© BaFin/Matthias Sandmann
Erscheinung:02.07.2025 „Wir wollen digitalen Fortschritt ermöglichen“
Rede von BaFin-Präsident Mark Branson bei der BaFinTech am 02. Juli 2025 in Berlin.
Es gilt das gesprochene Wort!
Technischer Fortschritt stößt mitunter grundsätzliche Diskussionen an. Schon vor mehr als 150 Jahren fragte der britische Autor Samuel Butler in seiner utopischen Satire „Erewhon“: „Schaffen wir nicht selbst unsere Nachfolger in der Herrschaft über die Erde?“ Maschinen, so heißt es in dem Buch, können eine Lebendigkeit bekommen, die der Lebendigkeit der Tiere genauso überlegen ist, wie die Lebendigkeit der Tiere der der Pflanzen.
Butler schrieb zu einer Zeit, als die Industrialisierung der westlichen Welt noch in vollem Gange war. Als innovative Technik lang Etabliertes in Frage stellte. Und bisher ungeahnte Möglichkeiten schuf. Im Roman Erewhon hat man eine radikale Lösung gefunden. Mehr dazu später.
Heute erleben wir wieder technologische Umbrüche. Wir alle sehen: Finance wird immer mehr zum Tech-Business. Digitale Technik definiert, was möglich ist im Finanzsektor. Aus Fantasie kann im Handumdrehen Realität werden. Deshalb ist es wichtig, dass wir darüber debattieren: Wie können wir die Chancen des technischen Wandels ergreifen? Und seine Risiken managen?
Als Finanzaufseher sage ich bewusst: Wir brauchen in Deutschland und in Europa ein starkes Tech-Ökosystem. Also innovative Tech-Unternehmen, führende Forschungsinstitute, leistungsstarke Rechenzentren etc. Denn der Finanzsektor profitiert davon. Die Frage, wie schnell und wie konsequent Unternehmen des Finanzsektors ihr Geschäft digitalisieren, entscheidet wesentlich über ihre Wettbewerbsfähigkeit. Über ihre Zukunftsfähigkeit.
Ein starkes Tech-Ökosystem ist aber noch aus einem weiteren Grund wichtig. Wegen der geopolitischen Umbrüche. Es geht auch um digitale Souveränität.
Wir stehen gerade an einem spannenden Punkt. Technologien mit großem disruptivem Potenzial entwickeln sich rasend schnell.
Die Distributed-Ledger-Technologie etabliert sich zusehends. Sie kann Intermediäre ganz oder teilweise überflüssig machen und Kontrahentenrisiken reduzieren. DLT ist im Vergleich zu etablierten Technologien vielseitiger nutzbar. Weil über sie auch komplexe, mehrstufige Vertragsbeziehungen mit einer einzigen Transaktion automatisiert abgewickelt werden können: Stichwort „Smart Contract“.
Bei DLT denken viele vor allem an Bitcoin und Ether. Es geht aber um viel mehr. In wenigen Jahren dürften etwa tokenisierte Wertpapiere zum Standard gehören. Dementsprechend bereiten sich große Finanzintermediäre darauf vor, ihre Produkte auf Blockchain-basierten Infrastrukturen abzubilden. Deutschland ist dabei schon weit vorangeschritten. Emission und Verwahrung tokenisierter Finanzinstrumente sind schon jetzt Realität. Handel und Abwicklung können kurzfristig integriert werden. Auch dank der ersten BaFin-Erlaubnisse für Handel und Abwicklung nach dem DLT-Pilot-Regime – ein Unikat in Europa.
Dazu kommt immer mehr Künstliche Intelligenz. Schon heute sehen wir eine Vielzahl von Use Cases. Vor allem in weniger risikobehafteten Bereichen, insbesondere in der Optimierung interner Prozesse. Es ist jedoch absehbar: KI wird zunehmend auch in komplexeren und kritischeren Anwendungsfeldern zum Einsatz kommen. Die nächste Entwicklungsstufe sind KI-Agenten. Also Software-Systeme, die eigenständig Daten analysieren, Entscheidungen treffen und diese Entscheidungen ohne menschliches Zutun umsetzen.
