BaFin/Matthias Sandmann
Erscheinung:20.11.2024 | Thema Versicherungen Schwerpunkte der Versicherungsaufsicht 2025
Rede von Julia Wiens, Exekutivdirektorin Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht, bei der Jahrestagung der Versicherungsaufsicht.
Finanzielle Stabilität, Zukunftsfähigkeit und Wohlverhalten. Das sind unsere Prioritäten – und es sollten auch Ihre sein. Denn in diesen unsicheren und volatilen Zeiten steht die Branche vor vielen Herausforderungen.
Es ist schön, dass Sie hier bei uns in Bonn sind.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich darf Sie heute zum ersten Mal als Leiterin der Versicherungsaufsicht hier im ehemaligen Plenarsaal des Deutschen Bundestags begrüßen.
Ich freue mich, dass wir heute viele hochkarätige Referentinnen und Referenten gewinnen konnten. Aus der Branche, aus Unternehmen und Verbänden, aus der Wissenschaft und aus Behörden und europäischen Institutionen. Danke, dass Sie heute Ihre Ideen und Perspektiven mit uns teilen und mit uns diskutieren.
Wir alle in der Versicherungsaufsicht möchten uns eng mit der Branche austauschen. Deshalb sind Veranstaltungen wie diese Konferenz so wichtig. Weil wir zu relevanten Themen ins Gespräch kommen. Hier im Plenum, bei den verschiedenen Panel-Diskussionen und ganz informell beim Kaffee oder Mittagessen.
Mir ist wichtig, dass Sie die Perspektive und die Prioritäten der Versicherungsaufsicht kennen. Wo steht die Branche aus unserer Sicht? Welche Schwerpunkte setzen wir im kommenden Jahr?
Lassen Sie mich mit einem kurzen Rückblick beginnen. Denn wir haben in den vergangenen Monaten wichtige aufsichtliche Themen vorangetrieben.
Einen Meilenstein haben wir Ende August erreicht. Da haben wir erste Ergebnisse unserer Prüfungen zum Kundennutzen von kapitalbildenden Lebensversicherungen bekanntgegeben. Bereits im Mai 2023 hatten wir dazu ein Merkblatt veröffentlicht. In diesem Merkblatt hatten wir klar formuliert, was wir von den Unternehmen erwarten. Was wir bislang herausgefunden haben, entspricht leider nicht unseren Erwartungen. Einige Produkte boten schlichtweg keinen angemessenen Kundennutzen. In solchen Fällen haben wir die Anbieter mit unseren Ergebnissen konfrontiert. In der Folge wurden einige Produkte vom Markt genommen. In anderen Fällen kam es zu Kostensenkungen im Bestand und zu rückwirkenden Kompensationsmaßnahmen. Für uns steht fest: Wir werden uns weiter mit diesem Thema beschäftigen. Ein Punkt ist mir jedoch sehr wichtig. Die Lebensversicherung ist ein zentraler Baustein der Altersversorgung von Millionen von Menschen hierzulande. Sie erfüllt einen wichtigen gesellschaftlichen Zweck. Und gerade deshalb wollen wir genau hinschauen. Wir wollen diejenigen Produkte finden, die keinen ausreichenden Nutzen bieten. Und das möchte ich betonen: Es geht hierbei in der Regel um einzelne Produkte einzelner Unternehmen. Wir beschäftigen uns mit den schwarzen Schafen. Die Lebensversicherung an sich soll und wird weiterhin eine verlässliche Säule in der Altersversorgung sein.
Weit oben auf unserer Agenda standen in den vergangenen Monaten auch die Risiken an den Märkten. Zum Beispiel am Markt für Gewerbeimmobilien. Hier sind weitere Preisrückgänge nicht auszuschließen. Die Risiken für Versicherer mit einem umfangreichen Gewerbeimmobilienbestand bleiben unverändert hoch. Deshalb haben wir die Versicherer in unserer letzten Erhebung zum Kapitalanlageverhalten auch explizit zu ihren Investitionen in Gewerbeimmobilien befragt. Zurzeit erscheinen uns die Risiken auf dem Gewerbeimmobilienmarkt beherrschbar. Aktuell erwarten wir aus dieser Richtung keine branchenweite Verschlechterung der Solvenz der Versicherer.
