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Bild von Exekutivdirektorin Versicherungsaufsicht, Julia Wiens BaFin/Matthias Sandmann

Erscheinung:04.09.2025 Regulatorische Anforderungen – Was kommt auf Versicherer zu?

Rede von Julia Wiens, Exekutivdirektorin Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht, beim Handelsblatt Strategiemeeting Lebensversicherung, 4. September 2025

Es gilt das gesprochene Wort!

Schön, wieder hier zu sein!

Ich kann mich noch gut an die Veranstaltung im vergangenen Jahr erinnern. Damals hatte ich hier die ersten Erkenntnisse aus unserem neuen Ansatz in der Wohlverhaltensaufsicht vorgestellt. Das hat ja für viele Diskussionen gesorgt. Und, wie ich finde, auch einiges in Bewegung gebracht.

Heute treffen wir uns wieder zum Strategiemeeting. Ich finde, Veranstaltungen wie diese sind sehr wertvoll. Sich einmal bewusst Zeit zu nehmen und jenseits des Alltagsgeschäfts zu schauen: Wie entwickelt sich der Markt? Welche Chancen können sich ergeben? Und welche Risiken? Das ist sehr wichtig. Das zeigt übrigens auch ein kurzer Blick in die Geschichte.

Genau heute vor 137 Jahren, am 4. September 1888, erhielt George Eastman das erste Patent für eine neuartige Kamera. Und die Rechte an seiner neuen Marke: Kodak. Die älteren unter uns erinnern sich. Eastman Kodak war über Jahrzehnte hinweg ein globaler Marktführer in Sachen Fotografie. 2012 meldete die Firma Insolvenz an. Auch, weil sie die Auswirkungen der digitalen Technik unterschätzt hatte. Der Fall zeigt: Wer sich nicht um grundlegende Veränderungen kümmert, gefährdet die eigene Zukunft.

Ich spreche heute über die Lage der deutschen Lebensversicherer aus Perspektive der Aufsicht. Wie beurteilen wir die Lage der deutschen Lebensversicherer?

Ich werde mich der Antwort auf diese Frage auf verschiedenen Wegen nähern. Natürlich müssen wir auf die wirtschaftliche Situation schauen. Ich will aber auch aus Sicht der Wohlverhaltensaufsicht auf die Branche blicken. Und als Aufseherin muss ich natürlich auch den technologischen Wandel ansprechen. Genauso wie die Entwicklung des regulatorischen Umfelds.

Schauen wir zunächst auf die geschäftliche und wirtschaftliche Lage.

Die Bruttobeitragseinnahmen der deutschen Lebensversicherer sind 2024 leicht gestiegen. Im Vergleich zum Vorjahr um rund 3 Prozent. Vor allem, weil sich das Neugeschäft gegen Einmalbetrag erholt hat. Die laufenden Beitragseinnahmen sind dagegen in etwa konstant geblieben.

Das Neugeschäft mit klassischen Lebens- und Rentenversicherungen ging auch im vergangenen Jahr weiter zurück. Daran änderte auch das leichte Wachstum bei Produkten mit neuartigen Garantiemechanismen nichts. Insgesamt nahm der Bestand weiter ab.

Das Geschäft mit fondsgebundenen Lebens- und Rentenversicherungen hat dagegen moderat zugelegt. Mittlerweile entfallen rund zwei Drittel des Neugeschäfts im Bereich der Lebens- und Rentenversicherungen auf statische und dynamische Hybridprodukte.

Die saldierten stillen Lasten der Kapitalanlagen blieben 2024 gegenüber dem Vorjahr weitgehend konstant. Aber im ersten Halbjahr 2025 sind die stillen Lasten infolge der letzten Zinsentwicklungen wieder angestiegen. Von rund sieben Prozent auf rund neun Prozent der Kapitalanlage. Wir sehen jedoch keine auffälligen Abschreibungen wegen Wertverlusten bei Aktien oder Immobilien. Aber auch kein übermäßiges Heben von stillen Reserven. Dennoch stellt sich natürlich die Frage, wie die Unternehmen mit den stillen Lasten umgehen. In der Liquiditätsplanung. Aber auch hinsichtlich der Frage, wie sie die stillen Lasten reduzieren. Zum Beispiel mit Mitteln, die durch die Auflösung der Zinszusatzreserve frei werden.

