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Erscheinung:20.09.2013 | Geschäftszeichen VA 43 – I 2512 – 2013/0007 | Thema Verbraucherschutz Rundschreiben 3/2013 (VA) - Mindestanforderungen an die Beschwerdebearbeitung durch Versicherungsunternehmen

Rundschreiben 3/2013 (VA) - Beschwerdebearbeitung durch Versicherungsunternehmen

A. Vorbemerkungen

An alle zum Geschäftsbetrieb zugelassenen Erstversicherungsunternehmen

a) mit Sitz im Inland,
b) im Sinne des § 105 Versicherungsaufsichtsgesetz,
c) im Sinne des § 110a Versicherungsaufsichtsgesetz und
d) im Sinne des § 110d Versicherungsaufsichtsgesetz

mit Ausnahme der Pensionskassen. Pensionsfonds und Rückversicherer fallen ebenfalls nicht in den Anwendungsbereich dieses Rundschreibens.

Am 14. Juni 2012 hat die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersvorsorge (European Insurance and Occupational Pensions Authority – EIOPA) ihre Leitlinien zur Beschwerdebearbeitung durch Versicherungsunternehmen (Guidelines on Complaints-Handling by Insurance Undertakings, EIOPA-BoS-12/069) veröffentlicht. Sie sind am gleichen Tag in Kraft getreten. Die Leitlinien enthalten die aus Sicht von EIOPA notwendigen Mindeststandards für die Beschwerdebearbeitung.

Dieses Rundschreiben dient der Umsetzung der Leitlinien in die nationale Aufsichtspraxis und ergänzt die Sammelverfügung vom 20.09.2013 – Anordnungen betreffend die Einrichtung einer Beschwerdemanagementfunktion und die aufsichtlichen Informationspflichten der Versicherungsunternehmen im Bereich der Beschwerdebearbeitung (Geschäftszeichen: VA 43-I 2512-2012/0007).

Die Versicherungsunternehmen sollten, auch wenn der Anwendungsbereich dieses Rundschreibens nicht eröffnet ist, auf Beschwerden grundsätzlich angemessen reagieren und – soweit möglich – auf das für die Beschwerdebearbeitung zuständige Unternehmen verweisen.

B. Mindestanforderungen an die Beschwerdebearbeitung durch Versicherungsunternehmen

B.1. Allgemeines – Definitionen

Der rechtlich korrekte und faire Umgang mit dem Kunden stellt einen wichtigen Aspekt des Verbraucherschutzes dar. Gemäß § 64a Abs. 1 Satz 1 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) müssen die Versicherungsunternehmen über eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation verfügen, welche die Einhaltung der von ihnen zu beachtenden Gesetze und Verordnungen sowie der aufsichtsbehördlichen Anforderungen gewährleistet. Eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation setzt gemäß § 64a Abs. 1 Satz 3 VAG insbesondere ein angemessenes Risikomanagement voraus. Eine gut funktionierende und transparente Beschwerdebearbeitung, einschließlich deren angemessener Dokumentation, gehört zu den Bausteinen eines wirksamen Risikomanagementsystems. Das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) i.V.m. der auf Grundlage von § 7 Abs. 2 VVG erlassenen Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen (VVG-InfoV) stellen ebenfalls Anforderungen an diesen Bereich.
Soweit die Mindestanforderungen an die Beschwerdebearbeitung prinzipienbasierte Zielvorgaben enthalten, sind diese unter Berücksichtigung der unternehmensindividuellen Risiken, der Art und des Umfangs des jeweiligen Geschäftsbetriebes sowie der Komplexität des gewählten Geschäftsmodells des Versicherungsunternehmens zu erfüllen. Generell gilt, dass diese Mindestanforderungen ein bestimmtes (Verbraucher-)Schutzniveau für Versicherte bzw. Versicherungsnehmer bezwecken, welches nicht unterschritten werden darf.