Am Horizont zeichnet sich derweil der nächste Umbruch ab. Das Quantumcomputing. Wir wissen heute noch nicht, wann leistungsfähige und fehlertolerante Quantencomputer zur Verfügung stehen werden. Aber: Alles deutet darauf hin, dass sie kommen werden. Und wenn es soweit ist, dann wird ihr Impact erheblich sein. Das Quantumcomputing verspricht im Vergleich zu herkömmlichen Computern eine gigantische Rechenleistung. Quantencomputer könnten auch die Leistungsfähigkeit von KI vervielfachen. Eine wirklich spannende Kombination. Wir werden wohl auch in der Finanzindustrie ganz neue Anwendungsmöglichkeiten sehen. Im Risikomanagement. Im Portfoliomanagement. Oder im Handel.
Neue digitale Technologien versprechen große Möglichkeiten. Sie bergen aber auch erhebliche Risiken.
Das Quantumcomputing kann den Finanzsektor vor ein grundlegendes Problem stellen. Denn Quantencomputer werden etablierte Verschlüsselungsverfahren überwinden können. Nicht umsonst wird Quantumcomputing bereits als künftiges Risiko in den Prospekten für Krypto-Finanzprodukte genannt. Und schon heute stehlen Kriminelle Daten, um sie später einmal mit Hilfe von Quantencomputern zu entschlüsseln. Die Risiken des Quantumcomputing sind keine Zukunftsmusik. Sie sind heute schon relevant. Uns ist es daher wichtig, dass die Unternehmen des Finanzsektors bei diesem Thema eine gewisse gesunde Paranoia entwickeln. Dass sie die Risiken sehr ernst nehmen. Und spätestens heute damit beginnen, sich vorzubereiten.
Auch Künstliche Intelligenz birgt Risiken. Sie kann zu ungerechtfertigter Diskriminierung führen. Zum Beispiel, weil sie anhand nicht repräsentativer Daten trainiert wurde. Generative KI kann halluzinieren. Zudem kann die Einführung generativer KI zu neuen Abhängigkeiten führen. Denn viele Unternehmen setzen dabei auf die großen Tech-Anbieter.
Bei DLT geht es unter anderem um mögliche Rückkopplungen in das klassische Finanzsystem. Immer mehr etablierte Unternehmen steigen in das Geschäft mit Krypto-Werten ein. Die Verflechtung wächst. Im Bereich der Stablecoins ist die Verflechtung der Kryptowelt mit dem klassischen Finanzsystem bereits Realität: Nach MiCAR zugelassene E-Money-Token gelten als E-Geld. Und sind damit ein zugelassenes Zahlungsmittel. Künftig könnte das Auswirkungen auf die Finanzstabilität haben.
Diese Risiken können wir nicht ignorieren. Denn sie können sich im schlimmsten Fall auf das gesamte Finanzsystem auswirken.
Was können wir also tun? In Butlers Roman ist die Sache ganz einfach. Die Bewohnerinnen und Bewohner des fiktiven Lands Erewhon waren überzeugt: Die Maschinen sind dazu bestimmt, die Menschheit zu ersetzen. Sie zerstörten daher alle Maschinen, die nicht mindestens 271 Jahre alt waren. Und verboten, neue zu entwickeln.
Ich kann sie beruhigen. Wir orientieren uns nicht an diesem Buch.
Als Aufsicht geht es uns darum, die richtige Balance zu wahren. Die richtige Balance zwischen Innovation und Stabilität.
Wir wollen digitale Innovationen. Denn sie sind das Fundament einer starken, wettbewerbsfähigen Finanzbranche – und nur eine starke, wettbewerbsfähige Finanzbranche ist dauerhaft stabil. Zudem muss Europa seine digitale Souveränität stärken. Das ist ja mittlerweile auch eine Form des Risikomanagements. Innovation ist daher auch ein wichtiges Element unserer strategischen Ziele für die Jahre 2026 bis 2029. Die haben wir in der letzten Woche vorgestellt. Darin unterstreichen wir: Wir stehen dem Einsatz von innovativen Technologien und Geschäftsmodellen, die Kundinnen und Kunden nutzen, positiv gegenüber.