Wichtig für uns: Auch 2024 konnten alle Lebensversicherer eine ausreichende Bedeckung der Solvenzkapitalanforderungen nachweisen. Ja, die ausgewiesene SCR-Bedeckung ist gegenüber dem Vorjahr deutlich gesunken. Das liegt natürlich an der Neuberechnung des Rückstellungstransitionals zum 30. Juni 2024. Aber: Die ökonomische Bedeckung, also die SCR-Bedeckung ohne den Effekt der Übergangsmaßnahme, ist stabil geblieben. Und zwar unverändert auf einem auskömmlichen Niveau.

Und wie sieht es heute aus? In einer Zeit, in der etwa die Handels- und Zollpolitik der USA alles andere als berechenbar ist? Die aktuellen Zahlen für das erste Halbjahr 2025 geben Entwarnung. Bisher sehen wir keine wesentlichen Auswirkungen auf die Risikotragfähigkeit der Unternehmen.

In den letzten Jahren haben wir jedoch gesehen, wie stark sich Veränderungen der Marktzinssätze direkt auf die deutschen Lebensversicherer auswirken können – sowohl auf die Bewertungsreserven als auch auf die SCR-Bedeckung. Solche Zinsbewegungen können die Risikotragfähigkeit deutlich unter Druck setzen. Trotzdem ist die Lage aktuell insgesamt robust – und in vielen Fällen sogar gut. Das liegt daran, dass unsere Lebensversicherer langfristig investieren. So können sie kurzfristige Ausschläge an den Märkten abfedern. Und sie haben ausreichend Puffer, um auch unerwartete Verluste aufzufangen. Und mir ist wichtig, dass das so bleibt. Denn die Lage am Kapitalmarkt ist alles andere als stabil.

Eine solide wirtschaftliche Position ist wichtig. Wirtschaftliche Stärke alleine reicht uns aber nicht. Das würde der gesellschaftlichen Bedeutung des Produkts Lebensversicherung nicht gerecht.

Denn sie ist ein zentraler Baustein der Altersversorgung von Millionen von Menschen. Und das soll auch so bleiben. Dafür ist eines entscheidend: das Vertrauen der Kundinnen und Kunden. Vertrauen entsteht aber nicht einfach so. Die Versicherer müssen es sich verdienen. Mit Produkten, die Kundinnen und Kunden einen angemessenen Nutzen bieten. Sie sehen, auch in diesem Jahr führt am Thema Wohlverhalten kein Weg vorbei. Es bleibt für uns hochrelevant. Wir konzentrieren uns dabei auf die sogenannten schwarzen Schafe im Markt. Und das heißt: Auf einzelne Produkte einzelner Unternehmen.

Seit dem vergangenen Jahr haben wir weitere Schritte gemacht. Wir beschäftigen uns aktuell vor allem mit dem Thema „Storno und Zielmarkt“ bei kapitalbildenden Lebensversicherungen.

Schauen wir hier zunächst mal auf die Fakten. Zuletzt haben die deutschen Lebensversicherer pro Jahr gut 1,5 Mio. Verträge in der fondsgebundenen Lebensversicherung verkauft. Oft mit Ansparphasen von mehr als 35 Jahren. Im Branchendurchschnitt kündigen pro Jahr rund 3,5 Prozent der Kundinnen und Kunden ihren Vertrag. Wenn wir von einem konstanten jährlichen Storno in dieser Höhe ausgehen, hat nach etwa 20 Jahren die Hälfte der Kundinnen und Kunden ihren Vertrag vorzeitig beendet.

Bei einer vorzeitigen Vertragsbeendigung ab diesem Zeitpunkt muss das für den Zielmarkt des Produkts formulierte Renditeziel mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erreicht werden. Diese Vorgabe an die Produkthersteller ist nun wirklich nicht überzogen.

