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Erscheinung:21.12.2018 Merkblatt zu § 60a Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG)

Vertragliche Anerkennung der vorübergehenden Aussetzung von Beendigungsrechten

Mit dem Abwicklungsmechanismusgesetz (AbwMechG) vom 2. November 2015 wurde § 60a in das Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG) eingefügt.

Damit bei finanzieller Schieflage eines Instituts die notwendige Zeit für Abwicklungsmaßnahmen zur Verfügung steht, hat die Abwicklungsbehörde die Befugnis, Beendigungsrechte und sonstige vertragliche Rechte von Gegenparteien unter bestimmten Voraussetzungen vorübergehend auszusetzen. Da bei Finanzkontrakten, die dem Recht eines Drittstaats unterliegen oder für die ein Gerichtsstand in einem Drittstaat besteht, unklar ist, inwieweit eine solche Aussetzung von anderen Jurisdiktionen anerkannt wird, könnte die fehlende Durchsetzbarkeit ggf. die Abwicklungsfähigkeit eines Instituts wesentlich beeinträchtigen (vgl. Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/5009, S. 65).

§ 60a Abs. 1 SAG verpflichtet daher Institute und gruppenangehörige Unternehmen, in Finanzkontrakte, die dem Recht eines Drittstaats unterliegen oder für welche ein Gerichtsstand in einem Drittstaat besteht, vertragliche Bestimmungen aufzunehmen, durch welche die Gegenpartei anerkennt, dass die Bestimmungen zur vorübergehenden Aussetzung von Beendigungsrechten und sonstigen vertraglichen Rechten nach den §§ 82 bis 84, 144 Absatz 3 und nach § 169 Absatz 5 Nummer 3 und 4 SAG auf die Verbindlichkeit des Instituts oder gruppenangehörigen Unternehmens angewendet werden können. Zudem sollen die vertraglichen Bestimmungen das Einverständnis der Gegenpartei mit einer in Ausübung der Befugnisse nach den §§ 82 bis 84, 144 Absatz 3 und nach § 169 Absatz 5 Nummer 3 und 4 SAG ergehenden Aussetzung von Beendigungsrechten und sonstigen vertraglichen Rechten enthalten.

Gemäß § 60a Abs. 2 SAG gilt die Verpflichtung gemäß Absatz 1 nicht
1. für Verbindlichkeiten, die vor dem 1. Januar 2016 begründet wurden, es sei denn, die betroffene Verbindlichkeit ist in eine Saldierungsvereinbarung einbezogen, welche auch nach dem 1. Januar 2016 begründete Verbindlichkeiten umfasst,
2. für Finanzkontrakte oder Rahmenvereinbarungen, welche von oder mit den in § 84 Absatz 4 SAG genannten Teilnehmern, Systembetreibern, zentralen Gegenparteien und Zentralbanken geschlossen werden.

Laut § 60a Abs. 3 SAG tragen übergeordnete Unternehmen gemäß § 10a des Kreditwesengesetzes (KWG) dafür Sorge, dass deren nachgeordnete Unternehmen gemäß § 10a KWG mit Sitz im Ausland die Bestimmungen der Absätze 1 und 2 erfüllen, sofern die betroffenen Finanzkontrakte Verpflichtungen enthalten, deren Erfüllung von einem gruppenangehörigen Unternehmen mit Sitz im Inland garantiert oder auf andere Art und Weise sichergestellt wird; § 10a Absatz 8 KWG gilt entsprechend. Ausgenommen von dieser Verpflichtung sind übergeordnete Unternehmen einer gemischten Finanzholding-Gruppe, welche kein Institut sind.

Gemäß § 60a Abs. 4 SAG kann die Abwicklungsbehörde die Pflichten nach den Absätzen 1 bis 3 mittels Verwaltungsakts durchsetzen. Bei der Ausübung ihres Ermessens kann die Abwicklungsbehörde insbesondere die Besonderheiten des Geschäftsmodells, des betroffenen ausländischen Marktes, des betroffenen Vertragstyps und die Systemrelevanz sowie die zu erwartenden Auswirkungen auf die Abwicklungsfähigkeit des betroffenen Instituts oder gruppenangehörigen Unternehmens, im Fall des Absatzes 3 des gruppenangehörigen Unternehmens mit Sitz im Inland berücksichtigen.

Das „Gemeinsame Verständnis zur Umsetzung der Pflichten aus § 55 und § 60a SAG durch die Institute“ zwischen der Deutschen Kreditwirtschaft und der FMSA vom 11.02.2016 bleibt durch dieses Merkblatt unberührt.

