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Bild des Präsidenten der BaFin, Mark Branson © BaFin/Matthias Sandmann

Erscheinung:02.06.2025 „Wir brauchen einen großen, tiefen und liquiden Kapitalmarkt.“

Rede von Präsident Mark Branson bei der BaFin-Kapitalmarktkonferenz am 02. Juni 2025 in Frankfurt am Main

Es gilt das gesprochene Wort!

750 bis 800 Milliarden Euro. Jedes Jahr, bis 2030. So viel muss Europa zusätzlich investieren, um dem Klimawandel, den technologischen Umbrüchen und der neuen geopolitischen Lage zu begegnen. Zumindest laut dem Bericht von Mario Draghi zur Wettbewerbsfähigkeit der EU.

Die öffentliche Hand kann diesen Investitionsbedarf nicht allein stemmen. In einigen Ländern liegt die Staatsverschuldung ja bereits heute erheblich über der 60-Prozent-Schwelle des Stabilitäts- und Wachstumspakts.

Ein Großteil der zusätzlich erforderlichen Investitionen wird von kleinen und mittleren Unternehmen bzw. sehr innovativen Firmen kommen müssen. Die können ihren Investitionsbedarf nicht alleine durch Bankfinanzierungen decken. 

Bleibt der Kapitalmarkt. Wir brauchen einen großen, tiefen und liquiden Kapitalmarkt. In Deutschland und in Europa. Den haben wir noch nicht. Der europäische Kapitalmarkt ist heute immer noch fragmentiert und ineffizient. Wir haben nicht einen Markt, wir haben 27 Märkte.

Die EU-Kommission hat vor kurzem eine Strategie zur Savings and Investment Union vorgelegt, um die hohen Bankeinlagen verstärkt in Kapitalmarktinvestitionen zu leiten. Ich freue mich über diese politische Dynamik. Für die nächsten Monate hat die Kommission konkrete Maßnahmen und Gesetzesvorschläge angekündigt. Darüber zu entscheiden ist natürlich Aufgabe der Politik.

Unsere Rolle als Aufsicht ist eine andere. Wir sind ja so etwas wie Schiedsrichter. Wir schauen, dass sich die Spieler an die Regeln halten. Uns ist es wichtig, dass diese Regeln, die Finanzmarktregulierung, möglichst wirksam und möglichst effizient gestaltet ist. Also Fouls und Tricksereien unterbindet, ansonsten aber Höchstleistungen zulässt.

Heute wird es auch um die Frage gehen, was wir brauchen, damit die deutschen und europäischen Kapitalmärkte gut aufgestellt sind für die Zukunft. Ich freue mich daher, dass Sie alle zu unserer ersten Kapitalmarktkonferenz gekommen sind.

Herzlich willkommen!

Als Aufseherinnen und Aufsehern haben wir einen klaren gesetzlichen Auftrag. Unser Hauptziel ist es, ein funktionsfähiges, stabiles und integres Finanzsystem zu gewährleisten. Die Wertpapieraufsicht ist einer unserer zentralen Aufsichtsbereiche. Die Kolleginnen und Kollegen sollen sicherstellen, dass es an den deutschen Wertpapiermärkten transparent und fair zugeht. Und dass Kapitalverwaltungsgesellschaften und Wertpapierinstitute ihr Geschäft ordentlich betreiben.

Wenn Sie regelmäßig mit der BaFin zu tun haben, haben Sie es wahrscheinlich gemerkt: In den vergangenen Jahren seit 2021 hat sich bei uns einiges geändert. Uns war es damals wichtig, uns nicht treiben zu lassen von den Entwicklungen im Finanzsektor. Wir wollen mutig und vorausschauend handeln.

Wir haben daher einen recht umfassenden Entwicklungsprozess angestoßen – und dabei vieles an der Art und Weise, wie wir Aufsicht betreiben angepasst und verändert. Ich möchte kurz auf zwei Aspekte eingehen, die mit Blick auf die Kapitalmärkte relevant sind.

Wie für Sie alle, spielt auch für uns Technologie eine immer wichtigere Rolle. Auch in der Marktmissbrauchsaufsicht. Unsere Kolleginnen und Kollegen haben dafür unser Alarm- und Marktanalysesystem ALMA entwickelt. Das soll uns helfen, auffälliges Handelsverhalten an Börsen und Märkten zu erkennen. Seit dem vergangenen Jahr setzen wir dazu auch KI ein. Das Team hat ALMA um einen Machine-Learning-Algorithmus ergänzt.

Diesen Algorithmus haben die Kolleginnen und Kollegen mit realen Datensätzen aus den letzten fünf Jahren trainiert. Er unterstützt nun die Aufdeckung von Marktmissbrauch. Wir sehen bereits, dass die Ergebnisse unseres Analysesystems dadurch genauer geworden sind. Natürlich evaluieren wir die eingesetzten Algorithmen. Und wir entwickeln sie kontinuierlich weiter – so bringen wir unsere datenbasierte Aufsicht weiter voran. 

