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Bild von Exekutivdirektorin Versicherungsaufsicht, Julia Wiens © BaFin/Matthias Sandmann

Erscheinung:26.06.2025 „Wir wollen noch mehr Proportionalität“

Mit dem jüngsten Review hat der europäische Gesetzgeber das Proportionalitätsprinzip stärker in der Solvency-II-Richtlinie verankert. Julia Wiens, Exekutivdirektorin Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht, erklärt, von welchen Erleichterungen kleinere Versicherer profitieren und wie die BaFin proportionalere Ansätze in Regulierung und Aufsicht voranbringt.

Frau Wiens, der Solvency-II-Review, der Ende Januar in Kraft getreten ist, bringt für kleine Versicherer einige Erleichterungen mit sich. Warum ist es wichtig, dass Regulierung proportional gestaltet ist?

Der deutsche Versicherungssektor ist sehr vielfältig. Wir haben große Konzerne, aber auch kleinere regionale Anbieter. Dazu kommen erhebliche Unterschiede zwischen den Risikoprofilen der Unternehmen. Komplexe Unternehmen mit vielfältigen Risiken können die komplexen Anforderungen der Solvency-II-Regulierung organisatorisch und personell besser bewältigen. Kleinere Anbieter können davon hingegen schnell überfordert sein. Regulierung muss das berücksichtigen. Sie sollte angemessen sein für Größe und Risikoprofil eines Unternehmens. Das meinen wir, wenn wir von Proportionalität sprechen. So können wir die Verhältnismäßigkeit wahren, übermäßige Belastungen vermeiden und das aufsichtliche Sicherheitsniveau aufrechterhalten.

 Proportionalität ist aber nichts Neues für die europäische Versicherungsaufsicht, oder?

Proportionalität hatte in der Versicherungsaufsicht schon mit der Einführung von Solvency II einen großen Schub bekommen, auch für unsere Arbeit als Aufsicht. Wir haben zum Beispiel drei Versionen der MaGo veröffentlicht, unseres Rundschreibens zu den „Aufsichtsrechtlichen Mindestanforderungen an die Geschäftsorganisation von Versicherungsunternehmen“. Eine für die Unternehmen, die der Solvency-II-Richtlinie unterliegen, eine für kleinere Versicherer, für die noch die Regeln von Solvency I gelten, und eine für Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung. Für uns war aber klar: Wir wollen noch mehr Proportionalität – und das hat der Review auch ermöglicht.

 Was sind die wichtigsten Erleichterungen aus dem Review für kleinere, wenig komplexe Versicherungsunternehmen?

Wichtig ist zunächst einmal, dass wir jetzt gesetzliche Klarheit darüber haben, welche Unternehmen konkrete Erleichterungen in Anspruch nehmen können. Das sind künftig alle Versicherer, die bestimmte Kriterien erfüllen, die small and non-complex undertakings oder SNCUs. Diese Klarheit hilft uns in der Praxis ungemein und sie stärkt die Transparenz in ganz Europa.

Für die SNCUs wird es ab 2027 Erleichterungen bei der Berechnung der Kapitalanforderungen mit der Standardformel geben. Unter bestimmten Bedingungen dürfen diese Unternehmen für maximal fünf Jahre vereinfachte Berechnungen für immaterielle Risikomodule verwenden, also für bestimmte Risiken, die für das Unternehmen eine geringe Bedeutung haben. SNCUs dürfen unter bestimmten Voraussetzungen zudem eine Person als intern Verantwortliche oder Verantwortlichen für mehrere Schlüsselfunktionen benennen. Sie können auch eine Doppelfunktion zulassen, so dass eine Person als Mitglied der Geschäftsleitung und als intern Verantwortliche bzw. Verantwortlicher für eine Schlüsselfunktion fungiert. Für die europäische Aufsichtspraxis ist das ein großer Fortschritt. In Deutschland ermöglichen wir es seit längerem, Schlüsselfunktionen und Geschäftsleiterpositionen zu bündeln. Wir waren hier als BaFin Vorreiter.

 Wo besteht Ihrer Ansicht nach noch Potenzial, mehr Proportionalität zuzulassen?

Proportionalität bedeutet für uns mehr als nur die Anwendung spezifischer Erleichterungen für SNCUs. Sie ist ein durchgängiger Grundsatz der Aufsicht, der auch außerhalb dieses Rahmens zur Geltung kommt. Insoweit haben wir als Aufsicht viele Möglichkeiten, proportional vorzugehen. Zum Beispiel können grundsätzlich auch andere Versicherer, die nicht als SNCU eingestuft sind, allgemeine Erleichterungen jenseits des SNCU-Rahmens in Anspruch nehmen, ohne dass es einer ausdrücklichen Genehmigung bedarf. Maßgeblich dafür bleibt das jeweilige Risikoprofil. Das beurteilen wir individuell.

 Was macht die BaFin, um Proportionalität weiter in der Regulierung zu verankern?

Die Europäische Kommission arbeitet zurzeit an den Level-2-Rechtsakten des Solvency-II-Reviews. Dabei geht es auch um die Konkretisierung der Kriterien, die Nicht-SNCUs erfüllen müssen, um Erleichterungen in Anspruch zu nehmen. Hier wollen wir dazu beitragen, die Kriterien möglichst einfach und unbürokratisch zu gestalten bzw. umzusetzen. Schon bei den Arbeiten auf Level 1, also an der Solvency-II-Richtlinie selbst, haben wir uns dafür eingesetzt, die Schwellenwerte für die Anwendung der Richtlinie anzuheben. Und das erfolgreich. Einige Unternehmen, die heute noch unter Solvency II fallen, werden das künftig nicht mehr. Damit entfallen für sie ab 2027 auch die Vorgaben aus DORA, der Verordnung über die digitale operationale Resilienz im Finanzsektor. Für diese Unternehmen ist mir eine pragmatische und unbürokratische Lösung wichtig. Deshalb werden wir in der Übergangsphase bis zur Umsetzung der Solvency-II-Änderungen in deutsches Recht keine aufsichtlichen Maßnahmen ergreifen, wenn diese Versicherer DORA-Vorgaben nicht erfüllen.

Wir wollen ganz grundsätzlich die Möglichkeiten der prinzipienorientierten Aufsicht stärker ausschöpfen, die uns Solvency II bietet, besonders in Säule zwei, um hier mehr Konsistenz zu erreichen. Mehr Prinzipienorientierung, das bedeutet, dass die Einschätzung der Aufseherinnen und Aufseher größeres Gewicht erhält. Und das heißt, dass wir uns intensiver mit den Versicherungsunternehmen austauschen müssen.

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