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Porträtaufnahme von Mark Branson, Präsident der BaFin. © BaFin/Matthias Sandmann

Erscheinung:23.01.2023 Presseempfang der BaFin

Statement von Mark Branson, Präsident der BaFin, beim Presseempfang am 23. Januar 2023

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich begrüße Sie ganz herzlich zu unserem Presseempfang und wünsche Ihnen für das neue Jahr alles Gute. Wir möchten Ihnen heute die „Risiken im Fokus der BaFin 2023“ vorstellen.

Lieferengpässe, Energieknappheit, Krieg, Inflation und globale Erwärmung. Wir leben in einer Welt großer Unsicherheit. Es gibt unzählige Prognosen, Warnungen und Kassandra-Rufe. Als Präsident der BaFin will ich mich nicht daran beteiligen. Für uns steht fest: (Fast) alles ist möglich. Selbst Entwicklungen, die bisher nicht oder kaum vorstellbar waren. Sogar positive Überraschungen. Und egal ob positiv oder negativ: Wodurch, wann und wo Entwicklungen ausgelöst werden, das kann niemand seriös vorhersagen.

Wir als Aufsicht müssen daher immer mit dem Unerwarteten rechnen. Wir können nicht im Nachhinein sagen: Diese Entwicklung war für uns nicht vorstellbar, diese Finanzkrise war nicht vorhersehbar, das konnten wir nicht wissen. Wir müssen immer vorbereitet sein. Wir müssen versuchen, dafür zu sorgen, dass das Finanzsystem auch unter extremen Bedingungen funktioniert. Dass es integer und stabil bleibt.

Es ist unsere Aufgabe zu identifizieren, wo das System und wo die einzelnen Unternehmen verletzlich sind. Über welche Kanäle es zu Ansteckungen kommen kann.

In unserem Bericht „Risiken im Fokus der BaFin 2023“ stellen wir zum zweiten Mal die Risiken zusammen, die aus unserer Sicht die Funktionsfähigkeit, Stabilität und Integrität des deutschen Finanzsystems am meisten gefährden könnten. Mit diesen Risiken werden wir uns in diesem Jahr prioritär befassen. Mit unserem Bericht machen wir transparent, wie wir Risiken identifizieren und wie wir bei der Aufsicht priorisieren.

Wie bereiten wir uns auf das Unerwartete vor? Wir denken in Szenarien. Wir spielen verschiedene Szenarien durch, auch vermeintlich widersprüchliche. Wir führen Sensitivitätsanalysen durch. Sie zeigen uns, bei welchen Veränderungen von Parametern. – wie Zinsen oder Marktbewertungen – es für das Finanzsystem und seine Akteure kritisch wird.

Wir wollen schließlich, dass das Finanzsystem und die von uns beaufsichtigten Unternehmen möglichst stressresistent sind. Daher konzentrieren wir uns auf die Tail-Risks. Das sind Risiken, deren Eintritt unwahrscheinlich ist, dafür aber umso schädlicher wären. Ein gutes Beispiel hierfür ist unser Stresstest für die weniger bedeutenden Institute von Anfang 2022. Hier haben wir ein Szenario mit andauernd tiefen Zinsen getestet, aber auch die Auswirkungen eines abrupten Zinsanstiegs. Ein weiteres Beispiel: Für die Versicherer und Pensionskassen erstellen wir langfristige Solvenz-Prognosen für ein Niedrigzinsniveau. Zugleich rechnen wir verschiedene Szenarien durch. Was passiert zum Beispiel bei Bewertungsverlusten bei Gewerbeimmobilien? Oder einer Ausweitung der Kreditspreads?

Auf diese Weise finden wir heraus, wo Schwachstellen sind und wo sich Risiken aufbauen. Daraus leiten wir unsere mikro- und makroprudentiellen Maßnahmen ab. Dabei verfolgen wir den Ansatz: Je größer das Risiko, desto mehr Zeit und Personal setzen wir ein, um gegenzusteuern. Risikoorientierte Aufsicht also. Dieser Prozess – Risiken erkennen und passende Maßnahmen ergreifen – ist Kern unserer Arbeit. Funktionieren kann dieser Prozess aber nur, wenn wir die richtigen Daten haben. Nur dann sind fundierte Analysen möglich. Nur dann können wir Verwundbarkeiten verlässlich erkennen und konsequent handeln. Diesen Zyklus verbessern wir kontinuierlich.

Wir haben sechs Risiken identifiziert, die die Finanzstabilität und die Integrität der Finanzmärkte in Deutschland am meisten gefährden können. Weil diese Risiken sich entweder besonders dynamisch und bedrohlich entwickeln, die betroffenen Märkte sehr groß sind oder der potenzielle Schaden extrem hoch wäre. Neben den sechs Hauptrisiken haben wir drei längerfristige Trends ausgemacht, bei denen es aus unserer Sicht besonders wichtig ist, dass die Unternehmen angemessen damit umgehen.

Ich möchte heute drei Risiken vorstellen: das Zinsänderungsrisiko, das Markt- und das Kreditausfallrisiko, weil alle drei sich extrem dynamisch entwickeln.

