Erscheinung:03.06.2025 | Thema Wertpapiere Analyse von Pre-Close Calls
Inhalt
Pre-Close Calls und Kursreaktionen hängen nicht systematisch miteinander zusammen. Das zeigt eine Untersuchung der BaFin. Die Aufsicht ermuntert Emittenten dennoch zu größtmöglicher Transparenz bei solchen Calls.
I. Executive Summary
Ende 2023 erhielt die BaFin vermehrt Eingaben zu auffälligen Kurs- und Umsatzverläufen im zeitlichen Zusammenhang mit Pre-Close Calls. Darin wurde der Verdacht geäußert, dass in den Calls Insiderinformationen mit einer kleinen Gruppe von Analystinnen und Analysten geteilt wurden, die dadurch einen Vorteil erlangten.
Um sich ein detailliertes Bild von der gängigen Marktpraxis zu machen und zu untersuchen, ob es zu systematischen Problemen bzw. Auffälligkeiten bei Pre-Close Calls kommt, führte die BaFin eine Marktumfrage durch. Dabei analysierte sie Kursreaktionen am Tag solcher Pre-Close Calls im Zeitraum von 2022 bis 2024.
Die Marktuntersuchung ergab keine Hinweise auf systematische Probleme.1 In Einzellfällen gab es zwar überdurschnittliche Kursausschläge im zeitlichen Zusammenhang mit Pre-Close Calls – wie auch an anderen Handelstagen. Diese Fälle hat die BaFin näher untersucht. Das Ergebnis: Derzeit gibt es keine Erkenntnisse, dass diese Kursausschläge durch die unberechtigte Weitergabe von Insiderinformation ausgelöst wurden.
Den Fragebogen zur Einschätzung der gängigen Marktpraxis bei Pre-Close Calls hatte die BaFin am 2. Mai 2024 an alle 90 Unternehmen des DAX und MDAX geschickt.2 Die Rücklaufquote betrug 66,7 Prozent. Die Auswertung der Rückläufe ergab, dass Pre-Close Calls für deutsche Emittenten gängige Praxis sind und häufig als Einzelgespräche geführt werden. Analystinnen und Analysten fordern Pre-Close Calls ein, worauf die Emmittenten oft eingehen. Die Termine werden meist nicht vorab veröffentlicht.
Bei der vorliegenden Analyse handelt es sich um eine Fact-Finding Exercise, bei der die gängige Marktpraxis zu Pre-Close Calls in Deutschland erkundet werden sollte. Die Analyse erhebt nicht den Anspruch, wissenschaftlichen Standards zu genügen. Die Rücklaufquote von 66,7 Prozent lässt zudem nur bedingt Rückschlüsse auf die Marktpraxis insgesamt zu.
II. Analyse von Pre-Close Calls
Zwischen Oktober und Dezember 2023 erhielt die BaFin mehrere Verdachtsanzeigen nach Artikel 16 Marktmissbrauchsverordnung (MAR)3 , Eingaben über ihre Hinweisgeberstelle und Market Contact Group und Anfragen von Journalistinnen und Journalisten zu auffälligen Kurs- und Umsatzverläufen im zeitlichen Zusammenhang von Pre-Close Calls. Die Eingaben betrafen unterschiedliche Emittenten und Zeiträume.
In den Eingaben wurde der Verdacht geäußert, dass in diesen Calls Insiderinformationen mit einer kleinen Gruppe von Analystinnen und Analysten geteilt worden seien. Diese hätten dadurch einen Vorteil erlangt.
Um sich ein umfassendes Bild von der Marktpraxis zu machen, hat die BaFin die Emittenten aus DAX und MDAX gefragt, wie sie mit Pre-Close Calls umgehen. Anschließend hat die BaFin analysiert, ob bei der Durchführung von Pre-Close Calls ein strukturelles Problem besteht, das durch aufsichtliches Handeln beseitigt werden kann – beispielweise durch Veröffentlichung von Hinweisen oder Stellungnahmen der BaFin.
Diese Analyse erfolgte unabhängig von der Untersuchung auffälliger Einzellfälle.