Neu etabliert haben wir in den vergangenen Jahren auch unsere einstufige Bilanzkontrolle. Das war ein wichtiger Meilenstein für die Wertpapieraufsicht. Dadurch haben wir die vollständige Kontrolle über das Prüfungsgeschehen und können in allen Prüfungsphasen hoheitliche Mittel einsetzen.

In der Bilanzkontrolle geht es um Transparenz. Und um Integrität. Denn ohne korrekte, aussagekräftige Unternehmensabschlüsse gibt es keinen fairen und effizienten Kapitalmarkt. Die Teams unserer Bilanzkontrolle arbeiten risikoorientiert. Sie schauen gezielt dort näher hin, wo wir die größten Risiken erwarten. Im vergangenen Jahr haben die Kolleginnen und Kollegen 46 Bilanzprüfungen abgeschlossen, 2023 waren es 42 und 2022 40 angeschlossene Verfahren.  

Außerdem machen wir wichtige Maßnahmen der Bilanzkontrolle transparent. Wenn wir zum Beispiel eine Anlassprüfung anordnen, geben wir das grundsätzlich öffentlich bekannt. 2024 haben wir das viermal gemacht. Außerdem haben wir zehn Fehlerfeststellungen bekanntgegeben, nach 14 im Jahr 2023. Damals haben wir zudem zwei Teilfehlerfeststellungen veröffentlicht.

In manchen Fällen warten wir nicht bis eine Bilanzprüfung abgeschlossen ist. Zum Beispiel, wenn sich bereits während einer laufenden Prüfung ein konkreter wesentlicher Rechnungslegungsfehler ergibt. Dann informieren wir den Markt frühzeitig. Diese Transparenz ist wichtig. Sie soll Vertrauen schaffen in unsere Arbeit. Und sie soll präventiv wirken.

Diese zwei Beispiele zeigen, wie sich unsere Wertpapieraufsicht weiterentwickelt hat. Sie ist deutlich vorausschauender, mutiger und auch transparenter geworden. Der Veränderungsprozess der BaFin ist bei Weitem nicht abgeschlossen. Wir können in vielem noch besser werden. Aber die Richtung stimmt.

Kommen wir damit zurück zu der Frage, um die es heute noch öfter gehen wird: Was brauchen wir, damit die deutschen und europäischen Kapitalmärkte gut aufgestellt sind für die Zukunft?

Aus meiner Perspektive müssen wir Bürokratie abbauen und mehr Proportionalität ermöglichen. Regulierung und Aufsicht in Europa haben – insgesamt betrachtet – in den vergangenen Jahren gut funktioniert. Wir können dieses europäische System von Regulierung und Aufsicht jedoch deutlich effizienter gestalten. Und zwar ohne das Sicherheitsniveau zu senken. Und das ist wichtig, wenn wir das große Potenzial nutzen wollen, das ja in den europäischen Kapitalmärkten steckt.

Wir sollten, zum Beispiel, die Komplexität unserer Regulierung reduzieren. Also nicht alles bis ins letzte Detail vorgeben. Wo immer wir keine detaillierte regelbasierte Regulierung brauchen, sollten wir sie prinzipienbasiert gestalten. Das schafft Freiräume – für die Unternehmen, aber auch für uns als Aufsicht. Wir können dann viel schneller auf neue Entwicklungen reagieren. Außerdem sollten wir Regulierung möglichst klar und verständlich halten.

Nehmen Sie die europäische Nachhaltigkeitsregulierung als Beispiel. Die meisten von Ihnen werden mir zustimmen. Diese Regelwerke können deutlich effizienter gestaltet werden. In diesem Sinne passiert ja auch einiges. Sie alle kennen die Omnibus-Vorschläge der Kommission. Aber auch darüber hinaus könnten wir noch einiges besser machen. Ich denke da vor allem an die Offenlegungsverordnung.

Hier brauchen wir zum Beispiel, klare, verständliche Produktkategorien, die dann auch den Erwartungen von Anlegerinnen und Anleger entsprechen, die ihr Geld in nachhaltigen Investments anlegen möchten.

Mehr Effizienz, das heißt auch, dass wir Regulierung und auch Aufsicht proportionaler gestalten sollten. Also etwa angemessen für die Größe und die Risikosituation eines Unternehmens. Proportionale Regulierung ist keine laxe Regulierung. Natürlich müssen wir an hohen Standards festhalten. Aber Regeln dürfen mittlere und kleinere beaufsichtigte Unternehmen auch nicht überfordern.

Komplexität reduzieren, mehr Proportionalität zulassen, das sind in erster Linie Aufgaben für den Gesetzgeber. Wir haben an seine Adresse dazu sehr konkrete Vorschläge gemacht. Zum Beispiel, das Mitarbeiter- und Beschwerderegister abzuschaffen. Diesen Vorschlag, mit mehreren anderen, hat das BMF in den Entwurf des Zukunftsfinanzierungsgesetzes II aufgenommen. Das konnte in der vergangenen Legislaturperiode nicht mehr beschlossen werden. Wir sind zuversichtlich, dass die Ideen jetzt von der neuen Regierung umgesetzt werden können.