Für die in diesem Rundschreiben aufgeführten Mindestanforderungen bestehen folgende definitorischen Vorgaben:

a) Beschwerde

Als Beschwerde gilt die von einer Person gegenüber einem Versicherungsunternehmen geäußerte Unzufriedenheit im Hinblick auf den Versicherungsvertrag oder eine ihr gebotene Dienstleistung. An Versicherungsunternehmen gerichtete Beschwerden, die einen Vermittlerbezug aufweisen, werden hiervon ebenfalls erfasst. Die Bearbeitung von Beschwerden ist zu unterscheiden von der Schadenbearbeitung wie auch von einfachen Ersuchen um Vertragserfüllung, Informationen oder Klärung.

Dabei muss eine Beschwerde, um als solche zu gelten, nicht zwangsläufig mit dem Wort „Beschwerde“ überschrieben sein.

b) Beschwerdeführer

Als Beschwerdeführer gilt eine Person, die mutmaßlich einen Anspruch darauf hat, dass ein Versicherungsunternehmen ihre Beschwerde prüft, und die bereits eine Beschwerde eingereicht hat, z.B. ein (potentieller) Versicherungsnehmer, ein Versicherter, ein Begünstigter, ein geschädigter Dritter.

B.2. Interne Leitlinien zur Beschwerdebearbeitung

Die Versicherungsunternehmen sehen interne Leitlinien zur Beschwerdebearbeitung vor. Diese Leitlinien werden von der Geschäftsleitung des Versicherungsunternehmens festgelegt und gebilligt. Die Geschäftsleitung ist auch für die Umsetzung und die Überwachung der Einhaltung der internen Leitlinien verantwortlich.

Die internen Leitlinien sind schriftlich niederzulegen. Sie müssen sich auf den Umgang mit den Beschwerdeführern beziehen. Die internen Leitlinien sind allen mit der Beschwerdebearbeitung befassten Mitarbeitern des Versicherungsunternehmens über geeignete interne Wege zugänglich zu machen.

Die internen Leitlinien sollten – soweit wie möglich – Prozesse für folgende Bereiche vorsehen:

a) Beschwerdeeinreichung:

Die Einreichung einer Beschwerde sollte auf allen allgemein üblichen Wegen möglich sein (mündlich, schriftlich, in Textform, durch den Beschwerdeführer selbst oder dessen Vertreter). Für den Prozess der Beschwerdeeinreichung sollte das Unternehmen die definitorischen Vorgaben unter B.1. a) und b) zu den Begriffen „Beschwerde“ und „Beschwerdeführer“ mit einer unternehmensindividuellen Interpretation hinterlegen und dadurch operationalisieren.

b) Beschwerdebearbeitung:

Die internen Leitlinien sollten insbesondere Fristen für die Beschwerdebearbeitung vorsehen. In ihnen sollten auch die Maßstäbe für eine rechtlich korrekte und faire Behandlung der Beschwerdeführer niedergelegt sein. Des Weiteren sollten die internen Leitlinien auch auf die datenschutzrechtlichen Anforderungen bei der Beschwerdebearbeitung eingehen und aufzeigen, wie diese korrekt erfüllt werden. Sie sollten zudem Vorgaben enthalten, wie mögliche Interessenkonflikte bei der Beschwerdebearbeitung identifiziert und bestmöglich vermieden oder gemanagt werden können. Die internen Leitlinien sollten dafür Sorge tragen, dass Beschwerden zügig, rechtlich korrekt, fair, effizient und unter gleichmäßiger Anwendung von vorher festgelegten Kriterien bearbeitet werden.

c) Schulungen:

Die internen Leitlinien sollten ein adäquates Training der mit der Beschwerdebearbeitung befassten Personen regeln.

d) Einhaltung der internen Leitlinien:

Die internen Leitlinien sollten Prozesse für die Überwachung ihrer Einhaltung, die Weiterverfolgung von Maßnahmen zu deren Einhaltung und auch ein diesbezügliches internes Berichtswesen enthalten.


Die Gestaltungsfreiheit der Versicherungsunternehmen bei der konkreten unternehmensinternen Umsetzung/Operationalisierung der internen Leitlinien wird durch die vorgenannten Mindestanforderungen nicht berührt.

