs-Verhältnis derzeit auch auf europäischer Ebene im Fokus der Aufsicht. Die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (European Insurance and Occupational Pensions AuthorityEIOPA) hat daher kürzlich Prinzipien formuliert, um das Preis-Leistungs-Verhältnis zu beurteilen.

Die Kostenbelastung eines Produkts kann darüber hinaus ein Hinweis auf Interessenkonflikte im Vertrieb sein, die durch hohe Provisionszahlungen an Vermittler verursacht werden. Dies ist ein Punkt, der neben dem Preis-Leistungs-Verhältnis für die BaFin bei ihren Arbeiten rund um das Thema Vertriebsvergütungen von Versicherungsunternehmen ebenfalls relevant ist (siehe Risiken im Fokus der BaFin 2022). Stellt die BaFin Mängel im Produktfreigabeverfahren oder beim Umgang mit Interessenkonflikten im Vertrieb fest, wird sie auf die Beseitigung dieser Mängel hinwirken. Soweit erforderlich, würde sie hierfür auch geeignete Anordnungen gegenüber den jeweiligen Lebensversicherern erlassen.

Was die BaFin abgefragt hat

Bei der Abfrage sollten Lebensversicherer die BaFin über die Effektivkosten klassischer Sparprodukte mit Zinsgarantie und fondsgebundener Produkte (einschließlich Mischprodukten) informieren.

Bei fondsgebundenen Produkten können die Versicherungsnehmer in der Regel zwischen verschiedenen Anlageoptionen wählen, an deren Wertentwicklung sie direkt partizipieren. Im Folgenden bezeichnet „Produkt“ daher stets die Kombination aus einem Produkt und einer Anlageoption.

Für die fondsgebundenen Lebensversicherungen gegen laufenden Beitrag mussten die Versicherer Zahlen für die drei Produkte vorlegen, die im ersten Halbjahr 2021 gemessen an der Beitragssumme den größten Anteil am Neugeschäft hatten. Für weitere Produktkategorien hat die BaFin nur Zahlen für das im ersten Halbjahr 2021 am meisten verkaufte Produkt abgefragt.

Die betrachteten am meisten verkauften Produkte machten – gemessen an der Beitragssumme – etwa 75 Prozent (klassische Sparprodukte) bzw. 51 Prozent (fondsgebundene Produkte) des gesamten Neugeschäfts mit diesen Produkten im ersten Halbjahr 2021 aus. Zusätzlich hat die BaFin Daten zu den angebotenen Produkten mit den höchsten und den niedrigsten Effektivkosten erhoben, um die Bandbreite noch besser überblicken zu können.

Neben den Effektivkosten hat die BaFin auch Informationen zu Rückvergütungen von Kapitalverwaltungsgesellschaften (KVGen) erfragt. Bei vielen Fonds, die in der fondsgebundenen Lebensversicherung verwendet werden, zahlen die KVGen Rückvergütungen an das Lebensversicherungsunternehmen oder auch an die Vermittler.

Unterschiedlich hohe Effektivkosten

Die Abfrage der BaFin hat gezeigt, dass die Effektivkosten der betrachteten Produkte sehr unterschiedlich sind. Die Tabelle zeigt die Verteilung und das nach der Beitragssumme gewichtete Mittel der Effektivkosten für Verträge der meistverkauften Produkte in Abhängigkeit vom Eintrittsalter und der Vertragslaufzeit bei einem typischen Monatsbeitrag von 100 Euro.

Tabelle: Effektivkosten von Produkten mit monatlicher Beitragszahlung

Überblick über die Effektivkosten von Produkten mit monatlicher Beitragszahlung © BaFin Tabelle: Effektivkosten von Produkten mit monatlicher Beitragszahlung

Beispiel: Für ein Eintrittsalter von 37 Jahren und eine Vertragslaufzeit von 30 Jahren bedeuten diese Ergebnisse, dass die Effektivkosten der meistverkauften fondsgebundenen Produkte im gewichteten Mittel 1,90 Prozent betragen. Die verschiedenen Quantile bedeuten, dass die angegebenen Effektivkosten (von 1,30 Prozent, 1,64 Prozent und 2,35 Prozent) von 25, 50 bzw. 75 Prozent der Produkte unterschritten werden. Bei 25 Prozent der Produkte sind die Effektivkosten also niedriger als 1,30 Prozent, bei 50 Prozent niedriger als 1,64 Prozent und bei 75 Prozent niedriger als 2,35 Prozent.

Je kürzer die Vertragslaufzeit ist, desto höher sind tendenziell die Effektivkosten. In der fondsgebundenen Lebensversicherung liegen sie signifikant über den Werten der klassischen Lebensversicherung. Bei allen Eintrittsalter-Laufzeit-Kombinationen gibt es Lebensversicherer, bei denen die Effektivkosten der meistverkauften fondsgebundenen Produkte oberhalb von 4 Prozent liegen. Für die Versicherungsnehmerinnen und -nehmer bedeutet das: Erst wenn die zugrundeliegenden Kapitalanlagen entsprechend hohe Renditen erreichen, würden sie einen Anlagegewinn erzielen.

Dem überwiegenden Teil der fondsgebundenen Verträge liegen Aktienfonds zugrunde. Diese Produkte werden oft damit beworben, dass sie den Versicherungsnehmern ermöglichten, an den Ertragschancen der Aktienmärkte teilzuhaben. Die im Mittel zu beobachtenden Effektivkosten erscheinen bei den längeren Laufzeiten angesichts dieser Zielsetzung vertretbar. Die höheren Effektivkosten in der Spitze lassen aber ernsthaft daran zweifeln, dass die Produktfreigabeverfahren den Interessen, Bedürfnissen und Merkmalen des Zielmarktes ausreichend Rechnung getragen haben – so, wie es die Wohlverhaltensregeln vorgeben.