Gleichzeitig haben wir einen klaren gesetzlichen Auftrag. Unser Ziel ist es, ein funktionsfähiges, stabiles und integres Finanzsystem zu gewährleisten. Da machen wir keine Kompromisse. Natürlich spiegelt sich auch dieser Auftrag in unseren strategischen Zielen wider. Dort erklären wir auch: „Wir stärken die operationelle Resilienz der Akteure am Finanzmarkt.“ Wir drängen also darauf, dass die Unternehmen die Risiken aus der Informations- und Kommunikationstechnologie gut managen. Außerdem hinterfragen wir digitale Technik und neue Geschäftsmodelle kritisch. Denn wir müssen verstehen: Wie wirken sie sich auf das Finanzsystem aus? Und auf Kundinnen und Kunden?
Wir wissen natürlich: Wenn wir zu stark bremsen, halten Innovationsprozesse nicht an. Sie finden dann eben woanders statt. Wir wollen sie auch gar nicht unnötig bremsen. Aber Innovation darf nicht auf Kosten der Finanzstabilität und der Interessen von Kundinnen und Kunden gehen.
Deshalb greifen wir ein, wenn wir kritische Entwicklungen sehen. Auf Grundlage der MiCAR haben wir im Mai die Abwicklung eines Stablecoins angeordnet, weil wir im Zulassungsverfahren erhebliche Mängel festgestellt haben. So schützen wir Kundinnen und Kunden vor dubiosen Finanzprodukten. Mit Blick auf KI achten wir zum Beispiel auf eine angemessene Governance, die alle aufsichtlich relevanten Risiken umfasst. Transparenz, Nachvollziehbarkeit und ein wirksames Risikomanagement sind zentral – besonders, wenn KI in entscheidungsrelevante Prozesse eingreift. Die Verantwortung für Modelle und Entscheidungen liegt bei den beaufsichtigten Unternehmen. Dazu kommen die Anforderungen der europäischen KI-Verordnung. Die BaFin wird bei der Überwachung der KI-Verordnung wahrscheinlich eine wichtige Rolle spielen. Ein Punkt ist uns dabei sehr wichtig. Die regulatorische Definition davon, was ein KI-System ist, darf nicht herkömmliche statistische Verfahren umfassen, die schon lange etabliert sind.
Meine Damen und Herren,
im Rahmen ihres Mandats helfen öffentliche Stellen wie die BaFin durchaus, neue Technologien voranzubringen. In den vergangenen Jahren haben BaFin und Bundesbank zum Beispiel einiges getan, um die Entwicklung von DLT-basierten Lösungen zu unterstützen. Die Bundesbank hat im Rahmen der EZB-Trials die Trigger Solution zur Verfügung gestellt, die der Markt sehr gut aufgenommen hat. Die BaFin hat das EU-weit erste DLT-Handels- und Abwicklungssystem zugelassen – und weitere Anbieter für Krypto-Dienstleistungen, die das Ökosystem in Deutschland bereichern.
Wir alle brauchen funktionsfähige, stabile und integre digitale Finanzmärkte. Als Finanzaufsicht erwarten wir, dass die Unternehmen ihre Risiken angemessen managen. Und dass sie anständig mit ihren Kundinnen und Kunden umgehen. Zugleich können sich die Unternehmen auf uns verlassen. Wir werden weiter auf eine gute Balance achten. Wir wollen digitalen Fortschritt ermöglichen und dabei ein funktionsfähiges, stabiles und integres Finanzsystem sicherstellen. Das ist unsere Richtschnur.
Es geht nur gemeinsam. Wenn wir die Chancen des digitalen Wandels auf verantwortungsvolle Art ergreifen wollen, müssen wir, Aufsicht, Zentralbank und Innovatoren, konstruktiv, entschlossen und mit Weitblick zusammenarbeiten. Für ein stabiles und faires Finanzsystem, dem die Kundinnen und Kunden vertrauen können. Das ist unsere gemeinsame Verantwortung.