B.3. Beschwerdemanagementfunktion

Die Versicherungsunternehmen haben gemäß der Sammelverfügung vom 20.09.2013 (Geschäftszeichen: VA 43-I 2512-2013/0007) eine Beschwerdemanagementfunktion einzurichten, die Beschwerden rechtlich korrekt und fair untersucht sowie mögliche Interessenkonflikte identifiziert und bestmöglich vermeidet bzw. managt. Dabei sollten die Unternehmen mindestens eine erfahrene Person auswählen, die – soweit wie möglich – direkt unterhalb der Geschäftsleiterebene für die ordnungsgemäße Wahrnehmung ihrer Aufgaben im Rahmen der Beschwerdebearbeitung verantwortlich ist.

Die Einhaltung der internen Leitlinien zur Beschwerdebearbeitung ist – ungeachtet der Verantwortung der Geschäftsleitung hierfür – von der Beschwerdemanagementfunktion zu gewährleisten. Darüber hinaus sollte sie – soweit wie möglich – den notwendigen internen Informationsfluss und die notwendigen internen Berichtslinien, insbesondere zur Geschäftsleitung, sicherstellen und die Beschwerdebearbeitung fortlaufend auf Effektivität und Effizienz hin kontrollieren.

Die Beschwerdemanagementfunktion kann grundsätzlich zentral oder dezentral ausgestaltet werden; die erforderliche Analyse (Ziffer B.6., Satz 1) kann jedoch nur zentral erfolgen. Die Verantwortlichkeit und die einzelnen Zuständigkeiten sind klar zu benennen. Die Beschwerdemanagementfunktion soll bestmöglich frei von Interessenkonflikten aufgestellt sein.

B.4. Registrierung

Beschwerden sind unternehmensintern zeitnah und auf eine dem Beschwerdeaufkommen entsprechend angemessene Weise (zum Beispiel in Form eines sicheren elektronischen Registers) sowie sicher (Datenschutz/Datensicherheit) zu registrieren. Erfasst werden sollten – soweit wie insbesondere rechtlich möglich –:

a) der Gegenstand der Beschwerde und der Versicherungszweig (Leben (unterteilt in Beschwerden zu Verträgen mit und ohne Garantien), Kranken, Kraftfahrt, Unfall, Haftpflicht, Rechtsschutz, Gebäude/Hausrat, Sonstige Zweige), auf den sich die Beschwerde bezieht,

b) die Stammdaten des Beschwerdeführers,

c) die Daten zum Eingang und zur Bearbeitung/Beantwortung der Beschwerde,

d) das Ergebnis des Beschwerdeverfahrens.

Die Beschwerdedokumentation sollte – soweit wie möglich – für einen angemessenen Zeitraum sicher (Datenschutz/Datensicherheit) archiviert werden. Sofern und soweit sich Beschwerden auf Mitarbeiter des Versicherungsunternehmens oder im Falle der Ausgliederung auf Mitarbeiter des Dienstleisters beziehen, bleiben arbeitnehmerschutzrechtliche Aspekte unberührt.

B.5. Informationspflicht

Die Versicherungsunternehmen sind gemäß der Sammelverfügung vom 20.09.2013 (Geschäftszeichen: VA 43-I 2512-2013/0007) verpflichtet, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) gegenüber einen Beschwerdebericht zu erstatten.

Im Übrigen wird erwartet, dass die Versicherungsunternehmen ihre Einflussmöglichkeiten nutzen, um auch über Beschwerden Kenntnis zu erlangen, die bei ihren gebundenen Vermittlern im Sinne von § 34d Abs. 4 Gewerbeordnung (GewO) eingehen, dass auch diese Beschwerden in ihr unternehmensinternes Beschwerdesystem einfließen und dass sie die BaFin auch über dieses Beschwerdeaufkommen informieren. Nur so wird das Beschwerdeaufkommen vollständig abgebildet und die umfassende Beschwerdebearbeitung unabhängig davon gewährleistet, ob Beschwerden beim Vermittler oder beim Versicherungsunternehmen eingehen.