Darüber hinaus haben wir in diesem Jahr eine Neuberechnung der Übergangsmaßnahme zu den versicherungstechnischen Rückstellungen angeordnet. Nach der Zinswende war die Höhe nicht mehr angemessen. Es hätte dadurch zu Fehlanreizen in der Unternehmenssteuerung kommen können. Im Allgemeinen haben die Unternehmen den Übergang gut gemeistert. Weil viele Versicherer ihr Produktportfolio angepasst haben, weg von Garantieprodukten. Und weil Jahresüberschüsse häufig nicht ausgeschüttet wurden. Außerdem hat der Zinsanstieg natürlich auch geholfen. Die Solvabilitätsbedeckung ist nun auch ohne Übergangsmaßnahmen solide. Und das ist ein Zeichen der Stärke der Branche.
Neben diesen aufsichtlichen Themen haben wir die Modernisierung der Versicherungsaufsicht innerhalb der BaFin auf den Weg gebracht. Das Thema liegt mir wirklich sehr am Herzen. Vieles funktioniert bereits sehr gut. Wir haben hoch kompetente Teams, deren Arbeit anerkannt und geschätzt wird. Das ist gut. Aber kein Grund, sich auszuruhen. Denn die Branche verändert sich rasant. Märkte, Produkte und Regulierung werden komplexer. Neue Geschäftsmodelle entstehen. Der digitale Fortschritt nimmt weiter an Fahrt auf. Das wirkt sich natürlich alles auch auf unsere Arbeit aus. Deshalb wollen wir unseren Geschäftsbereich weiterentwickeln. Ich freue mich sehr, dass so viele Kolleginnen und Kollegen in unserem Modernisierungsprogramm mitarbeiten. Wir wollen jetzt die entscheidenden Weichen für eine erfolgreiche Zukunft stellen. Für eine Versicherungsaufsicht, die wirksam, zielorientiert und durchsetzungsstark ist. Mit einer einflussreichen Stimme in Europa.
Sehr geehrte Damen und Herren,
lassen Sie uns nun auf die aktuelle Situation der Branche schauen. Dabei wird zunächst einmal deutlich, dass die deutsche Versicherungsbranche zurzeit in einem anspruchsvollen Umfeld agieren muss. Die Entwicklung der globalen Konjunktur lässt sich, insbesondere nach den Wahlen in den Vereinigten Staaten, kaum vorhersagen. Die deutsche Wirtschaft stagniert. Für 2025 erwartet der Sachverständigenrat ein leichtes Plus von 0,4 Prozent.
Die Politik steht hierzulande vor einer wichtigen Weichenstellung. Voraussichtlich im Februar werden die Wählerinnen und Wähler einen neuen Bundestag bestimmen. Auf europäischer Ebene ist man ein Stück weiter. Die neue Kommission dürfte in Kürze ihre Arbeit aufnehmen.
Klar ist: Die Geopolitik birgt weiter große Risiken. Zudem verfolgt die Geldpolitik zurzeit keinen eindeutigen Kurs. Die Europäische Zentralbank hat im Oktober den Leitzins gesenkt. Aber gleichzeitig hat sie erklärt, dass sie sich nicht auf einen bestimmten Zinspfad festlegt.
Diese Rahmenbedingungen sind alles andere als einfach. Dennoch sind die deutschen Versicherer insgesamt betrachtet stabil.
Der Zinsanstieg in den vergangenen Jahren hat dabei natürlich geholfen. Viele wirtschaftliche Kennzahlen haben sich verbessert. Die Ertragschancen in der Neu- und Wiederanlage sind gestiegen. Auch die Risikotragfähigkeit ist heute deutlich stärker als noch vor einigen Jahren.
