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Erscheinung:21.12.2022 Auflösung der Zinszusatzreserve: Freiwerdendes Kapital kommt Versicherten zugute

(BaFinJournal) Angesichts der wieder steigenden Zinsen rückt für viele Lebensversicherer die Auflösung der Zinszusatzreserve in den Fokus. Die Versicherungsnehmer profitieren dabei von den ausschließlich ihnen zustehenden freiwerdenden Mitteln. Zudem dienen diese Mittel auch zur Absicherung stiller Lasten.

Nach einer langen Phase fallender und negativer Zinsen steigen diese seit Anfang des Jahres wieder. Die Europäische Zentralbank (EZB) und die US-amerikanische Notenbank Federal Reserve haben die Leitzinsen in den vergangenen Monaten mehrmals erhöht, weitere Zinsschritte zur Eingrenzung der Inflation sind absehbar. Die Phase der Negativzinsen scheint vorerst überwunden. Grundsätzlich profitieren die Versicherungsnehmer und die Lebensversicherer vom steigenden Zinsniveau. Es verbessert in der Regel die Solvenzquoten der Lebensversicherungsunternehmen, die Neu- und Wiederanlage festverzinslicher Wertpapiere verspricht höhere Renditen, der Sicherungsbedarf ist rechnerisch null und der Referenzzins für die Zinszusatzreserve1 (ZZR) stagniert erstmals. Gleichzeitig fallen jedoch die Marktwerte von Anleihen; das Kapitalmarktumfeld ist aufgrund geopolitischer Verwerfungen und andauernder Inflation insgesamt sehr volatil.

Der Zinsanstieg führt auf Dauer zu einem Abbau der ZZR der deutschen Lebensversicherer; er wirkt sich infolge der Methodik der Deckungsrückstellungsverordnung (DeckRV) jedoch erst langfristig auf den Referenzzins und die zinsinduzierte Auflösung der ZZR aus.

Stille Reserven werden zu stillen Lasten

In den vergangenen Jahren finanzierten die meisten Lebensversicherer ihren ZZR-Aufbau unter anderem indem sie stille Reserven realisierten. Die zuletzt gestiegenen Zinsen führten innerhalb weniger Monate dazu, dass die verbliebenen stillen Reserven zu stillen Lasten wurden. Ein überwiegender Teil der stillen Lasten entfällt auf festverzinsliche Wertpapiere. In der Regel können die Lebensversicherungsunternehmen diese Wertpapiere weiter halten. Sofern die stillen Lasten ausschließlich auf steigende Zinsen zurückzuführen sind, besteht auch keine Notwendigkeit für Abschreibungen.

Stille Lasten mindern jedoch die Ertragsflexibilität weil die Umschichtung von schlecht verzinsten Wertpapieren auf die neuen höher verzinsten Papiere mit sehr hohen Verlusten verbunden sein kann. Zudem sind sie grundsätzlich dem Risiko ausgesetzt, doch realisiert werden zu müssen, etwa wenn Bestandskunden im großen Stil ihre Verträge kündigen oder wenn aufgrund von Bonitätsverschlechterungen der Emittenten Abschreibungen erforderlich sind.

Viele Lebensversicherer dürften festverzinsliche Wertpapiere verkaufen und die Rückflüsse aus der ZZR-Auflösung als bilanziellen Ausgleich für die entstehenden Verluste verwenden. Die Verkaufserlöse können sie zu höheren Marktzinsen neu anlegen. Die Auflösung der ZZR ermöglicht so höhere Kapitalerträge in Zukunft, welche die Lebensversicherer mittel- bis langfristig in die Lage versetzen, die Zuführungen zur Rückstellung für Beitragsrückerstattung (RfB) und schließlich die Überschussbeteiligung der Versicherungsnehmer zu erhöhen.

