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Bild des Präsidenten der BaFin, Mark Branson BaFin/Matthias Sandmann

Erscheinung:12.09.2025 „Innovation ermöglichen, Stabilität wahren: Die Finanzaufsicht im digitalen Zeitalter“

Rede von BaFin-Präsident Mark Branson bei der 13. Regulatorischen Fachtagung am 12. September 2025 in Frankfurt am Main

Es gilt das gesprochene Wort!

Was hat die Finanzaufsicht mit der brasilianischen Flagge gemeinsam?

Nicht viel, werden Sie wahrscheinlich sagen. Mit ihrer blauen Weltkugel, der gelben Raute und dem grünen Rechteck gehört sie zu den bekanntesten der Welt.

Der Leitspruch auf der Flagge in dem weißen Band über der blauen Weltkugel ist jedoch weniger bekannt: „Ordem e Progresso“ – „Ordnung und Fortschritt“. Er geht auf Auguste Comte zurück, französischer Philosoph, Mathematiker und Vordenker des Positivismus im 19. Jahrhundert.

Die Idee ist: Es braucht Ordnung und Regeln für Fortschritt. Und damit sind wir beim Thema heute. Ordnung und Fortschritt. Stabilität und Innovation. Regulieren und inspirieren. Das ist die Aufgabe der Finanzaufsicht im digitalen Zeitalter.

Meine Damen und Herren,

wir erleben es alle: Finance wird immer mehr zum Tech-Business. Digitale Werteinheiten wie Stablecoins beanspruchen, eine Brücke zwischen der traditionellen Finanzwirtschaft und den Märkten für Krypto-Werte zu schlagen. Künstliche Intelligenz identifiziert Betrugsmuster. Cyber-Sicherheit wird zum Dreh- und Angelpunkt für das Vertrauen in digitale Anwendungen.

Technologische Innovationen treiben die Transformation voran. Sie kommen in den verschiedensten Bereichen in der Finanzbranche zum Einsatz – sie setzen Grenzen unseres Handelns und verschieben sie wieder. Was heute Zukunft ist, kann morgen Realität werden.

Was heißt das für unsere Arbeit in der Finanzaufsicht? Wie navigieren wir das Finanzsystem in einer Welt, die sich immer schneller digitalisiert?

Ich sage es ganz deutlich: Wir unterstützen Innovationen und neue Geschäftsmodelle. Wir wollen ein starkes Tech-Ökosystem: innovative Unternehmen, Spitzenforschung und erfolgreiche FinTechs. In Deutschland und Europa. Denn sie bilden das Fundament für die Wettbewerbsfähigkeit und Zukunft des Finanzstandorts – und damit für seine langfristige Stabilität.

Wir wollen Unternehmen, die das Innovationstempo nicht nur mitgehen, sondern vorgeben. Die technologisch stark sind. Denn diese Stärke braucht es gerade in einer Welt geopolitischer Umbrüche – sie bedeutet mehr digitale Souveränität und Handlungsfähigkeit.

Die technologischen Entwicklungen, die den Finanzsektor verändern, beobachten wir genau. Wir analysieren ihre Potenziale und Risiken. Welche Technologien sind das? Ich nenne drei:
Erstens: Quantencomputing. Quantencomputer sind Hochleistungsrechner. Sie stellen eine Rechenpower für den Finanzsektor in Aussicht, mit der sie selbst Supercomputer in den Schatten stellen. Statt Supercomputer – Computer mit Superpower!

Wir haben es hier mit einer völlig neuen Dimension an Rechenleistung zu tun.

Quantencomputer könnten KI-Anwendungen vervielfachen: Eine Innovationskraft mit gänzlich neuen Einsatzmöglichkeiten verspricht diese Kombination. Im Risikomanagement, im Portfoliomanagement oder auch bei der Geldwäschebekämpfung. Wir wissen noch nicht genau, wann leistungsfähige und fehlertolerante Quantencomputer im Finanzsektor im großen Stil zum Einsatz kommen werden. Aber: Dass sie kommen, wird immer wahrscheinlicher. Und mit jeder Schätzung rückt das Datum des Durchbruchs der Quantencomputer näher, statt weiter in die Ferne.

Welche Risiken bringt diese Technologie mit sich?

Quantencomputer können herkömmliche Verschlüsselungsverfahren gefährden. Nicht umsonst wird Quantencomputing neuerdings als zukünftiges Risiko in den Prospekten für Krypto-Finanzprodukte aufgeführt. Schon jetzt nutzen Kriminelle das aus. Sie erbeuten heute verschlüsselte Daten, um sie morgen mit Quantencomputern zu entschlüsseln.