Bei der vorliegenden Analyse handelt es sich um eine Fact-Finding Exercise. Die BaFin wollte damit die gängige Marktpraxis zu Pre-Close Calls in Deutschland erkunden. Die Analyse erhebt nicht den Anspruch, wissenschaftlichen Standards zu genügen. Zudem handelte es sich um eine freiwillige Umfrage unter den Emittenten. Die Rücklaufquote von 66,7 Prozent lässt zudem nur bedingt Rückschlüsse auf die Marktpraxis insgesamt zu. Der Begriff „Pre-Close Call” ist nicht gesetzlich definiert und wurde auch auf dem Fragebogen bewusst nicht exakt festgelegt. Ziel war, einen hohen Rücklauf zu erhalten und die Emittenten zu ermutigen, umfassend zu antworten. Dies hatte jedoch möglicherweise Ungenauigkeiten bei der Beantwortung zur Folge.
1. Hintergrund
Einige börsennotierte Unternehmen setzen sich selbst Quiet Periods oder Black-Out Periods. Sie führen also vor der Veröffentlichung von Geschäftszahlen oder anderen wichtigen Bekanntmachungen keine Investorengespräche mehr und schränken die Kommunikation mit dem Kapitalmarkt stark ein. Dies geschieht freiwillig. Es besteht keine gesetzliche Pflicht.4 Auch den Zeitraum legen die Unternehmen selbst fest. Der Zweck einer Quiet Period besteht darin zu verhindern, dass unbeabsichtigt Insiderinformationen offengelegt werden.
Als Pre-Close Calls werden Gespräche bezeichnet, die Unternehmen mit Analystinnen und Analysten unmittelbar vor dem Beginn der Quiet Period durchführen. Ihr Zweck besteht darin, den Analystinnen und Analysten einen Überblick über die wichtigsten Informationen zum Unternehmen zu geben, die dem Markt bereits offengelegt wurden. Auch allgemeine Marktinformationen (Trends, Branchenberichte etc.) können Gegenstand solcher Gespräche sein. Die Vorgehensweise bei diesen Calls variiert stark. Zudem ist der Begriff „Pre-Close Call“ nicht legal oder anderweitig eindeutig definiert. Die Marktteilnehmer haben daher teils unterschiedliche Auffassungen von dem Begriff.
2. Marktbefragung und Analyseaufbau
Die BaFin hat einen Fragebogen an alle 90 Emittenten versandt, die am 1. Januar 2024 zum DAX (40) oder MDAX (50) gehörten.
Der Fragebogen umfasste 16 Fragen, die zum großen Teil mittels Drop-Down-Auswahl beantwortet werden konnten. Die BaFin hat den Begriff „Pre-Close Call“ in der Abfrage bewusst nicht eng definiert, um einen möglichst breitgefächerten Rücklauf zu erhalten. Sie hat Freitextfelder zur Ergänzung eingefügt und Kontaktinformationen für etwaige Rückfragen angegeben.
Die Teilnahme der Emittenten erfolgte auf freiwilliger Basis. Einige der Fragen waren offen formuliert, weil die BaFin sich ein möglichst umfassendes Bild von der Marktpraxis machen wollte.
Im Anschreiben an die Unternehmen wies die BaFin auch darauf hin, dass die Fragen keinerlei Präferenz der BaFin für oder gegen Pre-Close Calls, bestimmte Formate oder andere Durchführungspraktiken implizieren.
Der Fragebogen umfasste die folgenden Fragen:
Von 90 angeschriebenen Emittenten antworteten 60 (32 aus dem DAX und 28 aus dem MDAX). Dies entspricht einer Rücklaufquote von 66,7 Prozent. Die Rücklaufquote bei den DAX-Unternehmen lag bei 80 Prozent, die bei den MDAX-Unternehmen bei 56 Prozent.
Betrachtet man den Rücklauf unter Berücksichtigung der Industriesektoren5 , so fällt auf: 50 der 90 befragten Unternehmen (55,6 Prozent) sind im Sektor Manufacturing aktiv. Von diesen 50 Unternehmen haben 36 (72 Prozent) teilgenommen. Von den zehn Unternehmen aus dem Informationssektor haben sechs teilgenommen (60 Prozent). Von den sieben Unternehmen im Sektor Finance and Insurance haben fünf teilgenommen (71,4 Prozent).
