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Bild des Präsidenten der BaFin, Mark Branson © BaFin/Matthias Sandmann

Erscheinung:09.05.2025 „Es gibt noch klares Verbesserungspotenzial“

Der Finanzsektor hat in Sachen Sustainable Finance in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht. Nach Ansicht von BaFin-Präsident Mark Branson besteht bei drei Themen aktuell aber klarer Handlungsbedarf.

„Den Menschen in Deutschland ist Nachhaltigkeit offensichtlich nicht mehr so wichtig wie noch vor ein paar Jahren“, meldete vor Kurzem ein großes Wirtschaftsblatt. Angesichts des Kriegs in unserer Nachbarschaft, des schleppenden Wirtschaftswachstums und der Spannungen rund um den Welthandel ist es verständlich, dass Nachhaltigkeit etwas aus dem Fokus der Öffentlichkeit gerückt ist. Aber: Weniger Aufmerksamkeit bedeutet keinesfalls geringere Relevanz.

Für die Finanzbranche ist Nachhaltigkeit weiterhin essenziell. Und zwar aus zwei Gründen: Denn zum einen will die Europäische Union bis 2050 klimaneutral werden. Dafür muss sie private Investitionen in erheblichem Umfang mobilisieren. Und zum anderen soll das europäische Finanzsystem widerstandsfähig werden gegen die Risiken, die der fortschreitende Klimawandel mit sich bringt.

Um diese Ziele zu erreichen, hat die EU in den vergangenen Jahren zahlreiche Sustainable-Finance-Regelwerke verabschiedet. Viele davon betreffen auch das Mandat der BaFin. Als Finanzaufsicht überwachen wir, wie die Unternehmen der Finanzbranche die Vorgaben dieser Regelwerke in der Praxis umsetzen. Insgesamt hat der Finanzsektor in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht – aber es gibt noch klares Verbesserungspotenzial: insbesondere bei der Integration der physischen Risiken des Klimawandels in das Risikomanagement der Unternehmen, bei der Offenlegung und in puncto Proportionalität.

Physische Risiken des Klimawandels nehmen zu

Der fortschreitende Klimawandel und die langfristige Schädigung wichtiger Ökosysteme bergen erhebliche physische Risiken für die Unternehmen der Finanzbranche. Vieles spricht dafür, dass wir in den kommenden Jahren deutlich stärker spüren werden, wie sich die Natur und das Klima verändern. Konkret heißt das unter anderem: mehr Sturzfluten, Hochwasser und Dürren. So prognostiziert es der neueste Klimastatusbericht des Deutschen Wetterdienstes. Nach Angaben der Weltorganisation für Meteorologie und des EU-Erdbeobachtungsprogramms Copernicus ist Europa der Kontinent, der sich am schnellsten erwärmt.

Wenn sich physische Risiken des Klimawandels materialisieren, kann sich das unmittelbar im Finanzsektor niederschlagen, etwa in den Kreditportfolien der Banken oder in den Schadenssummen der Versicherer. Viele Unternehmen des Finanzsektors setzen sich bereits mit den physischen Risiken auseinander. Aber mit sehr unterschiedlicher Intensität.

Physische Risiken auch quantitativ messen

Was ist zu tun? Die Unternehmen müssen einschätzen können, welche wirtschaftlichen Schäden beispielsweise Extremwetterereignisse in ihrem Geschäft anrichten können. Dabei reicht eine rein qualitative Beschreibung der ESG-Risikotreiber nicht mehr aus. Wir erwarten, dass die beaufsichtigten Unternehmen die physischen Risiken quantitativ messen und in alle Aspekte des Risikomanagementprozesses integrieren. Das ist die Voraussetzung, damit sie mögliche Auswirkungen, wie etwa Kreditausfälle infolge von Extremwetterereignissen, angemessen einplanen und auch bepreisen können.

Das gilt auch für die kleinen und mittelgroßen Kreditinstitute. Versicherer bilden Naturkatastrophenrisiken bereits gut in ihrem Risikomanagement ab. Sie sollten sich jedoch fragen, ob ihr Risikomanagement mit der aktuellen Geschwindigkeit des Klimawandels und dem Schwinden der Artenvielfalt schritthalten kann. Gut ist: Die Unternehmen können für ihre Analysen auf immer mehr Daten zurückgreifen, auch aus öffentlich zugänglichen Quellen. Übrigens, um es klar zu sagen: Sich auf staatliche Hilfen im Nachgang zu Naturkatastrophen zu verlassen, ist kein zulässiger Ansatz.

