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Exekutivdirektor Wertpapieraufsicht/ Asset-Management, Dr. Thorsten Pötzsch © BaFin/Matthias Sandmann

Erscheinung:07.11.2024 | Thema Bilanzkontrolle Forum Bilanzkontrolle und Corporate Reporting, 7. November 2024

Rede von Dr. Thorsten Pötzsch, Exekutivdirektor Wertpapieraufsicht / Asset-Management

Sehr geehrte Damen und Herren,

erinnern Sie sich noch an den vermeintlichen „Baulöwen“ Jürgen Schneider? Anfang der 1990er-Jahre galt er als erfolgreicher Immobilienunternehmer. Renommierte Banken gaben ihm Millionenkredit nach Millionenkredit. Dabei bemerkten sie nicht, dass sie einem Betrüger auf den Leim gingen. Dass etwa viele der Unterlagen, die er bei ihnen einreichte, gefälscht waren.

Da wurden bei manchen Immobilien Stockwerke dazu erfunden, die es gar nicht gab. Oder Nutzflächen mehr als doppelt so groß ausgewiesen, als sie tatsächlich waren. Manche der betroffenen Gebäude lagen nur wenige Fußminuten entfernt von den Bankzentralen hier in Frankfurt.

Der Immobilienskandal, der vor gut 30 Jahren aufflog, ist auch heute noch ein lehrreiches Beispiel. Weil er verdeutlicht, wie wichtig es ist, genau hinzuschauen. Mit einem kritischen und wachen Verstand. Und weil er zeigt, dass auch hoch professionelle, äußerst erfahrende Marktteilnehmer viel leichter Opfer von Betrügern werden können, als man das gemeinhin annimmt.

Damit herzlich willkommen zum Forum Bilanzkontrolle und Corporate Reporting. 

Es ist mir eine besondere Freude, dass wir heute einige der führenden Expertinnen und Experten in Sachen Rechnungslegung aus Unternehmen, Wissenschaft und Verbänden begrüßen können. Danke, dass Sie sich heute die Zeit nehmen, mit uns zu diskutieren.

Auf dem Kapitalmarkt soll es fair zugehen. Investorinnen und Investoren sollen den Abschlüssen der Unternehmen vertrauen können. Darum geht es bei der Bilanzkontrolle der BaFin. Um Transparenz. Und um Integrität.

Sie alle kennen Paragraf 264, Absatz 2 des Handelsgesetzbuchs:  
„Der Jahresabschluss der Kapitalgesellschaft hat unter Beachtung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Kapitalgesellschaft zu vermitteln.“ Und Sie wissen: Dazu gibt es wirklich umfangreiche Bestände an Fachliteratur. Denn bei diesen vermeintlich einfachen Sätzen steckt der Teufel im Detail. Das ist auch unsere Erfahrung aus den ersten drei Jahren der neu aufgestellten Bilanzkontrolle der BaFin.

Umso wichtiger ist der Dialog. Zwischen Unternehmen, Abschlussprüfern, Wissenschaft und Aufsicht. Denn die Themen, mit denen wir es in der Bilanzkontrolle zu tun haben, sind vielschichtig.

Uns ist wichtig, dass die Marktteilnehmer und die kapitalmarktorientierten Unternehmen wissen, wie wir arbeiten. Sie sollen verstehen, welche Schwerpunkte wir setzen. Und wie wir ab dem kommenden Jahr mit dem neuen Nachhaltigkeitsreporting umgehen werden. Auch deshalb haben wir diese neue Veranstaltung ins Leben gerufen. Wir möchten mit Ihnen ins Gespräch kommen.

Die BaFin steht erst auf der letzten Stufe des deutschen Bilanzkontroll-Systems. Als erstes sind natürlich die Unternehmen selbst gefragt. Sie brauchen eine effektive Governance. Also zum Beispiel angemessene und wirksame Kontroll- und Risikomanagement-Systeme.

Der Vorstand bzw. die Geschäftsleitung muss ein korrektes Reporting sicherstellen. Dann steht der Aufsichtsrat in der Pflicht. Also das zentrale Kontrollgremium der Unternehmen. Vor allem sein Prüfungsausschuss.

Als dritte Kontrollebene fungieren die Abschlussprüfer. Abschlussprüfer mit einer hohen professionellen Skepsis, die akribisch prüfen. Und die unabhängig vom Unternehmen agieren, das sie prüfen. Das erwarten wir ganz klar.

Erst danach kommt die Bilanzkontrolle der BaFin als hoheitliche Behörde ins Spiel.

Im hoheitlichen Enforcement arbeiten wir risikoorientiert. Was heißt das?