Das gilt vor allem für die Lebensversicherer. Sie haben erheblich vom Zinsanstieg profitiert. Aber auch die wirtschaftliche Lage der Pensionskassen hat sich in der letzten Zeit deutlich verbessert. Die Anzahl der Kassen unter intensivierter Aufsicht ist deutlich gesunken. Ende 2021 waren es noch rund 40. Inzwischen sind es weniger als 20. Das ist eine gute Nachricht.
Wenn wir aber genauer hinschauen, dann sehen wir große Unterschiede zwischen den Pensionskassen. Das hatte die letzte BaFin-Prognoserechnung klar gezeigt. Nur ein Beispiel: Die Rückkehr eines niedrigeren Zinsniveaus kann bei einigen Kassen weiterhin zu Schwierigkeiten führen. Also zu Solvabilitätsunterdeckungen und zu Leistungskürzungen. Auch bei der Reservesituation gibt es große Unterschiede. Wir haben das weiter im Blick.
Für die Schaden- und Unfallversicherer ist vor allem die Schadeninflation nach wie vor ein Problem. Material- und Lohnkosten sind gestiegen und steigen immer noch. Das wird vor allem im Kfz-Bereich deutlich. Die Reparaturkosten stiegen zuletzt deutlich schneller an als der allgemeine Verbraucherpreisindex.
Einige Unternehmen haben verstanden: Der Handlungsbedarf ist groß. Wir haben in diesem Jahr mehrere Prämienerhöhungen im zweistelligen Bereich gesehen. Das war notwendig. Versicherer, die diesen Schritt noch nicht gegangen sind, werden im kommenden Jahr nachziehen müssen. Denn dauerhaft defizitäre Versicherungszweige sind nicht akzeptabel. Werden die bisherigen Prämienerhöhungen ausreichen? Auch hier werden wir auf jeden Fall weiter ganz genau hinsehen.
Werfen wir noch einen kurzen Blick auf die Krankenversicherer. Auch sie müssen mit der hohen Inflation umgehen. Im vergangenen Jahr sind die Versicherungsleistungen stärker gestiegen als in den Jahren zuvor. Die Beiträge der Versicherten werden also anziehen. Nach Maßgabe des üblichen Anpassungsmechanismus. Wir erwarten insgesamt höhere Beitragsanpassungen als in den letzten Jahren. Gleichzeitig sind die Gewinne der Branche infolge der gestiegenen Versicherungsleistungen gesunken. Das schränkt die Möglichkeit von Beitragslimitierungen entsprechend ein. Die Risikotragfähigkeit der Branche ist aber nach wie vor sehr robust. Wir rechnen mit einer Entspannung der Situation im Laufe des nächsten Jahres.
Damit zu den Rückversicherern. Sie waren in der Vergangenheit durch diverse Naturkatastrophen und auch durch die hohe Schadeninflation stark belastet. Sie konnten gegenüber den Erstversicherern jedoch höhere Prämien und höhere Selbstbehalte durchsetzen. Für die Erstversicherer ist das natürlich herausfordernd. Denn sie müssen die Folgen tragen. Das heißt: Prämienerhöhungen an ihre Kundinnen und Kunden weitergeben. Oder eine geringere Profitabilität in Kauf nehmen. Zudem belasten hohe Selbstbehalte ihr Solvabilitätskapital. Aber zurück zu den Rückversicherern: Ihre Lage ist insgesamt betrachtet stabil – trotz der zahlreichen Naturkatastrophen. Bislang zeichnet sich ab, dass die Prämien im Rahmen der kommenden Erneuerung für 2025 keine bedeutenden Veränderungen erfahren.
Meine Damen und Herren,
Sie sehen: Alles in allem sind die deutschen Versicherer solide aufgestellt. Uns allen in der Versicherungsaufsicht ist es wichtig, dass das so bleibt. Deshalb fokussieren wir uns auf die Tätigkeitsfelder, die aus unserer Perspektive wesentlich sind.