Verzichten Lebensversicherer auf die Realisierung von stillen Lasten, können sie Erträge aus der Auflösung der ZZR auch sofort dazu verwenden, die RfB-Zuführungen zu erhöhen. In diesem Fall verzichten sie auf eine frühzeitige Investition der freiwerdenden Mittel in rentablere Kapitalanlagen.2

Abbau der ZZR zunächst bedingt durch Bestandsabbau

Für den Jahresabschluss 2022 bleibt der Referenzzins für die ZZR gegenüber dem Vorjahr unverändert. Es wird 2022 also noch nicht zu einem zinsinduzierten Abbau der ZZR kommen. Abhängig von der individuellen Situation bei den Lebensversicherern kann der Bestandsabbau, also der Ablauf bzw. die Verkürzung der Restlaufzeit bestehender Verträge, dazu führen, dass sich die ZZR entsprechend auflöst. Es kommt also zu einem bestandsinduzierten ZZR-Abbau. Im Altbestand ist dies bereits der Regelfall – wurde in den letzten Jahren jedoch durch den zinsinduzierten ZZR-Aufbau infolge des sinkenden Referenzzinses stets überkompensiert. Durch die aktuelle Stagnation des Referenzzinses wird der bestandsinduzierte ZZR-Abbau nunmehr im Jahresergebnis sichtbar.

Während der zinsinduzierte ZZR-Abbau je nach Zinsanstieg in künftigen Jahren vermutlich einen zweistelligen Milliardenbetrag freisetzen wird, dürfte der bestandsinduzierte ZZR-Abbau innerhalb der Lebensversicherungsbranche deutlich unterschiedlich ausfallen. Bei Lebensversicherungsunternehmen mit einem hohen Anteil an alten Verträgen und schwachem bzw. eingestelltem Neugeschäft ist mit einem starken Abbau zu rechnen. Andererseits ist zu erwarten, dass Versicherer mit eher jungen und langlaufenden Beständen weiterhin ZZR aufbauen müssen. Die BaFin hat in ihrer Prognoserechnung zum 30. September 2022 entsprechende Daten erhoben, um die Entwicklung der ZZR für die künftigen Jahre auch bei steigenden Zinsen genauer einschätzen zu können.

ZZR-Auflösung kommt Versicherten zugute

Wie die Deckungsrückstellung insgesamt, enthält auch die ZZR Sicherheiten, die mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht benötigt werden. Wenn dieser günstige Fall eintritt werden die nicht benötigten Mittel in den Jahren des Abbaus der ZZR den Rohüberschuss erhöhen. Es wird insoweit nur eine zeitliche Verschiebung stattfinden. Tritt hingegen der ungünstige Fall ein, dass die ZZR vollständig gebraucht wird um unzureichende Kapitalerträge auszugleichen, fließen daraus keine zusätzlichen Mittel in die Überschussbeteiligung. Die ZZR kommt trotzdem dem vorhandenen Versichertenbestand zugute, da dessen Garantien durch die vorausschauende Anpassung der Deckungsrückstellung in Form der ZZR erfüllt werden können.

Für die Finanzierung der ZZR mussten die Unternehmen bekanntermaßen bereits erhebliche Bewertungsreserven heben. Die aus der Auflösung der ZZR resultierenden Rückflüsse können aus Vorsichtsgründen eher dazu genutzt werden, um stille Lasten zu tilgen als die Überschussbeteiligung sofort zu erhöhen. Die Tilgung von stillen Lasten bedeutet aber, dass die Versicherungsnehmer erst in künftigen Jahren im Zuge der Überschussbeteiligung an höheren Kapitalerträgen aus der Neuanlage teilhaben.

Versicherer müssen Umgang mit freiwerdenden Mitteln gut abwägen

Die BaFin erwartet, dass die Lebensversicherungsunternehmen sorgfältig abwägen, inwieweit sie die freiwerdenden Mittel aus dem ZZR-Abbau dazu nutzen, um die Überschussbeteiligung sofort zu erhöhen. Oder ob sie zunächst die Risikotragfähigkeit weiter stärken. In diesem Fall käme das durch die Auflösung der ZZR und die höheren Zinsen bei der Neu- und Wiederanlage der Versicherungsbeiträge zur Verfügung stehende Kapital den Versicherungsnehmern in Form einer höheren Überschussbeteiligung erst mittel- bis langfristig zugute. Für die Deklaration der Überschussbeteiligung ist der Verantwortliche Aktuar gemäß § 141 Absatz 5 Nummer 4 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) zuständig. Ihm kommt deshalb bei den in den Unternehmen diskutierten Abwägungen eine entscheidende Rolle zu.