Diese Risiken sind also keine Zukunftsmusik. Unternehmen müssen jetzt aktiv werden – damit für Kriminelle keine Blütezeiten anbrechen. Uns ist wichtig, dass Unternehmen sich darauf vorbereiten. Dass sie wissen, was auf sie zukommt, und sie vor der Welle handeln.

Zweitens, und nicht mehr ganz neu: die Distributed-Ledger-Technologie, kurz DLT. Vielen ist DLT über Blockchain bekannt, die Krypto-Währungen wie Bitcoin oder Ethereum möglich macht. Aber DLT geht weit darüber hinaus: Sie kann Intermediäre überflüssig machen und Kontrahentenrisiken reduzieren. DLT ist im Vergleich zu etablierten Technologien auch vielseitiger. Über sie können komplexe, mehrstufige Vertragsbeziehungen mit einer einzigen Transaktion über „Smart Contracts“ automatisiert abgewickelt werden.

In einigen Jahren dürften auch tokenisierte Wertpapiere zum Standard gehören. Finanzintermediäre sind schon jetzt dabei, ihre Produkte auf diesen Blockchain-basierten Infrastrukturen abzubilden. In Deutschland stehen wir bei dieser Entwicklung aktuell gut da, zum Beispiel mit dem ersten europäischen kombinierten Handels- und Abwicklungssystem auf dieser Basis.

Bei DLT kann es jedoch zu Rückkopplungen in das klassische Finanzsystem kommen. Immer mehr Unternehmen steigen in das Geschäft mit Krypto-Werten ein. Die Verflechtung wächst. Insbesondere bei den bereits erwähnten Stablecoins ist diese Wechselwirkung der Krypto-Welt mit der klassischen Finanzwirtschaft bereits Realität: Die nach MiCAR zugelassenen E-Money-Token gelten als E-Geld. Sie können von Kreditinstituten und E-Geld-Instituten ausgegeben werden. Es sind digitale Token, die zur Stabilisierung mit Vermögenswerten – darunter klassische Finanzinstrumente – hinterlegt sind. Stablecoins werden global zunehmend in Zahlungssysteme integriert. Auch diese Entwicklung könnte Auswirkungen auf die Finanzstabilität haben.

Und drittens: Künstliche Intelligenz. Schon heute sehen wir viele Anwendungen, vor allem in weniger risikoanfälligen Bereichen. In Zukunft wird KI jedoch auch für komplexere und kritischere Themen genutzt werden. Die nächste Entwicklungsstufe: KI-Agenten. Sie analysieren Daten nicht nur eigenständig, sondern sie treffen selbstständig Entscheidungen und setzen sie dann auch um.

Aber auch Künstliche Intelligenz geht mit Risiken einher. Sie kann zu ungerechtfertigter Diskriminierung führen. Generative KI kann halluzinieren. Zudem kann die Einführung generativer KI zu neuen Abhängigkeiten führen. Denn viele Unternehmen setzen dabei auf die großen, meist US-amerikanischen Tech-Anbieter.

Quantencomputing, DLT und KI – das sind Technologien mit großem disruptivem Potenzial. Sie prägen die technologischen Umbrüche, die wir gerade erleben. Zugleich bergen sie Risiken. Risiken, bei denen uns historische Erfahrungswerte fehlen. Das bedeutet, wir bewegen uns teilweise auf unbekanntem Terrain und müssen Risiken hypothetisch einschätzen.

Ein weiteres Risiko möchte ich noch hervorheben, da die Bedrohungslage hoch ist: Cyber-Vorfälle. Mit der Digitalisierung nehmen die Angriffsfläche und damit die Verwundbarkeit des Finanzsystems zu. Fast ein Fünftel aller globalen Cyber-Vorfälle der vergangenen zwanzig Jahre betraf Unternehmen des Finanzsektors. Der Schaden beläuft sich laut Internationalem Währungsfonds (IWF) seit 2004 auf fast 12 Milliarden US-Dollar. Dabei stieg die Zahl der Vorfälle, insbesondere von Cyber-Attacken, in den letzten Jahren immer wieder an. Cyber-Vorfälle können das Finanzsystems erheblich schädigen und im Extremfall zu systemischen Krisen führen.

Wie gehen wir mit diesen Entwicklungen um?

Wir stehen dem Einsatz von Innovationen und Geschäftsmodellen positiv gegenüber. Wir analysieren die Potenziale und die Risiken neuer Technologien. Gleichzeitig erfüllen wir unseren gesetzlichen Auftrag. Wir wollen ein funktionsfähiges, stabiles und integres Finanzsystem gewährleisten. Und dafür stärken wir die operationelle Resilienz der Akteure am Finanzmarkt.