Ob ein Produkt dieser Erwartung gerecht wird, müssen die Lebensversicherer im Produktfreigabeverfahren prüfen. Dafür muss man seinen Zielmarkt natürlich kennen. Der Zielmarkt, das ist – abstrakt formuliert – die Gesamtheit der Kundinnen und Kunden, an die das Produkt seinem Zweck nach vertrieben werden soll. Und es muss auch deren Bedürfnissen genügen. Wir erwarten, dass Versicherer den jeweiligen Zielmarkt ihrer Produkte genau definieren. Auch für kapitalbildende Lebensversicherungen. In der Praxis haben wir schon sehr breite Definitionen gesehen. Manche umfassten so gut wie alle Menschen. Außer Kinder. Also etwa Studierende, die ganz am Anfang ihrer Berufslaufbahn stehen. Und genauso auch Menschen kurz vor dem Ruhestand. Sie haben also eine sehr breite Definition, die Personen mit sehr unterschiedlichen Bedürfnissen umfasst. Wer seinen Zielmarkt so weit definiert, muss sicherstellen, dass sein Produkt solch unterschiedlichen Bedürfnissen auch wirklich gerecht wird. Nur dann kann es einen angemessenen Kundennutzen bieten. Und wenn Versicherer feststellen: Ein großer Teil des Zielmarkts möchte sich frühzeitig von seinem Vertrag lösen, dann müssen sie das berücksichtigen. Also den Zielmarkt anpassen. Oder das Produkt. So dass zumindest der wesentliche Teil der Kundinnen und Kunden des Zielmarkts ein Produkt mit einem angemessenen Kundennutzen bekommt.

Des Weiteren ist uns aufgefallen, dass einige Versicherer bei den Prüfungen im Rahmen der Produktfreigabeverfahren teilweise sehr wenig ambitionierte Renditeziele ansetzen. Für die Anlage in Aktienfonds etwa nur ein Ziel von zwei Prozent. Also auf Höhe der Inflationserwartung. Zwei Prozent – solch eine Rendite kann man auch mit Anleihen erzielen.

Wenn man dann noch bedenkt, dass manche Unternehmen gleichzeitig Effektivkosten von vier Prozent ausweisen, muss ein Produkt allerdings eine Vorkostenrendite von sechs Prozent erreichen. Das wiederum erscheint recht ambitioniert. In solchen Fällen wäre es besser, einmal über die Höhe der Kosten nachzudenken.

Wenig überzeugend ist es für uns auch, wenn Versicherer für unterschiedliche Anlagestrategien identische Renditeziele formulieren. Also etwa für Anlagen auf Basis von Aktienfonds und für Anlagen auf Basis von Rentenfonds. Das widerspricht nicht nur unserem Merkblatt. Sondern auch dem gesunden Menschenverstand. Gesehen haben wir das in Einzelfällen trotzdem. Viele von Ihnen werden mir zustimmen: Das geht besser.

Kapitalbildende Lebensversicherungen müssen einen angemessenen Kundennutzen bieten. Das gilt für die Ansparphase. Und genauso gilt es für die Rentenbezugsphase. Auch damit beschäftigen wir uns in diesem Jahr. In der Rentenbezugsphase stellen sich aber andere Fragen. Da geht es zum Beispiel darum, ob die gezahlten Rentenleistungen in einem angemessenen Verhältnis zu dem dafür aufgewendeten Kapital stehen.

Dieses Thema hatten wir auch bei der Abfrage der Lebensversicherer berücksichtigt, die wir in diesem Jahr durchgeführt haben. Mit dieser Abfrage wollen wir das Zahlenmaterial für unsere wohlverhaltensaufsichtlichen Risikoindikatoren aktualisieren. Die Abgabefrist war im August. Zurzeit werten wir die Daten aus. Anschließend werden wir das angepasste Zahlenmaterial auf unserer Website veröffentlichen.

Ich kann Ihnen versichern: Das Thema Kundennutzen bleibt weit oben auf unserer Agenda. Genauso wie der rasante technologische Wandel. Mir sind hier zwei Themen ganz wichtig. Dass die Versicherer in eine moderne IT investieren. Und dass sie die Risiken, die mit der stärkeren Nutzung von KI einhergehen, angemessen managen.

Klar ist: Wir bei der BaFin stehen Innovationen positiv gegenüber – Innovationen, die die Finanzstabilität nicht gefährden. Und die Kundinnen und Kunden nutzen. Das haben wir auch in unseren Zielen für die Jahre 2026 bis 2029 festgehalten.