Inhalt des Merkblattes:

I. Häufig gestellte Fragen

II. Abfrage detallierter Angaben in Fällen, in denen keine Umsetzung erfolgt ist

I. Häufig gestellte Fragen

1. Erfasst der Begriff „Finanzkontrakte“ auch Kassageschäfte in Wertpapieren und Anleihen/Schuldverschreibungen?

Der Begriff „Finanzkontrakte“ ist in § 2 Abs. 3 Nr. 21 Buchstaben a bis g SAG definiert. Kassageschäfte in Wertpapieren (vgl. Kassageschäft im Sinne des Art. 38 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1287/2006) sind Wertpapierkontrakte gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 21 Buchstabe a SAG. Demgegenüber fallen Anleihen/Schuldverschreibungen nicht unter die Definition von Finanzkontrakten im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 21 Buchstaben a bis g SAG, da die jeweilige Anleihe/Schuldverschreibung als Wertpapier für sich genommen keinen Kontrakt auf bzw. über ein Wertpapier darstellt.

2. Welche Pflichten bestehen bei „Kreditvereinbarungen zwischen Instituten mit einer Laufzeit von bis zu drei Monaten“ (§ 2 Abs. 3 Nr. 21 Buchstabe e SAG), die mündlich abgeschlossen und auf Grundlage des SWIFT-Formats bestätigt worden sind, bei denen mithin keine vertraglichen Bestimmungen nach § 60a SAG aufgenommen sind?
(Erläuterung: SWIFT („Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication“) ist ein Anbieter von weltweiten Kommunikationsdienstleistungen zum Austausch von Informationen zu Finanztransaktionen in standardisierter Form.)

In Fällen, in denen die Pflichten nach § 60a Abs. 1 bis 3 SAG nicht umgesetzt worden sind, gelten für die betroffenen Unternehmen die Ausführungen unter Abschnitt III. unten, das heißt die Abwicklungsbehörde kann die Pflichten nach § 60a Abs. 1 bis 3 SAG grundsätzlich mittels Verwaltungsakt durchsetzen. Soweit die Umsetzung in bestimmten Fällen, d. h. bei bestimmten Finanzkontrakten oder gegenüber bestimmten Gegenparteien, aus rechtlichen oder anderen Gründen nicht möglich ist, übermitteln die betroffenen Unternehmen detaillierte Angaben zu den einzelnen Fällen an die Abwicklungsbehörde, die dann gemäß § 60a Abs. 4 SAG ihr Ermessen ausübt.

3. Wie sind FX-Kassageschäfte einzuordnen, die außerhalb von Rahmenverträgen abgeschlossen und über das SWIFT-System bestätigt wurden, bei denen mithin keine vertraglichen Bestimmungen nach § 60a SAG aufgenommen sind?

Für die betroffenen Unternehmen gelten die Ausführungen unter Abschnitt III. unten, das heißt sie sind grundsätzlich verpflichtet, detaillierte Angaben zu den einzelnen Fällen an die Abwicklungsbehörde zu übermitteln, die gemäß § 60a Abs. 4 SAG ihr Ermessen ausübt.

4. Wie ist der Fall zu behandeln, wenn für einen Finanzkontrakt mehrere Gerichtsstände vereinbart sind?

Bei mehreren vereinbarten Gerichtsständen besteht die Pflicht nach § 60a SAG bereits dann, wenn einer der Gerichtsstände in einem Drittstaat belegen ist (vgl. Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/5009, S. 65).

5. Welche „Institute“ und „gruppenangehörige Unternehmen“ werden gemäß § 60a SAG verpflichtet?

„Institute“ im Sinne dieses Gesetzes sind CRR-Kreditinstitute und CRR-Wertpapierfirmen, die vom Anwendungsbereich des § 1 SAG erfasst sind (§ 2 Abs. 1 SAG). Ein „gruppenangehöriges Unternehmen“ ist ein Unternehmen, das übergeordnetes oder nachgeordnetes Unternehmen einer Gruppe ist (§ 2 Abs. 3 Nr. 30 SAG).

Eine unmittelbare Verpflichtung ausländischer Unternehmen kommt nicht in Betracht. Nach § 60a Abs. 3 SAG tragen übergeordnete Unternehmen gemäß § 10a KWG aber dafür Sorge, dass ihre nachgeordneten Unternehmen gemäß § 10a KWG mit Sitz im Ausland die entsprechenden Pflichten einhalten, sofern die betroffenen Finanzkontrakte Verpflichtungen enthalten, deren Erfüllung von einem gruppenangehörigen Unternehmen mit Sitz im Inland garantiert oder auf andere Art und Weise sichergestellt wird. Bei gemischten Finanzholding-Gruppen gilt dies nur, soweit die übergeordneten Unternehmen selbst Institute sind (vgl. Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/5009, S. 66).