B.6. Interne Weiterverfolgung der Beschwerdebearbeitung

Die Versicherungsunternehmen haben die Daten zur Beschwerdebearbeitung fortlaufend zu analysieren (Beschwerdeanalyse), um zu gewährleisten, dass wiederholt auftretende oder systematische Probleme sowie potenzielle rechtliche und operationelle Risiken festgestellt und behoben werden. Folgende Maßnahmen kommen dabei in Betracht:

a) Erfassung und Analyse der Hintergründe jeder einzelnen Beschwerde, um Grundursachen zu ermitteln, die bestimmten Arten von Beschwerden gemein sind;

b) Überlegungen, ob diese Grundursachen auch andere Prozesse oder Produkte beeinflussen könnten, auch solche, über die keine direkten Beschwerden vorliegen;
und

c) Beseitigung der Grundursachen, sofern dies sinnvoll erscheint.

Gewährleistet sein sollte – soweit wie möglich –, dass alle relevanten Unternehmensbereiche die für ihre Aufgabenbereiche erforderlichen Informationen über wiederholt auftretende oder systematische Probleme erhalten und ihrerseits dokumentieren, welche Maßnahmen sie auf Grundlage dieser Informationen getroffen haben. Die Beschwerdemanagementfunktion soll über diese Maßnahmen informiert werden.

B.7. Bereitstellung von Informationen

Die Versicherungsunternehmen haben

a) auf Nachfrage oder bei der Bestätigung des Eingangs einer Beschwerde den Beschwerdeführer über das Verfahren zur Beschwerdebearbeitung zu informieren – sofern der Beschwerdeführer dies wünscht, schriftlich;

b) den Beschwerdeführer über die Weiterbearbeitung der Beschwerde zu informieren, falls eine unverzügliche Bearbeitung nicht erfolgen kann;

c) eindeutige, genaue und aktuelle Informationen über das Verfahren zur Beschwerdebearbeitung bereitzustellen, mindestens:

(i) Angaben darüber, wie eine Beschwerde einzureichen ist (z.B. die Art der vom Beschwerdeführer beizubringenden Informationen, die Kontaktadresse, an die die Beschwerde zu richten ist),
(ii) das Verfahren, das bei der Bearbeitung einer Beschwerde angewandt wird (z.B. wann der Eingang einer Beschwerde bestätigt wird, ungefähre Bearbeitungszeiträume, Angaben über zuständige Behörden, Ombudsstellen oder Möglichkeiten eines alternativen Streitbeilegungsverfahrens usw.);

d) die Angaben unter c) auf leicht zugängliche Weise zu veröffentlichen, z.B. in Broschüren, Merkblättern, Vertragsunterlagen oder auf der Website des Versicherungsunternehmens.

B.8. Verfahren für die Beantwortung von Beschwerden

Die Versicherungsunternehmen haben

a) sich darum zu bemühen, sämtliche relevanten Beweismittel und Informationen bezüglich der Beschwerde zusammenzutragen und zu prüfen;

b) in klarer, eindeutig verständlicher Sprache zu kommunizieren;

c) ohne unnötige Verzögerung eine Antwort zu erteilen; kann innerhalb der üblichen Fristen keine Antwort gegeben werden, so informiert das Versicherungsunternehmen auf adäquate Weise den Beschwerdeführer über die Gründe für die Verzögerung und gibt an, wann die Prüfung durch das Versicherungsunternehmen voraussichtlich abgeschlossen sein wird;

d) bei Erteilen einer endgültigen Entscheidung, die den Forderungen des Beschwerdeführers nicht vollständig nachkommt, den Standpunkt des Versicherungsunternehmens hinsichtlich der Beschwerde eingehend zu erläutern und die Möglichkeiten des Beschwerdeführers zur Aufrechterhaltung der Beschwerde darzulegen (z.B. die Möglichkeit, sich an eine Ombudsstelle zu wenden, sich an die BaFin zu wenden, alternative Streitbeilegungsverfahren zu nutzen usw.); die Entscheidung soll – sofern der Beschwerdeführer dies wünscht – schriftlich erfolgen.

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