Innerhalb des Sektors Manufacturing sind besonders häufig folgende Subsektoren vertreten: Chemical Manufacturing (zwölf Unternehmen, zwölf Teilnehmer; 100 Prozent), Transportation Equipment Manufacturing (zwölf Unternehmen, sieben Teilnehmer; 58,3 Prozent), Machinery Manufacturing (acht Unternehmen, vier Teilnehmer; 50 Prozent) und Computer and Electronic Product Manufacturing (acht Unternehmen, fünf Teilnehmer; 62,5 Prozent).
Abbildung 1: Zahl der befragten und an Umfrage teilnehmenden Unternehmen und nach Sektoren
*Klassifizierung nach dem North American Industry Classification System (NAICS)
© BaFin
3. Deskriptive Analyse: Quiet Periods
Die Antworten auf den Fragebogen haben gezeigt, dass Quiet Periods ein gängiges Instrument sind. So geben 81,6 Prozent der teilnehmenden Unternehmen (49 von 60) an, Quiet Periods einzusetzen (84,4 Prozent im DAX; 78,6 Prozent im MDAX).
Die Antworten auf die Frage nach der Dauer dieser Quiet Periods ergeben ein diffuses Bild. In Tabelle 1 sind die Drop-Down-Antworten zusammengetragen:
Index | 10 Tage | Zwei Wochen | Drei Wochen | Vier Wochen | Sonstiges | Keine Antwort |
DAX | 0 | 4 | 6 | 4 | 14 | 4 |
MDAX | 1 | 3 | 4 | 6 | 8 | 6 |
Gesamt | 1 | 7 | 10 | 10 | 22 | 10 |
© BaFin
So ist die häufigste Antwort zur Länge der Quiet Periods „Sonstiges“. In den Ergänzungen finden sich häufig Hinweise darauf, dass die Quiet Periods bei Quartals-, Halbjahres-bzw. Jahresergebnissen unterschiedlich lang sind. Es wird auch häufig angegeben, dass die Quiet Period keinen fixen Zeitraum darstellt, sondern durch den Prozess der jeweiligen Abschlusserstellung determiniert wird. Das bedeutet, dass die Quiet Period beginnt, sobald ein zuvor definierter Meilenstein im Prozess der Abschlusserstellung erreicht wird.
Ein klares Bild bieten dagegen die Antworten zur Veröffentlichung der Zeiträume: Lediglich 25 Prozent der 60 teilnehmenden Emittenten legen die Zeiträume ihrer Quiet Periods offen (31,3 Prozent im DAX; 17,9 Prozent im MDAX). 58,3 Prozent der teilnehmenden Unternehmen veröffentlichen die Zeiträume nicht, 16,7 Prozent gaben keine Antwort.
Abbildung 2 zeigt die Antworten auf die Frage 3 (Wurden diese Zeiträume von Ihnen (bspw. auf Ihrer Investor Relations-Seite) veröffentlicht?) getrennt nach DAX- und MDAX-Unternehmen.
Abbildung 2: Veröffentlichung der Quiet-Period-Zeiträume in DAX und MDAX
In den Freitexterläuterungen wiesen mehrere der 60 teilnehmenden Unternehmen darauf hin, dass eine Veröffentlichung der Zeiträume nicht nötig sei, da den Investoren und Analysten die Zeiträume bekannt seien bzw. bei Bedarf ein Hinweis im persönlichen Gespräch ausreiche.
4. Deskriptive Analyse: Pre-Close Calls
Auf die Frage, ob unmittelbar vor einem oder mehrerer dieser Quiet Periods Investorengespräche bzw. Analystencalls (also Pre-Close Calls) durchgeführt worden seien (Frage 4) antworteten 63,3 Prozent der 60 teilnehmenden Unternehmen mit „Ja“ (71,9 Prozent im DAX; 53,6 Prozent im MDAX) und 25 Prozent der teilnehmenden Unternehmen mit „Nein“ (acht DAX-Unternehmen; sieben MDAX-Unternehmen). 11,7 Prozent beantworteten die Frage nicht.