Das haben wir auch in unseren strategischen Zielen bis 2029 verankert.

Wir drängen darauf, dass die von uns beaufsichtigten Unternehmen die Risiken aus den neuen Technologien managen. Dass sie sich für den Ernstfall vorbereiten.

Auch die Bedrohungslage durch Cyber-Vorfälle analysieren wir. Wir entwickeln die Instrumente weiter, mit denen wir schnell und wirksam auf systemische Folgen von Cyber-Krisen reagieren können.
Uns ist jedoch auch klar: Wenn wir Innovationen zu stark bremsen, halten wir ihre Entwicklung nicht auf. Sie findet dann einfach woanders statt. Ohne uns.

Wir wollen Fortschritt nicht bremsen. Aber: Sobald wir sehen, dass Innovationen die Finanzstabilität gefährden oder Kundinnen und Kunden schaden – setzen wir Grenzen.

In Summe: Es ist die Balance von Innovation ermöglichen, Risiken kontrollieren und Stabilität wahren, die die Finanzaufsicht im digitalen Zeitalter prägt.

Was bedeutet das für unsere Arbeit?

Wir greifen ein, wenn es erforderlich ist. So haben wir auf der Grundlage der MiCAR dieses Jahr angeordnet, einen stark wachsenden Stablecoin abzuwickeln. Im Zulassungsverfahren haben wir gravierende Mängel festgestellt. Dadurch schützen wir Kundinnen und Kunden in Deutschland vor fragwürdigen Finanzprodukten.

Wir achten auf eine angemessene und gute Governance, zum Beispiel bei KI, die alle aufsichtlich relevanten Risiken umfasst. Transparenz, Nachvollziehbarkeit und ein wirksames Risikomanagement sind zentral – besonders, wenn KI in entscheidungsrelevante Prozesse eingreift. Die Verantwortung für Modelle und Entscheidungen liegt bei den beaufsichtigten Unternehmen. Dazu kommen die Anforderungen der europäischen KI-Verordnung. Die BaFin wird bei der Überwachung der KI-Verordnung sehr wahrscheinlich eine wichtige Rolle spielen. Wichtig dabei ist uns: Die regulatorische Definition darüber, was ein KI-System ist – sie darf nicht herkömmliche statistische Verfahren umfassen, die schon lange etabliert sind. Das wäre innovationshemmend.

Und wir begleiten Innovationen. Wir helfen, Technologien im Rahmen unseres Mandats voranzubringen.

Vielleicht haben Sie die Schlagzeile vor einigen Wochen gelesen? „Stablecoin-Anbieter erhält erste E-Geld-Lizenz durch Bafin“. Damit kann in Deutschland die erste bedeutende Krypto-Währung aufgelegt werden, deren Wert an den Euro gekoppelt ist.

Dahinter steckt ein Prozess, bei dem wir uns schon vor dem eigentlichen Zulassungsverfahren intensiv mit den Innovatoren ausgetauscht haben. So konnten wir frühzeitig alle Fragen klären. Das gilt auch für die Begleitung von Vorhaben in der europäischen Sandbox für Finanzmarktinfrastrukturen, dem DLT Pilot Regime.

Einer der von uns hierfür zugelassenen Anbieter aus Deutschland startet gerade ein auf DLT basierendes integriertes Handels- und Abwicklungssystem für tokenisierte Finanzinstrumente. Und dabei wird es nicht bleiben. Es werden noch weitere folgen.

Meine Damen und Herren,

„Ordem e Progresso“ – der Leitspruch auf der Flagge Brasiliens – war bei Auguste Comte eigentlich ein Dreiklang: Liebe als Prinzip, Ordnung als Grundlage, Fortschritt als Ziel. Von der Liebe hat man sich letztlich getrennt – geblieben sind Ordnung und Fortschritt.

Was wir stattdessen im digitalen Zeitalter brauchen, ist der Wille zur Zusammenarbeit. Wir haben es selbst in der Hand, wie wir die Chancen im digitalen Zeitalter nutzen.

Lassen Sie uns deshalb gemeinsam die Potenziale dieses digitalen Umbruchs nutzen! Und seine Risiken managen! Innovatoren, Institute, Aufsicht und Zentralbank – im Schulterschluss, verantwortungsvoll und mit Weitblick.

Jeder liefert einen Beitrag. Und wir bei der Finanzaufsicht sorgen dabei für die richtige Balance von Innovationskraft, Risikokontrolle und Stabilität.

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