Es heißt: Wir setzen Schwerpunkte – und zwar dort, wo wir die größten Risiken sehen. Das betrifft zum einen die Themen, mit denen wir uns befassen. In diesem Jahr prüfen wir zum Beispiel besonders, wie die Unternehmen ihre Geschäftsmodelle und Steuerungssysteme im Lagebericht darstellen. Unseren nationalen Schwerpunkt 2025 stellt Herr Dr. Struffert gleich vor. Außerdem prüfen wir, wenn einschlägig, in diesem Jahr die Auswirkungen von Klima- und Umweltaspekten und des makroökonomischen Umfelds auf die Finanzberichterstattung. Diese Schwerpunkte hat die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA festgelegt.

Risikoorientiertes Vorgehen bedeutet zum anderen auch, dass wir uns, im Falle eines Falles, vorrangig mit Anlassprüfungen beschäftigen. Also mit solchen Prüfungen, denen ein konkreter Verdacht auf Fehler im Abschluss zugrunde liegt. Und bei diesen Prüfungen konzentrieren wir uns auf die komplexen und bedeutsamen Fälle. Aber natürlich prüfen wir Abschlüsse auch stichprobenartig. Und auch bei der Auswahl unserer Stichproben gehen wir mitunter risikoorientiert vor. Manche Fälle wählen wir auf Basis unserer Marktbeobachtungen aus.

Über wie viele Prüfungen reden wir hier? Bis Anfang des vierten Quartals hatten wir insgesamt 27 Bilanzprüfungen abgeschlossen.

Darunter waren 26 Stichprobenprüfungen und eine Anlassprüfung.

Apropos Anlassprüfung: Besonders wichtig sind für uns natürlich die Hinweise, die wir aus dem Finanzmarkt erhalten. Und das sind einige. Im vergangenen Jahr haben wir 39 Hinweise intensiv geprüft. Hier mussten wir die Spreu vom Weizen trennen. Am Ende haben nur wenige Hinweise zu einer Anlassprüfung geführt. In den ersten neun Monaten dieses Jahres sind 21 Hinweise bei uns eingegangen, die wir vertieft prüfen bzw. geprüft haben. 14 dieser Verfahren haben wir bereits abgeschlossen.

Wir arbeiten risikoorientiert. Und wir machen unsere Maßnahmen transparent. Wenn wir also zum Beispiel eine Anlassprüfung anordnen, geben wir das grundsätzlich öffentlich bekannt. In diesem Jahr war das bisher dreimal der Fall.

Genauso transparent machen wir die endgültigen Resultate unserer Prüfungen. Seit Jahresbeginn haben wir in sechs Verfahren Fehlerfeststellungen bekannt gegeben.

Wir sind überzeugt: Bilanzkontrolle kann und darf nicht im stillen Kämmerlein stattfinden. Marktteilnehmer sollen erfahren, bei welchen Unternehmen wir aus gegebenem Anlass genau hinschauen. Und zu welchen Ergebnissen wir bei unseren Prüfungen kommen.

Über festgestellte Fehler sprechen wir natürlich auch oft mit den Kolleginnen und Kollegen der Abschlussprüferaufsichtsstelle, der APAS. Denn hinter jedem festgestellten Fehler steht ein testierter Jahresabschluss.

Viele von Ihnen fragen sich jetzt sicherlich: Was sind das denn typischerweise für Fehler, die die BaFin findet? Am häufigsten sind es zwei Fehlerarten. Zum einen eine fehlerhafte Bewertung von Vermögenswerten. Da werden also zum Beispiel Grundstücke, Beteiligungen oder Goodwill zu hoch bewertet. Zum anderen sind die Lageberichte oft unzureichend. Vor allem die Darstellung des Geschäftsverlaufs, der Risikobericht oder der Prognosebericht.

Wir gehen übrigens nicht nur an die Öffentlichkeit, wenn wir Fehler finden. 
Natürlich informieren wir auch darüber, wenn wir Anlassprüfungen abschließen und alles in Ordnung ist.

Durch diese Transparenz soll die Bilanzkontrolle präventiv wirken. Andere Unternehmen werden den gleichen Fehler dann hoffentlich nicht mehr machen. Und unseriöse oder gar betrügerische Akteure werden abgeschreckt. Denn eines ist klar: Für sie darf auf dem deutschen Kapitalmarkt kein Platz sein.

Um diesen Grundsatz durchzusetzen, hat uns der Gesetzgeber neben der Bekanntmachung mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet. Wir können in allen Prüfungsphasen hoheitliche Mittel einsetzen.

Dazu gehören auch Durchsuchungen, Sicherstellungen und Beschlagnahmungen. Natürlich nur, wenn ein Richter vorher zugestimmt hat. Und natürlich nur in besonders gravierenden Fällen. Wir reiten nicht sofort in Unternehmen ein. Das ist auch klar. Aber im Falle eines Falles haben wir diese Möglichkeit.