Abbildung 3: Durchführung von Pre-Close Calls
Pre-Close Calls sind bei deutschen Emittenten demnach ein durchaus verbreitetes Instrument der Investor Relations-Arbeit. Bei den Durchführungsformaten dominieren die Einzelgespräche klar vor Gruppen-Calls. 92,1 Prozent der teilnehmenden Unternehmen, die Pre-Close Calls durchführen, gaben an, Einzelgespräche zu führen (91,3 Prozent im DAX; 93,3 Prozent im MDAX). Lediglich 18,4 Prozent teilten mit, Gruppen-Calls durchzuführen (8,7 Prozent im DAX; 33,3 Prozent im MDAX).
Vier Unternehmen gaben an, sowohl Einzelgespräche als auch Gruppen-Calls durchzuführen. Dies hat verschiedene Gründe. Ein Unternehmen stellte während der Erhebungsphase von Einzelgesprächen auf Gruppen-Calls um. Zwei Unternehmen führen Gruppen-Calls für Buy-Side-Analystinnen und –Analysten eines Unternehmens, bei dem verschiedene Teams unabhängig voneinander agieren, durch. Ein weiteres Unternehmen machte keine ergänzenden Angaben.
Abbildung 4: Format der Pre-Close Calls in DAX und MDAX
*Die Prozentangaben beziehen sich auf die Unternehmen, die Pre-Close Calls nutzen (63,3 Prozent der 60 teilnehmenden Unternehmen).
© BaFin
Der Teilnehmerkreis der Gespräche beschränkt sich auf die Leitung Investor Relations (89,5 Prozent der teilnehmenden Unternehmen, die Pre-Close Calls durchführen), Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Investor Relations (92,1 Prozent), Sell-Side Analysten (97,4 Prozent) und Buy-Side Analysten (65,8 Prozent). Lediglich 2,6 Prozent der teilnehmenden Unternehmen, die Pre-Close Calls durchführen, gaben an, dass ein Vorstandsmitglied an den Gesprächen teilnehme. Ratingagenturen (7,9 Prozent) und Stimmrechtsberaterinnen und -berater (2,6 Prozent) spielen bei Pre-Close Calls eine untergeordnete Rolle.
Die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Gespräche variiert stark. So berichteten zwei DAX-Unternehmen, die als Gesprächsformat den Gruppen-Call angaben, dass im Durchschnitt mehr als 90 externe Personen teilgenommen hätten.6 Von den fünf MDAX-Unternehmen, die ihre Pre-Close Calls als Gruppen-Call abhalten, gaben zwei weniger als sechs externe Teilnehmende an. Eines dieser fünf Unternehmen gab 16 bis 20 Teilnehemende an, eines 26 bis 30. Eines der fünf Unternehmen nannte die Zahl der externen Teilnehmenden nicht.
Es scheint nicht üblich zu sein, das Stattfinden solcher Pre-Close Calls zu veröffentlichen. Frage 11 (Haben Sie das Stattfinden dieser Gespräche vorab veröffentlicht (bspw. auf der Investor-Relations-Website)?) haben 94,4 Prozent der Unternehmen, die Pre-Close Calls durchführen, mit „Nein“ beantwortet (82,6 Prozent im DAX; 100 Prozent im MDAX).
Im dazugehörigen Freitextfeld haben mehrere der teilnehmenden Unternehmen darauf hingewiesen, dass Pre-Close Calls im Format der Einzelgespräche häufig Termine seien, um die die Analystinnen und Analysten bitten würden. Es erscheine daher nicht praktikabel, das Stattfinden dieser Termine zu veröffentlichen.
Pre-Close Calls werden häufig ohne dezidierte Unterlagen durchgeführt. So antworteten 65,8 Prozent der Unternehmen, die Pre-Close Close durchführen, (65,2 Prozent im DAX; 66,7 Prozent im MDAX) auf die Frage 12 (Wie gehen Sie mit etwaigen Unterlagen (bspw. Präsentationsfolien, Transkripte) um?), dass keine Unterlagen für diese Gespräche erstellt würden.
Abbildung 5: Umgang mit Unterlagen für Pre-Close Calls
© BaFin
In den Ergänzungen wird berichtet, dass auf bereits zuvor veröffentlichte Unterlagen hingewiesen bzw. darauf Bezug genommen werde.