Schauen wir zunächst auf die IT. Es ist immens wichtig, dass Versicherer über moderne, stabile und sichere IT-Systeme verfügen. Auch wegen der steigenden Bedrohung durch Cyber-Vorfälle. Das wissen die Unternehmen genauso wie wir. Trotzdem haben viele Versicherer immer noch grundlegenden Verbesserungsbedarf bei den Prozessen ihres IT-Risikomanagements – auch wenn sich schon einiges zum Positiven gewandelt hat. Und auch veraltete Systeme sind immer noch ein Risikofaktor. Uns ist es daher wichtig, dass die Unternehmen bei diesem Thema dranbleiben. Dass sie identifizierte Mängel abstellen. Und dass sie weiter in ihre IT investieren – und speziell in die IT-Sicherheit. Ich weiß, die entsprechenden Projekte sind aufwändig, langwierig und teuer. Viele von Ihnen würden die erforderlichen Ressourcen sicher lieber in andere Themen investieren. Zum Beispiel ins Neugeschäft. Aber an der Modernisierung der IT führt kein Weg vorbei.

Wer das nicht macht, geht hohe Risiken ein. Auch langfristig. Denn er gefährdet seine Wettbewerbsfähigkeit. Und damit die Zukunft des Unternehmens.

Eine moderne IT ist auch wichtig angesichts des enormen Fortschritts der Künstlichen Intelligenz. Gerade der generativen KI. Versicherungsunternehmen nutzen sie immer intensiver. Sie eröffnet neue Möglichkeiten – sie birgt aber auch Risiken. Deshalb tauschen wir uns hierzu auch eng mit der Branche aus. Zum Beispiel bei unseren AI-Roundtables.

Ich weiß, wir schauen beim Thema KI sehr genau hin. Wir interessieren uns auch für vermeintlich unkritische Themen. Und das kommt manchen von Ihnen sicher etwas bürokratisch vor. Für uns ist das dennoch wichtig. Denn wir wollen sicherstellen, dass Unternehmen ein angemessenes Modellrisikomanagement haben. Vor allem wenn sie KI-Systeme künftig in risikoreicheren Bereichen anwenden. Aktuell nutzen die Unternehmen KI vor allem, um interne Prozesse zu optimieren. Aber es ist schon absehbar: Versicherer werden KI zunehmend auch in komplexeren und kritischeren Anwendungsfeldern einsetzen.

Die Technik entwickelt sich rasend schnell. Deshalb ist es wichtig, dass auch die Regulierung Fortschritte macht. Mit der KI-Verordnung haben wir in Europa einen weiteren regulatorischen Rahmen, der Rechtssicherheit schaffen soll. Sie setzt umfangreiche Pflichten, vor allem für Hochrisiko-Anwendungen.

Auf europäischer Ebene werden gerade Hilfestellungen für die praktische Umsetzung der KI-Verordnung ausgestaltet.  

Daran ist auch das Digital Finance Steering Committee der EIOPA beteiligt, das ich seit Juli leite. Bei unserer Arbeit geht es unter anderem darum, offene Aspekte der KI-Verordnung zu klären. Und darum, KI-Systeme auch in die bestehende Regulierung wie Solvency II oder DORA einzuordnen. Denn die vorhandene Regulierung ist ja bereits eine gute Basis für die Aufsicht über KI.

Daher ist mir ein Thema ganz grundsätzlich wichtig: Nämlich, dass Unternehmen für all ihre KI-Systeme eine adäquate Governance und ein adäquates Risikomanagement haben. Denn KI-Systeme können bestehende Risiken für die Unternehmen verstärken und damit indirekt Risiken für die Solvenz darstellen. Zum Beispiel, wenn KI-gestützte Pricing-Modelle fehlerhafte Annahmen treffen. Daher ist ein Risikomanagement wichtig, das alle Risiken des Versicherungsunternehmens erfasst. Zu einem solchen Risikomanagement gehört es auch, regelmäßig zu prüfen: Sind die Ergebnisse unserer Systeme verlässlich? Kann das Modellverhalten erklärt werden? Und: Sind die Daten, die wir verwenden, repräsentativ, hochwertig und ausgewogen? Außerdem müssen Menschen die Entscheidungsprozesse weiterhin kontrollieren können – und bei Bedarf eingreifen.

Aus unserer Aufsichtspraxis wissen wir: Die Entwicklung solcher Governance-Rahmenwerke ist bei den Versicherern unterschiedlich weit gediehen. Wichtig ist uns, dass hier alle Unternehmen auf ein gutes Niveau kommen.