Sehr geehrte Damen und Herren,

die nächste große Aufgabe, vor der wir stehen, ist das Enforcement der europäischen Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Damit werden wir uns heute Nachmittag eingehend beschäftigen.

Sie alle wissen: Die Europäische Union hat sich ambitionierte Ziele für den Klimaschutz gesetzt. Bis 2050 soll Europa der erste klimaneutrale Kontinent werden. Und die Europäische Union sieht in der Finanzmarktregulierung einen wichtigen Stellhebel, um dieses Ziel zu erreichen.

Damit Kapital in nachhaltige Projekte investiert werden kann, braucht es Daten. Und zwar verlässliche, vergleichbare und relevante Nachhaltigkeitsdaten der Unternehmen. Ohne sie geht es nicht.

Ab dem Berichtsjahr 2024 werden Unternehmen stufenweise verpflichtet, mit ihrem Jahresabschluss einen Nachhaltigkeitsbericht zu veröffentlichen. Dieser Bericht wird Teil des Lageberichts. Und damit wird er von einem Wirtschaftsprüfer geprüft werden, zumindest nach aktuellem Stand.

Inhaltlich wird er weit über die bisherige nichtfinanzielle Erklärung hinausgehen. Unternehmen müssen künftig über die wesentlichen Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf Mensch und Umwelt berichten. Und darüber, wie sich die wesentlichen Auswirkungen von Nachhaltigkeitsaspekten auf sie auswirken. Also zum Beispiel, wie sich der Klimawandel auf ihre Lage, ihre Leistung und ihre Entwicklung auswirkt. Finanz- und Nachhaltigkeitsberichterstattung werden den gleichen Stellenwert haben. Zudem wird die Zahl der Unternehmen, die einen Nachhaltigkeitsbericht erstellen müssen, schrittweise steigen.  

Den Auftakt machen große kapitalmarktorientierte Unternehmen mit mehr als 500 Arbeitnehmern. Sie müssen erstmals einen Nachhaltigkeitsbericht für das Geschäftsjahr 2024 vorlegen.

Wir wissen natürlich: Das ist für die betroffenen Unternehmen zusätzlicher Aufwand. Aber viele berichten bereits über Nachhaltigkeitsaspekte. Sie müssen also nicht bei null anfangen. Zudem bringen die neuen Berichtsanforderungen auch Chancen mit sich. Zum Beispiel die Chance, die eigenen Nachhaltigkeitsbemühungen stärker als bisher transparent zu machen.

Wir werden uns natürlich auch in der Bilanzkontrolle mit den Nachhaltigkeitsberichten befassen. Dabei ist mir ein Punkt besonders wichtig:  
Die BaFin ist die Finanzaufsicht. Wir sind keine Umweltbehörde. Wir können also prüfen, ob die Berichte den Anforderungen an die Berichterstattung genügen. Wir werden nicht prüfen können, ob die angegebenen Umweltdaten tatsächlich der Realität entsprechen.

Ich denke, für uns alle wird die Lernkurve bei diesem Thema steil sein. Für die Unternehmen. Für die Abschlussprüfer. Und auch für uns in der Bilanzkontrolle. Das werden wir natürlich auch im Enforcement berücksichtigen. Ich kann Ihnen hier sagen: Wir werden mit Augenmaß vorgehen. Ich sage aber auch klipp und klar: Wir werden uns kein X für ein U vormachen lassen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

lassen Sie mich noch einmal kurz zusammenfassen. Drei Punkte sind mir besonders wichtig.

Erstens: Am Kapitalmarkt soll es fair zugehen. Investorinnen und Investoren müssen Unternehmensabschlüssen vertrauen können. Dafür arbeiten wir in der Bilanzkontrolle. Zuallererst sind jedoch die Unternehmen in der Pflicht. Ihre Kontrollgremien. Und die Abschlussprüfer.

Zweitens: In der Bilanzkontrolle arbeiten wir risikoorientiert – und wir machen unsere Maßnahmen transparent. Das heißt: Wir fokussieren uns auf Themen, bei denen wir das größte Risikopotenzial sehen. Und auf Unternehmen, bei denen es einen konkreten Anlass gibt, genauer hin zu schauen. Darüber informieren wir die Öffentlichkeit. Auch, weil unsere Arbeit präventiv wirken soll.

Und drittens werden wir, wenn wir im kommenden Jahr zum ersten Mal die neuen Nachhaltigkeitsberichte prüfen, mit dem gebotenen Augenmaß vorgehen.

So viel vorab von meiner Seite. Jetzt freue ich mich auf andere Perspektiven. Auf uns warten interessante Vorträge und spannende Diskussionsrunden. Ich wünsche Ihnen und uns einen erkenntnisreichen Konferenztag. Und nun, um es mit Pink zu sagen: „Get this party started.“

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