Rückvergütungspraxis der KVGen

Bei etwa einem Drittel des Neugeschäfts der meistverkauften fondsgebundenen Produkte zahlen die Kapitalverwaltungsgesellschaften Rückvergütungen an den Lebensversicherer. Diese liegen im gewichteten Mittel pro Jahr bei knapp über 0,30 Prozent des Fondsguthabens und reichen in der Spitze bis über 1,20 Prozent.

Bei etwa 80 Prozent davon (gemessen an der vertraglichen Beitragssumme) sind spezielle Überschussanteile vorgesehen, mit denen die Lebensversicherer die Versicherungsnehmer gezielt an den Rückvergütungen der individuellen Fonds beteiligen, die ihren Verträgen zugrunde liegen. Im gewichteten Mittel beträgt die Rückerstattung an die Versicherungsnehmer hierbei etwa 52 Prozent der gezahlten Rückvergütungen. Bei ungefähr einem Viertel dieser Produkte erstatten die Lebensversicherer den Versicherungsnehmern die Rückvergütungen vollständig.

Besonders hervorzuheben sind die restlichen rund 20 Prozent, bei denen es solche speziellen Überschussanteile nicht gibt. Zwar erhöhen die Rückvergütungen der KVGen auch in diesen Fällen das übrige Ergebnis, an dem die Lebensversicherer die Versicherungsnehmer nach der Mindestzuführungsverordnung zu mindestens 50 Prozent beteiligen müssen. Diese Regelung greift jedoch nur bei einem positiven übrigen Ergebnis und nur auf der kollektiven Ebene des Bestands insgesamt. Darüber hinaus müssen die Lebensversicherer aufgrund von § 153 Absatz 2 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) die Überschussbeteiligung jedoch auch verursachungsorientiert auf die einzelnen Verträge verteilen. Das heißt, dass sie hierbei berücksichtigen müssen, wie stark der einzelne Vertrag zur Entstehung der Überschüsse beigetragen hat. Wenn sich die Rückvergütungen der KVGen von Fonds zu Fonds deutlich unterscheiden, steht eine von der individuellen Fondsauswahl unabhängige Überschussbeteiligung nicht mehr im Einklang mit dieser Anforderung.

Gemessen an der Beitragssumme des untersuchten Neugeschäfts mit fondsgebundenen Produkten zahlen die KVGen nach Kenntnis des Lebensversicherers bei etwa 19 Prozent des Geschäftes Rückvergütungen direkt an die Vermittler. Nur in etwas weniger als der Hälfte dieser Fälle kennen die Lebensversicherer die konkrete Höhe (im gewichteten Mittel rund 0,50 Prozent) dieser Rückvergütungen.

Wenn Interessenkonflikte im Vertrieb nicht eingedämmt werden

Das weist darauf hin, dass es für einige Lebensversicherer nur eingeschränkt möglich ist, etwaige Interessenkonflikte im Vertrieb zu identifizieren und die gesetzlichen Vorgaben zur Vertriebsvergütung umzusetzen. Erhält ein Vermittler bei einem fondsgebundenen Produkt Rückvergütungen der KVGen, so ist für ihn die Verlockung groß, Kundinnen und Kunden den Fonds mit den höchsten Rückvergütungen zu empfehlen. Solche Interessenkonflikte einzuschätzen und angemessen mit ihnen umzugehen, ist für den Lebensversicherer nur dann möglich, wenn er die Höhe der Rückvergütungen kennt.

Hinzu kommt, dass Rückvergütungen an die Vermittler nicht den Überschuss des Lebensversicherers erhöhen – und damit auch nicht die Überschussbeteiligung der Versicherungsnehmerinnen und -nehmer. Sie stellen vielmehr de facto eine zusätzliche Vertriebsvergütung dar, die aus der Managementgebühr der KVG finanziert wird und daher tendenziell die Kosten des fondsgebundenen Lebensversicherungsprodukts erhöht. Dadurch erhöht sich die Gefahr, dass das Preis-Leistungs-Verhältnis aus der Perspektive der Versicherungsnehmer nicht mehr angemessen ist.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass durch diese Praxis die Abschluss- und Vertriebskosten nicht ausreichend transparent sind. Die Fondsmanagementgebühren, aus denen die Rückvergütungen finanziert werden, gehören zwar zu den Effektivkosten, über die Lebensversicherer ihre Kundinnen und Kunden bei Vertragsabschluss nach § 2 Absatz 1 Nr. 9 Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen (VVG-Informationspflichtenverordnung – VVG-InfoV) informieren müssen. Sie zählen aber nicht zu den einkalkulierten Abschlusskosten, die den Kunden nach § 2 Absatz 1 Nr. 1 VVG-InfoV als einheitlicher Gesamtbetrag separat mitzuteilen sind. Hierdurch kann den Kunden ein falscher Eindruck von der faktischen Gesamthöhe der Abschlusskosten vermittelt werden.

Verfasst von

Dr. Guido Werner
Roland Paetzold
Grundsatzreferat Lebensversicherungen

Hinweis

Der Beitrag gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im BaFinJournal wieder und wird nicht nachträglich aktualisiert. Bitte beachten Sie die Allgemeinen Nutzungsbedingungen.

Zusatzinformationen

BaFinJournal 03/2022 (Download)

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