Zum einen konzentrieren wir uns auf die Zukunftsfähigkeit und die Stabilität der Branche. Dazu gehören wirtschaftlich tragfähige Geschäftsmodelle, Stressresistenz gegenüber adversen Kapitalmarktszenarien, ein leistungsstarkes Risikomanagement, eine angemessene Governance und eine moderne IT. Zum anderen behalten wir den Schutz der kollektiven Interessen der Versicherten im Blick. Konkret werden wir unsere Strategie beim Thema Wohlverhalten weiterentwickeln.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich möchte noch einmal betonen: Das Umfeld, in dem die Versicherer agieren müssen, ist äußerst anspruchsvoll. Die wirtschaftliche Entwicklung ist unsicher. Die geopolitischen Risiken sind weiter hoch. Dazu kommen Bedrohungen aus dem Cyber-Raum.
Deshalb werden wir im neuen Jahr eine Reihe von Themen angehen, um die Zukunftsfähigkeit und die Stabilität der Versicherer zu stärken.
Dazu werden wir uns weiter mit Kapitalanlagerisiken beschäftigen. Insbesondere bei all denjenigen Versicherern, die einen hohen Bestand an alternativen Kapitalanlagen in ihren Portfolien haben. Darunter verstehen wir vor allem Private Equity und Private Debt. Bei ihnen werden wir uns ansehen: Wie ist ihr Kapitalanlagerisikomanagement aufgestellt? Wie setzen sie die Anforderungen an den Grundsatz der unternehmerischen Vorsicht um? Ganz konkret wollen wir zum Beispiel besser verstehen, wie die Unternehmen ihre Limit-Systeme ausgestalten und wie ihre Überwachungssysteme funktionieren. Außerdem werden wir uns ansehen, wie sie ihre strategische Asset-Allokation herleiten.
Denn wir sind überzeugt, dass diese alternativen Anlageformen besondere Anforderungen an die Unternehmen stellen. Sie brauchen ein leistungsstarkes Risikomanagement mit einer adäquaten Personalausstattung. Und zwar mit Mitarbeitenden, die sich mit diesen Investments sehr gut auskennen.
Neben der mikroprudenziellen Aufsicht der Kapitalanlagerisiken, entwickeln wir einen makroprudenziellen Ansatz. Wir wollen kurzfristig analysieren können, wie sich unterjährige Kapitalmarktveränderungen auf die Solvenz der Lebensversicherer auswirken. Wir haben uns vorgenommen, unsere Prognoserechnung für Lebensversicherer weiterzuentwickeln. Dafür entwickeln wir einen Ansatz, der auf Sensitivitäten basiert.
Darüber hinaus werden wir den Verlauf von bedeutsamen Segmenten genauer analysieren. Zum Beispiel bei Cyberversicherungen. Der Cyberversicherungsmarkt ist wichtig, um die Resilienz der Wirtschaft gegenüber Cyberangriffen zur steigern. Aus Aufsichtsperspektive sind hier vor allem die hohen Kumulrisiken, aber auch die hohe Änderungsdynamik der Risikolandschaft relevant. Ein einzelner Vorfall kann weltweit viele Schäden verursachen. In diesem Segment fehlen jedoch historische Daten zum Geschäftsverlauf. Und das macht es schwer abzuschätzen, wie sich die Schäden entwickeln. Wir werden daher auch im nächsten Jahr wieder Daten erheben. Denn wir wollen sicherstellen, dass die Versicherungsunternehmen dem volatilen Verlauf dieses Segmentes durch ein angemessenes Risikomanagement begegnen. Und wir wollen negative Entwicklungen frühzeitig erkennen. Aus Gesprächen mit der Branche weiß ich, auch viele Versicherer schätzen unsere entsprechenden Auswertungen.