Offenlegung verständlicher gestalten

Auch bei der Offenlegung besteht Handlungsbedarf. Zentrales Regelwerk ist hier die europäische Offenlegungsverordnung. Ihr Grundgedanke: Anlegerinnen und Anleger sollen sich anhand der offengelegten Daten fundiert darüber informieren können, ob ein bestimmtes Produkt ihren Vorstellungen von Nachhaltigkeit entspricht. Soweit die Theorie. In der Praxis sehen wir, dass viele Offenlegungen sehr umfangreich sind – und trotzdem recht wenig aussagen. Das hängt auch mit der aktuellen Regulierung zusammen.

Natürlich wäre es sinnvoll, wenn die Offenlegungsverordnung klare und leicht verständliche Produktkategorien enthielte, die auf verpflichtenden Mindeststandards beruhen. Zum Beispiel ein nachhaltiges Produkt, das nur in solche wirtschaftlichen Aktivitäten investiert, die ein Umweltziel, ein soziales Ziel oder beides verfolgen. Oder ein Transitionsprodukt, das in Aktivitäten investiert, die den Wandel der Wirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit unterstützen. Und natürlich wäre es gut, wenn wir in der Offenlegungsverordnung eine präzise Definition davon hätten, was ein nachhaltiges Investment ist; eine Definition, die sich an anderen Regelwerken wie der Taxonomieverordnung orientiert. Das würde auch helfen, Greenwashing zu erkennen und aufsichtlich zu verfolgen.

In der Regulierung gibt es einiges zu verbessern, keine Frage. Aber schon heute können die Unternehmen des Finanzsektors die Vorgaben der Offenlegungsverordnung so umsetzen, dass ihre Informationen möglichst konkret und gut verständlich sind.

Mehr Proportionalität zulassen

Auch beim Management von klimabezogenen Finanzrisiken gilt es, wichtige Ziele nicht durch überbürokratische Ansätze zu gefährden und möglichst proportional vorzugehen. Wenn wir mittelständische Unternehmen mit immer mehr Berichtspflichten belasten, werden wir damit den Planeten nicht retten. Wir riskieren sogar, die notwendigen Reformen unliebsamer zu machen. Das Omnibus-Paket der EU-Kommission erkennt an: Kleine Unternehmen sollten nicht wie große Konzerne behandelt werden. Wir müssen jetzt aufpassen, dass die Unternehmen des Finanzsektors nicht unter dem Deckmantel der Aufsichtsanforderungen umfangreiche Daten von ihren kleinen und mittelgroßen Unternehmenskunden verlangen. Kreditinstitute müssen bereit sein, in puncto Nachhaltigkeit auch mit öffentlich verfügbaren Informationen und mit Schätzungen, etwa auf Basis der Daten vergleichbarer Kunden, zu arbeiten. Natürlich darf es keine grundsätzliche Begrenzung für beaufsichtigte Unternehmen geben, Daten für ihr Risikomanagement von ihren Vertragspartnern einzuholen. Jedoch ist überschießende Präzision auf diesem Gebiet, das auf vielen Annahmen beruht, fehl am Platz.

Zugleich muss die Regulierung kleiner Unternehmen des Finanzsektors angemessen bleiben. Die neuen Guidelines der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde EBA zum ESG-Risikomanagement von Banken zum Beispiel sind angemessen für große Häuser mit komplexen Kreditbüchern oder vielen internationalen Aktivitäten – nicht aber für kleine Kreditinstitute. Deswegen haben wir entschieden, diese europäischen Leitlinien für die weniger bedeutenden Institute nicht anzuwenden. Die allgemeinen Anforderungen der EBA haben wir mit unseren MaRisk bereits weitgehend und prinzipienbasiert vorweggenommen. Den Kampf gegen den Klimawandel werden wir nicht mit Berichten von Kleinbanken gewinnen.

Heute ist klar: Nachhaltigkeit wird auch in den kommenden Jahren weit oben auf der Agenda der Finanzbranche stehen. Wichtig ist, dass die Unternehmen die physischen Risiken des Klimawandels effektiv managen und für eine klare und verständliche Offenlegung sorgen. Und dass wir beim Management klimabedingter Finanzrisiken möglichst proportional vorgehen. Es muss gelten: Je höher das Risiko, desto höher die aufsichtliche Aufmerksamkeit.

Hinweis

Dieser Beitrag erscheint im Kontext der Sustainable Finance Konferenz der BaFin am 9. Mai 2025.


Zusatzinformationen

Rede von Mark Branson

Transition der Finanzindustrie: Faktenbasiert und mit kühlem Kopf!

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