Frage 14 beschäftigte sich mit der Motivation für die Durchführung von Pre-Close Calls. Hier häuft sich unter anderem die Aussage, dass – wie oben beschrieben – Analystinnen und Analysten diese Gespräche einfordern. Die Zahl der Unternehmen, die eine Analystin oder ein Analyst covert, und der Umfang an potentiell relevanten Informationen zu den Unternehmen hätten in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Pre-Close Calls böten die Möglichkeit, die bereits veröffentlichten Informationen oder öffentlich gemachten Aussagen nochmals zusammenzufassen. Dies stelle sicher, dass alle bereits zur Verfügung stehenden Informationen berücksichtigt werden könnten und alle Analystinnen, Analysten und Investoren auf demselben Informationsstand seien. Die Calls böten zudem die Möglichkeit, allgemein bekannte Sachverhalte einzuordnen (zum Beispiel gab es im Vorjahresquartal ein spezielles Ereignis, das im Jahresvergleich berücksichtigt werden muss), Verständnisfragen zu erörtern (zum Beispiel Klarstellung von Aussagen beim letzten veröffentlichten Kapitalmarkt-Call durch den Vorstand) oder über markt- oder branchenspezifische Sachverhalte zu diskutieren.
Pre-Close Calls dienten auch dazu, einen sachlich und handwerklich korrekten Consensus7 zu fördern. Auf sachliche Fehler oder Inkonsistenzen in den Schätzungen, etwaige Nichtberücksichtigung öffentlich bekannter Sachverhalte, offensichtlich falsche Verlinkungen, verrutschte Zeilen, falsche Summierungen oder Ähnliches in den Modellen, könne bei Pre-Close Calls (zumindest im Format der Einzelgespräche, siehe unten) hingewiesen werden. Ein Consensus, der ohne den Einfluss von fehlerhaften Modellen ermittelt wird, ermögliche den Emittenten eine bessere Einschätzung der Ad-hoc Relevanz der Ergebnisse.
Pre-Close Calls seien damit ein wichtiger Bestandteil einer fortlaufenden Kapitalmarktkommunikation und wichen oftmals nicht wesentlich von den sonstigen Gesprächen mit Analystinnen und Analysten ab. Die Calls böten die Gelegenheit, Erwartungen und Interessen von Analystinnen, Analysten und Investoren abzufragen. Diese Erwartungen könnten dann im Rahmen der Quartalskommunikation berücksichtigt werden.
Dass es zu Kursschwankungen im Rahmen von Pre-Close Calls kommt, wird auch von den Emittenten kritisch zur Kenntnis genommen. Kurzfristig orientierte Investoren seien mittlerweile auf diese Termine fokussiert. Bei einigen Emittenten besteht der Eindruck, dass Marktteilnehmer Pre-Close Calls als eine Art „Trading Updates“ verstünden. Das Format der Gruppen-Calls biete zwar die Möglichkeit, dass alle Teilnehmenden zur gleichen Zeit die gleichen (bereits öffentlich bekannten) Informationen dargelegt bekämen. Es sei aber nicht mehr möglich, einzeln auf die Annahmen der Modelle der Sell-Side-Analystinnen und Analysten einzugehen, um mögliche Fehlannahmen (siehe oben) zu korrigieren. Daher könne man beim Format der Gruppen-Calls davon ausgehen, dass – zumindest kurzfristig – die Qualität des Consensus sinke und es zu höheren Abweichungen in den Schätzungen komme. Dies konterkariere den ursprünglichen Zweck dieser Gespräche.
5. Analyse der Pre-Close Call Termine
Die Analyse möglichen Insiderhandels bzw. der verbotenen Weitergabe von Insiderinformationen durch die BaFin findet zwangsläufig immer vor einer möglichen Strafverfolgung statt. Eine Offenlegung der Untersuchungsmethoden oder Prozesse der BaFin brächte die Gefahr mit sich, dass Rückschlüsse auf das Vorgehen der BaFin bei der Marktmissbrauchsanalyse gezogen werden können. Die BaFin hat hier aus diesem Grund ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse, um ein effektives Aufsichtshandeln zu gewährleisten. Die nachfolgende Darstellung ist daher gekürzt.