Aber natürlich wollen wir nicht nur mit dem Finger auf andere zeigen. Gerade weil wir Forderungen aufstellen, müssen wir auch bereit sein, unsere eigenen Regeln und Prozesse zu hinterfragen. Und das tun wir auch.

Thorsten Pötzsch und sein Team in der Wertpapieraufsicht sind große Verfechter einfacher und effizienter Prozesse. Und sie setzen das auch um. Zum Beispiel durch beschleunigte Aktienprospektverfahren. Seit August 2024 bieten wir das an. Dadurch kann sich die Verfahrensdauer von Ersteinreichung bis Billigung deutlich verringern, von zehn bis zwölf auf sechs bis acht Wochen.

Bürokratie reduzieren, mehr Proportionalität ermöglichen – das sind jetzt Daueraufgaben für die BaFin. Wir werden uns unsere eigenen Regelungen und Verfahren regelmäßig anschauen. Und wir werden dem nationalen und europäischen Gesetzgeber immer wieder Vorschläge machen, an welchen Stellen Regeln angepasst oder zurückgenommen werden könnten. Das gilt natürlich auch für die Kapitalmarktregulierung.

Wir brauchen eine wirksame und effiziente Regulierung. Und diese Regulierung müssen wir dann europaweit auch nach einheitlichen Maßstäben durchsetzen. Regulierungskonvergenz reicht nicht, wir brauchen auch Konvergenz in der Finanzaufsicht. Also: ein Level-Playing-Field in der Aufsicht – und kein Race to the Bottom.

Aufsichtsbehörden dürfen sich keinen Standortwettbewerb liefern, indem sie Unternehmen mit besonders toleranter Aufsicht locken. Denken Sie zum Beispiel an Unternehmen mit digitalen, leicht skalierbaren Geschäftsmodellen. Für die ist es ein Leichtes, Unterschiede in der Anwendung der EU-Regulierung auszunutzen. Das dürfen wir nicht zulassen.

Das Passporting ist eine große Errungenschaft. Aber es bringt auch Verpflichtungen mit sich. Und wenn diese Pflichten nicht eingehalten werden, sollten die europäischen Aufsichtsbehörden eingreifen können. Und als ultima ratio muss es möglich sein, den grenzüberschreitenden Vertrieb von Produkten oder Dienstleistungen zu beschränken.

Wer über einheitliche Maßstäbe in der Aufsicht nachdenkt, kommt natürlich an einer Frage nicht vorbei: Wäre nicht eine weitere Zentralisierung der Finanzsaufsicht auf europäischer Ebene die Lösung? Dazu gibt es ja einige Vorschläge. Wir müssen uns jedoch klarmachen: Eine weitere Europäisierung der Finanzaufsicht macht die Märkte nicht per se tiefer, liquider und effizienter. Entscheidende Hürden wie unterschiedliche Marktstrukturen und Rechtsrahmen würde das nicht aus dem Weg räumen.

Aber Zentralisierung kann sinnvoll sein, wenn Aufgaben auf EU-Ebene effektiver und effizienter erledigt werden können. Mehrwert bringt eine zentrale europäische Aufsicht bei systemrelevanten Unternehmen, die in mehreren Ländern aktiv und stark vernetzt sind. Der einheitliche europäische Aufsichtsmechanismus für große Banken, der SSM, ist dafür ein gutes Beispiel.

Deswegen könnten wir beispielsweise auch bei Clearinghäusern über eine zentrale EU-Aufsicht nachdenken. Das sind riesige Player. Fällt ein Clearinghaus aus, stehen Milliarden im Feuer.

Jedoch sollte vor jeder Zentralisierung geklärt sein, wer im Ernstfall einspringt: Aufsicht, Abwicklung und Haftung sollten auf derselben Ebene verortet sein. Und: Es darf nicht zu Effizienzverlusten kommen. Das ist ja ironischerweise eine der Gefahren bei der Zentralisierung von Aufsicht, dass am Ende mehr Ressourcen gebraucht werden als vorher. 

Meine Damen und Herren,

der Weg hin zu einem großen, tiefen und liquiden europäischen Kapitalmarkt ist noch weit. Dazu gibt es viele Ideen. Wir werden heute sicher noch einiges dazu hören. Für mich sind jetzt drei Dinge wichtig. Erstens, dass wir die europäische Finanzmarktregulierung klarer effizienter und weniger komplex gestalten, ohne das Sicherheitsniveau zu senken.  

Zweitens, dass wir europaweit in der Aufsicht die gleichen Maßstäbe anlegen. Und drittens, dass wir hier in Deutschland eine starke Wertpapieraufsicht haben, die jeden Tag für ordentliche, faire und transparente Verhältnisse am Kapitalmarkt sorgt.

Ihnen allen einen interessanten und anregenden Konferenztag!

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