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Erscheinung:22.08.2019, Stand:geändert am 16.03.2020 | Geschäftszeichen VBS 1-Wp 5430-2019/0071 | Thema Verbraucherschutz Aufsichtsrechtliche Einordnung einzelner Ausstattungsmerkmale von Unternehmensanleihen auf Grundlage der PRIIPs-VO

Merkblatt

Der gemeinsame Ausschuss der Europäischen Aufsichtsbehörden hat im Juli 2018 eine Analyse zur Einordnung von Unternehmensanleihen in den Anwendungsbereich der PRIIPs-VO erstellt und die Europäische Kommission um eine öffentliche Klarstellung des Anwendungsbereichs bzw. Bestätigung der eigenen Analyse gebeten.1 Die Europäische Kommission hat mit Schreiben vom 14.05.2019 darauf geantwortet.2

Vor dem Hintergrund der dennoch fortbestehenden Unsicherheit über die Anwendbarkeit der Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.11.2014 über Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte (PRIIP) (nachfolgend „PRIIPs-VO“) auf Unternehmensanleihen wird im Rahmen dieses Merkblatts durch die Wertpapieraufsicht dazu wie folgt Stellung genommen:

Ein verpacktes Anlageprodukt für Kleinanleger (nachfolgend „PRIP“) ist nach seiner Legaldefinition in Art. 4 Nr. 1 PRIIPs-VO „eine Anlage, [...] bei der unabhängig von der Rechtsform der Anlage der dem Kleinanleger rückzuzahlende Betrag Schwankungen aufgrund der Abhängigkeit von Referenzwerten oder von der Entwicklung eines oder mehrerer Vermögenswerte, die nicht direkt vom Kleinanleger erworben werden, unterliegt“.

Die Ermittlung der Produkte, die die Bestimmungen der PRIIPs-VO erfüllen müssen, obliegt zunächst den Herstellern von Anlageprodukten für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukten sowie den Personen, die Kleinanleger über diese Produkte beraten oder diese Produkte an Kleinanleger verkaufen. Bei dieser Bewertung ist insbesondere den wirtschaftlichen Merkmalen und Geschäftsbedingungen jedes Produkts Rechnung zu tragen.3

Die folgenden, nicht abschließenden Ausführungen stellen die Verwaltungspraxis der BaFin zur aufsichtsrechtlichen Einordnung von Unternehmensanleihen im Rahmen der Auslegung der PRIIPs-VO zum Datum dieses Merkblatts dar. Für die Ermittlung, ob eine Unternehmensanleihe als PRIP zu qualifizieren ist oder nicht, ist eine Bewertung der einzelnen Ausstattungsmerkmale im jeweiligen Einzelfall erforderlich.

1) Ausstattungsmerkmal: Unbestimmte Laufzeit

Ist eine Unternehmensanleihe mit einer unbestimmten Laufzeit ausgestattet, führt diese nicht zu einer Einordnung der Unternehmensanleihe als PRIP. Denn der rückzuzahlende Betrag der Anleihe, verstanden als Zins- und Tilgung, unterliegt aufgrund der unbestimmten Laufzeit insbesondere keinen Schwankungen aufgrund der Abhängigkeit von einem Referenzwert.

2) Ausstattungsmerkmal: Nachrang

Ist eine Unternehmensanleihe mit einem Nachrang ausgestattet, führt dies nicht zu einer Einordnung der Unternehmensanleihe als PRIP. Denn der rückzuzahlende Betrag der Anleihe unterliegt aufgrund der Nachrangigkeit insbesondere keinen Schwankungen aufgrund der Abhängigkeit von einem Referenzwert. Auch ein qualifizierter Nachrang führt nicht zur Einstufung als PRIP.

3) Ausstattungsmerkmal: Feste Verzinsung

Ist eine Unternehmensanleihe mit einer festen Verzinsung ausgestattet, führt dies nicht zu einer Einordnung der Unternehmensanleihe als PRIP. Denn der rückzuzahlende Betrag der Anleihe unterliegt bei einer festen Verzinsung gerade keinen Schwankungen aufgrund der Abhängigkeit von einem Referenzwert. Dies gilt auch in dem Fall, dass die Unternehmensanleihe nicht verzinst, d.h. mit einem „Nullzins“ ausgestattet ist.

Auch unterliegt eine Unternehmensanleihe keinen Schwankungen aufgrund der Abhängigkeit von einem Referenzwert und stellt damit kein PRIP dar, wenn die Anleihebedingungen Änderungen des Zinssatzes zu festgelegten Zeitpunkten vor Fälligkeit der Anleihe vorsehen, wie z.B. wenn der Zins jährlich zu festgelegten Terminen steigt (sog. Stufenzinsanleihe).

4) Ausstattungsmerkmal: Veränderungen des rückzahlbaren Betrages (Zins und Tilgung) in Abhängigkeit von einem Referenzwert

Vorab in den Anleihebedingungen festgelegte bedingte oder unbedingte Veränderungen der Verzinsung, die nicht von einem Referenzwert oder der Entwicklung eines oder mehrerer Vermögenswerte abhängen, führen grundsätzlich nicht zu einer Qualifizierung als PRIP. Dies umfasst insbesondere Veränderungen der Verzinsung aufgrund der Herabstufung des Ratings des Emittenten, eines Kontrollwechsels oder eines steuerlichen oder regulatorischen Ereignisses.