In Frage 5 fragte die BaFin die Unternehmen, wann sie in den Jahren 2022 und 2023 sog. Pre-Close Calls durchgeführt hätten. Anhand der konkreten Rückmeldungen hat die BaFin insgesamt 62 Pre-Close Calls ausgewertet.8
Hat ein Unternehmen für ein Quartal mehrere Zeitpunkte angegeben, an denen diese Gespräche durchgeführt wurden, wurde für die folgende Untersuchung lediglich der erste Termin verwendet. Dies entspricht der Annahme, dass Handelsteilnehmer, die auf Basis der im Pre-Close Call getätigten Aussagen Wertpapiertransaktionen durchführen möchten, die Kommentare von Analystinnen und Analysten verwendeten, die ihr Gespräch zeitlich zuerst geführt haben. Diese Annahme wurde auch in der Presse getroffen.9
Abbildung 6: Kursabweichung am Tag des Pre-Close Calls in DAX und MDAX
Bei 69,4 Prozent der untersuchten Pre-Close Calls war die festgestellte Kursreaktion am Tag des Calls bzw. am Folgetag (bei Durchführung nach Börsenschluss) unterdurchschnittlich. Lediglich bei 8,1 Prozent der untersuchten Termine konnte eine stark überdurchschnittliche Kursreaktion im zeitlichen Zusammenhang mit den Calls festgestellt werden.
Ein systematischer Zusammenhang zwischen einer stark überdurchschnittlichen Kursreaktion und dem Zeitpunkt eines Pre-Close Calls konnte daher nicht festgestellt werden.
Betrachtet man die Kursreaktion am Tag des Calls im Hinblick auf das Format, so zeigt sich, dass eine stark überdurchschnittliche Kursreaktion ausschließlich bei Einzelgesprächen zu beobachten war. Dies könnte jedoch in erster Linie dem Umstand geschuldet sein, dass deutlich mehr Einzelgespräche in die Untersuchung eingeflossen sind.
6. Ergebnisse / Interpretation
Pre-Close Calls sind in Deutschland seit Jahren verbreitete Praxis. Sie werden meistens als Einzelgespräche durchgeführt und häufig – wie oben beschrieben – von Analystinnen und Analysten eingefordert. Sie dienen den Emittenten dazu, die durch das Management etwa bei Road Shows oder Konferenzen getätigten Aussagen zu wiederholen und zusammenzufassen. Die Emittenten haben dabei die Möglichkeit, auf Besonderheiten (etwa auf Einmaleffekte im Vorjahresquartal) hinzuweisen, die den Analystinnen und Analysten helfen, die Ergebnisse besser einschätzen zu können. Dies erhöht die Qualität des Consensus und hilft dadurch wiederum den Emittenten, eine mögliche Ad-hoc Relevanz der tatsächlichen Ergebnisse besser einzuschätzen.
In der Regel führen diese Gespräche die Leiterinnen und Leiter oder andere Beschäftigte der Investor Relations-Abteilung. Es werden meistens keine gesonderten Unterlagen für Pre-Close Calls erstellt. Da die Calls oft auf Wunsch von Analystinnen und Analysten und als Einzelgespräche geführt werden, werden die Termine meist nicht veröffentlicht.
Einzelne, vor allem größere Emittenten, sind dazu übergegangen, die Pre-Close Calls zu institutionalisieren und als Gruppen-Calls abzuhalten. Diese Unternehmen werden von einer Vielzahl von Analystinnen und Analysten gecovert. Sie müssten daher die Einzelgespräche über einen längeren Zeitraum durchführen. In diesem Zeitraum könnten sich beispielsweise die Marktumstände ändern. Daher ist es für diese Unternehmen sinnvoll, einen großen Call zu führen, in dem alle beteiligten Analystinnen und Analysten dieselben (bereits öffentlich verfügbaren) Informationen nochmals in zusammengefasster Form erhalten. Diese Form der Calls birgt jedoch die Gefahr, dass Rückfragen einzelner Teilnehmender nicht beantwortet werden können. Da viele Analystinnen und Analysten beteiligt sind, scheint die mögliche Auswirkung auf den Consensus aber eher gering zu sein. Ein einzelnes Missverständnis wiegt in einer großen Gruppe weniger schwer.