Das vergangene Jahr hat gezeigt, wie plötzlich und mit welcher Wucht sich Risiken aufbauen – und sogar Realität werden können. Der plötzliche Zinsanstieg ist ein Beispiel dafür. Wir richten aktuell unser besonderes Augenmerk auf die Zinsentwicklung. Und auf die zahlreichen Folgen für die Unternehmen, die wir beaufsichtigen. Zwar haben wir schon Anfang 2022 vor den Risiken eines abrupten Zinsanstiegs gewarnt. Wir haben bei unserem LSI-Stresstest Zinsschockszenarien getestet. Allerdings haben wir uns damals auch auf das Niedrigzinsszenario konzentriert – unter anderem weil es flächendeckender wirkte.

Langfristig werden die von uns beaufsichtigten Unternehmen von den höheren Zinsen profitieren. So braucht kein Lebensversicherer mehr die Übergangsmaßnahmen von Solvency II.

Schauen wir auf die Banken: Deren Zinsmargen steigen. Bereits in den ersten neun Monaten des Jahres 2022 erzielten die Finanzinstitute einen etwas höheren Zinsüberschuss als im Vorjahr. Die abrupt steigenden Zinsen bedeuten für viele Kreditinstitute aber auch steigenden Stress. Zumindest kurzfristig. Die Wertpapiere in ihren Beständen haben rechnungslegungsbedingt durch den Zinsanstieg aktuell stark an Wert verloren. Das drückt kurzfristig auf die Profitabilität der betroffenen Banken – vor allem der weniger bedeutenden Institute.

Bei ihnen stieg in den ersten neun Monaten die vor Steuern berechnete Cost-Income-Ratio von rund 70 auf 96 Prozent. Nach Steuern entstand so im Durchschnitt ein negatives Ergebnis.

Bis zum Ende des Jahres 2022 konnten aber fast alle Institute die Verluste noch durch ihre Bewertungsreserven auffangen. Die haben sie nun größtenteils aufgebraucht. Die erste Verteidigungslinie ist weggefallen. Sollten die Zinsen tatsächlich zügig und signifikant weiter steigen, steigt daher auch der Stress für die Institute – vor allem für die, die keine Reserven mehr haben, wenig Überschusskapital und größere offene Zinspositionen. Diese Institute monitoren wir im Moment besonders eng, vor allem ihre Kapitalplanung. Klar, mit jedem Zinsschock wird der nächste Zinsschock weniger wahrscheinlich. Aber gerade in den vergangenen Tagen haben wir von führenden Notenbankern gehört, dass Marktteilnehmer ihre Position dazu überdenken sollten.

Zudem sehen wir eine Inversion der Zinsstrukturkurve. Im zweiten Halbjahr 2022 haben sich die kurz- und langfristigen Zinsen immer stärker angenähert. Das erschwert die Fristentransformation, und reduziert oder verschiebt einen Teil des positiven Effekts der steigenden Zinsen.

Das vergangene Jahr hat uns auch gezeigt, wie plötzlich sich Risiken materialisieren können, vor denen seit Jahren gewarnt wird. Zum Beispiel die Gefahren, die von Marktturbulenzen ausgelöst werden könnten. Ein vielleicht unterschätztes Risiko geht dabei, global gesehen, von den Non Bank Financial Institutions (NBFIs) aus – auch Schattenbanken genannt. Dieser Sektor ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Was allerdings nur über einen hohen Leverage möglich war. Bisher wurden Marktkorrekturen grundsätzlich gut absorbiert. Das Finanzsystem ist bislang nicht komplett aus dem Takt geraden, nur die Kryptomärkte. Es gab aber auch Beispiele, die gezeigt haben: NBFIs haben das Zeug, einen Crash auszulösen. Denken Sie an die britischen Pensionskassen, die Ende September kurzfristig den in ihren Anlagestrategien enthaltenen Leverage abbauen mussten. Die Notenbank musste einschreiten. Wir dürfen diese Risiken nicht verharmlosen, nur weil es bisher nicht zur Katastrophe kam.

Das gilt auch für Kreditausfälle. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, die deutsche Wirtschaft und die Banken seien dagegen immun. Selbst in der Corona-Pandemie haben die Kreditausfälle kaum zugenommen. Obwohl das Virus einen der größten Wirtschaftseinbrüche seit Ende des Zweiten Weltkriegs auslöste. Ohne die entsprechenden Aufputschmittel – staatliche Hilfen und die damals noch niedrigen Zinsen – wäre das unmöglich gewesen. Nun kühlt sich wahrscheinlich die Konjunktur ab, Umsätze könnten wegbrechen und bestimmte Branchen in Schwierigkeiten geraten. Das gilt für die Bauwirtschaft, das produzierende Gewerbe, die Chemieindustrie und Energieversorgungsunternehmen. Sie leiden unter den anhaltenden Lieferengpässen, gestiegenen Energiekosten und der Inflation generell. Gleichzeitig boomt die Kreditvergabe an Unternehmen.

Fakt ist: Das Risiko für Insolvenzen ist gestiegen – und damit auch die Gefahr, dass Kredite an deutsche Unternehmen ausfallen. Vor allem Kredite an den Mittelstand und energieintensive Unternehmen.

Darauf müssen die Banken vorbereitet sein. Die aktuelle Risikovorsorge ist niedrig. Allerdings fordern Institute zunehmend höhere Risikoprämien und höhere Sicherheiten von ihren Kunden. Die BaFin wird genau prüfen, ob das reicht.

Meine Damen und Herren, das deutsche Finanzsystem ist in den vergangenen Jahren robuster geworden. Nun gilt es, diese Widerstandsfähigkeit zu bewahren. Nur dann werden die Unternehmen des Finanzsektors weiterhin in der Lage sein, auch in schlechten Zeiten ihren Kunden beiseite zu stehen.

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