Wenn wir über die Lage der deutschen Lebensversicherer sprechen, müssen wir natürlich auch über aktuelle Regulierungsvorhaben sprechen. Eins der wichtigsten Vorhaben war und ist immer noch der Solvency-II-Review.

Durch den Review ergaben sich viele Änderungen bei den quantitativen Anforderungen in Säule eins. Aktuell werden die Vorgaben auf Ebene zwei der europäischen Gesetzgebung finalisiert. Wir haben die Vorschläge der EIOPA hierzu mit entwickelt.

Uns war es besonders wichtig, die Risikosensitivität der quantitativen Anforderungen zu verbessern. Damit unterstützen wir das zentrale Ziel von Solvency II, nämlich: Risiken frühzeitig zu identifizieren. Und sie realistisch einzuschätzen. Uns geht es also um eine stärkere Risikoorientierung. Und damit auch um ein besseres Risikomanagement. Das ist eine der großen Stärken von Solvency II. Und daran sollten wir festhalten.

Als Aufsicht setzen wir uns dafür ein, dass die Orientierung an den tatsächlichen Risiken erhalten bleibt. Und dass die Kapitalanforderungen nicht aufgeweicht werden. Manch einer wirft ja ein, dass die Solvabilitätsquoten in Deutschland sehr hoch seien. In der Niedrigzinsphase waren sie jedoch kritisch niedrig. Und das ist noch gar nicht so lange her. Aktuell sinken die Zinsen wieder. Und die langfristige Entwicklung ist auch ungewiss. Die Volatilität an den Kapitalmärkten kann jederzeit wieder steigen. Eine Aufweichung der Kapitalanforderungen würde ein fatales Signal senden. Sie würde suggerieren, dass sich die Risiken verringert haben. Und damit könnte es dazu führen, dass Unternehmen die tatsächlichen Risiken unterschätzen. Und mehr Risiken zeichnen als sie wirtschaftlich tragen können. Der nächsten Krise könnte die Branche dann nur geschwächt entgegentreten. Und die Verlässlichkeit und die Glaubwürdigkeit des Regelwerks könnten leiden.

Außerdem setzen wir uns dafür ein, dass die finalen quantitativen Anforderungen die Instrumente, die Solvency II für die Behandlung langfristiger Garantien vorsieht, nicht beeinträchtigen. Ich denke hier vor allem an die Volatilitätsanpassung.

Im Review wurde dieses Instrument gründlich überprüft. Die neue Volatilitätsanpassung wird zum einen unternehmensspezifische Besonderheiten mit aufnehmen. Damit wird sie risikosensitiver werden. Das ist gut. Zum anderen wird sie deutlich stärker wirken. Die endgültige Ausgestaltung sollte unseres Erachtens jedoch mit Bedacht vorgenommen werden. Denn andernfalls könnte es passieren, dass sie zu stark wirkt. Bei einer Ausweitung von Spreads könnten dann Überkompensationseffekte entstehen. Und die könnten die Funktionsfähigkeit der Volatilitätsanpassung als wichtiges antizyklisches Instrument erheblich beeinträchtigen. Die Folge könnte auch hier wieder sein, dass die Unternehmen zu hohe Risiken eingehen.

Wir beobachten außerdem gerade, dass sich die politischen Pläne, die Kapitalmarktunion zu stärken, auf den Solvency-II-Review auswirken. Im Gespräch ist, die Kapitalanforderungen in der Standardformel im Bereich der Marktrisiken zu senken. Dagegen ist nichts einzuwenden – so lange es evidenzbasiert und risikoorientiert geschieht. Das scheint aber nicht der Fall zu sein. Wir bezweifeln, dass die Standardformel bisher zu konservativ war. Wir dürfen nicht vergessen: Es geht hier insbesondere um den Schutz der Versicherten. Und um die Finanzstabilität. Kann es triftigere Gründe geben, behutsam vorzugehen?

Was wir dagegen ausdrücklich begrüßen, ist, dass der Solvency-II-Review Proportionalität stärker berücksichtigt. Das ist gerade für den deutschen Versicherungssektor sehr wichtig. Wir haben hier eine große Vielfalt: große Gruppen, aber auch kleinere regionale Anbieter. Dazu kommen erhebliche Unterschiede zwischen den Risikoprofilen. Regulierung muss das berücksichtigen. Sie sollte daher angemessen sein und auf das Risikoprofil eines Unternehmens abgestimmt werden.