Wir sehen, dass das Geschäft mit Cyberversicherungen stark wächst. Gerade deshalb erwarten wir von den Versicherern, dass sie sorgfältig vorgehen. Das heißt konkret: Eine umsichtige Zeichnungspolitik. Eine Tarifierung, die die hohe Unsicherheit berücksichtigt. Und angemessenen Rückversicherungsschutz.
Im europäischen Markt beobachten wir einen Trend zu innovativen und teils komplexen Rückversicherungskonstruktionen zum Risikotransfer. Diese Instrumente spielen eine wichtige Rolle in der Berechnung des Solvenzkapitals. Teilweise führen sie dabei zu einer hohen Entlastung. Weil solche Instrumente mittlerweile für etliche Unternehmen sehr relevant sind, werden wir uns mit der damit verbundenen Risikoreduktion und vor allem mit den Auswirkungen auf die Solvenzsteuerung auseinandersetzen.
Neben all diesen Themen behalten wir natürlich auch die Risiken in puncto IT und Cyberangriffe im Fokus. Wir alle wissen: Funktionierende, stabile und sichere IT-Systeme sind das Rückgrat der Versicherungsbranche. Doch leider folgen aus dieser Erkenntnis nicht immer die richtigen Taten. Viele Versicherer haben immer noch grundlegenden Verbesserungsbedarf bei den Prozessen ihres IT-Risikomanagements. Und auch veraltete Systeme sind immer noch ein Risikofaktor. Die Unternehmen müssen hier deutlich problembewusster werden. Sie müssen weiter in ihre IT und speziell in die IT-Sicherheit investieren.
Manch einer schreckt davor zurück. Die Kosten sind hoch und die Projekte sind langwierig. Aber das ist fahrlässig. Operationell, weil IT-Probleme den Geschäftsbetrieb empfindlich stören können. Aber auch strategisch. Denn Unternehmen, die nicht in moderne IT-Systeme investieren, gefährden ihre Wettbewerbsfähigkeit – und damit ihre eigene Zukunft.
Gleichzeitig ist die Bedrohung durch Cyber-Angriffe nach wie vor äußerst hoch. Dazu kommen die Risiken durch Konzentrationen von IT-Auslagerungen.
Wir erwarten von Ihnen, dass Sie die Risiken, die der technologische Wandel für Ihr Unternehmen mitbringt, ernst nehmen. Und dass Sie entsprechend handeln. Das ist Ihre Verantwortung. Auch gegenüber Ihren Kundinnen und Kunden.
Ein Thema darf natürlich nicht fehlen. Richtig, es geht um den Kundennutzen. Der Kundennutzen bleibt auch im Jahr 2025 absolut relevant. Wir werden die Wohlverhaltensaufsicht bei den Anbietern von kapitalbildenden Lebensversicherungsprodukten fortführen. Im nächsten Jahr wollen wir uns vor allem Unternehmen mit hohen Stornoquoten genauer ansehen. Insbesondere ihr Produktfreigabeverfahren. Wir werden prüfen, ob sich die Unternehmen mit hohen Stornoquoten an die Vorgaben unseres Merkblatts halten.
Außerdem wollen wir im Zuge der Wohlverhaltensaufsicht auch andere Sparten in den Blick nehmen. Denn der Grundsatz, dass Produkte Kundinnen und Kunden nutzen müssen, gilt universell. Wir werden im nächsten Jahr daher an einem Konzept arbeiten, mit dem wir die Wohlverhaltensaufsicht sinnvoll auf weitere Sparten erweitern können. Zum Beispiel auf die Schaden- und Unfallversicherer oder auf die substitutive Krankenversicherung.
Außerdem steht das Thema Bürokratieabbau weit oben auf unserer Aufgabenliste. Weniger Bürokratie, das entlastet sowohl Unternehmen als auch uns als Aufsicht.