Bei der Auswertung der von den Unternehmen angegebenen Terminen, an denen sie Pre-Close Calls durchgeführt haben, konnten keine systematischen Probleme bei der gängigen Marktpraxis identifiziert werden.
7. Handlungsempfehlungen
Die BaFin ermutigt Emittenten, bei der Durchführung von Pre-Close Calls so transparent wie möglich vorzugehen. Ziel muss sein, bereits dem bloßen Anschein einer unrechtmäßigen Offenlegung von Insiderinformationen bestmöglich entgegenzutreten. Hierzu beitragen können die Durchführung von Pre-Close Calls als Gruppen-Calls mit möglichst offenem Teilnehmendenkreis und die Ankündigung dieser Termine auf der Website des Emittenten.
Die BaFin ist sich bewusst, dass aufgrund der unterschiedlichen Gegebenheiten bei Emittenten eine One-size-fits-all-Lösung weder praktikabel noch sinnvoll ist. Eine angemessene Praxis sollte die jeweiligen Umstände des Emittenten (bspw. Umfang der Analysten-Coverage und Unternehmensgröße) unter Proportionalitätsgesichtspunkten berücksichtigen.
Sollte bei einem Pre-Close Call versehentlich eine Insiderinformation offengelegt werden, muss diese Information unverzüglich veröffentlicht werden um die informationelle Gleichbehandlung wiederherzustellen. Personen, die bei Pre-Close Calls unrechtmäßig Insiderinformationen erhalten haben, ist es untersagt, diese selbst offenzulegen und/oder Insidergeschäfte zu tätigen (Artikel 14 Marktmissbrauchsverordnung).
Sollten Anhaltspunkte für mögliche Gesetzesverstöße bei Pre-Close Calls vorliegen, wird die BaFin auch künftig Einzelfalluntersuchungen vornehmen. Sie wird auch die Marktpraxis als solche weiterhin beobachten und behält sich weitere Maßnahmen vor.
Fußnoten:
- 1 Von systematischen Problemen wäre auszugehen, wenn die Kursreaktion am Tag eines solchen Pre-Close Calls gehäuft ungewöhnlich hoch ausfällt. Dies war nicht zu beobachten.
- 2 Zunächst wurde eine Rückmeldefrist von einem Monat (bis zum 31. Mai 2024) festgelegt, die dann um einen Monat, bis zum 28. Juni 2024 verlängert wurde.
- 3 Betreiber von Märkten, Wertpapierfirmen, die einen Handelsplatz betreiben, und Personen, die gewerbsmäßig Geschäfte vermitteln oder ausführen, müssen Aufträge und Geschäfte, die Insidergeschäfte, Marktmanipulationen oder der Versuch hierzu sein könnten, der BaFin melden.
- 4 Die Praxis der Quiet Periods bzw. Black-Out Periods ist von Closed Periods zu trennen. Bei Closed Periods handelt es sich um Handelsverbote für Führungskräfte in den 30 Kalendertagen vor Ankündigung eines Zwischenberichts oder eines Jahresabschlussberichts gemäß Artikel 19 Absatz 11 MAR.
- 5 Es wurde das North American Industry Classification System (NAICS) verwendet.
- 6 Ein Unternehmen berichtet im Ergänzungsfeld von rund 150 externen Teilnehmern.
- 7 Unter dem Begriff Consensus (manchmal auch Konsensus oder Konsens Schätzung) versteht man eine Schätzung von Kennzahlen, die aus den verschiedenen Prognosen der einzelnen Analystinnen und Analysten ermittelt wird. Es gibt verschiedene Arten von Consensus-Schätzungen wie etwa mittlere Schätzungen, Medianschätzungen, gewichtete Schätzungen oder die Consensus-Spanne.
- 8 Von den 62 ausgewerteten Calls fanden 13 im Jahr 2024 statt. Auch diese wurden aufgrund der Datenbasis in die Auswertung einbezogen.
9 Vgl. "Stock Traders Push Back on 'Unfair' Pre-Close Calls", Isolde MacDonogh, Nicholas Comfort, 3. Mai 2024, Bloomberg.