Der Solvency-II-Review ermöglicht uns, in der Aufsicht proportionaler vorzugehen als bisher. Wir haben jetzt gesetzliche Klarheit darüber, welche Unternehmen die neu festgelegten Erleichterungen zusätzlich in Anspruch nehmen können. Das können künftig alle Versicherer, die bestimmte schwellenwertbasierte Kriterien erfüllen. Also die Small and Non-Complex Undertakings, kurz SNCU. Diese Klarheit hilft uns ungemein. Und sie stärkt die Transparenz in ganz Europa. Andere Unternehmen, die nicht als SNCU eingestuft sind, können die meisten dieser Erleichterungen ebenfalls anwenden. Dazu müssen sie zuvor einen entsprechenden Antrag stellen, den die Aufsicht im Einzelfall prüfen und genehmigen kann – immer unter der Voraussetzung, dass das Risikoprofil der Unternehmen das auch hergibt.

Wie sehen diese Erleichterungen aus? Für die SNCU wird es ab 2027 Erleichterungen bei der Einreichung des ORSA geben, des Own Risk and Solvency Assessment. Den brauchen sie dann nur noch alle zwei Jahre einzureichen.  Den regelmäßigen aufsichtlichen Bericht, den RSR, müssen sie nur noch alle drei Jahre vorlegen. Mit Genehmigung der BaFin sogar nur alle vier oder fünf Jahre.

Uns ist aber wichtig klarzustellen, dass das SNCU-Regime nur ein Teilaspekt des übergeordneten Proportionalitätsprinzips ist: Unabhängig von der Einstufung als SNCU können alle Versicherer weiterhin allgemeine Erleichterungen in Anspruch nehmen. Und zwar, ohne dass es einer ausdrücklichen Genehmigung bedarf. Maßgeblich dafür bleibt das Risikoprofil. Das beurteilen wir individuell.

Wir haben uns bei den Arbeiten an der Solvency-II-Richtlinie auch dafür stark gemacht, die Eintrittsschwellenwerte anzuheben. Und das erfolgreich. Künftig fallen einige Unternehmen nicht mehr unter die Richtlinie. Damit entfallen für sie ab 2027 auch die Vorgaben aus DORA. Wir werden für diese Unternehmen bis zur Umsetzung der Solvency-II-Änderungen in deutsches Recht keine aufsichtlichen Maßnahmen ergreifen, wenn sie DORA-Vorgaben nicht erfüllen.

Solvency II bietet einige Möglichkeiten der prinzipienbasierten Aufsicht. Diese wollen wir grundsätzlich, stärker ausschöpfen. Aber das bedeutet auch: die Einschätzung der Aufseherinnen und Aufseher erhält größeres Gewicht. Und das heißt, dass wir uns intensiver austauschen müssen.

Das ist mein letzter wichtiger Punkte für heute: Es ist wichtig, dass wir miteinander sprechen. Offen und vor allem rechtzeitig. Wenn Sie merken: Es gibt da ein Thema, das für die Aufsicht relevant sein könnte, dann sprechen Sie uns an. Und zwar so früh wie möglich. Dann gibt es meistens mehr Optionen, als wenn wir kurz vor knapp informiert werden. Deshalb: Suchen Sie frühzeitig das Gespräch. Im Interesse Ihres Unternehmens.

Kommen wir damit zurück zur Ausgangsfrage: Wie beurteilen wir die Lage der deutschen Lebensversicherungsbranche? Insgesamt betrachtet sind die Unternehmen wirtschaftlich solide aufgestellt.

Als Aufsicht achten wir darauf, dass ihre Produkte den Versicherten nutzen. Und dass sie auch bei wichtigen Innovationen wie KI die Risiken angemessen managen. Außerdem setzen wir uns dafür ein, die Regulierung der Branche so wirksam und so effizient wie möglich zu gestalten. Also proportionaler und weniger komplex.

Die Branche hat gute Perspektiven, wenn sie weiter die richtigen Prioritäten setzt. Und damit sind wir wieder bei George Eastman. Er mahnte seine Beschäftigten schon vor 99 Jahren: „Die Welt ist in Bewegung, und ein Unternehmen, das sich mit seinen bisherigen Errungenschaften zufrieden gibt, fällt schnell zurück.“ In diesem Sinne: Machen Sie es besser als Eastmans Nachfolger.

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