Unterliegt der rückzuzahlende Betrag der Anleihe, verstanden als Zins- und Tilgung, Schwankungen aufgrund der Abhängigkeit von einem Referenzwert, so ist die Art des Referenzwertes genauer zu betrachten. Zunächst ist der Begriff des Referenzwertes i.S.d. PRIIPs-VO grundsätzlich weit zu verstehen.4 So stellt beispielsweise der Wert von (anderen) Wertpapieren, Indizes, Waren oder Sachwerten einen Referenzwert i.S.d. PRIIPs-VO dar. Unterliegt der rückzuzahlende Betrag einer Unternehmensanleihe Schwankungen in Abhängigkeit von einem solchen Referenzwert, ist die Unternehmensanleihe als PRIP zu qualifizieren. Dies gilt auch dann, wenn der rückzuzahlende Betrag sich nur unter bestimmen Bedingungen in Abhängigkeit von einem Referenzwert ändert, beispielweise im Falle einer vorzeitigen Rückzahlung der Unternehmensanleihe (so z.B. regelmäßig bei Fällen der sog.redemption at make-whole“).

Sofern der rückzuzahlende Betrag, z.B. die Verzinsung, jedoch unmittelbar von einem Zinsindex, wie z.B. dem Euribor oder dem Libor, abhängt, ist dieser Referenzwert ausnahmsweise nicht dazu geeignet, eine Unternehmensanleihe als PRIP zu qualifizieren, obwohl auch hier der rückzuzahlende Betrag durch Koppelung an einen Index Schwankungen unterworfen ist. Dies ergibt sich aus einem Analogieschluss zu Einlagen, die gerade dann nicht als „strukturierte Einlagen“ gelten und damit nach Art. 2 Abs. 2 Buchstabe c PRIIPs-VO nicht in den Anwendungsbereich der PRIIPs-VO fallen, wenn es sich um variabel verzinsliche Einlagen handelt, deren Ertrag unmittelbar an einen Zinsindex, wie Euribor oder Libor, gebunden ist (vgl. § 2 Abs. 19 Satz 2 WpHG). Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn über die unmittelbare Bindung an einen Zinsindex hinaus eine weitergehende Strukturierung, wie beispielsweise eine Höchst- oder Mindestverzinsung (mit Ausnahme eines Nullzinses), besteht.

Im Einzelfall ist ferner dahingehend zu unterscheiden, ob der Referenzwert als emittenten- bzw. konzernbezogen und damit als sog. interner Referenzwert oder, davon unabhängig, als anderer Referenzwert einzuordnen ist. Im Falle eines internen Referenzwertes erfolgt grundsätzlich keine Einstufung als PRIP. Als interne Referenzwerte sind jedenfalls emittenten- oder konzernbezogene Gewinnkennzahlen, wie z.B. die Höhe des (Bilanz)Gewinns, das EBITDA oder auch der Dividendensatz, zu sehen.

5) Ausstattungsmerkmal: Kündigungsrecht

Ist eine Unternehmensanleihe mit einem vertraglichen Kündigungsrecht des Emittenten und/oder des Gläubigers ausgestattet, führt allein dies nicht zu einer Einordnung der Unternehmensanleihe als PRIP.5 Der rückzuzahlende Betrag der Anleihe unterliegt aufgrund einer vorzeitigen Kündigung zwar regelmäßig Schwankungen. Diese Schwankungen resultieren jedoch nicht aus einer Abhängigkeit von einem Referenzwert.

6) Ausstattungsmerkmal: Umtausch- oder Bezugsrecht auf andere Wertpapiere

Ist eine Unternehmensanleihe mit einem Umtausch- oder Bezugsrecht auf andere Wertpapiere (z.B. Aktien) ausgestattet, wie dies z.B. bei (Pflicht)Wandel- und Optionsanleihen der Fall ist, sind diese als PRIP zu qualifizieren. Der Rückzahlungsbetrag unterliegt hier im Falle der Ausübung des Wandlungsrechts bzw. der Option Schwankungen aufgrund der Abhängigkeit von der Entwicklung eines Vermögenswertes, der nicht direkt erworben wird.

Fußnoten:

  1. 1 Schreiben des gemeinsamen Ausschusses der Europäischen Aufsichtsbehörden vom 19.07.2018 (JC 2018 21), abrufbar unter https://esas-joint-committee.europa.eu/Publications/Letters/JC%202018%2021%20(PRIIPs%20Joint%20Letter%20to%20COM%20on%20Scope)%20GBE.pdf
  2. 2 Schreiben der Europäischen Kommission vom 14.05.2019, abrufbar unter https://www.eiopa.europa.eu/content/european-commissions-reply-esas-call-clarify-scope-priips-regulation
  3. 3 Leitlinie in Rn. 5 der Mitteilung der Europäischen Kommission, Leitlinien zur Anwendung der PRIIPs-VO, ABl. EU Nr. C 218 vom 07.07.2017, S. 11 (2017/C 218/02).
  4. 4 Zu beachten ist, dass der Begriff „Referenzwert“ i.S.d. PRIIPs-VO nicht mit dem entsprechenden Begriff in Art. 2 Abs. 1 Nr. 39 MIFIR bzw. Art. 3 Abs. 1 Nr. 29 MAR übereinstimmt. Dies wird bereits aus den jeweiligen englischen Sprachfassungen deutlich: PRIIPs-VOreference valuevs. MIFIR/MARbenchmark“.
  5. 5 Für die vorzeitige Rückzahlung der Unternehmensanleihe im Falle der Kündigung siehe Punkt 4).

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