Bei diesem Thema ist vor allem Europa gefragt. Sie wissen sicherlich: Die Kommission hat ihre Behörden dazu aufgefordert, die Belastung durch Berichtspflichten um 25 Prozent zu reduzieren. Wir werden hierzu Vorschläge einbringen, welche Berichtspflichten entfallen können. Die anstehenden Arbeiten im Rahmen des Solvency-II-Reviews auf Level zwei und drei bieten dafür eine gute Gelegenheit.
Natürlich gibt es auch in Deutschland viele Möglichkeiten, das Gestrüpp der bürokratischen Vorschriften zu trimmen. Deshalb haben wir dem Bundesfinanzministerium Vorschläge gemacht, die in den Referentenentwurf des „Zweiten Gesetzes zur Finanzierung von zukunftssichernden Investitionen“ eingeflossen sind. Wie es mit diesem Gesetz nun weitergeht, wird sich zeigen.
Aber: Bürokratieabbau ist leicht gefordert. Wer ist nicht dafür? Aber in der Praxis ist er nicht immer leicht umzusetzen.
Nehmen wir zum Beispiel die Berichtspflichten. Hier müssen wir abwägen: Welche Informationen sind denn überhaupt verzichtbar? Welche Daten sind auch künftig unabdinglich? Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass wir die Anforderungen aus dem Solvency-II-Review umsetzen müssen. Etwa zu makroprudenziellen Themen. Oder im Bereich Nachhaltigkeit. Außerdem müssen wir für eine gute Balance sorgen: Zwischen dem Bürokratieabbau und der Regulatorik für neue Risiken, wie z. B. im Bereich Cyber. Für solche neuen Risiken können neue Berichtspflichten sinnvoll sein.
Nichtsdestotrotz werden wir weiter daran arbeiten, den administrativen Aufwand zu senken, auch wenn es dafür einen langen Atem braucht. Bürokratieabbau bleibt auf unserer Agenda.
Neben all diesen aufsichtlichen Themen – dem Management der Kapitalanlagerisiken, Cyberrisiken, IT-Resilienz, Wohlverhalten und dem Bürokratieabbau – werden wir uns im kommenden Jahr unter anderem auch mit drei wichtigen Regulierungsthemen beschäftigen. Mit der weiteren Umsetzung des Solvency-II-Reviews. Mit der IRRD, der neuen Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Versicherungsunternehmen. Und mit der KI-Verordnung.
Doch immer der Reihe nach. Im Zuge des Solvency-II-Reviews gibt es eine ganze Reihe von Änderungen bei den quantitativen Anforderungen in Säule eins. Wir haben die Erarbeitung der EIOPA-Vorschläge in diesem Bereich intensiv unterstützt.
Besonders wichtig war uns, die Risikosensitivität der quantitativen Anforderungen zu stärken. Denn eine risikosensitive Ausgestaltung unterstützt das zentrale Ziel des Solvency-II-Rahmenwerks: Risiken frühzeitig zu identifizieren und realistisch einzuschätzen. Durch den Review wird die Risikosensitivität der Messung von Zinsrisiken in der Standardformel deutlich steigen. Das begrüßen wir sehr. Dieser Schritt war lange überfällig.
Insgesamt werden wir jedoch darauf achten, dass die Änderungen der Säule-1-Regelungen nicht zu einer Aufweichung der Kapitalanforderungen führen. Denn das könnte dazu führen, dass Unternehmen die tatsächlichen Risiken unterschätzen und damit den Schutz der Versicherungsnehmer gefährden. Und es könnte die Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit des Regelwerks beschädigen. Und den Schutz der Versicherten gefährden.
Der Solvency-II-Review bringt auch Änderungen beim Thema Proportionalität mit sich. Sie führen zu mehr Rechtssicherheit und vor allem zu mehr Transparenz. Kleine Unternehmen, die als small and non-complex undertakings eingestuft sind, können die gesetzlich vorgesehenen Erleichterungen automatisch anwenden. Dazu zählen beispielsweise eine niedrigere Frequenz beim narrativen Berichtswesen. Die Bündelung von Schlüsselfunktionen. Oder die Durchführung der unternehmenseigenen Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung ORSA nur alle zwei Jahre. Die übrigen Unternehmen können eine Genehmigung für diese Erleichterungen anstreben, wenn das Risikoprofil des jeweiligen Unternehmens diese Erleichterungen rechtfertigt. Wir setzen uns hier für möglichst einfache Verfahren ein, die eine flexible Handhabung unter klaren und risikoorientierten Prinzipien erlauben.