Die zentrale aufsichtsrechtliche Vorschrift für die Überschussbeteiligung ist die Mindestzuführungsverordnung (MindZV). Sie schreibt vor, dass die Versicherungsnehmer zunächst einmal am Überschuss zu beteiligen sind. Zudem bestimmt sie, in welchem Mindestumfang die Kunden bei den Zuführungen zur RfB an den Überschussquellen Kapitalanlage-, Risiko- und übriges Ergebnis partizipieren. Bei der Berechnung der Mindestzuführung zur RfB in Abhängigkeit von den Kapitalerträgen wird die rechnungsmäßige Verzinsung angerechnet, in die wiederum Änderungen der ZZR einfließen. Der mit einem Aufbau der ZZR verbundene Aufwand vermindert also in voller Höhe die Mindestzuführung in Abhängigkeit von den Kapitalerträgen. Umgekehrt erhöht der mit einem Abbau der ZZR verbundene Ertrag diesen Betrag ebenfalls in voller Höhe. Die Mittel kommen also zu 100 Prozent dem Kunden zugute. Die ZZR wirkt sich auf die Überschussbeteiligung folglich dadurch aus, dass der RfB in den Jahren des Aufbaus der ZZR weniger zugeführt werden kann und muss.

In den Jahren, in denen die ZZR abgebaut wird, gilt der umgekehrte Effekt. Auf die Höhe der Überschussbeteiligung der einzelnen Versicherungsverträge wirkt sich dieser Mechanismus in der Regel zeitverzögert aus, da die RfB auch eine Pufferwirkung hat, mit der die Schwankungen der Überschussbeteiligung begrenzt werden. Dem sind aber dadurch Grenzen gesetzt, dass die RfB einerseits insgesamt nicht negativ werden kann und andererseits nicht den in § 13 MindZV geregelten Höchstbetrag übersteigen darf. Führt die Auflösung der ZZR dazu, dass die RfB eines Lebensversicherers den zulässigen Höchstbetrag überschreitet, kann die BaFin nach § 140 Absatz 3 Nummer 2 VAG die Vorlage eines Ausschüttungsplanes verlangen, durch den eine angemessene Verwendung der Mittel in der RfB erreicht wird.

Bei der deutschen Lebensversicherung handelt es sich um ein kollektives Sicherungssystem mit komplexen Puffern und Sicherheitsmechanismen. Der Auf- und Abbau von Puffern ist elementarer Bestandteil des Kalkulationsmodells der Lebensversicherung. Dieses System hat dazu beigetragen, dass auch in Zeiten der Niedrigzinsphase die Durchschnittsverzinsungen der deutschen Lebensversicherungen stets deutlich höher waren als der Leitzins der EZB. Wenn die Zinswende anhält wird auch die Überschussbeteiligung – allerdings verzögert – nachziehen.

Die Versicherungsnehmer sind also hinreichend davor geschützt, dass ihnen die frei werdenden Mittel aus der Auflösung der ZZR vorenthalten werden.

Fußnoten:

  1. 1 Der Begriff der Zinszusatzreserve in dem vorliegenden Beitrag umfasst sowohl die ZZR des Neubestandes nach § 5 Deckungsrückstellungsverordnung (DeckRV) als auch die Zinsverstärkung des Altbestandes nach dem jeweils gültigen Geschäftsplan.
  2. 2 Dyschelmann, David, Zinszusatzreserve in Zeiten der Zinswende, Assekurata Rating-Agentur GmbH, 2022.

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