6. Stellen „weiche Patronatserklärungen“ eine Garantie oder Sicherstellung auf anderer Art und Weise im Sinne des § 60a Abs. 3 SAG dar?

Sogenannte „weiche Patronatserklärungen“ sind keine Garantie oder anderweitige Sicherstellung im Sinne des § 60a Abs. 3 SAG.

7. Was sind Ausnahmen nach § 60a Abs. 2 Nr. 2 SAG?

Die Verpflichtung gemäß § 60a Abs. 1 SAG gilt nicht für Finanzkontrakte oder Rahmenvereinbarungen, welche von oder mit den in § 84 Abs. 4 SAG genannten Teilnehmern, Systembetreibern, zentralen Gegenparteien und Zentralbanken geschlossen werden. Gemäß § 84 Abs. 4 SAG sind dies Teilnehmer von Systemen im Sinne des § 1 Abs. 16 KWG, Systembetreiber im Sinne des § 1 Abs. 16a KWG, zentrale Gegenparteien im Sinne des § 1 Abs. 31 KWG und Zentralbanken.

Beispiele für Systeme im Sinne des § 1 Abs. 16 KWG sind Geldclearings der Clearstream Banking AG und der Eurex Clearing AG und die Wertpapierlieferungs- und Abrechnungssysteme der Vorgenannten. Systembetreiber ist derjenige, der für den Betrieb des Systems rechtlich verantwortlich ist (§ 1 Abs. 16a KWG).

Eine zentrale Gegenpartei ist ein Unternehmen im Sinne des Art. 2 Nr. 1 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012, also eine juristische Person, die zwischen die Gegenparteien der auf einem oder mehreren Märkten gehandelten Kontrakte tritt und somit als Käufer für jeden Verkäufer bzw. als Verkäufer für jeden Käufer fungiert. Zentrale Gegenpartei (englisch: „Central Counterparty“, kurz „CCP“) ist beispielsweise die Eurex Clearing AG.

II. Abfrage detaillierter Angaben in Fällen, in denen keine Umsetzung erfolgt ist

Die Prüfung der angemessenen Umsetzung der Anforderungen aus § 60a SAG erfolgt im Rahmen der Abwicklungsplanung.

In Fällen, in denen die Pflichten nach § 60a Abs. 1 bis 3 SAG nicht umgesetzt worden sind, kann die Abwicklungsbehörde diese mittels Verwaltungsakt gemäß § 60a Abs. 4 SAG durchsetzen. Bei der Ausübung ihres Ermessens kann die Abwicklungsbehörde insbesondere die Besonderheiten des Geschäftsmodells, des betroffenen ausländischen Marktes, des betroffenen Vertragstyps und die Systemrelevanz sowie die zu erwartenden Auswirkungen auf die Abwicklungsfähigkeit des betroffenen Instituts oder gruppenangehörigen Unternehmens, im Fall des Abs. 3 des gruppenangehörigen Unternehmens mit Sitz im Inland berücksichtigen.

Soweit für die gemäß § 60a SAG verpflichteten Institute und Unternehmen die Umsetzung in bestimmten Fällen, d. h. bei bestimmten Finanzkontrakten oder gegenüber bestimmten Gegenparteien, aus rechtlichen oder anderen Gründen nicht möglich ist, sind die betroffenen Institute bzw. Unternehmen zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts aufgefordert, insbesondere folgende Informationen in Form einer tabellarischen Darstellung (siehe die in der Anlage angefügte Mustertabelle) der Abwicklungsbehörde zu übersenden, wobei eine Zusammenfassung von Verträgen pro Finanzkontrakte-Typ erfolgen kann.

Die Abwicklungsbehörde fordert die stichtagsbezogenen Daten (z. B. Daten zum letzten Bilanzstichtag) im Rahmen der Abwicklungsplanung von den Instituten bzw. Unternehmen an. Dabei macht sie von ihrer Befugnis gemäß § 42 SAG Gebrauch.

Dieses Merkblatt versteht sich als Hilfestellung für die Umsetzung des § 60a SAG. Es beansprucht keine Vollständigkeit. Im Einzelfall können ergänzende Informationen und Unterlagen erbeten werden. Sofern weitere Fragen bestehen, nutzen Sie bitte die E-Mail-Adresse AG3@bafin.de.

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