Aus aufsichtlicher Perspektive ist es wichtig, dass der Grundsatz der Proportionalität korrekt angewendet wird. Und dass die Erleichterungen nur Unternehmen bzw. Gruppen zugutekommen, die tatsächlich über ein relativ niedriges Risikoprofil verfügen. Denn die Ausnahmen betreffen wichtige Vorgaben, die unter anderem als Lehre aus der Finanzmarktkrise 2007/2008 eingeführt wurden. Wie zum Beispiel die Funktionstrennung bei Schlüsselfunktionen und den ORSA.
Das zweite Thema ist die neue Richtlinie zu Sanierung und Abwicklung von Versicherungsunternehmen, der Insurance Recovery and Resolution Directive, kurz IRRD. Damit beschäftigen wir uns intensiv. Sie wird einen harmonisierten Rechtsrahmen für die Sanierung und die Abwicklung von Versicherungsunternehmen in Europa schaffen. Damit ermöglicht sie eine vorausschauende Stärkung der Versicherungsunternehmen. Und ein schnelles Eingreifen in Stress- und Krisensituationen. Die IRRD wird grundsätzlich Anwendung auf alle Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen finden, die auch in den Anwendungsbereich der Solvency-II-Richtlinie fallen.
Aus deutscher Perspektive baut die Richtlinie das bestehende aufsichtliche Instrument der Sanierungsplanung aus. Die Sanierungsplanung soll sicherstellen, dass Aufsicht und Unternehmen auf mögliche Krisen vorbereitet sind. Dass sie also zum Beispiel Handlungsoptionen für den Krisenfall analysieren. Und diese anhand von denkbaren Krisenszenarien auch durchspielen.
Zudem ergänzt die Richtlinie unser behördliches Instrumentarium um die Abwicklungsplanung. Sie bereitet also auf einen möglichen Abwicklungsfall vor. Es geht darum zu analysieren, ob mit Hilfe von Abwicklungsinstrumenten die Abwicklungsziele erreicht werden können. Sollte ein Versicherungsunternehmen in Schieflage geraten, kann die Abwicklung an die Stelle der regulären Insolvenz treten. Vorausgesetzt, dass daran ein öffentliches Interesse besteht.
All dies ist wichtig für den Schutz der Versicherungsnehmerinnen und -nehmer. Und es ist wichtig um zu vermeiden, dass im Insolvenzfall öffentliche Mittel zur Rettung eingesetzt werden müssen.
Wir erwarten, dass die IRRD bis Ende 2024 in Kraft tritt. Der deutsche Gesetzgeber hat dann zwei Jahre Zeit, die Richtlinie in einem nationalen Gesetz umzusetzen. Gleichzeitig arbeiten die Kolleginnen und Kollegen der EIOPA an den entsprechenden Level-2- und Level-3-Rechtsakten. Hier sind wir als BaFin natürlich beteiligt. Wir setzen uns dafür ein, diese Regulierung möglichst schlank und effizient zu gestalten.
Natürlich steht auf unserer Agenda für das kommende Jahr auch das Thema Künstliche Intelligenz und Machine Learning sehr weit oben. Wie sicherlich auch bei vielen von Ihnen. Aus unseren Gesprächen mit Versicherern wissen wir: Die Unternehmen wollen KI- und Machine-Learning-Systeme an zahlreichen Stellen der Wertschöpfungskette nutzen. Viele entwickeln und testen zurzeit entsprechende Anwendungen. Denn strategisch und wirtschaftlich kann KI ja auch sehr sinnvoll sein.
Wir erwarten jedoch, dass die Versicherer neben allen Vorteilen auch die Risiken im Blick haben, die diese Technologien mit sich bringen. Denken Sie nur an die möglichen unerlaubten Diskriminierungen. Hochgradig automatisierte Entscheidungssysteme mit geringer menschlicher Überwachung können unerlaubte Diskriminierungen aufgreifen und sogar verstärken. Oder denken Sie an mögliche Halluzinationen, also Falschinformationen, von generativer KI.
Versicherungsunternehmen müssen solche Risiken managen. Dafür brauchen sie eine adäquate Governance, die alle aufsichtlich relevanten Risiken umfasst. Zu einer solchen Governance gehört es auch, regelmäßig zu prüfen: Sind die Ergebnisse unserer Systeme nachvollziehbar? Kann das Modellverhalten erklärt werden? Und: Sind die Daten, die wir verwenden, repräsentativ, hochwertig und ausgewogen? Außerdem müssen Menschen die Entscheidungsprozesse weiterhin kontrollieren können - und bei Bedarf eingreifen.
Aus unserer Aufsichtspraxis wissen wir auch: Die Entwicklung solcher Governance-Rahmenwerke ist bei den Versicherern unterschiedlich weit gediehen.
Mit der KI-Verordnung verfügen wir in Europa nun über einen regulatorischen Rahmen für KI. Sie soll Rechtssicherheit schaffen. Ab dem 2. August 2026 sind alle Regelungen vollständig anzuwenden.
Wir arbeiten zurzeit in einer Arbeitsgruppe der EIOPA mit daran, noch offene Aspekte hinsichtlich der KI-Verordnung zu klären. Dabei achten wir auch auf Konvergenz. Denn wir wollen, dass die KI-Systeme der Versicherer in ganz Europa nach einheitlichen Maßstäben beaufsichtigt werden.
Die BaFin wird mit hoher Wahrscheinlichkeit die Hochrisiko-KI-Systeme bei Banken und Versicherungen beaufsichtigen. Sofern diese Systeme genutzt werden, um Finanzdienstleistungen zu erbringen. Also etwa KI-Anwendungen für die Risikobewertung und die Preisbildung in Bezug auf natürliche Personen bei Lebens- und Krankenversicherungen. Wir werden vor der vollständigen Umsetzung der KI-Verordnung auf die Unternehmen zugehen – und darauf hinwirken, dass sie die neuen Anforderungen rechtzeitig erfüllen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich möchte, dass Sie heute drei Punkte mitnehmen.
Erstens: Die deutschen Versicherer sind aktuell wirtschaftlich stabil. Auch wenn die Rahmenbedingungen nicht einfach sind. Die BaFin achtet darauf, dass die Unternehmen die Aufgaben, die sie bewältigen müssen auch wirksam angehen.
Zweitens: Wir werden auch im nächsten Jahr wichtige Regulierung mitgestalten. Zum Beispiel die nächsten Maßnahmen im Zuge des Solvency-II-Reviews, die IRRD und die weitere Umsetzung der KI-Verordnung. Gleichzeitig achten wir, wo immer das möglich ist, auch auf eine möglichst schlanke und effiziente Gestaltung von Regelwerken und Prozessen.
Drittens setzen wir klare Prioritäten in der Aufsicht: Wir wollen die Zukunftsfähigkeit und die Stabilität der Versicherer stärken. Und die Wohlverhaltensaufsicht weiterentwickeln.
Ein Aspekt ist mir dabei besonders wichtig. Wir alle müssen mit den gleichen Unwägbarkeiten umgehen. Mit einer schwachen Konjunktur. Mit geopolitischen Risiken. Mit dem rasanten technologischen Fortschritt. Niemand hat dafür ein Patentrezept. Deshalb ist es wichtig, dass wir miteinander im Gespräch bleiben. Und vor allem: voneinander lernen. Ich freue mich auf den Austausch mit Ihnen.